Jerusalem (eBook)
896 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12286-2 (ISBN)
Simon Sebag Montefiore, geboren 1965, britischer Historiker und Journalist, studierte Geschichte an der Universität Cambridge und promovierte in Philosophie. Montefiore verfasste mehrerer preisgekrönte Weltbestseller, die mittlerweile in 48 Sprachen übersetzt sind: »Die Romanows«, »Jerusalem: die Biografie«, »Stalin. Am Hof des roten Zaren« und »Die Welt. Eine Familiengeschichte der Menschheit«.
Simon Sebag Montefiore, geboren 1965, britischer Historiker und Journalist, studierte Geschichte an der Universität Cambridge und promovierte in Philosophie. Montefiore verfasste mehrerer preisgekrönte Weltbestseller, die mittlerweile in 48 Sprachen übersetzt sind: »Die Romanows«, »Jerusalem: die Biografie«, »Stalin. Am Hof des roten Zaren« und »Die Welt. Eine Familiengeschichte der Menschheit«.
VORWORT
Die Geschichte Jerusalems ist die Geschichte der Welt, zugleich aber auch die Chronik einer meist verarmten Provinzstadt im Bergland Judäas. Einst galt Jerusalem als Mittelpunkt der Welt – eine Einschätzung, die heute mehr denn je den Tatsachen entspricht: Die Stadt ist Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den Abrahamitischen Religionen, das Heiligtum eines zunehmend populären christlichen, jüdischen und islamischen Fundamentalismus, strategisches Schlachtfeld eines Kampfes der Kulturen, Frontlinie zwischen Atheismus und religiösem Glauben, Anziehungspunkt säkularer Faszination, Gegenstand schwindelerregender Verschwörungstheorien und Internetmythen und grell beleuchtete Bühne für die Kameras der Welt in einem Zeitalter der Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensendungen. Religiöses, politisches und mediales Interesse schüren sich gegenseitig und sorgen dafür, dass Jerusalem stärker denn je im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Jerusalem ist die Heilige Stadt, war zugleich aber schon immer ein Hort des Aberglaubens, der Scharlatanerie und Bigotterie; sie war begehrtes Eroberungsziel von Weltreichen, aber ohne strategischen Wert; kosmopolitische Heimat vieler Sekten, die jeweils glauben, Jerusalem gehöre ihnen allein; eine Stadt mit vielen Namen – aber jede Tradition ist so sektiererisch, dass sie jede andere ausschließt. Dieser Ort ist von solcher Besonderheit, dass die jüdischen religiösen Schriften ihn durchgängig als weiblich beschreiben – immer als sinnliche, lebendige Frau, immer als Schönheit, zuweilen aber auch als schamlose Hure oder als verletzte Prinzessin, die von ihren Verehrern im Stich gelassen wurde. Jerusalem ist die Heimat des alleinigen Gottes, die Hauptstadt zweier Völker, das Heiligtum dreier Religionen und die einzige Stadt, die sowohl im Himmel als auch auf der Erde existiert: Die beispiellose Schönheit der irdischen Stadt ist nichts gegen die Herrlichkeit der himmlischen. Allein schon die Tatsache, dass Jerusalem zugleich irdisch und himmlisch ist, bedeutet, dass die Stadt überall sein kann: Auf der ganzen Welt wurden neue Jerusalems gegründet, und jeder hatte seine eigene Vision dieser Stadt. Propheten und Patriarchen, Abraham, David, Jesus und Mohammed sollen an diesem Ort gewandelt sein. Hier wurden die Abrahamitischen Religionen geboren, und hier wird die Welt am Tag des Jüngsten Gerichts enden. Jerusalem, das den Völkern der Bibel heilig war, ist die Stadt der Bibel: In mancherlei Hinsicht ist die Bibel Jerusalems ureigene Chronik, und von den Juden und Frühchristen über die muslimischen Eroberer und die Kreuzritter bis hin zu den heutigen amerikanischen Evangelisten haben ihre Leser wiederholt in die Geschichte der Stadt eingegriffen, um biblische Prophezeiungen in Erfüllung gehen zu lassen.
Als die Bibel ins Griechische und später ins Lateinische und in andere Sprachen übersetzt wurde, entwickelte sie sich zum Universalbuch und machte Jerusalem zur Universalstadt. Jeder große König wurde zu einem David, jedes besondere Volk sah sich als die neuen Israeliten, und jede Hochkultur galt als neues Jerusalem, jene Stadt, die niemandem gehört, aber in der Phantasie eines jeden ihre eigene Existenz führt. Eben das macht sowohl die Tragödie als auch die Magie Jerusalems aus: Jeder, der von Jerusalem träumt, jeder, der im Laufe der Zeiten hierher gekommen ist – von den Aposteln Jesu über die Soldaten Saladins und die viktorianischen Pilger bis hin zu den heutigen Touristen und Journalisten –, bringt seine Vision des authentischen Jerusalem mit und ist bitter enttäuscht über das, was er vorfindet: eine sich ständig wandelnde Stadt, die viele Male erblüht und wieder verwelkt ist, wieder aufgebaut und erneut zerstört wurde. Aber da es Jerusalem ist, das allen gehört, ist nur das Bild richtig, das sie alle sich gemacht haben; die mangelhafte, synthetische Wirklichkeit muss verändert werden; alle haben das Recht, dieser Stadt ihr eigenes »Jerusalem« aufzuzwingen – und oft haben sie es mit Schwert und Feuer getan.
Der Historiker Ibn Khaldun, der im 14. Jahrhundert manche der in diesem Buch geschilderten Ereignisse selbst erlebte und uns als Quelle dient, stellte fest, dass Geschichte eifrig gefragt ist: »Die Menschen auf der Straße wollen sie kennen, Könige und Führer wetteifern um sie«. Das gilt besonders für Jerusalem. Es ist unmöglich, eine Geschichte dieser Stadt zu schreiben, ohne anzuerkennen, dass Jerusalem ein Thema, ein Dreh- und Angelpunkt, ja sogar eine tragende Säule der Weltgeschichte ist. In einer Zeit, in der die Macht der Internetmythologie bedeutet, dass sowohl die Hightech-Maus als auch das Krummschwert zu den Waffen desselben fundamentalistischen Arsenals gehören können, ist die Suche nach historischen Tatsachen noch wichtiger, als sie für Ibn Khaldun war.
Eine Geschichte Jerusalems muss sich mit dem Merkmal der Heiligkeit auseinandersetzen. Die Wendung »Heilige Stadt« wird durchgängig verwendet, um die Ehrfurcht vor ihren heiligen Stätten auszudrücken, in Wirklichkeit bedeutet sie jedoch, dass Jerusalem zum zentralen, irdischen Ort für die Kommunikation zwischen Gott und Mensch geworden ist.
Außerdem gilt es die Frage zu beantworten: Warum Jerusalem? Der Ort lag abseits der Handelsrouten der Mittelmeerküste, litt unter Wasserknappheit, sengender Sommersonne und kalten Winterwinden und war von unwirtlichen, zerklüfteten Bergen umgeben. Aber die Wahl Jerusalems als Tempelstadt beruhte teils auf einer persönlichen Entscheidung, teils auf einer organischen Entwicklung: Die Heiligkeit des Ortes nahm immer mehr zu, weil er schon so lange als heilig galt. Heiligkeit erfordert nicht nur Spiritualität und Glauben, sondern auch Legitimität und Tradition. Ein radikaler Prophet, der eine neue Vision präsentiert, muss die vorhergehenden Jahrhunderte erklären und seine Offenbarung in der akzeptierten Sprache und Geographie der Heiligkeit – den Prophezeiungen früherer Offenbarungen und den seit langem verehrten heiligen Stätten – rechtfertigen. Nichts macht eine Stätte heiliger als die Konkurrenz mit einer anderen Religion.
Viele atheistische Besucher fühlen sich von dieser Heiligkeit abgestoßen, weil sie darin den ansteckenden Aberglauben einer Stadt sehen, die von selbstgerechter Bigotterie verseucht ist. Diese Einstellung leugnet jedoch das profunde menschliche Bedürfnis nach Religion, ohne das Jerusalem nicht zu verstehen ist. Religionen müssen vergängliche Freuden und ewige Ängste erklären, die den Menschen vor Rätsel stellen und ihn quälen: Wir müssen eine stärkere Kraft als uns selbst spüren. Wir respektieren den Tod und sehnen uns danach, in ihm einen Sinn zu sehen. Als Begegnungsstätte von Gott und Mensch ist Jerusalem der Ort, an dem diese Fragen in der Apokalypse geklärt werden: am Ende aller Tage, an dem es einen Krieg, einen Kampf zwischen Christ und Antichrist geben wird; an dem die Kaaba von Mekka nach Jerusalem kommen wird; an dem das Jüngste Gericht stattfinden wird, die Toten auferstehen und die Herrschaft des Messias und des himmlischen Königreichs, des Neuen Jerusalem, beginnen wird. Alle drei Abrahamitischen Religionen glauben an die Apokalypse, die Details variieren jedoch je nach Religion und Sekte. Säkularisten mögen das alles für antiquiertes Gerede halten, solche Ideen sind jedoch nur allzu aktuell. In dieser Zeit jüdischen, christlichen und muslimischen Fundamentalismus ist die Apokalypse eine dynamische Triebkraft in der fieberhaften Weltpolitik.
Der Tod ist unser ständiger Begleiter: Seit langem kommen Pilger nach Jerusalem, um hier zu sterben und in der Nähe des Tempelbergs begraben zu werden, damit sie bereit sind zur Auferstehung in der Apokalypse. Die Stadt ist von Friedhöfen umgeben und auf Grabstätten erbaut. Die Menschen verehren mumifizierte Körperteile Heiliger wie die abgetrennte, geschwärzte rechte Hand Maria Magdalenas, die im Raum des griechisch-orthodoxen Patriarchen in der Grabeskirche ausgestellt ist. Viele Heiligtümer und sogar viele Privathäuser sind um Grabstätten gebaut. Die Finsternis dieser Totenstadt rührt nicht nur von einer Art Nekrophilie her, sondern auch von Nekromantie: Die Toten sind hier nahezu lebendig, während sie auf ihre Auferstehung warten. Der endlose Kampf Jerusalems – Massaker, Chaos, Kriege, Terrorismus, Belagerungen und Katastrophen – hat diesen Ort zu einem Schlachtfeld gemacht. Aldous Huxley bezeichnete die Stadt als Schlachthaus der Religionen, Flaubert als Beinhaus, Melville als Schädel, belagert von Heerscharen von Toten, und Edward Said wusste, dass sein Vater Jerusalem hasste, weil es ihn an Tod erinnerte.
Die Entwicklung, die dieses Heiligtum des Himmels und der Erde nahm, war nicht immer vom Schicksal bestimmt. Der Funke einer Offenbarung, die ein charismatischer Prophet wie Moses, Jesus oder Mohammed hatte, ließ Religionen entstehen. Tatkraft und Glück eines Kriegsherrn schufen Imperien und eroberten Städte. Die Entscheidungen Einzelner, angefangen bei König David, machten Jerusalem zu Jerusalem.
Davids kleine Zitadelle, die Hauptstadt eines unbedeutenden Königreichs, hatte sicher nur geringe Aussichten, zu einem wichtigen Anziehungspunkt der Welt zu werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar eine tragende Stütze für die Heiligkeit der Stadt schuf, weil diese Katastrophe die Juden veranlasste, die Herrlichkeit Zions zu schildern und zu preisen. Gewöhnlich führten solche Katastrophen zum Untergang von Völkern. Aber das Überleben der Juden, ihr hartnäckiges Festhalten an ihrem Gott und vor allem die schriftliche Niederlegung ihrer Geschichtsversion in der Bibel schufen die Grundlagen für den Ruhm und die Heiligkeit Jerusalems. Die...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2024 |
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Übersetzer | Ulrike Bischoff, Waltraud Götting, Norbert Juraschitz |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte |
Naturwissenschaften ► Geowissenschaften ► Geografie / Kartografie | |
Schlagworte | Abbasiden • Balfour-Deklaration • Ben-Gurion • chaim weizmann • Disraeli • Erster Weltkrieg • Fatimiden • Hadrian • Israel • Jüdische Geschichte • Jüdische Kriege • Justinian • König David • Kreuzzüge • Makkabäer • Mehmet Ali • Mohammed • Napoleon I. • Palästina • Sachbuch 2024 • Saladin • Salomo • Süleyman • Zionismus |
ISBN-10 | 3-608-12286-9 / 3608122869 |
ISBN-13 | 978-3-608-12286-2 / 9783608122862 |
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Größe: 8,3 MB
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