Dysphagien im Alter erkennen und behandeln (eBook)
182 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042199-8 (ISBN)
Monika Hübner, Logopädin, M.Sc./Demenzstudien, Systemische Beraterin und Therapeutin (SG), tätig am AGAPLESION BETHANIEN KRANKENHAUS Heidelberg.
Monika Hübner, Logopädin, M.Sc./Demenzstudien, Systemische Beraterin und Therapeutin (SG), tätig am AGAPLESION BETHANIEN KRANKENHAUS Heidelberg.
6 Dysphagien im Alter
Das Risiko, eine Oropharyngeale Dysphagie (OD) zu entwickeln, steigt bei älteren Menschen und geriatrischen Patienten mit zunehmendem Alter unabhängig von einer Grunderkrankung an (Muhle et al., 2019; Warnecke et al., 2019). Eine OD stellt einen unabhängigen Prädiktor für schwerwiegende Komplikationen im Behandlungsverlauf dar (Muhle et al., 2015), hat Auswirkungen auf die bedarfsdeckende und sichere orale Aufnahme von Essen und Trinken und kann zudem die regelmäßige und sichere Einnahme von Medikamenten in fester oder flüssiger Form beeinträchtigen. Darüber hinaus führt sie zu weitreichenden, teils lebensbedrohlichen oder lebensbegrenzenden Folgen und Komplikationen und schränkt die individuelle Lebensqualität der Betroffenen in erheblichem Maße ein. Demgegenüber schätzen mehr als 23 % der Betroffenen eine Dysphagie im Alter als Teil des normalen Alterungsprozesses ein (Chen et al., 2009).
6.1 Prävalenz von Dysphagien im Alter
Die Prävalenz, d. h. die Auftretenshäufigkeit von Dysphagien bei älteren Menschen bzw. geriatrischen Patienten, variiert stark je nach zugrundeliegender Grunderkrankung, Ausprägung und Schweregrad der Oropharyngealen Dysphagie, der sozialen und Lebenssituation (ob beispielsweise selbstständig zu Hause oder in einer Einrichtung lebend oder im Rahmen einer akutstationären Versorgung) und damit einhergehend mit dem individuell notwendigen Unterstützungsbedarf.
Im Allgemeinen besteht bei geriatrischen Patienten mit multifaktoriellen Erkrankungen eine hohe Dysphagieprävalenz, welche im Alter zunimmt und mit einer erhöhten Komorbidität, schlechteren Behandlungsoutcomes und einer erhöhten Mortalitätsrate einhergeht (Olesen et al., 2021; Warnecke et al., 2019; Melgaard et al., 2018; Smithard, 2016; Takizawa et al., 2016; Baijens et al., 2016).
Morbidität, Morbiditätsrate: bezieht sich auf die Häufigkeit von Erkrankungen innerhalb einer Population
Multimorbidität, syn. Komorbidität: zwei oder mehrere gleichzeitig auftretende, behandlungsbedürftige Erkrankungen bei einer Person
Mortalität, Mortalitätsrate: Sterblichkeit, Sterblichkeitsrate, bezieht sich auf die Anzahl der Todesfälle einer bestimmten Population in einem definierten Zeitraum
Nachfolgend werden die Prävalenzangaben von Dysphagien bei älteren Menschen und geriatrischen Patienten unter Berücksichtigung ihrer Lebenssituation und Grunderkrankung tabellarisch (▸ Tab. 1) zusammengefasst (Olesen et al., 2021; Espinosa-Val et al., 2020; Muhle et al., 2019; Prosiegel, 2018b; Baijens et al., 2016; Smithard, 2016; Alagiakrishnan et al., 2013):
Tab. 1:Prävalenzangaben von Dysphagien bei älteren Menschen und geriatrischen Patienten in % (Olesen et al., 2021; Espinosa-Val et al., 2020; Muhle et al., 2019; Prosiegel, 2018b; Baijens et al., 2016; Smithard, 2016; Alagiakrishnan et al., 2013)
Prävalenzangaben | Prozentualer Anteil (%) |
---|
selbstständig zu Hause lebend | 11,4 % bis 40 % |
institutionalisiert/in einer Einrichtung lebend | 38 % bis 60 % |
geriatrische Krankenhauspatienten | 29,4 % bis > 70 % |
im Krankenhaus mit erworbener Pneumonie | 55 % bis 91,7 % |
bei Z. n. akutem Schlaganfall | 37 % bis 78 % |
bei Z. n. Schlaganfall (chronisch) | 25 % bis 81 % |
bei Pat. mit M. Parkinson | 82 % |
bei Pat. mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) | 47 % bis 86 %, im Verlauf fast immer |
bei Pat. mit Multipler Sklerose (MS) | 30 % bis 40 % |
bei Pat. mit Demenz (abhängig von Stadium, Form und Untersuchungssetting) | 13 % bis 93 % |
bei Pat. mit progressiver supranukleärer Blickparese (PSP; syn. Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom) | ca. 80 % |
bei Pat. mit Multisystematrophie (MSA) | ca. 70 % |
Neben neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen, die mit der höchsten Dysphagieprävalenz einhergehen (Warnecke et al., 2019), entwickeln außerdem folgende Patientengruppen eine Dysphagie:
- ·
Patienten mit oder bei Z. n. Kopf-Hals-Tumoren zu 43,3 % (Pezdirec et al., 2019),
- ·
mit Trachealkanülen oder (Langzeit-)Beatmung in über 80 %,
- ·
mit orthopädischen Erkrankungen und Frakturen bzw. nach operativen Eingriffen im Bereich der Halswirbelsäule bis zu 80 % oder
- ·
mit hohen Querschnittslähmungen und damit verbundenen Läsionen des Rückenmarks in bis zu 16,5 % der Fälle (Kirshblum et al., 1999; zitiert nach Prosiegel, 2018b).
Prävalenzdaten von geriatrischen Patienten mit Dysphagien im palliativmedizinischen Behandlungskontext liegen aktuell nur begrenzt vor. Bogaardt et al. (2015) berichten von einem höheren Auftreten von Dysphagien bei Patienten mit nichtmaligner im Vergleich zu jenen mit maligner Grunderkrankung. Zudem wird die Inzidenz von Schluckbeschwerden bei nichtsedierten, sterbenden Patienten 72 Stunden vor ihrem Tod mit bis zu 79 % angegeben (Bogaardt et al., 2015). Bausewein et al. (2012) beziffern das Auftreten von Dysphagien bei schwerstkranken Patienten im palliativen Kontext im Allgemeinen mit 90 %.
6.2 Klinische Hinweise auf eine Dysphagie im Alter
Verschiedenste klinische Hinweise und Symptome können auf eine Störung des Essens und Trinkens, auf eine beeinträchtigte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme bzw. auf eine Oropharyngeale Dysphagie hindeuten. Ebenso können unterschiedliche, am Sprechen oder an der Schlucksequenz beteiligte Strukturen oder Veränderungen im Mund-, Rachen- und Kehlkopfbereich auf eine Schluckstörung hinweisen, wie nachfolgender Kasten 1 überblickend zusammenfasst (▸ Kasten 1):
Kasten 1: Klinische Hinweise und Symptome einer Dysphagie (ergänzt aus: Hübner, 2021a, S. 24)
- ·
eine feucht, brodelig oder nass klingende Stimme/Stimmgebung, sog. wet voice
- ·
sich verändernde oder zunehmende inspiratorische oder exspiratorische Atemgeräusche
- ·
ein vermehrtes oder zunehmendes Räuspern während des Essens oder Trinkens
- ·
ein vermehrtes oder zunehmendes Husten während des Essens oder Trinkens
- ·
ein vermehrtes oder zunehmendes Räuspern unmittelbar nach dem Essen oder Trinken
- ·
ein vermehrtes oder zunehmendes Husten unmittelbar nach dem Essen oder Trinken
- ·
eine verlängerte orale Kau- und Präparationsphase
- ·
das Verbleiben von Nahrungsresten oder Medikamenten in Mund, Wangentasche oder auf bzw. unter der Zunge
- ·
ein verzögerter oraler Transport von Essen, Trinken und/oder Medikamenten
- ·
damit einhergehend ein verzögertes Abschlucken von Essen, Trinken und/oder Medikamenten
- ·
das fehlende Auslösen der Schlucksequenz
- ·
damit einhergehend die Unfähigkeit, Essen, Trinken, Medikamente oder Speichel und Sekrete im Mundbereich nach posterior zu transportieren und zu schlucken
- ·
Essen und Trinken gelangen vor Auslösen der Schlucksequenz in den Rachen (posteriores Leaking)
- ·
das Herauslaufen von Essen oder Trinken aus Mund (anteriores Leaking) oder Nase
- ·
das pathologische Auslösen des Beiß- oder...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2023 |
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Zusatzinfo | 50 Abb., 4 Tab. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Pflege |
Schlagworte | Altenpflege • Demenz-Pflege • Schluckstörungen |
ISBN-10 | 3-17-042199-9 / 3170421999 |
ISBN-13 | 978-3-17-042199-8 / 9783170421998 |
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