Die Türkei (eBook)

Reisen durch das schönste Land der Welt
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
430 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8348-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Türkei -  Karl Plepelits
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Mit 34 Abbildungen Es gibt kaum ein anderes Land, das einen solchen Reichtum an Völkern und Kulturen besitzt. Und obendrein einen solchen Reichtum an Wundern der Natur und menschlicher Kunstfertigkeit. Zum Beispiel: Moscheen und Minarette. Tempel und Säulen. (O ja, viele, viele Säulen!) Und: eine einzigartige Kathedrale namens Hagia Sophia. Aber auch dieses: Sesamkringel, Rak?, Çay, Efes, berühmte Fußballclubs. Und viele, viele wunderbare Badestrände.

Geboren 1940 in Wien, studierte Karl Plepelits Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, veröffentlichte wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik und übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart).

Geboren 1940 in Wien, studierte Karl Plepelits Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, veröffentlichte wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik und übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart).

4   Von Erzurum nach Kars und Ani


 

Montag, 6. Oktober 2014.

Längst war mir aufgefallen, dass Atatürk und die türkische Fahne in jedem Ort allgegenwärtig sind. Erzurum aber scheint noch mehr davon zu besitzen als jede andere türkische Stadt. Und dazu sind die Atatürk-Denkmäler hier meist versehen mit seinem Leitsatz: „Ne mutlu Türküm diyene.“ Nilüfer übersetzte: „Wie glücklich ist, wer sagen kann: Ich bin Türke.“

Die Nacht war unerwartet kalt gewesen. Während wir langsam begannen, İlyas im Bus Gesellschaft zu leisten, hörte ich Nilüfer zu Pfeifer sagen: „Im Winter kann hier die Temperatur bis auf minus 40 Grad sinken. Kein Wunder, Erzurum liegt auf fast 2000 Meter Seehöhe und ist von mehreren Dreitausendern umgeben. Die Einwohner selbst pflegen zu sagen: Schnee und Eis dauern bei uns dreizehn Monate im Jahr. Auch ihre Mentalität ist von einer gewissen Rauheit, die von den verfeinerten Sitten der besseren Gesellschaft von Istanbul oder Izmir meilenweit entfernt ist. Kein Wunder, sie sind ja überwiegend Kurden.“

„Aber früher bestand doch die Mehrheit der Bewohner aus Armeniern, oder?“, erwiderte Pfeifer leise.

Nilüfer erbleichte. „Über die Armenier“, sagte sie leise nach einer Schrecksekunde zu ihm, „sprich du. Ich nicht. Ist das okay?“

Sichtlich verwundert, nickte er, blieb aber stumm, denn İlyas drängte zur Abfahrt.

Während der Fahrt durch die Stadt sahen wir auffallend viele total verschleierte Frauen.

„Ja, ja“, so Nilüfer, als wir zur ersten Besichtigung hielten, „Erzurum ist eine der frömmsten und konservativsten Städte der Türkei. Die Stadt wurde 1939 durch ein Erdbeben praktisch dem Erdboden gleichgemacht, wobei vierzigtausend Menschen umkamen. Danach wurde sie modern wiederaufgebaut. Aber zum Glück blieben eine ganze Reihe von Sakralgebäuden aus dem Mittelalter erhalten oder wurden restauriert, allen voran die herrliche Doppelminarett-Medrese (Çifte Minare Medresesi) aus dem 13. Jahrhundert. Eine Medrese (auf Deutsch sagt man üblicherweise Koranschule) vereinigt stets Schul- und Beträume in sich und ist von außen kaum von einer Moschee zu unterscheiden.“

Aber die größte Freude mit Nilüfer hatten die Fotografen, nachdem sie uns in die auf einem Hügel gelegene, vom oströmischen Kaiser Theodosius II. (408 bis 450) erbaute Zitadelle geführt hatte.

„Er oder sein Großvater Theodosius I.“, erzählte sie, während alle die Aussicht bewunderten, „hat die Stadt an der Stelle des armenischen Karin neu gegründet und ihr den Namen Theodosiupolis gegeben.“

„Karin?“, rief eine fragende Stimme dazwischen.

„Ja, so nennen sie die Armenier heute noch. Der Name Erzurum oder, wie man früher sagte, Erzerum kommt entweder von Arz-ar-Rûm, das heißt auf Arabisch Land der Römer, oder von Arzan-ar-Rûm nach einer armenischen Stadt Arzan, die von den Seldschuken vernichtet wurde und deren Bewohner weiter westlich ein neues, römisches Arzan gründeten. Das türkische Z ist übrigens wie ein stimmhaftes S auszusprechen.“

Na also, jetzt hat Nilüfer ja selbst das Wort Armenier in den Mund genommen! Wieso überhaupt ihre Angst, über sie zu sprechen?

„Erzurum“, begann Nilüfer, während wir bald danach in östlicher Richtung weiterfuhren, „liegt nahe einer bedeutenden Wasserscheide. Der Fluss Çoruh mündet ins Schwarze Meer. Erzurum selbst entwässert zum Fluss Karasu, deutsch Schwarzes Wasser, auch genannt Westlicher Euphrat. Er entspringt auf dem Dreitausender genau nördlich der Stadt und ist einer der Quellflüsse des Euphrat, der, wie Sie alle wissen, in den Persischen Golf mündet. Und in Kürze werden wir den Fluss Aras sehen, der in das Kaspische Meer mündet.“

Und es verging keine Stunde, da trafen wir in einem Städtchen mit dem lustigen Namen Çobandede (Hirt-Opa) auf besagten Aras und blieben für längere Zeit seinem Ufer nahe und stellten fest, dass die Landschaft immer schöner, was sag ich, immer idyllischer, romantischer, ja mystischer wurde. Der Aras durchfließt auf eine lange Strecke ein enges, gewundenes Tal mit nicht hohen, aber steilen, kahlen Hängen. Schon längst war mir aufgefallen, dass die Landschaft total unberührt aussieht, fast wie am ersten Tag der Schöpfung. Unberührt – das bedeutet so viel wie: menschenleer. Und jetzt wurde mir auf einmal klar, wieso Nilüfer sagte, über die Armenier will sie nicht sprechen, das soll Dr. Pfeifer tun, und dabei ganz erschrocken wirkte.

Und als hätte dieser meine Gedanken lesen können, ergriff er schließlich das Wort und begann über die Armenier zu sprechen.

„Ich muss noch einmal kurz über Erzurum, früher Erzerum, sprechen. Im Damen-Konversations-Lexikon aus dem Jahre 1835 liest man nämlich folgende Eintragung: Erzerum, Hauptstadt von Armenien (asiatische Türkei) und so weiter. Erzurum war also einmal die Hauptstadt von Armenien. Und weil wir hier gerade dem Fluss Aras entlangfahren: Vielleicht ist Ihnen sein griechischer Name schon einmal begegnet: Araxes. Armenisch heißt er Arax. Er ist nämlich der Hauptfluss Armeniens. Und damit komme ich zu einem überaus bitteren Thema. Sie sehen, diese Landschaft hier ist praktisch menschenleer. Und warum ist das so? Ganz einfach, weil sie menschenleer gemacht worden ist. Wissen Sie, hier blühten einst armenische Dörfer und Städte. An ihrer Stelle blühen heute Distelfelder. Die Siedlungen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Und ihre christlichen Bewohner? Sie wurden systematisch entrechtet, beraubt, erschlagen, ersäuft, erschossen, zu Tode gefoltert oder sonst eben vertrieben, und man ließ sie in der Wüste Syriens verhungern. Man nimmt an, dass von 1915 an bei Massakern und Deportationen bis zu 1,5 Millionen Armenier, Griechen und syrische Christen ums Leben gekommen sind. Manche Schätzungen gehen bis zu drei Millionen. Dies geschah während des Ersten Weltkrieges. Die bürokratisch geplante Mordmaschinerie der damaligen jungtürkischen Regierung und vor allem ihres Innenministers Talaat Bey funktionierte fast so perfekt wie Hitlers sogenannte Endlösung. Daran will die offizielle Türkei nicht gern erinnert werden. Im Gegenteil, sie leugnet den armenischen Holocaust noch heute hartnäckig, zum Beispiel in den Schulbüchern. Mehr noch, jede Äußerung darüber gilt als Beleidigung des Türkentums und steht heute noch unter Strafe. So wurde deswegen der berühmte türkische Autor Orhan Pamuk, Träger des Literaturnobelpreises 2006, schon mehrfach gerichtlich zu Schadenersatzzahlungen verurteilt. Man spricht höchstens von kriegsbedingten Exzessen. Dabei war es schon zwanzig Jahre zuvor, 1894 bis 1896, also mitten im Frieden, zu schrecklichen Massakern an Armeniern und anderen Christen gekommen. Und diese Massaker waren von der osmanischen Regierung veranlasst worden, namentlich von dem für sein despotisches Regime bekannten Sultan Abdülhamid II. (1876 bis 1909). In westlichen Medien sprach man damals schon von einem Holocaust. Übrigens versucht man in der Türkei seit damals vielfach sogar zu leugnen, dass die Armenier jemals existiert haben. Dazu gehört auch, dass man 1880 das Wort Armenien aus der Presse, aus den Schulbüchern und aus allen staatlichen Einrichtungen verbannte und durch Ausdrücke wie Anatolien oder Kurdistan ersetzte. Statt Armenisches Hochland heißt es seither Ostanatolien, während der Begriff Anatolien zuvor nur das westliche Kleinasien bezeichnete. Damals begann eine gut hundert Jahre dauernde Politik der Türkisierung geographischer Namen, um ethnische oder religiöse Bezüge zu tilgen, und vor allem aus Angst vor Separatismus. Und so hat man Zehntausende armenischer, griechischer, aramäischer, kurdischer und arabischer Orts-, Flur- und Personennamen geändert, türkisiert. Von Umbenennung verschont blieben, mit wenigen Ausnahmen, nur die Städte.

Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, das Buch 300 Bastonadenhiebe für den Bischof (Mödling 1984) des bekannten Tiroler Autors und Orientalisten Heinz Gstrein zu lesen. Es ist im Wesentlichen eine Übersetzung des Tagebuchs des armenischen Missionsbischofs Güregh Zohrabian (1881 – 1972). Darin ist zu lesen:

Der Brand, in dem das alles äußerlich unterging, wurde im Ersten Weltkrieg von den Jungtürken unter dem Motto entfacht: „Alles umbringen, keinen übrig lassen, die Christen ausrotten und ihren Glauben vernichten!“

Im Mai 1915 kam Erzerum an die Reihe. Der offizielle Befehl lautete auf die Umsiedlung aller Armenier nach Syrien, Geheiminstruktionen sahen die Ermordung aller führenden Persönlichkeiten an Ort und Stelle, den Tod von zwei Dritteln auf dem Marsch und die Vernichtung des Restes in den Lagern von Melitene (heute Malatya), Kasr al-Ain, Aleppo und Der el-Zor vor.

Der „Umsiedlungsbefehl“ wurde angeschlagen und ausdrücklich kundgetan, daß jeder daheimbleiben dürfe, der zum Islam übertrete. Nur eine einzige Familie machte in Erzerum von diesem Wege Gebrauch ... (Seite 50f.).

Viele Stunden las ich ... den schrecklichen Bericht des Rittmeisters Ödön Lendvai [des österreichischen Gesandten]. Er bat um sofortige Weiterleitung nach Wien, wo man endlich die Mitverantwortung des deutschen Gesandten Wangenheim für die Christenmassaker in Kleinasien und Syrien erfahren müsse.

In seinen Listen der Ermordeten und Verschleppten tauchten aber bald Namen auf, die mich erstarren ließen: Vartan Zohrabian – das war mein Vater!

Auf dem Todesmarsch über die noch verschneiten Berge führte Vartan Zohrabian den Armeniertransport aus Erzerum an. Er betete den Rosenkranz und ermunterte die anderen durchzuhalten. Als er nach Tagen ohne Speise und Trank...

Erscheint lt. Verlag 6.7.2024
Reihe/Serie Reiselust
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
ISBN-10 3-7565-8348-1 / 3756583481
ISBN-13 978-3-7565-8348-5 / 9783756583485
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