Psychiatrische Notfälle in der Heilpraxis (eBook)
112 Seiten
Haug (Verlag)
978-3-13-245671-6 (ISBN)
Quelle: (c) K. Oborny / Thieme |
2 Krisenintervention bei psychiatrischen Notfällen
2.1 Grundlagen
Definition
Psychiatrischer Notfall
Unter einem psychiatrischen Notfall versteht man eine plötzlich auftretende, tiefgreifende psychische Veränderung bzw. eine akute Verschlechterung einer bestehenden, psychischen Erkrankung, die die Gesundheit des Patienten und seines Umfeldes unmittelbar gefährdet. Betroffene Patienten sind nicht in der Lage, sich ohne fremde Hilfe aus der Situation zu befreien und benötigen sofortige medizinische Betreuung (Diagnostik und Therapie).
Psychiatrische Notfälle entstehen, wenn:
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belastende Ereignisse in kurzer Zeitfolge auftreten;
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Patienten gleichzeitig über eine geringe Resilienz verfügen bzw. bereits an einer psychischen Erkrankung leiden;
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Patienten ungünstige Lebensbedingungen haben.
Psychiatrische Notfälle können auch durch organische Krankheiten oder Drogenkonsum bzw. Drogenentzug ausgelöst werden.
2.1.1 Häufigkeit psychiatrischer Notfalleinsätze
Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigen chronischen Erkrankungen in den Ländern der westlichen industrialisierten Welt. Gemessen an der Beeinträchtigung der Lebensqualität und der Verkürzung der Lebenszeit kann man sie durchaus mit den großen chronischen „Volkskrankheiten“ wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Krebs vergleichen. Dabei ist zu beobachten, dass die Zahl der psychisch Erkrankten seit Jahrzehnten langsam, aber stetig zunimmt.
Infolgedessen werden immer häufiger psychiatrische Notfalleinsätze notwendig, die durch psychische Störungen verursacht werden. Das fach- und sachgerechte schnelle Handeln in Notfallsituationen ist essenziell für die Betroffenen, da es zu lebensbedrohlichen Situationen für Helfende und akut Erkrankte kommen kann. Häufig sind die Ersthelferinnen und Ersthelfer mit diesen komplexen und dringenden Situationen überfordert.
In der seit 2019 gültigen S2k-Leitlinie Notfallpsychiatrie werden folgende Schätzgrößen pro Jahr für die Anzahl psychiatrischer Notfalleinsätze genannt (Stand: 13.04.2019):
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ca. 500.000 Patienten werden von einem Notarzt behandelt,
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ca. 1,5 Millionen Patienten werden in Notfallaufnahmen behandelt und
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ca. 500.000 Patienten werden nach einer Behandlung in einer Notaufnahme stationär aufgenommen.
Psychische Erkrankungen treten am häufigsten in Form von Angststörungen und Depressionen auf, gefolgt von Anpassungsstörungen mit depressiven Reaktionen sowie Reaktionen auf Traumatisierung.
2.1.2 Entstehung psychiatrischer Erkrankungen
Wenn eine psychische Störung entsteht, ist dies immer ein multifaktorielles Geschehen, bei dem sowohl äußere Einflüsse als auch innere Faktoren eine Rolle spielen, die von der persönlichen Konstitution eines Menschen abhängig sind.
2.1.2.1 Äußere Einflüsse
Äußere Einflüsse sind belastende Lebensumstände, wie beispielsweise:
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Gewalt ( ▶ Abb. 2.1)
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Armut
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Einsamkeit
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Arbeitslosigkeit
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Drogenkonsum
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gesellschaftliche Diskriminierung
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andauernde Konflikte in Familie oder Beruf
Äußere Einflüsse, die psychiatrische Grunderkrankungen hervorrufen können.
Abb. 2.1 Werden Menschen in ihrem Alltag z.B. dauerhaft mit Gewaltsituationen konfrontiert, kann die seelische und körperliche Belastung zu psychiatrischen Erkrankungen führen. Bei regelmäßiger häuslicher Gewalt kann sich eine Depression und/oder eine Angststörung entwickeln. (nachgestellte Situation)
(Quelle: © K. Oborny/Thieme)
2.1.2.2 Innere Faktoren
Zu den inneren Faktoren einer psychischen Störung zählen in erster Linie die individuellen, angeborenen Eigenschaften und Grundmuster der Psyche, die im Charakter und Temperament eines Menschen ihren Ausdruck finden ( ▶ Abb. 2.2). Hinzu kommt eine durch Erziehung und soziokulturelle Einbindung erlangte Prägung. Anerzogene und angeborene Faktoren bestimmen letztlich zusammen, wie empfindlich ein Mensch auf äußere Stressfaktoren reagiert und in welcher Form Lösungsstrategien gefunden werden.
Hoher innerer psychischer Druck.
Abb. 2.2 Individuelle angeborene Eigenschaften und Grundmuster der Psyche zählen zu den inneren Faktoren, die ein psychisches Störungsbild maßgeblich beeinflussen. Wie gut ein starker innerer Druck aufgrund von Stressoren bewältigt werden kann, hängt von der Resilienz der Betroffenen ab. (nachgestellte Situation)
(Quelle: © K. Oborny/Thieme)
Diese innere psychische Robustheit und die Fähigkeit, in psychischen Belastungssituationen handlungsfähig zu bleiben, bezeichnet man als Resilienz. Eine hohe Resilienz bedeutet, dass der Patient über viele Merkmale verfügt, die seine Psyche schützen und stärken. Bei einer geringen Resilienz sind diese schützenden Faktoren in nicht ausreichender Form vorhanden.
2.1.3 Wann wird eine psychiatrische Erkrankung zum Notfall?
2.1.3.1 Ursachen
Ein psychiatrischer Notfall entwickelt sich häufig plötzlich aus Situationen heraus, in denen:
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stark belastende Ereignisse innerhalb einer kurzen Zeitspanne auftreten und das Leben eines Menschen in seinen Grundfesten erschüttern;
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gleichzeitig eine geringe Resilienz vorliegt;
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der Mensch ungünstige allgemeine Lebensbedingungen hat, die die akute Belastung nicht abpuffern können.
Viele psychiatrische Notfallpatienten haben in der Vergangenheit bereits Phasen mit starker psychischer Belastung erlebt oder leiden an einer diagnostizierten psychischen Erkrankung. Eine psychiatrische Notfallsituation kann bei ihnen ein Zeichen für die akute Verschlechterung der psychiatrischen Grunderkrankung sein.
2.1.3.2 Stark belastende Ereignisse
Zu den stark belastenden Ereignissen zählen beispielsweise:
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der Verlust des Arbeitsplatzes
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das Scheitern einer Beziehung
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die Diagnose einer schweren Krankheit
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der plötzliche Verlust der vertrauten Umgebung
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der plötzliche Tod eines nahestehenden Menschen
Bei Menschen, die über eine geringe Resilienz verfügen, verdichtet sich in solchen Fällen die seelische Not derart stark, dass tiefgreifende psychische Veränderungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne auftreten. Symptome, die sich bei psychischen Erkrankungen normalerweise über Monate bis Jahre entwickeln, treten in der psychiatrischen Notfallsituation innerhalb von Stunden bis Tagen in hoher Intensität auf. Der Patient ist in seiner Handlungsfähigkeit und Selbstregulation akut massiv eingeschränkt und findet ohne Hilfe aus dieser Lage nicht mehr heraus.
2.1.3.3 Allgemeine Lebenssituation
Neben den belastenden Ereignissen spielt die allgemeine Lebenssituation des Patienten eine große Rolle:
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Geht der Patient einer Arbeit nach?
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Wie ist die wirtschaftliche Lage des Patienten?
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Gibt es erkennbar einen geregelten Tagesablauf?
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Lebt der Patient allein oder in einer Partnerschaft?
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Ist der Patient in gesellschaftliche Gruppen integriert?
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Gehört der Patient zur bildungsfernen Schicht der Bevölkerung?
Alleinstehende Menschen mit geringem Bildungsstand haben das größte Risiko, durch ein schwer belastendes Ereignis aus der Bahn geworfen zu werden ( ▶ Abb. 2.3). Je besser die Einbindung in soziale Gruppen, je höher der Bildungsstand und je besser das wirtschaftliche Auskommen, desto geringer ist das Risiko für eine psychiatrische Erkrankung und damit für einen...
Erscheint lt. Verlag | 10.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie |
Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde | |
Schlagworte | Ausbildung • Heilpraktikeranwärter Psychotherapie • Heilpraktikerprüfung • Heilpraktikerprüfung Psychotherapie • Heilpraktiker Psychotherapie • Lehrbuch • Lernskript • Prüfungstipps • Prüfungsvorbereitung • Psychiatrische Notfälle • Selbstlernsystem |
ISBN-10 | 3-13-245671-3 / 3132456713 |
ISBN-13 | 978-3-13-245671-6 / 9783132456716 |
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