Hartland (eBook)

Zu Fuß durch Amerika
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-10871-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hartland -  Wolfgang Büscher
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Zu Fuß in das Herz Amerikas, drei Monate lang, 3500 Kilometer von Nord nach Süd: Wolfgang Büscher hat das Abenteuer gewagt. Er läßt sich durch die schneebedeckte Prärie Norddakotas treiben, entdeckt den verlassenen Ort Hartland, der einst Heartland hieß, und freundet sich in den Great Plains mit einem rätselhaften indianischen Cowboy an. Dann folgt er der Route 77 vom Missouri bis zum Rio Grande. Bob Dylan nannte diese historische Straße einmal das eigentliche Herz Amerikas, ihr entlang lasse sich der Geist des Landes einfangen. In Kansas muß Büscher mit gespreizten Armen und Beinen am Wagen des Sheriffs stehen, auf offener Landstraße, er schläft in gespenstischen Motels und viktorianischen Herrenhäusern und flieht aus einem Nachtasyl. Dann Texas. Ranches, groß wie kleine Staaten, die Hitze des Südens. Bei Waco, wo einst die bewaffnete Davidianer-Sekte wochenlang vom FBI belagert wurde, trifft er den heutigen Sektenchef - der Wahn lebt. Büscher läßt sich weitertreiben, immer weiter nach Süden, durch die Desierto de los Muertos, bis er schließlich über den Rio Bravo nach Mexiko verschwindet ... Ein einzigartiges Reiseabenteuer - geschrieben von einem Autor, dessen Bücher, so der «Spiegel», «zum Besten gehören, was in den letzten Jahren in deutscher Sprache erschienen ist». Seit 'Berlin-Moskau' wissen wir, dass Wolfgang Büscher literarisch reist wie kein anderer. Es ist ihm noch einmal gelungen, im Westen diesmal, der Sonne entgegen, Amerika im Blick, Europa im Herzen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Wolfgang Bu?scher, geboren 1951 bei Kassel, ist Schriftsteller und Autor der «Welt». «Er hat der Reiseliteratur», wie es im «Deutschlandfunk» hieß, «zu neuem Glanz verholfen.» Zu seinen Veröffentlichungen zählen «Berlin - Moskau» (2003), «Deutschland, eine Reise» (2005), «Hartland» (2011) und «Ein Fru?hling in Jerusalem» (2014). Fu?r sein Werk wurde Wolfgang Bu?scher vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem Ludwig-Börne-Preis.

Wolfgang Büscher, geboren 1951 bei Kassel, ist Schriftsteller und Autor der «Welt». «Er hat der Reiseliteratur», wie es im «Deutschlandfunk» hieß, «zu neuem Glanz verholfen.» Zu seinen Veröffentlichungen zählen «Berlin – Moskau» (2003), «Deutschland, eine Reise» (2005), «Hartland» (2011) und «Ein Frühling in Jerusalem» (2014). Für sein Werk wurde Wolfgang Büscher vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem Ludwig-Börne-Preis.

Teil 1

Am Missouri, wo alles begann


Der Amerikadepp


Im Jahr, als der Winter nicht enden wollte, ging ich nach Amerika hinunter, ein dunkler Punkt in der weißen Unendlichkeit der nördlichen Great Plains, eine Ameise im Schnee. Manchmal sah ich mich so, wenn der Geist sich löste und aufflog und einen Moment lang über mir flatterte, während die Füße mechanisch weiterstapften. Der einzige Sinneseindruck, der mir versicherte, du bewegst dich, du bist es, der da geht durch die winterliche Prärie, war das Knirschen meiner Schritte im Eis.

War dort nicht etwas – eine geduckte Bewegung im Augenwinkel? Am Morgen hatte mir der letzte Mann, den ich im letzten Ort vor der Grenze sah, nachgerufen, nicht nur vor den Wölfen solle ich mich in acht nehmen, auch vor den Kojoten. Sie hätten sich mit ihnen vermischt und seien selbst halbe Wölfe geworden. Nein, da schlich nichts. Nicht einen Wolf sah ich, nicht einen Kojoten, nur weiße, weiße Wüste.

Ich fand das Tier an eine Schneewehe geschmiegt. Als wolle es nur ein wenig ausruhen, so heil sah es aus – ein Stinktier, ein Skunk. Seine letzte Tat war es gewesen, sich auf die Todeswunde zu wälzen, als sei es ihm unangenehm, so gesehen zu werden, so tot. Dir sollte es unangenehm sein, dachte ich, es so zu sehen, so tot, aber es widerstrebte mir nicht. In seinem starken, dunkel glänzenden Haar spielte der Wind, blies kleine Wirbel und Schneisen hinein. Ich war allein mit dem Skunk, mit ihm und der Prärie und der großen blauen Blässe darüber, die man Himmel nennt.

Die Wintersonne schien, die Straße war ein schwarzes Band, ausgerollt auf die Grenze zu. Von Norden kam ich, von Kanada, von Saskatchewan her, nach Süden wollte ich, nach Dakota und weiter, immer weiter bis Texas und über den Rio Grande. Ich ging schnell, Erlösung war nahe, heute noch würde ich in Amerika sein.

Ich ging nicht allein. Bei mir waren meine treuen Hunde, die Warnungen. Gehen in Amerika sei ein Ding der Unmöglichkeit, hatten mir Kenner versichert, also alle daheim. Alle kannten Amerika, nur ich kannte es schlecht. Unüberwindbare Autobahnlandschaften, Straßenkreuzungslabyrinthe, gnadenlose Sheriffs! Niemand, wirklich niemand gehe zu Fuß in Amerika, nicht einmal in den Städten. Wagte ich es doch, sei ich von Stund an ein Freak, ein Outlaw, jeder Sheriff werde mich an seinen Wagen stellen, Arme vorgestreckt, Beine gespreizt, wie in den Filmen, und mich ins Gefängnis stecken. Man riet mir dringend zu einem Auto, einem Motorrad, ja sogar zu einem Pferd. Ich weiß nicht, sagte ich, ich gehe lieber. Ich war der Amerikadepp.

Das Duell


Ich erreichte die Grenze noch vor der Nacht. Ein verschlafener Truckerübergang war North Portal – das übliche Grenzmobiliar, Sperren, Schleusen, ein Flachbau. Am Mast das Sternenbanner, riesig, als wolle es sich selbst Mut zuwehen an diesem einsamen Posten.

Ich spähte hinüber. Dort drüben, das war Amerika. Einige Häuser konnte ich ausmachen, das mit dem schlichten Holzgeländer mochte der Saloon sein – regte sich etwas darin, oder war er seit langem geschlossen? Und der barackenartige Langbau, Tür neben Tür, war wohl das Motel. Hinter einer davon würde ich, wenn alles gutging, heute nacht schlafen. Die Häuser lagerten dicht um den Grenzposten, wie ein paar Generationen zuvor die Hütten der Pelz- und Schnapshändler um das schützende Fort.

Mir blieb keine Zeit, Portal näher zu betrachten. Der erste Grenzer, der mich sah, erwachte sofort aus seiner Routine, stellte mich und gab mir Befehle: «Halt! Hier stehenbleiben … Nein, so nicht … Ja, so.» Er war jung. Er wollte alles richtig machen in diesem außergewöhnlichen Fall. Er nahm mir den Paß ab und begann das Verhör. «Woher? … Wohin? … Genaue Reiseroute?» Er beeilte sich, einen harschen Ton anzuschlagen, seine älteren Kameraden waren herausgekommen und umringten uns jetzt, neugierig zu sehen, was für ein Vogel ihnen da ins Netz gegangen war.

Ein Ranghöherer übernahm. Auch er begann mit Befehlen: «Hinein jetzt! Auf den Stuhl da! Taschen leeren, Rucksack leeren. Herüberreichen die Sachen, aber einzeln, Stück für Stück! Nicht aufstehen!» Alles wurde auf die Theke gepackt, die den einen Teil des Raums von dem anderen trennte, der den Grenzern vorbehalten war. Nun das ganze Verhör noch einmal und jetzt richtig. Alles wollten sie wissen, über mich und meine Absichten und über die Reise hierher, von Europa an die amerikanische Nordgrenze, sämtliche Orte und Zeiten.

«Waffen?»

«Keine Waffen.»

Es war weniger eine Durchsuchung meiner paar harmlosen Sachen als meines Hirns. Der neue Vernehmer tastete es auf Widersprüche ab, und ich sah zu, daß keine meiner Aussagen vom ersten Verhör abwich. Auf jedes noch so belanglose Detail würde er sich stürzen, um diesen Kerl zu entlarven, der behauptete, zu Fuß aus der winterlichen Prärie zu kommen, und der vorgab, durch Amerika gehen zu wollen.

Ich wurde in einen anderen Raum geführt. Erstaunlich, wieviel Verhörtechnik, wie viele Türen und Zimmer dieser von außen so unscheinbare Flachbau barg. Etliche lernte ich kennen in den nächsten Stunden. Nahmen sie mir zwei- oder dreimal die Fingerabdrücke ab? Fotografierten sie mich drei- oder viermal in allen Varianten: nah, ganz, amerikanisch? Ich habe nicht mitgezählt, sie wissen es besser als ich. Sie wissen es ganz genau.

Noch hielt meine Contenance. Sicher, ich war in ihrer Hand, aber ich wußte, was sie nicht wußten: Meine Papiere waren in Ordnung und, nun ja, meine Absichten auch. Ich war ihnen ein Rätsel, sie verstanden mich nicht, ich verstand sie gut. Sie taten Dienst auf diesem gottverlorenen Posten, um die Grenze ihres Landes zu schützen, und so, wie ich daherkam, mußte ich Verdacht erregen, auch das sah ich ein. Vermutlich war so einer hier noch nie aufgetaucht.

«Kommen Sie mit!»

Ein neuer Grenzer, ein neuer Raum, ein neuer Fingerabdrucktisch. Der Neue stellte sich breitbeinig auf, bereit einzugreifen, falls es erforderlich würde, ein Riese, der vor sich hingriente, als amüsiere ihn das alles. Endlich was los am Rande der Welt. Der Junge, der mich zuerst verhört hatte, sollte es machen. Er nahm die Sache bluternst. Als ich meine Fingerkuppen in den dafür vorgesehenen Schälchen abrollen wollte, um es hinter mich zu bringen, packte er meine Hand. «Ich mach das.» Und der grinsende Riese sagte: «Entspannen Sie sich, dann geht’s leichter.» Sie hatten wohl verschwitzte Verhörfinger erwartet. Als sie merkten, daß meine Kuppen trocken waren, viel zu trocken für die Prozedur, wies der Riese den Jungen an, Alkoholspray aus dem Regal zu holen, um meine Finger anzufeuchten. Dann packte er jeden einzeln und rollte ihn ab, zehn Stück Fleisch, eines nach dem anderen. So gründlich ging er zur Sache, daß er nicht merkte, wie nahe er mir kam – und die Dienstwaffe an seinem Gurt meiner freien Hand. Hätte der Riese meinen Blick auf die Pistole seines unachtsamen Kollegen aufgefangen, er hätte wohl seine Waffe gezogen. Wie schwer es fiel, den Blick zu lösen – ich mußte meine Augen zwingen, von der Pistole abzulassen. Dann war auch das vorüber.

Alles, was ich bei mir trug, war nun durch ihre Hände gegangen. Neugierig erst, aber bald schon gelangweilt hatten sie meine Stiefelsocken, Schreibhefte und Karten hin- und hergewendet und auf den Haufen persönlicher Dinge gelegt. Täuschte ich mich, oder verließ meine Vernehmer die Lust an der Sache? Die Fragen verloren an Schärfe, die Pausen wurden länger, Nachfragen blieben aus. Trauten sie mir? Ich flocht einen Scherz ein und registrierte die Andeutung eines Lächelns. In diesem beinahe weichen Moment sprang einer mich an, den ich kaum beachtet hatte. Aufgefallen war er mir zwar unter all den Uniformierten, weil er bloß einen grünen Overall trug, als sei er der Gärtner der Grenzstation, aber gerade darum hatte ich ihn bald aus den Augen gelassen. Er mich nicht. So feindselig und bitter ging er mich an, als platze er gleich und habe nun genug von diesem laschen Verhör, wie ein endlich losgelassener Hund. Ein Hund? Nein, er erinnerte mich an etwas anderes, ich kam nicht drauf, so überrumpelt war ich von dem jähen Zorn, der auf mich...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2011
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte Nord- / Mittelamerika
Schlagworte Amerika • Reisebericht • Reportage • USA
ISBN-10 3-644-10871-4 / 3644108714
ISBN-13 978-3-644-10871-4 / 9783644108714
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