Welt der Renaissance: Rom (eBook)
208 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31319-2 (ISBN)
Tobias Roth, geb. 1985, ist freier Autor, Mitbegründer des Verlags »Das Kulturelle Gedächtnis«, Lyriker und Übersetzer. Roth wurde mit einer Studie zur Lyrik und Philosophie der italienischen Renaissance promoviert. 2020 erschien sein aufsehenerregender Foliant »Welt der Renaissance«. 2023 folgte der erste Band der anschließenden Städtereihe Welt der Renaissance: Neapel, 2024 der zweite Band über die Renaissance in Florenz.
Tobias Roth, geb. 1985, ist freier Autor, Mitbegründer des Verlags »Das Kulturelle Gedächtnis«, Lyriker und Übersetzer. Roth wurde mit einer Studie zur Lyrik und Philosophie der italienischen Renaissance promoviert. 2020 erschien sein aufsehenerregender Foliant »Welt der Renaissance«. 2023 folgte der erste Band der anschließenden Städtereihe Welt der Renaissance: Neapel, 2024 der zweite Band über die Renaissance in Florenz.
Von Rom, der marmornen Hauptstadt der Welt, ist kaum mehr etwas zu sehen, als Francesco Petrarca 1337 erstmals seinen Blick vom Kapitol über das Forum schweifen lässt. Seit recht genau tausend Jahren residiert hier kein Kaiser mehr. Als Kaiser Konstantin im Jahr 330 seine Residenz an den Bosporus, in das nach ihm benannte Konstantinopel, verlegt, ist Rom gerade noch eine MillionenstadtMillionenstadt gewesen, eine Weltmetropole sondergleichen. Die Aurelianische Mauer, die Ende des 3. Jahrhunderts um die innere Stadt gezogen wird und durch 14 Haupttore das weitverzweigte Straßennetz des Reiches aufnimmt, ist mit einer Länge von über 18 Kilometern so gewaltig, dass sie schon in der Spätantike nicht mehr voll bemannt werden kann. Register des 4. Jahrhunderts nennen 18 über- oder unterirdische Aquädukte, die die Stadt mit Wasser versorgen, 8 Brücken über den Tiber, zahlreiche Sakral- und Theaterbauten, je ein gutes Dutzend Foren, Basiliken und öffentliche Bäder, allein 36 Triumphbögen, vor allem aber 44000 insulae, also vier- bis fünfstöckige Mietskasernen. Die Dächer des Kapitols, des politischen und spirituellen Zentrums, sind mit vergoldeter Bronze gedeckt. Die Stadt verfügt über 28 Bibliotheken.
Dieses Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, es geht auch nicht an einem unter, aber der Verfall ist trotzdem radikal. 410 wird Rom von den Westgoten erobert und geplündert: Die letzte Plünderung der Stadt liegt da bereits fast 800 Jahre zurück, die nächste aber wird nur 45 Jahre auf sich warten lassen.Untergang Das römische Großreich, das sich von Mesopotamien bis Schottland erstreckte, zerfällt in Teilreiche, die sich bekriegen, während der Druck von außen, besonders von den Barbaren aus dem Norden, wächst. Hunnen, Ostgoten und Vandalen durchkreuzen und bedrängen das wankende Reich, 476 wird der letzte weströmische Kaiser abgesetzt, Rom ist da schon längst nicht mehr die Hauptstadt. Auch die Kämpfe um Italien, die der oströmische Kaiser Justinian erfolgreich führt, setzen der Stadt zu, aber bald schon muss Byzanz den Langobarden weichen, diese bald den Franken. Bereits zur Mitte des 6. Jahrhunderts sind nur noch etwa 30000 Einwohner übrig – das wird, abgesehen von etwaigen drastischen Schwankungen, die Größenordnung für das nächste Jahrtausend der Stadtgeschichte sein. Das sind 3 %Schrumpfung der Millionenstadt und etwa die Hälfte dessen, was ins Kolosseum passt.
Diesen Schwund haben sich nicht nur Feldherren gutzuschreiben. Rom, caput mundi, Kopf der Welt, hat seinen Körper verloren, und nicht nur die Herrschaft über die Völker, sondern auch die über die Natur kommt an ein Ende. Die Lieferketten des Imperiums brechen ebenso zusammen wie die Leitungen, die die Stadt mit Frischwasser versorgen oder aber den Sumpf, auf dem sie steht, drainieren. Der Tiber holt sich seine Bewegungsfreiheit zurück und setzt die Stadt regelmäßig unter Wasser. Hungersnöte also im Wechsel mit Überschwemmungen und Seuchen; die Malaria steht den Römern wenigstens gegen so manches Belagerungsheer bei. Die spätantiken Mauern stehen noch, aber die Stadt in ihrem Inneren schrumpft mehr und mehr zusammen. Da es kaum mehr künstliche Infrastrukturen gibt, müssen die Menschen auf natürliche zurückgreifen: Die Bevölkerung verlagert sich von den Hügeln ans Flussufer.ans Ufer Nur in Trastevere und auf dem Marsfeld am Tiberknie leben noch Menschen, in der bewohnten Zone des abitato. Die unterirdische aqua virgo, eine Leitung, die am Fuße des Quirinal im Trevibrunnen mündet, funktioniert die meiste Zeit über und versorgt die Bewohner; um das Pantheon, eines dieser Wunderwerke, die einfach stehen geblieben sind, beschauliche Einfamilienhäuser mit Streuobstwiesen. Das Kapitol markiert schon den Beginn des unbewohnten disabitato, der über drei Viertel des von der Stadtmauer umschlossenen Gebietes einnimmt. Sumpf und Brache, Weideland, Äcker und Obsthaine breiten sich inmitten der Ruinen aus. Eine Grille zirpt.
Für die unzähligen öffentlichen Gebäude, Speicher, Markthallen, Theater und Paläste des ehemaligen Zentrums hat längst niemand mehr Verwendung, vor allem für die Tempel, deren Ära abrupt endet: 356 werden die heidnischen Tempel geschlossen, 408 wird ihre Umnutzung erlassen, schon 459 wird ihre gewerbsmäßige Abtragung legalisiert. Über Jahrhunderte hinweg werden die Überreste der Antike weiterverarbeitet, wiederverwertet, verdaut. Ganze Teile, sogenannteSpolien Spolien, werden neu verbaut, vor allem Säulen, Kapitelle und Schmuckelemente; wie groß die qualitative handwerkliche Differenz zu den Werken des Mittelalters ist, zeigt sich dabei in teils grellem Nebeneinander, wie in Santa Prassede, einer Kirche des 9. Jahrhunderts, es ist zum Heulen. Spolien werden nicht nur für römische Baustellen, sondern auch für den Export geerntet. Viele Überreste werden zweckentfremdet, der Grabstein von Kaiser Caligulas Mutter Agrippina etwa dient als kommunales Getreidemaß. Kontinuierlich wird die Antike auch zur Verteidigung der Stadt eingespannt: Schon 536 wird der Statuenschmuck des Hadriansmausoleums zerschlagen, um ihn gotischen Belagerern entgegenzuschleudern, und um dasselbe Gebäude, das nun Engelsburg heißt, mit neuen Kanonen auszustatten, wird noch im 17. Jahrhundert Bronze vom Dach des Pantheons umgeschmolzen. Natürlich wird viel an- und umgebaut. Zahlreiche Kirchen wachsen aus antiken Resten.Umnutzung Theater werden zu Festungen mächtiger Clans, indem die Bögen zugemauert werden, ebenso Mausoleen wie das des Augustus und das des Hadrian, dem als Engelsburg größte Bedeutung zukommt. Das Kolosseum ist, Gewölbe für Gewölbe, vermietet, an Werkstätten und Betriebe, ebenso als Wohnraum an Geistliche und Bürger, zudem hat die mächtige Familie Fragipani hier eine Festung eingerichtet. Selbst auf Triumphbögen wie dem des Septimus Severus auf dem Forum Romanum werden noch Wehrtürme aufgesetzt. Überall in Rom rauchen die Kalköfen, in denen Marmor verbrannt wird, um bald Mörtel oder Putz zu werden; das betrifft vor allem Statuenteile.
Einstige Erdgeschosse sind nun entsprechend vermietete Kellergeschosse, denn mit den Jahren sind mehrere Meter Tiberschlamm aufgeschwemmt worden. Windige Hütten lehnen sich an gewaltige Thermengewölbe, wie sie seit Jahrhunderten niemand mehr mauern kann, in der immer leerer werdenden Stadt drängen sich immer dichter Menschen um die immer seltener funktionierenden Brunnen. Es ist eine schlichtweg dystopische Vorstellung, wie eine Gegenwart derart buchstäblich in den Überresten ihrer Vergangenheit haust. Im unbewohnten disabitato bestimmen Ziegen und Kühe dasWeideland Stadtbild: Bis in das 19. Jahrhundert hinein heißt das Kapitol auch Monte Caprino (Ziegenberg), das Forum Romanum Campo Vaccino (Kuhfeld). Teile des disabitato bleiben bis zum Ende des 19. Jahrhunderts leer. Es gibt Photographien davon.
Deutlich zäher als die Bausubstanz Roms ist indes der Anspruch auf Weltherrschaft, obwohl der Kaiser seine Residenz längst nach Konstantinopel beziehungsweise Mailand, Ravenna oder Aachen verlegt hat. Während die Stadt sich entvölkert, wächst das Christentum heran. Der Bischof von Rom, der Papst, behauptet seinen Führungsanspruch in geistlichen, mehr und mehr auch in weltlichen Dingen. Papst Leo I.,440–461 genannt der Große, erklärt Rom, kraft der Gebeine und der vermeintlich bruchlosen Amtsnachfolge der beiden Apostel Petrus und Paulus, mit imperialer Geste zur Hauptstadt der Welt, auch wenn so manche Kirche mit Schilfrohr gedeckt ist. Unter Gregor I.,590–604 einem weiteren Großen, werden die Grundlagen zur Verwaltung eines Staatsgebietes geschaffen, das sich in der Folge durch (notfalls gefälschte) Schenkungen auch einstellt. Die Päpste auf dem Stuhl Petri erscheinen wie gewöhnliche Fürsten auf anderen Thronen: Sie sind mal schwächer, mal stärker, aber genug haben sie nie. Sie amtieren auf Lebenszeit, aber selten lang, und besetzen, so gut es jeweils geht, Schlüsselpositionen mit Verwandten, um die Herrschaft möglichst lange in ihrer Familie zu halten, wie es »Adel« auch tut. Und doch ist das Papsttum ein sehr eigentümlicher Aggregatzustand gewöhnlicher, weltlicher Macht. Die Entscheidung der Kardinäle, die den Papst aus ihren Reihen wählen, ist ein Instabilitätsfaktor und jedes Mal ein Stellvertreterkonflikt aller christlichen Mächte um Einfluss. Auch die Religion spielt eine gewisse Rolle, als Priesterkönig beansprucht der Papst die Deutungshoheit bezüglich alles Sinnlichen und Übersinnlichen und verfügt dafür neben dem weltlichen auch über ein geistliches Schwert, das tatsächlich im Diesseits schneidet; der Ausschluss aus der Gemeinde der Gläubigen etwa, die Exkommunikation, löst nicht nur Angst und Schrecken aus, sondern wirkt auch als Wirtschaftssanktion. Es ist das wehrhafteste Luftschloss aller Zeiten.
Zudem pflegt das Papsttum die imperiale Tradition,Machtanspruch die die Herrschaft spezifisch an den Ort Rom knüpft – eine Tradition, die die tatsächlichen Kaiser Roms schon in der Spätantike aufgegeben haben. Konkurrenten um einen so intensiven Allmachtsanspruch sind nie weit und der Priesterkönig wird selten sanfter angefasst als ein anderer Fürst. Auch die Kaiser des Mittelalters beziehen sich wieder auf Rom als Quelle der Legitimation, von Zeit zu Zeit gibt es einen zweiten Papst. Zudem muss es nicht immer um alles gehen: Auch Könige treten weltlich gegen den Papst auf, der Baronaladel Roms und seines Umlandes bemächtigt...
Erscheint lt. Verlag | 5.9.2024 |
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Reihe/Serie | Italienische Kulturstädte |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte |
Naturwissenschaften ► Geowissenschaften ► Geografie / Kartografie | |
Schlagworte | 2 Romane • Anthologie • Antike • Buchreihe • Italien • Italienische Geschichte • Italienische Literatur • Klassiker • Papst • Petrarca • Reisebegleiter • Reiseführer • Renaissance • Sacco di Roma • Stadt-Geschichte • Tobias Roth • Vatikan |
ISBN-10 | 3-462-31319-3 / 3462313193 |
ISBN-13 | 978-3-462-31319-2 / 9783462313192 |
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Größe: 13,7 MB
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