Mutschler Arzneimittelwirkungen -  Gerd Geisslinger,  Sabine Menzel,  Thomas Gudermann,  Burkhard Hinz,  Peter Ruth

Mutschler Arzneimittelwirkungen (eBook)

Pharmakologie - Klinische Pharmakologie - Toxikologie
eBook Download: EPUB
2019 | 11. Auflage
100 Seiten
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
978-3-8047-4055-6 (ISBN)
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Pharmakodynamik


Einleitung

Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkung und den Wirkungsmechanismus von Arzneistoffen am tierischen oder menschlichen Organismus sowie an Mikroorganismen und Parasiten. Spezifisch wirkende Substanzen wie z. B. Neurotransmitter, Mediatoren, Hormone und Zytokine interagieren mit definierten körpereigenen Zielmolekülen. Diese Interaktion kann mit den Methoden der Pharmakodynamik exakt beschrieben werden. Die meisten Arzneistoffwirkungen beruhen auf charakteristischen Wirkungsmechanismen, die für ein Verständnis der oftmals komplexen Medikamentenwirkungen in der Klinik essenziell sind. Die Grundzüge der Pharmakodynamik bilden daher die Grundlage für eine rationale Arzneimitteltherapie.

Die Pharmakodynamik umfasst:

  • die Art der Wirkung (Wirkprofil, Wirkqualität),
  • den Wirkungsmechanismus,
  • den Ort der Wirkung,
  • die Wirkstärke (Potenz; engl. potency) und
  • die Wirksamkeit (Effektivität; engl. efficacy).

Spezifisch wirkende Substanzen interagieren mit Proteinen wie Rezeptoren, Transportern und Enzymen, aber auch mit DNA, RNA oder Lipiden. Sie wirken bereits in niedrigen Dosierungen bzw. Konzentrationen (meist im nano- oder mikromolaren Bereich) und ihr Effekt hängt von der chemischen Struktur und damit von der Form, Größe und stereochemischen Anordnung des Moleküls wie von der Lage funktioneller Gruppen im Molekül und der Elektronenverteilung ab.

Verbindungen mit Angriff an demselben Zielmolekül besitzen vielfach gemeinsame Strukturelemente, sog. pharmakophore Gruppen, in entsprechender räumlicher Anordnung (vgl. z. B. ACE-Hemmer, Kap. 28.2.1 und Betablocker, Kap. 24.2, Kap. 33).

Zur spezifischen Wirkung gehört auch, dass ein Pharmakon möglichst selektiv an den genannten Strukturen angreift. Da bei den meisten Arzneistoffen diese Forderungen nur unvollständig erfüllt sind oder wenn die gleichen Zielmoleküle an verschiedenen Zelltypen bzw. Geweben vorkommen, muss neben der erwünschten Hauptwirkung auch mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW, Nebenwirkungen, Kap. 4) gerechnet werden.

Auf molekularpharmakologischer Ebene gehört zur Spezifität und Wirksamkeit, dass das Pharmakon mit ausreichender Affinität an sein Zielmolekül bindet und darüber hinaus die Fähigkeit besitzt, infolge dieser Bindung dessen Funktion zu steigern oder zu hemmen.

Von der amerikanischen Zulassungsbehörde für Arzneimittel, der Food and Drug Administration (FDA), sind Arzneistoffe mit Angriff an mehr als 600 unterschiedlichen Zielstrukturen zugelassen.

Unspezifisch wirkende Substanzen sind dadurch charakterisiert, dass sie

  • nicht spezifisch mit endogenen Verbindungen reagieren und
  • sich bei nicht zu tiefgreifender chemischer Abwandlung in ihrer Wirkung kaum verändern.

Allerdings gehören nur sehr wenige Verbindungen zu dieser Art von Pharmaka. Beispiele sind Osmolaxanzien bzw. Osmodiuretika ( Kap. 55.4.2) sowie einige Desinfektionsmittel ( Kap. 88).

Wirkungsmechanismen. Beispiele für charakteristische Wirkungsmechanismen von Pharmaka sind in Tab. 2.1 zusammengestellt.

Tab. 2.1 Wirkungsmechanismen von Pharmaka

Art des Mechanismus

Beispiele

Interaktion mit membranständigen Rezeptoren

Rezeptorstimulation

Erregung von Adrenozeptoren durch Sympathomimetika ( Kap. 23),

Erregung von Muscarinrezeptoren durch direkte Parasympathomimetika ( Kap. 25)

Rezeptorblockade

Hemmung von Adrenozeptoren durch α- oder β-Adrenozeptor-Antagonisten ( Kap. 24),

Blockade von Histaminrezeptoren durch H1- und H2-Antihistaminika ( Kap. 2.1.7)

Beeinflussung von nukleären Rezeptoren

Stimulation von nukleären Rezeptoren

Stimulation des Schilddrüsenhormonrezeptors durch Triiodthyronin ( Kap. 61.2),

Stimulation von PPARy durch Glitazone ( Kap. 60.6.2)

Hemmung von nukleären Rezeptoren

Hemmung des Mineralocorticoidrezeptors durch Eplerenon ( Kap. 55.4.1)

Beeinflussung spannungsabhängiger Ionenkanäle

Öffnung spannungsabhängiger Ionenkanäle

Öffnung von Kaliumkanälen durch Kaliumkanalöffner (z. B. Minoxidil Kap. 28.2.7)

Blockade spannungsabhängiger Ionenkanäle

Schließen von Natriumkanälen durch Lokalanästhetika ( Kap. 17),

Blockade von Calciumkanälen durch Calciumkanalblocker ( Kap. 28.2.4)

Interaktion mit Transportern

Hemmung von aktiven Transportprozessen

Hemmung der Wiederaufnahme von Monoaminen durch Antidepressiva ( Kap. 10.4, Kap. 10.5),

Hemmung der vesikulären Speicherung von Monoaminen durch Reserpin ( Kap. 24.3.2)

Hemmung von Carriern

Hemmung des Na+/K+/2Cl-Kotransporters durch Schleifendiuretika vom Furosemidtyp ( Kap. 55.3),

Hemmung des Na+/Cl-Kotransporters durch Thiazide ( Kap. 55.2)

Enzymbeeinflussung

Enzymaktivierung

Aktivierung von Plasmin durch Alteplase ( Kap. 39.1),

Stimulation der Guanylylcyclase durch NO ( Kap. 33.2.1)

Enzymbeeinflussung

Enzymhemmung

Hemmung der Prostaglandinsynthese durch nichtsteroidale Antiphlogistika ( Kap. 15.3.2),

Hemmung der Acetylcholinesterase durch indirekte Parasympathomimetika ( Kap. 25.2),

Hemmung des Angiotensin-Konversionsenzyms durch ACE-Hemmer ( Kap. 28.2.1)

Beeinflussung von Biosynthesen in Mikroorganismen

Hemmung der Zellwandsynthese von Bakterien

bakterizide Wirkung von Betalactam-Antibiotika ( Kap. 82)

Störung der Proteinsynthese von Bakterien

bakteriostatische Wirkung von Tetracyclinen ( Kap. 82.3.1)

Störung der Folsäuresynthese

bakteriostatische Wirkung von Sulfonamiden ( Kap. 82.5.2)

Arzneistoffe wirken insbesondere durch:

  • Interaktion mit membranständigen Rezeptoren (Rezeptorstimulation oder -blockade),
  • Öffnen oder Blockieren von spannungsabhängigen oder ligandengesteuerten Ionenkanälen,
  • Regulation der Gentranskription durch Bindung an intrazelluläre Rezeptoren,
  • Beeinflussung von transmembranären oder intrazellulären Transportern,
  • Hemmung oder Aktivierung von Enzymen sowie
  • Störung von Biosynthesen in Mikroorganismen.

Auf weitere Wirkungsmechanismen, wie z. B. die von Antimetaboliten, Antikörpern oder mit der DNA bzw. RNA reagierenden Wirkstoffen wird in den entsprechenden Kapiteln eingegangen.

Im Folgenden werden körpereigene Liganden vorgestellt, die mit Arzneimittelzielstrukturen wechselwirken.

2.1Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen


2.1.1Neurotransmitter – Amine


Neurotransmitter sind endogene chemische Substanzen im peripheren und zentralen Nervensystem, die eine Signalweitergabe über chemische Synapsen ermöglichen. Es handelt sich bei ihnen um extrazelluläre Botenstoffe, sog. first messenger, die die Kommunikation zwischen Neuronen oder anderen Zelltypen sicherstellen und eine Vielzahl biologischer Antworten hervorrufen. Die genaue Zahl endogener Substanzen, die eine Rolle als Neurotransmitter spielen, ist unbekannt. Mehr als 100 verschiedene chemische Botenstoffe konnten bisher identifiziert werden.

Die Kriterien für die Identifizierung einer chemischen Substanz als Neurotransmitter sind die gleichen, die Otto Loewi bei der Entdeckung der chemischen Neurotransmission bereits 1921 prinzipiell zugrunde gelegt...

Erscheint lt. Verlag 18.12.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie
Schlagworte Arzneimittelinformation • Arzneimittelwirkungen • Für Studium und Fortbildung • Klinische Pharmakologie • Medikamente • Medizin • Mutschler • Pharmakologie • Pharmazie • Toxikologie • Wirkmechanismen • Wirkstoffe
ISBN-10 3-8047-4055-3 / 3804740553
ISBN-13 978-3-8047-4055-6 / 9783804740556
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