Fake-Mafia in der Wissenschaft (eBook)
264 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-045559-7 (ISBN)
Prof. Dr. med. habil. Bernhard A. Sabel, PhD, Dipl.-Psych., 1992-2023 Professor für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, erforscht seit mehreren Jahren das Phänomen des Wissenschaftsbetrugs durch Fake-Publikationen. Unter Mitarbeit von Armin Fuhrer, selbständiger Journalist und Buchautor.
Prof. Dr. med. habil. Bernhard A. Sabel, PhD, Dipl.-Psych., 1992-2023 Professor für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, erforscht seit mehreren Jahren das Phänomen des Wissenschaftsbetrugs durch Fake-Publikationen. Unter Mitarbeit von Armin Fuhrer, selbständiger Journalist und Buchautor.
2Fälschungen in der Wissenschaft seit der Antike
Dass auch manche Wissenschaftler schwindeln und betrügen, mag nur auf den ersten Blick verwundern. Denn Wissenschaftler mögen kluge Leute sein, aber sie sind und bleiben Menschen, und Menschen haben ihre Fehler und Schwächen. Ob Eitelkeit, Sehnsucht nach Anerkennung, Sichtbarkeit oder Ruhm, Konkurrenzdruck oder Gier – es gibt eine ganze Reihe menschlicher Eigenschaften und Bedürfnisse, die Wissenschaftler dazu verleiten können, ihre Forschungsergebnisse zu „massieren“ oder zu fälschen. Die Frage, seit wann es Wissenschaftsfälschungen gibt, ist schon deshalb nicht präzise zu beantworten, weil wir gar nicht exakt wissen, seit wann genau es die Wissenschaft selbst eigentlich gibt. Aber sicher ist: schon seit Jahrtausenden. Bereits die Ägypter, Chinesen und Griechen wollten wissen, was eigentlich so am Himmel und auf Erden los ist, welchen Gesetzen die Natur folgt, warum der Mensch so denkt und fühlt, wie er eben denkt und fühlt. Also betrieben sie Astronomie, Physik, Mathematik, medizinische Forschung, Philosophie und Geschichte. Das Ziel war es, Wissen zu schaffen. Dass die Menschen, die dieser Aufgabe nachgehen, sich redlich an die Fakten halten müssen, forderte schon Thales von Milet (um 620–545 v. Chr.), der als Begründer von Astronomie, Geografie und Naturphilosophie gilt. Er stellte die Forderung auf, dass Wissenschaft beweisbar und zweckfrei sein müsse. Thales war nicht nur ein kluger Mann, sondern auch nicht weltfremd, denn allein die Tatsache, dass er an diesen Grundsatz dachte, zeigt, dass er ganz offenbar einen Anlass dafür sah und manche Kollegen verdächtigte, mit unlautereren Mitteln ihre Ergebnisse zu fälschen.
Doch was bezeichnen wir eigentlich als Fälschung, und wie gehen Fälscher vor? Der britische Mathematiker, Philosoph und Ökonom Charles Babbage hat für die Einschätzung eines wissenschaftlichen Ergebnisses als Fälschung bereits 1830 drei Kategorien eingeführt, die im Grundsatz bis heute allgemein als gültig angesehen werden. Er nannte das pure Erfinden von Ergebnissen (Forging), die bewusste Manipulation von Messwerten (Trimming) sowie das bewusste Ausblenden von Ergebnissen, die dem intendierten Gesamtergebnis widersprechen (Cooking).
Von Ptolemäus bis in die Neuzeit: Ausgewählte Stationen einer langen Tradition wissenschaftlicher Fälschungen
Die erste heute bekannte Fälschung der Wissenschaftsgeschichte stammt vermutlich von einem der ganz Großen der frühen Zeit: Claudius Ptolemäus (etwa 100–170 n. Chr.). Ptolemäus, der in Alexandria lebte, war ein ziemlich umtriebiger Typ, der sich auf einer Reihe von Wissenschaftsgebieten tummelte – Mathematik, Geografie, Philosophie, Musiktheorie, Philosophie und Astronomie. Seine Beiträge zur Sternenkunde waren es, die ihm schon im 18. Jahrhundert den Vorwurf einbrachten, mit unsauberen Mitteln gearbeitet zu haben. 1977 erhärtete dann der US-amerikanische Physiker und Astronom Robert Russell Newton den Vorwurf. Newton, Abteilungsleiter des Applied Physics Laboratory an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, warf Ptolemäus in seinem Buch „The Crime of Claudius Ptolemäus“ vor, der vermeintlich „erfolgreichste Betrüger in der Geschichte der Wissenschaft“ zu sein. Denn er sei auf die in seinem Hauptwerk „Almagest“ geschilderten astronomischen Erkenntnisse vorwiegend durch Berechnungen gekommen, nicht jedoch, wie er behauptet habe, durch Beobachtungen.[15] Der Vorwurf ist harter Tobak und endgültig konnte der Beweis der Fälschung auch nicht erbracht werden. Das System des Peer Review, also die unabhängige Begutachtung wissenschaftlicher Artikel vor ihrer Veröffentlichung durch andere Experten (sog. Peer-Reviewer), gab es damals noch nicht. Und heute, rund 2.000 Jahre später, ist es kaum möglich nachzuvollziehen, wie Ptolemäus tatsächlich gearbeitet hat. Die Vorwürfe haben sein Renommee nicht ernsthaft erschüttert.
Andere berühmte Männer folgten ihm. Galileo Galilei (1564–1642) zum Beispiel, der gleichwohl zwei seiner berühmtesten Experimente wohl kaum tatsächlich durchgeführt hat – nämlich das Experiment mit dem Schiff, das dem sog. galileischen Relativitätsprinzip zugrunde liegt und das belegt, dass sich physikalische Phänomene an Land in derselben Weise vollziehen wie auf einem Schiff, das sich auf See befindet. Galilei verheimlichte seine Fälschung nicht einmal, sondern bekannte sich in unverhohlener Arroganz dazu, wie der italienische Wissenschaftshistoriker Federico di Trocchio (1949–2013) schrieb, denn der große Mann fand das gar nicht durchgeführte Experiment nach eigenen Worten schlicht nutzlos.[16] Das gleiche gilt für sein wohl berühmtestes Experiment auf dem schiefen Turm von Pisa. Es sollte die Theorie von Aristoteles widerlegen, nach der Objekte mit einer Geschwindigkeit fallen, die proportional zu ihrem Gewicht sind. Aristoteles hatte angenommen, dass ein doppeltes Gewicht auch doppelt so schnell fallen müsse. Galileis Schüler Vincenzo Viviani (1622–1703) beschrieb, wie sein Chef auf den schiefen Turm gestiegen sei und das Experiment durchgeführt habe. Doch das war ganz offensichtlich eine Lüge, meinte der Wissenschaftshistoriker Lane Cooper, der sich intensiv mit dem angeblichen Ereignis in der italienischen Stadt beschäftigte und 1935 das Buch „Aristotle, Galileo, And The Tower of Pisa“ veröffentlichte.
Wenn wir von „Wissenschaft“ sprechen, sollte kurz erwähnt werden, dass es einen einheitlichen Wissenschaftsbegriff gar nicht gibt. Jedes einzelne wissenschaftliche Fachgebiet hat seine eigenen Regeln der Forschung, der Analyse, der Überprüfung der Ergebnisse und der Entwicklung von Naturgesetzten bzw. Gesetzmäßigkeiten und Einsichten. Grundsätzlich kann man die verschiedenen Wissenschaftsgebiete je nach ihrer Herangehensweise zum Beispiel in theoretische Wissenschaft (Grundlagenforschung und Methodenlehre) und praktisch-angewandte Wissenschaft unterteilen. Sehr geläufig ist eine Einteilung in naturwissenschaftlich-technische, soziologisch/geisteswissenschaftliche und medizinische Wissenschaft. Ein Ziel ist ihnen allen gemeinsam: der fortschreitende und überprüfbare Erkenntnisgewinn und die Formulierung von Gesetzmäßigkeiten mit dem Ziel der Wahrheitsfindung. Das bedeutet auch, dass Pseudowissenschaften wie Astrologie und Spiritismus nicht unter die Kategorie „Wissenschaft“ fallen.
So unterschiedlich die Felder der verschiedenen Wissenschaftsgebiete beackert werden, so unterschiedlich sind auch die Versuche und Möglichkeiten, Fälschungen durchzuführen. Das Kaleidoskop möglicher Methoden und Folgen des Wissenschaftsbetruges ist bunt und vielfältig. Ich möchte das an einem kleinen Vergleich erläutern. Wenn historische Fakten, sagen wir zur Geschichte des Nationalsozialismus, zur französischen Revolution oder zum amerikanischen Bürgerkrieg gefälscht werden, kann das Folgen für die Bewertung dieser Ereignisse haben; dass die Nationalsozialisten in Europa sechs Mio. Juden ermordeten, dass die Jakobiner ihren Terror in Frankreich verbreiteten und dass die Nord- und Südstaaten der USA Krieg gegeneinander führten, steht dennoch außer Frage. Verfälschende „Fakten“ und Narrative („Die Juden sind an allem schuld“) spielten in der Geschichte eine bedeutende Rolle und tun das auch in der Gegenwart sogar wieder vermehrt. Aus solchen bewussten Falschdarstellungen sind Kriege entstanden, sie waren der Anlass für zahllose Morde. Sie können also einen direkten Einfluss auf das Leben ganzer Völker, Bevölkerungsgruppen oder auf den Einzelnen haben.
Von besonderer Tragweite stellen sich Fälschungen vor allem in der (Bio-)Medizin sowie in Biologie oder Chemie dar. Wenn etwa eine Studie zur Krebstherapie gefälscht wird, kann das Mediziner bei ihrer Therapie oder Forscher und Pharmaindustrie bei der Entwicklung neuer Medikamente auf eine falsche Spur leiten – mit möglicherweise schlimmen Folgen für an Krebs erkrankte Menschen, die weltweit sehnlich auf neue Mittel und Heilungsmethoden gegen diese noch immer oft tödliche Krankheit warten. Dieses Beispiel ließe sich leicht auf viele andere Krankheiten übertragen. Ich komme darauf zurück.
Mein Buch stellt neue und inzwischen erschreckend weit verbreitete Methoden zur Fälschung und Verbreitung gefälschter...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
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Mitarbeit |
Assistent: Armin Fuhrer |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Medizin / Pharmazie ► Allgemeines / Lexika | |
Schlagworte | Forschung • Künstliche Intelligenz • Wissenschaftliches Arbeiten |
ISBN-10 | 3-17-045559-1 / 3170455591 |
ISBN-13 | 978-3-17-045559-7 / 9783170455597 |
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