Warum ein Mann gut angezogen sein soll (eBook)
128 Seiten
Metroverlag
978-3-99300-701-0 (ISBN)
Geboren 1870, war Journalist und Architekt. Als scharfer Kritiker der angewandten Kunst gilt Loos heute als einer der Pioniere der modernen Architektur. Adolf Loos starb 1933 in Wien.
Wäsche
Neulich geriet ich mit einem bekannten in Streit. Was ich über kunstgewerbliche Fragen schrieb, wollte er wohl gelten lassen. Aber die Mode- und Bekleidungsthemen gingen ihm gegen den Strich. Er warf mir vor, daß ich die ganze Welt niformieren wolle. Was soll denn dann aus unseren herrlichen Nationaltrachten werden!
Hier wurde er poetisch. Er gedachte seiner Kindheit, gedachte der herrlichen Sonntage in Linz, gedachte des Landvolkes, das festlich geschmückt sich zum Kirchgang versammelte. Wie prächtig, wie schön, wie malerisch! Wie ist das nun alles anders geworden! Nur die alten Leute hielten an der alten Tracht fest. Die jungen aber äffen schon den Stadtleuten nach. Man möge lieber das Volk für die alte Tracht wieder zu gewinnen suchen. Das wäre die Aufgabe eines Kulturliteraten.
»Also diese alte Tracht hat Ihnen gefallen?« warf ich ein. – »Gewiß.« – »Und Sie wünschen daher, daß diese Tracht für ewige Zeiten erhalten bleibe.« – »Das ist mein sehnlichster Wunsch!«
Nun hatte ich ihn, wo ich ihn haben wollte. »Wissen Sie,« sprach ich zu ihm, »daß Sie ein ganz gemeiner, egoistischer Mensch sind. Wissen Sie, daß Sie einen ganzen Stand, einen großen herrlichen Stand, unseren Bauernstand, ausschließen wollen von allen Segnungen der kultur. Und warum? Damit Ihr Auge, sobald sie sich aufs Land begeben, malerisch gekitzelt werde! Warum laufen Sie denn nicht so herum? Ah, Sie möchten sich schönstens bedanken. Aber Sie verlangen von anderen Menschen, daß Sie Ihnen zuliebe in der Landschaft Staffage spielen, um Ihr trunkenes Literatenauge nicht zu beleidigen. Ja, stellen Sie sich doch einmal hin und machen Sie einmal den Wurstl für den Hrn. Kommerzienrat, der unverfälschte Alpen genießen will. Der Bauer hat eine höhere Mission zu erfüllen, als für die Sommerfrischler die Berge stilvoll zu bevölkern. Der Bauer – der Spruch ist schon bald hundert Jahre alt – ist kein Spielzeug!«
Auch ich gebe zu, daß mir die alten Trachten sehr gut gefallen. Das gibt mir aber noch kein Recht, von meinem Nebenmenschen zu verlangen, sie meinetwegen anzulegen. Die Tracht, die in einer bestimmten Form erstarrte Kleidung, die sich nicht mehr weiter entwickelt, ist immer das Zeichen, daß ihr Träger es aufgegeben hat, seinen Zustand zu verändern. Die Tracht ist die Verkörperung der Resignation. Sie sagt: Ich muß es aufgeben, mir im Kampfe um das Dasein eine bessere Stellung zu erobern, ich muß es aufgeben, mich weiter zu entwickeln. Als der Bauer noch frisch und fröhlich kämpfte, als er von den grünsten Hoffnungen erfüllt war, da wäre es ihm nicht im Traume eingefallen, denselben Rock anzuziehen, den sein Großvater getragen hatte. Das Mittelalter, die Bauernkriege, die Renaissance, kennen das starre Festhalten an den Kleidungsformen nicht. Der Unterschied zwischen der Kleidung des Städters und des Bauern wurde nur durch die verschiedene Lebensführung bedingt. Städter und Bauer verhielten sich damals zu einander wie heute Städter und Farmer.
Da verlor der Bauer seine Selbständigkeit. Er wurde zum Leibeigenen. Leibeigener mußte er bleiben, er und seine Kindeskinder. Wozu sollte er sich da anstrengen, sich durch sein Kleid über seine Umgebung zu erheben, also eine Änderung in seiner Kleidung herbeizuführen? Es nützte ja doch nicht. Der Bauernstand wurde zur Kaste, dem Bauer jede Hoffnung abgeschnitten, diese Kaste zu verlassen. Völker, die sich in Kasten gesondert haben, haben diesen Zug alle gemeinsam, das starre, jahrtausendlange Festhalten an der Tracht.
Dann wurde der Bauer frei. Aber nur äußerlich. Innerlich fühlt er sich doch noch dem Städter gegenüber minderwertig. Das sind die Herren. Die jahrhundertelange Knechtschaft liegt ihm noch zu sehr in den Gliedern.
Nun aber kommt eine neue Generation. Die hat der Tracht den Krieg erklärt. Dabei hat sie eine gute Verbündete, die Dreschmaschine. Wo die einmal ihren Einzug hält, ist es für immer mit dem malerischen Plunder vorbei. Der geht nun dahin, wo er hingehört: In die Maskenleihanstalt.
Das sind herzlose Worte. Sie müssen aber ausgesprochen werden, weil in Österreich zufolge einer falschen Sentimentalität sich sogar Vereine gebildet haben, die bestrebt sind, dem Bauer das Brandmal seiner Knechtschaft zu erhalten. Und doch hätten wir Vereine, welche den umgekehrten Weg einschlagen, viel notwendiger. Denn von der Kleidung wie sie die großen Kulturvölker tragen, sind auch wir Städter noch weit entfernt. Äußerlich sehen wir ja ganz passabel aus. Da können wir es schon mit den anderen aufnehmen. Wir können es, wenn wir uns von einem ersten Wiener Schneider anziehen lassen, schon zuwege bringen, auf Londoner, New Yorker und Pekinger Pflaster für zivilisierte Europäer gehalten zu werden. Wehe uns aber, wenn uns die Oberfläche der Bekleidung Stück für Stück abfiele und wir in der Wäsche dastünden! Da würde man gewahr werden, daß wir unsere europäische Kleidung nur wie einen Maskenzug anlegen, denn unter derselben tragen wir noch die nationale Tracht.
Aber entweder – oder. Wir müssen uns entschließen. Entweder wir haben den Mut der Überzeugung, uns von der übrigen Menschheit abzusondern und legen eine Nationaltracht an. Oder aber, wir wollen uns an die übrige Menschheit halten und kleiden uns wie diese. Äußerlich aber den modernen Kulturmenschen spielen zu wollen und mit jenen Kleidungsstücken, die dem fremden Blicke erreichbar sind, anderen die Augen auszuwischen, zeigt nicht von vornehmer Denkungsart.
Während uns in der Oberkleidung eine ganze Welt von dem Landmann trennt, unterscheidet sich unsere Unterkleidung, unsere Wäsche in nichts von der des Bauern. In Ungarn trägt man dieselben Unterhosen wie der Csikos, in Wien dieselben, die der niederösterreichische Bauer trägt. Was ist es nun, was uns so sehr in der Wäsche von den übrigen Kulturvölkern trennt?
Es ist die Tatsache, daß wir um mindestens 50 Jahre hinter dem Stadium zurückstehen, das England gegenwärtig der gewirkten Wäsche gegen die gewebte Wäsche erkämpft hat. In der Oberkleidung haben wir ja im Laufe dieses Jahrhunderts keine großen Umwälzungen zu verzeichnen. Um so einschneidender sind sie in der Unterkleidung. Vor hundert Jahren noch hüllte man sich ganz in Leinwand. Im Laufe dieses Jahrhunderts aber ist man schrittweise daran gegangen, dem Wirkwarenerzeuger wieder sein Gebiet zurückzuerstatten. Schrittweise ging man vor, das heißt von Körperteil zu Körperteil. Man begann mit den Füßen und ging nach aufwärts. Gegenwärtig gehört dem Wirker der ganze Unterkörper, während sich der Oberkörper noch gefallen lassen muß, daß das Trikothemd durch ein Leinwandhemd verkleidet wird.
Man begann mit den Füßen. Auf diesem Standpunkte stehen wir nun auch. Auch wir tragen keine Fußlappen mehr, sondern Strümpfe. Aber wir tragen noch Leinwandunterhosen, einen Artikel, der in England und Amerika schon ausgestorben ist.
Wenn ein Mann aus den Balkanstaaten, die noch immer Fußlappen tragen, nach Wien käme, und er würde eine Wäschehandlung aufsuchen, um seine landesübliche Fußbekleidung zu kaufen, so würde ihm die unfaßbare Mitteilung werden, daß man Fußlappen nicht zu kaufen bekommt. Aber auf Bestellung könne er sie wohl haben. Ja, was tragen denn die Menschen hier? – Fußsocken. – Fußsocken? Das ist ja sehr unbequem. Und zu heiß im Sommer. Trägt denn niemand mehr Fußlappen? – O ja, die ganz alten Leute. Aber die jungen fänden wieder Fußlappen unbequem. Der gute Mann aus den Balkanstaaten entschließt sich dann schweren Herzens, den Versuch mit den Socken zu machen. Damit hat er eine neue Staffel der menschlichen Kultur eingenommen.
Philippopel zu Wien verhält sich wie Wien zu New York. Versuchen wir dort daher – nicht Fußlappen, man würde uns gar nicht verstehen –, sondern Leinwandunterhosen einzukaufen. Ich muß den Leser schon bitten, das vorhergehende Gespräch noch einmal zu lesen und dafür die Worte »Mann aus den Balkanstaaten« in »Wiener« und »Fußlappen« in »Leinwandunterhosen« umzuwandeln. Denn genau so würde sich dasselbe abwickeln. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Dann hat man das Originalgespräch, das durch die Fußlappen nur für Wiener Verhältnisse verständlich gemacht wurde.
Wer die gewebten Stoffe bequemer findet als die gewirkten, möge sie nur immer tragen. Denn es wäre ein Unsinn, den Leuten eine Kulturform aufzuoktroyieren, die ihrem innersten Wesen nicht entspricht. Tatsache ist, daß dem Menschen auf der Höhe der Kultur die Leinwand unbequem wird. Wir müssen also abwarten, bis wir Österreicher auch ihre Unbequemlichkeit empfinden. Die zunehmende Ausbreitung der Leibesübungen, des Sports, der aus England kommt, hat auch die damit verbundene Ab neigung gegen Leinwandwäsche zur Folge. Auch die gestärkte Hemdbrust, Kragen und Manschetten sind dem Sport hinderlich. Die ungestärkte Hemdbrust ist die Vorläuferin des ungestärkten Kragens. Beide haben nur die Aufgabe, dem Trikothemd und dem Flanellhemd die Wege zu ebnen.
Die Trikotwäsche birgt allerdings eine große Gefahr. Eigentlich ist sie nur für Leute bestimmt, die sich um ihrer selbst Willen waschen. Viele Deutsche aber erblicken in dem Anlegen der gewirkten Wäsche einen Freibrief dafür, sich nicht waschen zu müssen. Kommen doch aus Deutschland alle Erfindungen, die das Waschen ersparen sollen. Aus Deutschland kam die Zelluloidwäsche, die falsche Hemdbrust, die Krawatte mit angesetzter Brust aus demselben Stoffe. Aus Deutschland stammt die Lehre, daß das Waschen der Gesundheit nicht zuträglich und daß man ein Trikotshemd jahrelang tragen könne – so lange es sich die Umgebung nicht ernstlich verbietet. Dem Amerikaner ist der Deutsche ohne blühend weiße, aber falsche Hemdbrust...
Erscheint lt. Verlag | 8.1.2014 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung | |
Technik | |
ISBN-10 | 3-99300-701-8 / 3993007018 |
ISBN-13 | 978-3-99300-701-0 / 9783993007010 |
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