Mein Amerika - Dein Amerika (eBook)

Dein Amerika
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00371-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Amerika - Dein Amerika -  Tom Buhrow,  Sabine Stamer
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Tom Buhrow und seine Frau Sabine Stamer berichten: anhand eigener Erlebnisse und Erfahrungen, angereichert mit Hintergrundwissen, Fakten und Zahlen. Sie machen uns mit dem Alltag des heutigen Amerika bekannt und schreiben über Sitten und Unsitten, Freiheiten und ungeschriebene Gesetze, Politik und Privatleben. «Anschaulich, kenntnisreich, aber nie besserwisserisch.» Financial Times Deutschland

Tom Buhrow ist einer der profiliertesten deutschen Nachrichten-Moderatoren. Bekannt wurde Tom Buhrow Anfang der Neunziger Jahre als Fernsehkorrespondent in den Studios Washington und Paris. Seit 2006 ist er der Moderator der Abendnachrichten. Tom Buhrow und Sabine Stamer sind verheiratet und haben zwei Töchter.

Tom Buhrow ist einer der profiliertesten deutschen Nachrichten-Moderatoren. Bekannt wurde Tom Buhrow Anfang der Neunziger Jahre als Fernsehkorrespondent in den Studios Washington und Paris. Seit 2006 ist er der Moderator der Abendnachrichten. Tom Buhrow und Sabine Stamer sind verheiratet und haben zwei Töchter. Sabine Stamer lebt seit 2006 als freie Autorin in Hamburg. Sie hat als freie Journalistin in Rom, Washington und Paris gearbeitet und war einige Jahre Redakteurin beim WDR-Hörfunk und Fernsehen. Sabine Stamer ist mit Tom Buhrow verheiratet und hat zwei Töchter.

Ankommen «It’s great, it’s wonderful!»


Einführung in die amerikanische Freundlichkeit und ihre Hintergründe

«How do you like America?» – «Wie gefällt dir Amerika?» Völlig unbefangen und erwartungsvoll kommt die Frage aus dem Mund von Toms Gastmutter, als er das erste Mal amerikanischen Boden betritt. Er ist erst wenige Stunden vorher in Chicago aus dem Flugzeug gestiegen und hat nicht mehr als vier Stunden Autofahrt in nördlicher Richtung hinter sich gebracht. Sein Eindruck von den USA beschränkt sich auf den Flughafen und die am Autofenster vorbeirauschende Landschaft. Für ein Urteil also noch etwas zu früh, vor allem für einen Fünfzehnjährigen. «Great!», antwortet er dennoch instinktiv, und seine Gastmutter strahlt zufrieden. Das war 1974.

Und immer noch wird die Frage «Wie gefällt Ihnen Amerika?» jeden Tag Tausenden Neuankömmlingen gestellt, die gerade erst vom Schiff oder aus dem Flugzeug gestiegen sind. Als Antwort wird keine ausgewogene Analyse erwartet. Es ist einfach eine Einladung, etwas Freundliches zu sagen.

Wer die Frage zu ernst nimmt, ist schon auf dem falschen Gleis, denn vieles in Amerika dreht sich darum, Gelegenheiten zu schaffen, nett zueinander zu sein.

«Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag besser gar nichts!» So lautet ein Standardsatz amerikanischer Mütter, wenn Geschwister sich streiten. Das erklärt später Cutter John im ARD-Studio am Schneidetisch: «Wir alle – und zwar wirklich alle – bekommen das als Kinder eingetrichtert.»

Und so beginnt auch unsere gemeinsame Amerika-Zeit gleich bei der Passkontrolle mit dem Austausch von Nettigkeiten. Das ist im Frühjahr 1994, lange vor den Terroranschlägen des 11. September 2001, lange bevor Amerika anfing, jedem Ausländer Fingerabdrücke und Fotos an der Grenze abzuverlangen. «Was ist der Zweck Ihres Aufenthaltes?», fragt die Dame von der Einwanderungsbehörde und ist mindestens ebenso begeistert wie wir, dass Tom als Korrespondent für einen deutschen Fernsehsender nach Washington versetzt wurde: «That is wonderful!» Der Beamtin steht das Entzücken ins Gesicht geschrieben. In Amerika zu leben – das muss ja wohl das Größte sein, das einem passieren kann.

 

Wie oft haben wir in den kommenden Jahren Besuch von Freunden, die mit der alltäglichen Begrüßungsformel «How are you?» hadern. Was sollen sie antworten? Wollen die Leute wirklich wissen, wie es ihnen heute geht? Man kennt sich doch gar nicht 

Natürlich erwartet niemand als Antwort einen detaillierten Befindlichkeitsbericht über den neuesten Stand des Scheidungsverfahrens, des Streits mit dem Boss oder die nicht abklingen wollende Erkältung, jedenfalls nicht von einer Zufallsbekanntschaft auf der Straße oder in der Schlange an der Supermarktkasse.

«How are you?» bietet eine der vielen Möglichkeiten, etwas Freundliches zu sagen. Ob man nun ein überschwängliches «Great! Wonderful! Couldn’t be better!» parat hat, ein verhaltenes «Just doing fine» oder gar mit einem «Hangin’ in there …» andeutet, dass die Stimmung nicht auf dem Höhepunkt ist – auf das Lächeln kommt es an und darauf, dass man überhaupt etwas sagt. Dass man signalisiert: Ich sehe dich, ich bin dir freundlich gesinnt. Es mag nicht mein bester Tag sein, aber mit dir hat das schließlich nichts zu tun. Natürlich darf man einer Freundin oder einem guten Bekannten auch durchaus mal von Sorgen und Ärger berichten und wird dabei sicherlich auf Mitgefühl stoßen: «Oooh, that’s too bad!» Doch wird das amerikanische Gegenüber eher früher als später eine Wende zum Positiven finden, den Blick nach vorne richten oder einfach zu einem anderen Thema übergehen, wodurch sich die von bodenloser Tiefe angezogene deutsche Seele mit Sicherheit unverstanden und zurückgewiesen fühlt.

Also handelt es sich doch nur um eine Floskel, eine Nachfrage, die nicht ernst gemeint ist und damit oberflächlich, schlussfolgern viele deutsche Besucher. Und schon steht die deutsch-amerikanische Freundschaft nicht nur aus politischen, sondern auch aus persönlichen Gründen auf dem Prüfstand.

 

Ein Techniker des Studios siedelte kurz vor uns in die Staaten über und hatte gerade ein Reihenhaus in Hillendale, einer bewachten Wohnanlage, gemietet. Er muss mit seiner Maklerin noch ein paar Details besprechen und bietet uns an mitzukommen. Der Sicherheitsbeamte am Eingang sucht umständlich in einer Liste, bis er uns schließlich passieren lässt. Die Maklerin wartet schon an der Haustür. Sie heißt Cathy, trägt ein knallrotes Kostüm, dazu ebenso knalligen Lippenstift. Als wir alle aus dem Auto steigen, begrüßt sie nicht etwa unseren Kollegen, dem sie gerade das Haus vermittelt hat, nein, sie stürzt sich auf uns. «Wie nett, Sie kennen zu lernen! Nennen Sie mich Cathy. Sie sind genau in die richtige Gegend gekommen. Das hier sind die besten Häuser, die Sie finden können», begrüßt sie uns, die potenziellen Kunden. Der Kollege ist augenblicklich abgemeldet, er hat seinen Vertrag schließlich schon unterschrieben.

Cathy ist entzückt, dass Tom nach Washington versetzt wurde – «That’s great!», hingerissen, dass wir ein Baby erwarten – «That’s exciting!», und Sabines Frisur findet sie ganz phantastisch – «So beautiful!» Sie schmeichelt in höchsten Tonlagen (buchstäblich), sie verspricht, einen exzellenten Gynäkologen und einen noch besseren Kinderarzt zu besorgen. Sie preist die Vorzüge der Anlage. «Wir wollten eigentlich etwas im Kern Georgetowns suchen», protestieren wir zaghaft. Keine Chance. Entschlossen führt sie uns zu ihrem Vorzeigeobjekt.

Wir bestaunen das helle, geräumige Haus. Wie viele amerikanische Häuser, sofern sie nicht in engen Metropolen wie New York sind, hat auch dieses einen so genannten family room. Das ist ein zweites Wohnzimmer, in dem Fernsehen geschaut wird und die Kinder spielen. Es ist die eigentliche Herzkammer des amerikanischen Familienlebens. Hier legt man die Beine hoch und entspannt sich. Alles geht ein bisschen drunter und drüber, oft liegen noch Pappkartons der letzten Pizzalieferung und leere Coladosen zwischen Kinderspielzeug auf dem Boden herum. Das eigentliche Wohnzimmer dagegen zeichnet sich dadurch aus, dass es gar nicht bewohnt wird. Es dient der Repräsentation und bleibt immer aufgeräumt, falls unangemeldeter Besuch erscheint.

Fast alle amerikanischen Wohnungen und Häuser haben begehbare Einbauschränke, Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner, Einbauküche. Denn eine amerikanische Großstadtfamilie zieht durchschnittlich alle drei Jahre um und will dabei möglichst wenig Ballast über den Kontinent schleppen. Die Instandhaltung dieser Haushaltsgeräte obliegt dem Vermieter. Dass man sich eine Küche bei jedem Wohnungswechsel selbst einbaut, ist undenkbar. Der Wert einer Immobilie bemisst sich für Amerikaner ganz entscheidend nach der Zahl der Badezimmer. Im Idealfall kommt auf jedes Schlafzimmer ein eigenes Bad, ergänzt durch einen powder room im Erdgeschoss, was nichts anderes meint als eine Gästetoilette und seinen Namen noch aus kolonialen Zeiten trägt, wo der Gast ab und an ein intimes Plätzchen brauchte, um seine Perücke zu pudern.

Tom erklärt Cathy höflich, dass wir uns nicht gleich für das erste Haus entscheiden wollen und außerdem mit einer anderen Maklerin befreundet sind, der wir uns verpflichtet fühlen. Cathy lächelt ungerührt: «Wenn Sie dieses Haus mieten möchten, werde ich Ihre beste Freundin sein!» Sie macht uns noch eindringlich darauf aufmerksam, dass die Häuser in Hillendale weggehen wie warme Semmeln. Wir dürfen uns also nicht so viel Zeit lassen mit unserer Entscheidung.

Am Tag darauf, Sonntagmorgen um neun, klingelt das Telefon. Unsere neue Freundin Cathy löst ihr Versprechen ein und nennt uns einen Frauen- sowie einen Kinderarzt. Dazu noch Tipps zum Einkaufen. Sie bekniet Tom, er möge sich schnell entscheiden, sonst sei das Haus weg. Der übt sich verlegen in Abwehr-Manövern. Cathy lässt nicht locker. Sie will wenigstens noch wissen, wer denn die andere Maklerin sei. Tom ergibt sich schließlich und verrät ihr den Namen. Oh, das sei eine Freundin von ihr, jubelt Cathy und entlässt uns schweren Herzens aus ihren Klauen.

 

Am Nachmittag treffen wir Terry, unsere Maklerin und Cathys angebliche Freundin. Cathy sei eine Hexe, klärt uns Terry über ihre Sicht der Dinge auf. Sie müsse sehr verzweifelt sein, dass sie uns so hinterherlaufe. Terry glüht immer an allen Enden gleichzeitig. Wir steigen in ihren Mercedes – alle erfolgreichen Maklerinnen scheinen Mercedes zu bevorzugen – und kurven durch die Straßen.

In Georgetown, dem ältesten Stadtteil Washingtons, befindet sich das ARD-Studio. Mit seinen hübsch restaurierten, pastellfarben gestrichenen Backsteinhäusern, die zum großen Teil noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammen, hat Georgetown etwas Europäisches. Die Häuser wurden auffallend schmal und hoch gebaut. Der Grund liegt darin, dass in der Kolonialzeit die Grundsteuer nach der Breite der Häuser bemessen wurde. Das attraktive Wohnviertel war einst wohlhabendes Hafenstädtchen. Von hier aus wurde der Tabak aus dem Bundesstaat Maryland verschifft. «Come to Marlborough Country!», lockt die Zigarettenwerbung und zeigt irreführenderweise die raue Landschaft des amerikanischen Südwestens. Dabei liegt das Tabak-Anbaugebiet mit dem berühmten Namen nicht weit entfernt von Washington im äußersten Osten der USA. Man rollte die Tabakballen aus dem Marlborough-Landkreis einfach die Straße hinunter – die Wisconsin Avenue, heute bekannt für ihre Restaurants und Boutiquen – bis in den Hafen am Ufer des Potomac. Heute ist...

Erscheint lt. Verlag 26.11.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte Nord- / Mittelamerika
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte afro-amerikanische Gesellschaft • Alltag • Auslandsbericht • Journalismus • Sitten • USA • Vergleich Deutschland-USA
ISBN-10 3-644-00371-8 / 3644003718
ISBN-13 978-3-644-00371-2 / 9783644003712
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