Grenzen (eBook)

Geschichte und Gegenwart
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2185-1 (ISBN)

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Grenzen -  Alexander Demandt
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Grenzen begleiten die Menschheit von Anbeginn. Schon immer galt es, Stammes- und Eigentumsgrenzen zu markieren. Frühe Hochkulturen kannten sprachliche, kulturelle und ethnische Räume, die es zu schützen galt - das ist bis heute so. Alexander Demandt nimmt uns mit auf eine spannende Reise zu den Grenzen der Welt. Ob die Mythen vom Ursprung und Ende der Welt, die biblischen Zeitgrenzen, Schutzgrenzen wie der römische Limes oder die chinesische Mauer, ob sakrale Grenzen der Tempelbezirke, natürliche Grenzen, markiert durch Flüsse, Gebirge und Meere, koloniale Willkürgrenzen oder jahrhundertelang umstrittene Machtgrenzen wie die deutsch-französische - Demandts Reise führt uns von der Antike bis zur Gegenwart, von der Philosophie über die Geografie bis zur Geopolitik.

Alexander Demandt, geboren 1937 in Marburg, von 1974 bis 2005 Althistoriker und Kulturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Zu seinem umfangreichen Werk gehören Bücher über das Römische Reich, über Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Zuletzt erschienen bei Propyläen »Zeit«, »Über die Deutschen. Eine kleine Kulturgeschichte« und »Es hätte auch anders kommen können. Wendepunkte deutscher Geschichte«.

Alexander Demandt, geboren 1937 in Marburg, von 1974 bis 2005 Althistoriker und Kulturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Zu seinem umfangreichen Werk gehören Bücher über das Römische Reich, über Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Zuletzt erschienen bei Propyläen "Zeit", "Über die Deutschen. Eine kleine Kulturgeschichte" und "Es hätte auch anders kommen können. Wendepunkte deutscher Geschichte".

B.
Raumgrenzen

Du hast dem Land seine Grenzen gesetzt.

Psalm 74,17

1.  Raumerfassung

Grenzen ermöglichen Raumerfassung und Raumbestimmung. Eine Grenze läßt sich nicht ohne Bezug auf die Räume erläutern, die sie teilt, ein Raum nicht ohne Bezug auf die Grenzen beschreiben, die ihn von seinem Umland trennen. Trennung und Teilung sind ein Machtakt, und das kommt im Ursinn der Worte »Gebiet« (von »gebieten«) und »Bereich« (von »Reich«) zum Ausdruck. Diese Aspekte werden deutlich in der Geschichte des Begriffs.

Die erste Grenze war eine Folge des Sündenfalls. Nachdem Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, verschloß Gott den Garten in Eden. So wurden die Menschen zunächst mit dem Verbotscharakter der Grenze vertraut.30 Noch heute fallen uns unter den Funktionen der Grenze zunächst die negativen ein. Grenzen stören den Verkehr. Sie scheiden Menschen, die zueinander kommen wollen, sie erschweren oder unterbinden den Austausch von Gütern und Gedanken. Dem Schmuggler sind sie willkommene Einnahmequellen, aber der Biedermann, der die Grenze überschreitet – heute zumal in die USA oder nach Israel –, wird demütigenden Ritualen der Hoheitsträger unterworfen. Er wird verdächtigt, politisch oder ökonomisch gegen die Gesetze zu verstoßen, Bomben zu legen oder Kinder zu entführen. Er muß durch Paß- und Zollkontrolle seine Unschuld beweisen, an der im Landesinnern niemand zweifelt. Politiker reden von »Grenzverletzung«, als ob der Staatskörper der Leidende wäre und nicht der aus- oder eingesperrte Bürger. Niemand möchte eingeschlossen, niemand ausgeschlossen sein, Freiheit ist zuallererst Bewegungsfreiheit.

Grenzen bestimmen die Weite eines Raumes. Ist ein Raum zu eng begrenzt, sagen wir, es fehle »Platz« für den vorgesehenen Inhalt. Das Wort geht zurück auf lateinisch platea. Maria und Josef fanden zu Bethlehem keinen »Raum« in der Herberge, griechisch topos, lateinisch locus.31 Als Jesus in Kapernaum predigte, fanden die Zuhörer nicht »Raum« im Hause, griechisch chora, lateinisch spatium.32 Die Wörter topos und locus bezeichnen eigentlich einen Ort, also einen Punkt, erst danach einen eng begrenzten Raum. Umbauter Freiraum ist ein »Hof«, ein Bauernhof oder ein Gutshof, ein Gerichtshof oder Königshof. Dies war in Rom die überdachte Palastaula, ein Binnenraum. Innenraum hat Außengrenzen so wie der Abstand zwischen zwei Zaunlatten. Außenraum hat eine Innengrenze so wie das Suburbium Roms oder das Umland jenseits der Stadtgrenze Berlins. Grenzen machen Räume sichtbar und benennbar. Der Weltraum ist Innenraum zwischen den Himmelskörpern und Außenraum um sie herum.

Die Raumerfassung mit ihren Abgrenzungen auf dem Lande ist Sache der Feldmesser. Ihre Kunst, die Geodäsie im Sinne der Landvermessung, erwähnt schon Aristoteles.33 Eine eigentliche Technik entwickelten aber erst die römischen Agrimensoren34 und dann wieder die Landvermesser im 19. Jahrhundert. In der Landaufnahme geht es um Ortsbestimmung und Grenzlinien. An die Stelle der Arbeit mit Seilen und Stangen trat die mit Nivelliergeräten; seit 1989 gibt es die Satellitengeodäsie, unter anderem zur Erstellung von Katasterplänen.

Unterirdische Raumvermessung ist die Aufgabe von Markscheidern. Sie erarbeiten Stollenpläne von Bergwerken, nicht zuletzt um zu verhindern, daß die Landesgrenze untergraben wird. Bereits 1271 zahlte Salzburg an Berchtesgaden eine Jahresabgabe für grenzunterschreitenden Salzabbau, der 1627 in Wien – naheliegend – als Gewohnheitsrecht bestätigt wurde.35 Römische Markscheider haben die Gänge der Callistus-Katakombe an der Via Appia vermessen, angelegt in vier Etagen.

Großflächige Raumerfassung erfolgt mit Erd- und Landkarten, die im Mittelalter erst bisweilen und dann regelmäßig seit dem 16. Jahrhundert Grenzen verzeichnen. Damals kam auch die Kartographie wieder in Gang, für die schon Claudius Ptolemaeus um 150 n. Chr. Vorzügliches geleistet hatte.36

2.  Geometrische Grenzformen

Räumliche Grenzen erscheinen in drei Grundformen: als Punkte, Linien oder Flächen. Punkte markieren Grenzen auf einer Linie, bilden Abschnitte und Unterteilungen. Auf einer Straße sind Zollstationen und Schranken Grenzpunkte, Meilensteine bezeichnen Strecken. Eine Meile, lateinisch mille passuum, sind »tausend Schritt«. Der menschliche Körper lieferte die ältesten Längenmaße. Hatte der Sophist Protagoras aus Abdera einst erklärt, der Mensch sei das Maß aller Dinge,37 so gilt das buchstäblich für die frühesten Maßeinheiten, den Fuß und die Elle, den Klafter und den Schritt. Apart, wenn auf dem Meer mit See-»Meilen« gerechnet wird.

Wo Punkte ein Territorium begrenzen sollen, ist die kürzeste Linie zwischen ihnen gemeint, so bei Grenzsteinen. An Territorialgrenzen denken wir bei dem Wort »Grenze« zunächst. Lineare Grenzen können selbst wiederum punktuelle Grenzen haben, so der Limes. Er beginnt bei Rheinbrohl am Rhein und endet bei Eining an der Donau.38 Die Linie einer Staatsgrenze teilt nicht nur flächig den Boden, sondern auch räumlich den Luftraum darüber und das Erdreich darunter durch eine gedachte Scheidewand. Die Grenze eines Körpers bildet seine Oberfläche, seine ihn umschließende Haut. Sie trennt die Räume nach innen und außen und ist wie alle Grenzen veränderbar, so durch das Volumen, etwa das eines aufblasbaren Luftballons.

Unser Planet bietet Beispiele für alle drei Grenzarten. Sie beruhen zum einen auf Beobachtung und Berechnung, sind insoweit natürlich und allgemeingültig, zum andern auf Übereinkunft und Sprachregelung und sind insofern kulturbedingt variabel. Naturgegebene Grenzpunkte sind die Pole für die Meridiane im Norden und Süden. Es sind Endpunkte der Erdachse, festgelegt durch die Rotation. Die Hemisphären begrenzt der Äquator. Er ist überall feststellbar durch den Effekt der Corioliskraft, die eine Feder in einer Wasserschüssel auf der Nordhemisphäre rechtsherum, auf der Südhalbkugel linksherum kreisen läßt. Auch die Mitte kann somit eine Grenze sein, nämlich zwischen den Hälften. Wie die Pole sind die Polar- und Wendekreise naturgegeben. Längen- und Breitengrade hingegen sind künstlich. Sie wurden – in Stadien gemessen – zuerst von Eratosthenes aus Kyrene verwendet, der im 3. Jahrhundert v. Chr. als Bibliothekar in Alexandria lebte. Hier gelang ihm als orbis terrarum mensor,39 als Vermesser des Erdkreises, auch durch Vergleich der Schattenwinkel die Berechnung des Erdumfangs.40

Die Zählung der Längengrade begann Ptolemaeus bei den »glücklichen« Kanarischen Inseln. Das war in der Neuzeit lange umstritten, so auch der 1675 von britischen Astronomen definierte heutige Nullmeridian. Gegen Paris behauptete sich, seit 1884 international, Greenwich, der Kriegshafen von London, aufgrund der weiter verbreiteten britischen Seekarten. Wäre die Vermessung von den Chinesen ausgegangen, so läge die Datumsgrenze heute nicht im Pazifik, sondern ginge mitten durch London. Die Erdoberfläche begrenzt den Planeten, der »Erde« heißt, obschon ihn zu mehr als zwei Dritteln Wasser bedeckt. Aus der Sicht der Delphine müßte sie auf Griechisch statt Gäa besser Pontos, Pelagos oder Thalassa heißen. Aber der Meeresboden ist schließlich auch Erde. Von oben gesehen ist der Grund eine Grenze.

Im Unterschied zu den genannten objektiven Raumgrenzen, die von jedermann erkannt und gebilligt sein können, gibt es subjektive, die allein dem Betrachter als solche erscheinen. Wolken begrenzen den Blick in den Himmel, der »Horizont« begrenzt den Blick in die Weite. Das Wort geht zurück auf horos – »Grenze«. Es ist die kreisrunde Grenze zwischen Himmel und Erde, die Linie, bis zu der mein Auge reicht. Ändere ich meinen Standpunkt, so ändert sich mein Horizont.

3.  Biologische und geographische Naturgrenzen

Der Begriff der »natürlichen Grenze« bezeichnet zweierlei. Gemeint sind entweder vorgegebene Grenzen in der Naturlandschaft oder naturbegünstigte Grenzen in der Menschenwelt. Naturgegeben sind Ufer und Küsten als Grenzlinien zwischen Land und Wasser sowie Kaps als Grenzpunkte, so Land’s End in Cornwall und Finisterre in Nordwestspanien und in der Bretagne.

Gebirge bilden Wetterscheiden. Natürlich begrenzte Lebensräume mit unterschiedlichen Anpassungserfordernissen waren eine Ursache für die Artenvielfalt. Als durch die Kontinentalverschiebung vor 100 Millionen Jahren der Atlantik entstand, entwickelte sich die Tier- und Pflanzenwelt trotz gemeinsamer Abstammung beiderseits der Küsten auseinander. Die Alpen hemmten die Verbreitung der Gehölze nach Norden.41 Auf Inseln überlebten Arten, die andernorts durch stärkere Konkurrenten ausgerottet wurden, so in Neuseeland die Kiwis und in Australien, dem »Land der lebenden Fossilien«, die Känguruhs. Das Kaninchen stammt aus Nordafrika, gelangte über die Straße von Gibraltar und verbreitete sich in Spanien, punisch: Kaninchenland.42 Von dort gelangte es im Mittelalter nach Frankreich und wanderte nach Osten, wobei die großen Ströme Rhein, Elbe und Oder die Verbreitung stets...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altertum • Berliner Mauer • Chinesische Mauer • Festung Europa • Gerichtsorte • Grenzsteine • Kolonialerbe • Kolonialherrschaft • Landnahme • Mauer • Mexiko • Rheingrenze • Sprachgrenze • Stadtmauer • Tempel • Trump • Völkerwanderung • Weltkarte
ISBN-10 3-8437-2185-8 / 3843721858
ISBN-13 978-3-8437-2185-1 / 9783843721851
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