Der Havaneser aus tiermedizinischer Sicht (eBook)
136 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-5193-8 (ISBN)
Dr. med. vet. Anne Arnold studierte Veterinärmedizin in Berlin und Gießen. Nach dem Studium promovierte sie am Gießener Institut für Tierzucht und Genetik. Seit vielen Jahren arbeitet sie als praktische Tierärztin in ihrer eigenen Kleintierpraxis. Das Interesse am Thema Genetik, insbesondere an der Vererbung von Krankheiten bei Hunden und Katzen, hat sie während dieser Zeit nie verloren und die Entwicklung der Forschung in diesem Bereich aufmerksam verfolgt. Seit ihrer Jugend ist sie selbst Hundehalterin. Zurzeit gehören der Großspitz Caspar und die Cavalier King Charles Spanielhündin Aislinn zu ihrer Familie.
3. Grundlagen der Vererbung
Der genetische Code wird bei allen Säugetieren auf einem langen Molekül mit dem Namen Desoxyribonukleinsäure (DNS, oder auch DNA nach der englischen Bezeichnung deoxyribonucleic acid) gespeichert, das sich zu einer Doppelhelix aus zwei Strängen formiert und im Zellkern jeder Zelle vorkommt. Bestimmte Abschnitte der DNA bilden funktionelle Einheiten, die Gene. Während einige davon — die so genannten kodierenden Gene — für die Produktion von Proteinen zuständig sind, haben andere Abschnitte eine regulierende Funktion und steuern die Aktivität der kodierenden Gene.
Die einzelnen DNA-Stränge liegen im Zellkern in Form von Chromosomen vor, die jeweils paarweise vorhanden sind. Eine dieser Kopien stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Diese paarweise vorliegenden Chromosomen werden als autosome Chromosomen bezeichnet. Die beiden Partner eines Chromosomenpaares nennt man »homolog«.
Lediglich die beiden Geschlechtschromosomen X und Y sind unpaar. Sie bestimmen das Geschlecht des Hundes und liegen bei einer Hündin in der Kombination XX und beim Rüden in der Kombination XY vor.
In den Samen- und Eizellen wird durch eine spezielle Zellteilung der doppelte Chromosomensatz auf einen einfachen Satz reduziert, der dann bei der Verschmelzung der Zellen während der Befruchtung wieder zu einem doppelten Satz zusammengefügt wird. Die ehemals mütterlichen und väterlichen Chromosomen werden während der Teilung rein zufällig auf die Keimzellen verteilt. Bei den neununddreißig Chromosomenpaaren eines Hundes ergeben sich daraus 392oder 1521 mögliche Kombinationen.
Zusätzlich können zwei homologe Chromosomen untereinander DNA-Fragmente austauschen, so dass das neue Chromosom sowohl väterliche als auch mütterliche Anteile enthält. Dieser Prozess, die homologe Rekombination, kommt nicht selten vor und führt zu weiterer genetischer Vielfalt.
Auch, wenn jeder Hund höchstens zwei Versionen eines Gens tragen kann — ein mütterliches und ein väterliches — können innerhalb der Population sehr viel mehr Varianten existieren. Alle diese Varianten eines Gens werden als Allele bezeichnet.
Die beiden Allele eines Tieres können entweder identisch (homozygot) sein oder in zwei unterschiedlichen Varianten (heterozygot) vorliegen. Je enger die Eltern miteinander verwandt sind, umso größer ist der Anteil an homozygoten Genen unter ihren Nachkommen.
Bei einem heterozygoten Paar agieren beide Gene auf unterschiedliche Weise miteinander. Normalerweise ist eines der Allele dominant über das andere und bestimmt allein die Struktur des kodierten Proteins und damit die Ausprägung des Merkmals. Das rezessive Gen tritt nicht in Erscheinung. Es gibt auch Fälle, in denen beide Gene eine gleich große Rolle bei der Merkmalsausprägung spielen. Dann spricht man von einem intermediären Erbgang oder von Co-Dominanz. Die Merle-Färbung einiger Hunde ist ein Beispiel für einen solchen Erbgang.
Autosomal-dominanter Erbgang
Manche Krankheiten oder Eigenschaften werden durch ein einziges Gen mit einem einfachen, autosomal-dominanten Erbgang vererbt.
Weil sich das Gen bei einem autosomalen Erbgang auf einem der achtunddreißig Autosomenpaare befindet, wird es unabhängig vom Geschlecht weitergegeben.
Für die Ausprägung eines dominanten Merkmals reicht es, wenn das entsprechende Gen in einfacher Ausführung vorhanden ist. Heterozygote Hunde, die sowohl das dominante als auch das rezessive Gen besitzen, sind äußerlich nicht von den für das dominante Gen homozygoten Hunden zu unterscheiden.
Tiere, die für das rezessive Gen homozygot sind, zeigen das entsprechende Merkmal nicht und können es auch nicht vererben.
Ein typisches Kennzeichen des autosomal-dominanten Erbgangs ist, dass mindestens ein Elternteil das entsprechende Merkmal aufweisen muss, damit es bei den Nachkommen auftreten kann. Ein Überspringen von einer oder mehreren Generationen ist nicht möglich.
In der Hundezucht spielen dominant vererbte Krankheiten kaum eine Rolle, weil sie leicht erkennbar sind und die betroffenen Tiere nicht zur Zucht eingesetzt werden. Lediglich dann, wenn sich eine solche Erkrankung erst nach dem optimalen Zuchtalter zeigt, können betroffene Tiere unwissentlich zur Zucht eingesetzt werden. In diesen Fällen wird die genetische Grundlage der Krankheit oft nicht erkannt, so dass mit den Nachkommen eines betroffenen Tieres ebenfalls gezüchtet wird.
Autosomal-rezessiver Erbgang
Bei einem autosomal-rezessiven Erbgang wird das Merkmal ebenfalls geschlechtsunabhängig vererbt. Allerdings wird die entsprechende Eigenschaft oder Krankheit nur dann manifest, wenn das Gen auf beiden homologen Autosomen vorliegt. Es erkranken also nur homozygote Tiere.
In der Regel sind die Eltern selbst nicht erkrankt, sondern lediglich heterozygote Träger des defekten Gens. Anders als bei einem dominanten Erbgang kann eine rezessiv vererbte Krankheit über viele Generationen unerkannt weitergegeben werden, bis durch Zufall zwei Träger des rezessiven Gens miteinander verpaart werden. Dann treten unter den Nachkommen wie aus heiterem Himmel etwa fünfundzwanzig Prozent erkrankte Tiere auf, die für das rezessive Gen homozygot sind.
Eine typisch autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung des Havanesers ist die Kalziumoxalat-Urolithiasis Typ 1.
X-chromosomal-rezessiver Erbgang
Weil Rüden mit ihrem Chromosomenpaar XY das X-Chromosom nur einmal besitzen, kommen bei ihnen auch alle Gene, die auf diesem Chromosom liegen, nur einmal vor und wurden ihnen von der Mutter vererbt. Bei Hündinnen mit ihrem Chromosomenpaar XX liegen auch X-chromosomale Gene doppelt vor.
Wird eine Krankheit, wie zum Beispiel die beim Havaneser vorkommende Bluterkrankheit Hämophilie A, durch eine X-chromosomale Mutation verursacht, erkranken alle Rüden, die von diesem defekten Gen betroffen sind. Hündinnen können bei einem rezessiven Erbgang die Mutation durch das gesunde Gen auf ihrem zweiten X-Chromosom kompensieren und erkranken darum nicht. Sie vererben das mutierte Gen aber an fünfzig Prozent ihrer Nachkommen weiter. Alle ihre Töchter sind gesund, fünfzig Prozent von ihnen sind jedoch Trägerinnen des defekten Gens. Die Hälfte ihrer männlichen Nachkommen ist krank. Keiner ihrer gesunden Söhne besitzt das mutierte Gen.
Weil bei einer X-chromosomalen Vererbung die betroffenen Rüden durch ihre Erkrankung immer als Träger des mutierten Gens erkannt werden können, werden sie nicht zur Zucht eingesetzt. Je nach Art der Erkrankung sterben viele von ihnen schon früh.
Hündinnen, die das defekte Gen tragen, werden meist erst dann erkannt, wenn unter ihren männlichen Nachkommen die Erkrankung auftritt. Ob ihre Töchter Trägerinnen der Mutation sind, kann nur durch einen Gentest festgestellt werden, sofern ein solcher für das betroffene Gen bereits existiert.
Polygener Erbgang
Bei einigen Krankheiten ist die Vererbung wesentlich komplexer, weil entweder mehrere Gene an ihrem Auftreten beteiligt sind oder weil die Interaktion zwischen verschiedenen Genen sowie die Umweltbedingungen des Hundes bei der Ausprägung der Erkrankung eine Rolle spielen. So sind zum Beispiel an der Entwicklung der Hüftgelenksdysplasie viele unterschiedliche Gene beteiligt. Wie stark die Hüften später tatsächlich geschädigt sind, hängt auch von externen Faktoren wie der Fütterung und der körperlichen Belastung des Junghundes ab.
Viele polygen vererbte Krankheiten besitzen einen Schwellenwert. Sie treten nur dann in Erscheinung, wenn die Anzahl der geschädigten Gene plus der möglichen negativen Lebensumstände einen bestimmten Wert überschreiten. Die Ausprägung der Merkmale ist bei den betroffenen Hunden unterschiedlich und reicht von sehr gering bis sehr stark.
Typisch für einen polygenen Erbgang ist eine familiäre Häufung der Erkrankung, ohne dass die Zahlen denen eines einfachen monogenen Erbgangs entsprechen.
Penetranz und Expressivität
Manchmal kommt es vor, dass sich auch dominante Merkmale nicht im Erscheinungsbild eines Tieres zeigen, obwohl die genetische Voraussetzung dafür vorhanden wäre. Dann spricht man von einer unvollständigen Penetranz dieses Gens. Es handelt sich dabei um ein »alles oder nichts«-Phänomen: entweder zeigt das Tier dieses Merkmal oder nicht.
Wenn ein und dasselbe Gen in verschiedenen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägte Merkmalsvarianten zeigt, spricht man von variabler Expressivität dieses Gens.
Der Grund für eine unvollständige Penetranz oder Expressivität von Genen ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Sie können sowohl Eigenschaften des Gens selbst sein als auch durch modifizierende Faktoren, wie zum Beispiel andere Gene oder Umweltbedingungen, hervorgerufen werden.
Der DLA-Komplex
Die Abkürzung DLA steht für »Dog Leucocyte Antigen«. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Genen, die für eine funktionierende Immunreaktion notwendig sind und denen eine wichtige Rolle bei der...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2024 |
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Sprache | deutsch |
ISBN-10 | 3-7583-5193-6 / 3758351936 |
ISBN-13 | 978-3-7583-5193-8 / 9783758351938 |
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