Kursbuch Klinische Neurophysiologie (eBook)
240 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-245681-5 (ISBN)
1 Einige Worte zur Technik
Die Zeiten, in denen man als „EMGist“ gut beraten war, wenn man ein paar Semester Elektronik studiert hatte, sind heute gottlob vorbei. Dank moderner Computertechnik ist heute vieles so vereinfacht, dass man das Innenleben seiner elektronischen Maschine (in der Folge einfach als EMG-Gerät bezeichnet) weitgehend mit Missachtung strafen darf, ohne beleidigte Reaktionen hervorzurufen. Wenn man heute weiß, wo der Netzschalter ist und ihn betätigt hat, kann man sich eigentlich auf das – oft gar nicht so unkomplizierte – Bedienungsmenü seines Geräts konzentrieren und sich dann ganz seinem Patienten widmen.
Allerdings kommt es auch bei modernen EMG-Geräten vor, dass die Elektronik plötzlich „verrückt spielt“ und sich Filter, Ablenkgeschwindigkeit oder Verstärkung ungewollt verstellen. In solchen Situationen ist es gut, wenn man sich ein wenig mit den basalen Grundlagen vertraut gemacht hat.
1.1 Abbildung des Biosignals auf dem Monitor
Die biologischen Spannungsschwankungen („Potenziale“ oder „Biosignale“), die als Elektromyogramm (EMG), Elektroneurogramm (ENG) oder als evozierte Potenziale (EP) abgeleitet werden, laufen überwiegend so schnell ab, dass sie nicht mit einem mechanischen Schreibsystem – wie beim EEG oder EKG – aufgezeichnet werden können.
Eine 10/s-Alpha-Welle hat eine Dauer von 100 ms; ein Fibrillationspotenzial, einzelne Komponenten eines sensiblen Nervenaktionspotenzials oder eines akustisch evozierten Hirnstammpotenzials dauern dagegen nur etwa 1 ms. Die Registrierung solcher Potenziale war früher nur mit dem völlig trägheitslos arbeitenden Kathodenstrahloszillografen möglich, der den Kern jedes Registriergeräts bildete. Bei den modernen, auf PC-Basis arbeitenden Geräten werden die (analogen) Spannungswerte rasend schnell in digitale Daten umgewandelt, die Sie dann auf dem PC-Monitor als Kurven sehen.
Der Schirm eines EMG-Geräts ist in aller Regel durch ein Gitter- oder Punktmuster ( ▶ Abb. 1.1) eingeteilt. Die Kantenlänge eines solchen Gitterelementes resp. der Abstand zwischen zwei Punkten wird meist mit dem neuhochdeutschen Begriff „Division“ (abgekürzt DIV) bezeichnet. In Anlehnung an das mathematische Koordinatensystem bezeichnet man die horizontale Achse als X- und die vertikale als Y-Achse.
In X-Richtung verläuft die Zeitachse. Hier kann man wählen, wie schnell der Strahl von links nach rechts über den Monitor wandern soll. Sehr schnell ablaufende Vorgänge, die z. B. nur 1 Millisekunde (ms) benötigen, erfordern eine recht hohe Ablenkgeschwindigkeit (z.B. 1ms/DIV). Verläuft die biologische Spannungsschwankung dagegen sehr träge (z. B. über 100 ms), muss eine deutlich geringere Ablenkgeschwindigkeit (100ms/DIV) gewählt werden.
Bei niedrigen Ablenkgeschwindigkeiten kann man das Wandern des Strahles mit dem Auge verfolgen. Demgegenüber ist das z. B. bei der zur EMG-Registrierung üblichen Geschwindigkeit von 10 ms/DIV nicht mehr möglich. Auf einem Monitor wie in ▶ Abb. 1.1 dargestellt, benötigt der Strahl für den ganzen Schirm 100 ms, kann also 10-mal pro Sekunde seine Wanderung wiederholen: Es entsteht hier für den Betrachter schon der Eindruck einer stillstehenden, wenn auch noch etwas flackernden Linie. Bei noch höheren Geschwindigkeiten sieht man nur noch eine stillstehende Linie, obgleich der Strahl ständig, aber eben 100-mal pro Sekunde oder noch häufiger, von links nach rechts flitzt.
In Y-Richtung verläuft die Amplitudenachse. Hier wird die Höhe des Biosignals eingestellt, die in Millivolt (mV) oder Mikrovolt (µV) angegeben wird. Über die Wahl der Empfindlichkeit oder „sensitivity“ kann eingestellt werden, wie stark das Potenzial vergrößert werden soll: Dabei muss man sich erst daran gewöhnen, dass kleine Werte (z. B. 1 µV/DIV) eine hohe Verstärkung und große Werte (z. B. 100 mV/DIV) eine geringe Verstärkung repräsentieren.
Abb. 1.1 Kalibrierung des Bildschirms in x- und y-Richtung.
Mit der beschriebenen Ablenkung des Strahls in X- und Y-Richtung wird ein Biosignal kontinuierlich registriert. Dabei bewegt sich der Strahl mit einer vom Gerät fest eingestellten Wiederholrate vom linken zum rechten Bildschirmrand. Bei dieser Form einer kontinuierlich-repetierenden Ablenkung (kontinuierliche Triggerung) des Strahls wird das Biosignal frei durchlaufend abgebildet ( ▶ Abb. 1.2a).
Um wiederholt auftretende Biosignale (z. B. beim EMG) besser miteinander vergleichen zu können, muss man versuchen, sie immer an der gleichen Stelle abzubilden. Dazu wird eine interne Triggerung benutzt: Hier steuert nicht ein fest eingestellter Triggergenerator den Strahl, sondern das Biosignal selbst löst das Wandern des Strahls über den Bildschirm aus. Der Triggergenerator wartet, bis das Biosignal einen bestimmten – vom Untersucher frei wählbaren – Wert erreicht hat (als Beispiel siehe Pfeil in ▶ Abb. 1.2a) und startet erst dann den Strahl. Dadurch wird das Signal immer an der gleichen Stelle „festgenagelt“ ( ▶ Abb. 1.2b), leider aber am linken Bildschirmrand, wodurch sein linker Teil abgeschnitten wird. Erst durch eine zusätzliche Verzögerungsschaltung lässt sich das komplette Biosignal an der gewünschten Stelle auf dem Monitor darstellen ( ▶ Abb. 1.2c).
Eine eingehendere Darstellung dieser Technik (mit Hinweisen auf die „Fenster-Triggerung“) findet sich in ▶ Video 9.64.
Eine dritte Form der Triggerung ist schließlich die externe Steuerung des Triggergenerators durch ein Stimulationsgerät (siehe Kap. ▶ 1.5).
1.2 Verstärkung des Biosignals
Mit den üblichen biologischen Spannungen im Millivolt- oder gar Mikrovoltbereich kann ein EMG-Monitor nicht viel anfangen, er benötigt Spannungen in der Größenordnung von 1 Volt, um seinen Strahl sichtbar in Y- Richtung auslenken zu können. Ein Biosignal mit einer Amplitude von 10 Millionstel Volt (10 µV) muss also etwa um den Faktor 100 000 verstärkt werden.
Das tun die Verstärker, die in einen Vorverstärker und einen Endverstärker aufgeteilt sind. Der Vorverstärker verstärkt nicht sehr viel, z. B. nur um den Faktor 50; er hat aber zwei andere, viel wichtigere Eigenschaften.
Zum einen ist er stets ein Differenzverstärker, d. h., er misst nicht die absolute Spannung, die an einer Elektrode (bezogen auf das Erd-Masse-Potenzial) herrscht; vielmehr registriert er nur die Differenz zwischen den Potenzialen, die an den beiden Ableitelektroden (für die EMG-Nadel: siehe ▶ Abb. 2.1a) anliegen. Externe Störpotenziale, wie z. B. der stets im Raum herumschwirrende Wechselstrom-„Brumm“, streuen in beide Ableitelektroden relativ gleichförmig ein und werden durch die Differenzverstärkung weitgehend wegsubtrahiert.
Zum anderen ist er durch einen sehr hohen Eingangswiderstand gekennzeichnet: Die biologische Spannungsquelle, also letztlich der über zwei Elektroden angeschlossene menschliche Körper, hat einen Ausgangswiderstand, der je nach Beschaffenheit sowohl der Elektroden (Elektrodenwiderstand) als auch der Haut (Hautwiderstand) etwa zwischen 1 und 100 Kiloohm liegt. Läge der Eingangswiderstand der angeschlossenen Verstärkerkette im gleichen Bereich, würde eine Spannungsteilung stattfinden, d. h., die Amplitude des biologischen Signals würde auf etwa 50% reduziert. Damit dies nicht passiert, muss der Eingangswiderstand des Vorverstärkers um ein Vielfaches höher liegen, er liegt heute meist bei 100 Millionen Ohm (100MΩ).
Der Ausgang des Vorverstärkers ist im Gegensatz zu seinem Eingang niederohmig, ebenso wie der Eingang des angeschlossenen Endverstärkers. Das Verständnis von Einzelheiten ist hier nicht notwendig. Wichtig ist nur, dass ein niederohmiges Signal wenig störanfällig ist. Das bedeutet für die Praxis, dass das Kabel zwischen Vor- und Endverstärker relativ lang sein kann, ohne Störungen aus dem umgebenden Raum einzufangen. Das hochohmige Eingangssignal des Vorverstärkers ist dagegen sehr störanfällig, weswegen das Elektrodenkabel, das die Verbindung zwischen Patienten und EMG-Gerät herstellt, möglichst kurz sein muss.
Deshalb ist der Vorverstärker mit seinen Eingangsbuchsen stets an einem beweglichen Gerätearm befestigt, den man dicht an den Patienten heranbringen kann.
Am Endverstärker wird die jeweils erforderliche Empfindlichkeit eingestellt, die etwa zwischen 0,5 µV/DIV und 10 mV/DIV variiert werden kann.
Abb. 1.2
Abb. 1.2a Darstellung des Biosignals auf dem Monitor: Frei durchlaufend.
Abb. 1.2b Darstellung des Biosignals auf dem Monitor: Getriggertes Signal.
Abb. 1.2c Darstellung des Biosignals auf dem Monitor: Getriggertes und verzögert dargestelltes Signal.
1.3 Filterung des Biosignals
Die erforderliche hohe Verstärkung der sehr kleinen biologischen Signale...
Erscheint lt. Verlag | 20.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie |
ISBN-10 | 3-13-245681-0 / 3132456810 |
ISBN-13 | 978-3-13-245681-5 / 9783132456815 |
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