Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche (eBook)
336 Seiten
Lambertus Verlag
978-3-7841-3416-1 (ISBN)
Antje Rech, geb. 1974 in Saarlouis, studierte Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes und absolvierte ihr Referendariat im OLG-Bezirk München. Nach langjähriger Tätigkeit als Repetitorin ist sie nun wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht von Prof. Dr. Jacob Joussen an der Ruhr-Universität-Bochum.
Antje Rech, geb. 1974 in Saarlouis, studierte Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes und absolvierte ihr Referendariat im OLG-Bezirk München. Nach langjähriger Tätigkeit als Repetitorin ist sie nun wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht von Prof. Dr. Jacob Joussen an der Ruhr-Universität-Bochum.
I. Die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche von der Reformation bis 1952 und ihr Verhältnis zum Staat
Dabei ist der eigentliche Beginn des Aufbaus der evangelischen Arbeitsgerichtsbarkeit in der Zeit ab 1952 zu verorten. Wie bereits angeführt, sind jedoch bis heute auch parallele Problemstellungen in den anderen Zweigen der evangelischen Kirchengerichtsbarkeit zu konstatieren. Nicht zuletzt deswegen müssen die Konzeptionierung und die Wandlungen der evangelischen Arbeitsgerichtsbarkeit, die sie bis zum heutigen Tage durchlaufen hat, im Kontext der Entwicklung der evangelischen Gerichtsbarkeit im Allgemeinen bis zu ihrem Entstehen gesehen werden. Diese wiederum können nicht losgelöst betrachtet werden von den Veränderungen in der Beziehung zwischen evangelischer Kirche und Staat. Die Verbindungen innerhalb dieses komplexen Beziehungsgeflechts sollen in diesem ersten Teil der Arbeit herausgearbeitet werden.
1. Grundlage: Die frühen Ansätze zur evangelischen Kirchengerichtsbarkeit
Grundlegend für alle Zweige der evangelischen Gerichtsbarkeiten ist hierbei die rechtstheologische Vorfrage, welche Haltung die Reformatoren hinsichtlich einer Kirchengerichtsbarkeit insgesamt hatten. Denn als Martin Luther mit seinen Reformbestrebungen Anfang des 16. Jahrhunderts begann, existierte in der katholischen Kirche bereits eine umfassende Gerichtsbarkeit, die den Bischöfen oblag.31 Ihre Zuständigkeit umfasste die Rechtsangelegenheiten der Kleriker, rein geistliche Sachen, zu denen auch das Eherecht gezählt wurde, und Angelegenheiten, die mit rein geistlichen Sachen im Zusammenhang standen.32 Daneben entschieden die Gerichte in teilweise konkurrierender Jurisdiktion mit den weltlichen Gerichten über bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten, sofern sie nur in irgendeiner Beziehung zu Religion und Kultus standen.33
a) Die Haltung der Reformatoren gegenüber der kirchlichen Gerichtsbarkeit
Der konkreten Ausübung dieser katholischen Gerichtsbarkeit mit ihrer Ausdehnung der Zuständigkeiten in den weltlichen Bereich in derart weitem Umfang wollten die Reformatoren entgegenwirken. So brachten sie in dem 1530 verfassten Augsburger Bekenntnis ihre missbilligende Haltung gegenüber der bischöflichen Gerichtsbarkeit in der bis dahin bestehenden Form zum Ausdruck.
Ihrer Ansicht nach sollten die geistliche und die weltliche Macht voneinander getrennt sein.34 Insofern sollte nach ihrer Auffassung bei der Gerichtsbarkeit eine Unterscheidung getroffen werden zwischen derjenigen im Bereich der weltlichen Gewalt einerseits und derjenigen im Bereich des geistlichen Amtes der Bischöfe andererseits.35 Dabei besäßen nach ihrer Meinung die Bischöfe ihre weltliche Herrschaft und Gewalt nicht durch göttliches, sondern durch menschliches Recht.36 Dieser Trennung folgend gingen die Reformatoren davon aus, dass die Rechtsprechungsbefugnisse im Bereich der „ehesachen“, des „wuchers“ und des „zehenden“37 Kraft menschlichen Rechts verliehen seien.38 Diese insofern als primär weltlich anzusehende Gerichtsbarkeit sollte nach ihrer Ansicht von den Fürsten wahrgenommen werden, „wo … die ordinarien39 in solichem ampt nachlessig seint“40.
Diese Ausführungen zeigen, dass die Reformatoren eine kirchliche Gerichtsbarkeit nicht grundsätzlich ablehnten.41 Zum einen wurde die Befugnis zur Rechtsprechung in geistlichen Angelegenheiten explizit bejaht.42 Zum anderen ist aber auch für den weltlichen Bereich der kirchlichen Gerichtsbarkeit der Confessio Augustana eine grundlegende Missbilligung nicht zu entnehmen. Dies geht schon aus der angeführten Formulierung „wo aber die ordinarien in solichem ampt nachlessig seint“43 hervor, denn einer derartigen Einschränkung hätte es nicht bedurft, wenn die Gerichtsbarkeit in diesem Bereich in Gänze abgelehnt worden wäre. Dieser Nebensatz bringt daher vielmehr zum Ausdruck, dass den grundsätzlich zuständigen Bischöfen in dem, dem weltlichen Bereich zuzuordnenden Teil der Gerichtsbarkeit ihre Jurisdiktionsbefugnis dann entzogen werden sollte, wenn sie ihre – kraft menschlichen Rechts übertragene – Verantwortung bei der tatsächlichen Ausübung des Amtes „nachlessig“ wahrnehmen sollten.
Bestätigt wird diese Auffassung, wenn man die Bedeutung des Wortes „nachlessig“ betrachtet. So steht die heutige Form „nachlässig“ als Synonym für die Begriffe „unsorgfältig“, „pflichtvergessen“ und „nicht gewissenhaft“.44 Dies entspricht aber auch der Etymologie dieses Wortes, das schon im 15. Jahrhundert im Sinne von „unordentlich“ benutzt wurde.45 Insofern erfolgte durch die betreffende Stelle der Confessio Augustana eine Kritik an der ohne die erforderliche Sorgfalt ausgeübten weltlichen Gerichtsbarkeit der Bischöfe. Die Missbilligung richtete sich somit gegen die Art und Weise, nicht gegen die grundsätzliche Befugnis zur Ausübung der weltlichen Gerichtsbarkeit.
Diese Sichtweise legt auch die von einer Arbeitsgruppe der VELKD46 erarbeitete revidierte Fassung des Augsburger Bekenntnisses nahe. Hier wird für die betreffende Stelle folgende Formulierung angeführt: „Soweit nun die Bischöfe sonst noch Macht oder Rechtsprechung in anderen Angelegenheiten ausüben, wie zum Beispiel in Ehe- oder Steuersachen, tun sie dies kraft menschlichen Rechts. Wenn die zuständigen Bischöfe diese Verantwortung nachlässig wahrnehmen, so müssen die Fürsten, ob gern oder ungern, um des Friedens willen ihren Untertanen in diesen Dingen Recht verschaffen, um Unfrieden und große Unruhe in ihren Ländern zu verhüten.“47
Im Ergebnis ist daher ein genereller Ausschluss der Jurisdiktionsbefugnis der Kirche im weltlichen Bereich nicht intendiert gewesen. Vielmehr stellen die Ausführungen der Reformatoren eine Bedingung zur Übernahme des zum Zeitpunkt der Verfassung des Augsburger Bekenntnisses existierenden und von den Bischöfen ausgeübten weltlichen Teils der kirchlichen Gerichtsbarkeit durch die Fürsten dar. Die Kritik betraf ausschließlich die von der katholischen Kirche ausgeübte Gerichtsbarkeit im weltlichen Bereich in ihrer damaligen tatsächlichen Ausführung. Nur dieser, in ihrer konkreten Form durch Vermischung der priesterlichen Bußgewalt mit weltlicher Macht erfolgenden und daher ausufernden Ausübung der Rechtsprechung durch die Kirche, wollten die Reformatoren entgegentreten48, nicht der kirchlichen Gerichtsbarkeit insgesamt.
b) Die Konsistorien
Diese Haltung führte im Ergebnis dann zunächst dazu, dass mit der Einführung der Reformation in den evangelischen Ländern Deutschlands die katholischen bischöflichen Gerichte in der bis dahin bestehenden Gestalt insgesamt ersatzlos abgeschafft wurden.49 Allerdings zeigte sich schon sehr bald, dass wenigstens ein Teil der bislang von diesen entschiedenen Angelegenheiten weiterhin einer ordnungsgemäßen gerichtlichen Erledigung bedurfte.50 Ein solches Bedürfnis trat vor allem im Bereich der zuvor kritisierten Ehesachen zutage. Diese waren ausschließlich von den bischöflichen Behörden gehandhabt worden; die weltlichen Gerichte hatten in diesem Bereich keine Kompetenzen aufgebaut und zeigten sich nun der Aufgabe als nicht gewachsen.51 Daher erfolgte bereits 1538 in einem von den Wittenberger Theologen52 verfassten Gutachten der Vorschlag zur Errichtung sogenannter Konsistorien.53 Bei diesen sollte es sich um ständige Behörden handeln, die mit Theologen und Juristen zu besetzen waren.54 Sie sollten über kirchlichgeistliche Dinge wie die Rechte der Geistlichen befinden; zudem sollten sie aber auch über die kirchlichen Vermögensrechte und Ehesachen entscheiden.55 1539 erfolgte sodann die – zunächst provisorische – Einrichtung eines solchen Konsistoriums in Wittenberg.56 Aufbauend auf dem Gutachten des Jahres 1538 wurde diesem im Jahre 1542 die Wittenberger Konsistorialordnung zugrunde gelegt.57 Weitere Landeskirchen folgten dem Vorbild des Kurfürstentums Sachsen und errichteten ebenfalls Konsistorien.58 Deren Zuständigkeitsbereich wurde schon bald erweitert, indem ihnen zum einen die reinen Kirchenverwaltungsangelegenheiten zugewiesen, zum anderen aber auch wieder Rechtsprechungsbefugnisse in bürgerlichen Streitsachen zugestanden wurden.59 Weitere Zuständigkeiten schlossen sich an, so dass sie schließlich fast dieselben Rechtsprechungsbefugnisse hatten wie zuvor diejenigen der bischöflichen Gerichtsbarkeit nach kanonischem Recht.60
In diesen Konsistorien hatte der Landesherr eine Vormachtstellung inne, denn sie waren Teil des infolge der Reformation entstandenen „Landesherrlichen Kirchenregiments“.61 Dieses bildete sich heraus, weil sich die Hoffnung, die reformatorischen Forderungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche durchzusetzen, nicht verwirklichen konnte und die Bischöfe als Träger der Kirchengewalt der Reformation nicht folgten.62 Die Stellung dieser Diözesanbischöfe wurde daher durch den...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2021 |
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Reihe/Serie | Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht |
Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Recht / Steuern ► Arbeits- / Sozialrecht ► Arbeitsrecht |
Schlagworte | Arbeitsgericht • Arbeitsrecht • Evangelische Kirche • Kirchliches Arbeitsrecht |
ISBN-10 | 3-7841-3416-5 / 3784134165 |
ISBN-13 | 978-3-7841-3416-1 / 9783784134161 |
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