1365. Abgrund (eBook)
332 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-7992-1 (ISBN)
Gwénola Brux hat galloromanische und iberoromanische Philologie, sowie Philosophie an der Universität Würzburg studiert. Sie lebt mit ihrer Familie in Würzburg und liebt Bücher, die Bretagne und lange Waldspaziergänge mit ihrem Hund. "1365 - Das Erwachen" war ihr erster Roman.
JEANNE
Folkvin hatte das Steuer übernommen und gab sich alle Mühe, das Boot aus der Brandung zu lenken. Immer wieder krachten die aufsteigenden Wellen gegen das Boot und schon nach kurzer Zeit waren sie alle vollkommen durchnässt. Als sie schließlich in ruhigere Gewässer kamen, hisste er das Segel und Nolwenn und Ivar begannen wortlos zu rudern. Das gerade Erlebte stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben und selbst Jeanne schien aufgewühlt zu sein, denn Tränen rannen ihr über die Wangen.
Folkvin räusperte sich, wollte etwas sagen, um seine Gefährten aufzumuntern, doch er fand keine Worte, denn sie würden im Anbetracht der Umstände ohnehin wie Hohn klingen. Und so schwieg auch er, ließ sich erschöpft wieder auf die kleine Bank fallen und hielt den Kurs hinaus aufs offene Meer in Richtung der kleinen Insel, die sie schon bald in einiger Entfernung erblicken würden. Sein Blick schweifte immer wieder an den Strand, er beobachtete die Gestalten, die immer kleiner wurden, bis er sie schließlich nur noch als winzige, schwarze Punkte ausmachen konnte. Sein Herz schlug schwer in seiner Brust und er fühlte eine Traurigkeit, die ihre Fühler in jeden Winkel seines Körpers ausgestreckt hatte. Folkvin fragte sich wieder einmal, ob er Halfdan und auch Belana jemals wiedersehen würde, doch diesmal schwang in seinen Gedanken keine Hoffnung mit.
In sich gesunken starrte er auf das dunkle Meer, versuchte, seine Empfindungen zu ordnen, doch immer wieder verspürte er einen Anflug von Wut auf Jeanne, die Person, die durch die brennende Kerze ihre Flucht vereitelt hatte, doch auch sich selbst verfluchte er dafür, sie nicht daran gehindert zu haben Was war er doch für ein Anführer, dass er im Angesicht der drohenden Gefahr nicht richtig gehandelt hatte und sie stattdessen alle ins Verderben hatte laufen lassen! Er fühlte, dass ihn jemand ansah und hob den Blick. Nolwenn blickte ihn ernst an und schüttelte den Kopf. »Es war nicht deine Schuld!«, sagte sie ruhig. Folkvin schnaubte angestrengt und räusperte sich, ohne etwas sagen zu können.
Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie die île de Groix. Folkvin steuerte eine kleine, von riesigen Felsen umrahmte Bucht an und sanft trugen die Wellen das Boot in Richtung Küste. Als sie den Strand erreichten, war die Dunkelheit bereits vollends hereingebrochen. Ivar half den Frauen aus dem Boot und er und Folkvin zogen das Boot aus dem Wasser.
»Und jetzt?«, fragte Ivar keuchend. Folkvin blickte sich einen Moment um, um seine Orientierung wiederzufinden. Dann deutete er auf einen schmalen Pfad, der die Küste entlang nach oben auf die Anhöhe führte. »Dort lang!«, sagte er schlicht. Müde stapften sie hintereinander durch den Sand, keiner sprach ein Wort und alle spürten die Ereignisse der letzten Tage tief in ihren Knochen. Obwohl er in den vergangenen Tagen immer wieder an diesen Ort gedacht hatte, verspürte Folkvin diesmal keine Freude, wieder hier zu sein.
Sie folgten dem Trampelpfad oberhalb der Bucht. In regelmäßigen Abständen schlugen die tosenden Wellen gegen die schwarz schimmernden Felsen, ein leichter Wind war aufgekommen und der Mond schien hell am Himmel. In der Ferne ertönte der durchdringende Schrei einer Eule und das Kreischen eines Tiers drang aus dem dunklen Wald an ihre Ohren. Die Gruppe durchquerte ein kleines Waldstück, bevor sie sich schließlich auf einer weiten und kargen, felsigen Ebene wiederfanden. Folkvin deutete in die dunkle Nacht hinein.
»Dort ist mein Hof!«, murmelte er müde und fuhr sich erschöpft mit beiden Händen über das Gesicht. Er konnte es kaum erwarten, sich zur Ruhe zu legen, um etwas Schlaf zu finden und so ging er schnellen Schrittes voran, während seine Gefährten ihm stolpernd durch die Dunkelheit folgten. Schemenhaft erkannten sie die Umrisse eines kleinen Gebäudes mit einer anliegenden Scheune und auf dem Hof einen gemauerten Brunnen. Als sie näher kamen, bliebt Jeanne stehen und zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Was soll das? Ich werde nicht in diesem Drecksloch schlafen!«, rief sie verärgert aus und drehte sich hilfesuchend nach Ivar um. Die Holzhütte hatte mit Sicherheit schon bessere Tage gesehen, die Fenster waren mit Holzplanken vernagelt, das Dach hatte Löcher und die Tür hing schief in den Angeln. Auch die Scheune war heruntergekommen, das Holz war an manchen Stellen verfault und auf dem Boden konnte man die Schatten zahlreicher, umherhuschender Ratten entdecken. Folkvin spürte die Wut in sich hochsteigen, denn es gefiel ihm ganz und gar nicht, wie die Herzogin über den Hof, den er aus eigener Kraft errichtet hatte, urteilte und so warf er Jeanne einen raschen Blick zu, bemühte sich für einen Augenblick, Ruhe zu bewahren, doch er wusste im selben Moment, dass ihm das diesmal nicht gelingen würde. Das dumpfe Mondlicht verformte sein Gesicht zu einer maskenhaften Fratze und Jeanne trat vor Schreck einen Schritt zurück, als er ihr näher kam, bevor er dicht vor ihr stehenblieb.
»Weib!«, spuckte er aus. »Pack deine Sachen und verschwinde von hier! Ich will dich hier nicht mehr sehen! Du hast uns nichts als Unglück gebracht und stellst noch immer Ansprüche! Wir hätten dich ins Meer werfen sollen!«, sprach er mit gefährlich leiser Stimme.
Ivar griff nach seinem Arm. »Folkvin! Hör auf!«, bat er mit rauer Stimme, auch wenn er längst wusste, dass jener diesmal nicht mit sich reden lassen würde.
Folkvin riss sich los und stieß einen zornigen Schrei aus. »Du auch! Nimm dieses Weib und verschwindet beide! Vor morgen früh will ich euch nicht mehr sehen!«, zischte er und wandte sich von ihnen ab, um die wackelige Tür seiner Hütte zu öffnen.
Er hielt kurz inne und deutete dann mit einer Kopfbewegung zum Holzschuppen. »Ihr könnt in der Scheune schlafen!«, knurrte er.
Jeanne wollte etwas erwidern, doch Ivar hielt sie mit einem Kopfschütteln zurück. Er kannte Folkvin, wusste, dass er nicht schnell wütend wurde, doch wenn es denn soweit war, konnte er der Person, auf die sich sein Zorn richtete, nur raten, schnellstmöglich das Weite zu suchen. Er selbst merkte, wie ungehalten er über die unbedachte Bemerkung der Herzogin war, denn sie alle waren nach der langen Flucht müde und das letzte, was sie nun brauchen konnten, war ein sinnloser Streit bezüglich der mangelnden Bequemlichkeit ihrer Unterkunft.
»Was?«, entgegnete Jeanne nun herrisch. »Soll ich mir das etwa gefallen lassen?«
Ivar stöhnte müde auf, schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über sein langes Haar. Er drehte sich zu Jeanne um, versetzte ihr mit der flachen Hand eine Ohrfeige und deutete auf die Scheune. »Es reicht! Geh dort hinein und warte auf mich!«, rief er zornig. Er hatte genug von diesen kapriziösen Anwandlungen, wollte endlich seine müden Glieder ausstrecken und Schlaf finden und im Augenblick verspürte er den dringenden Wunsch, der Herzogin eine ordentliche Lektion zu erteilen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Nolwenn fuhr erschrocken herum und auch Folkvin hielt in seinem Versuch, die Tür aufzustoßen, inne und starrte Ivar wortlos an. Jeanne hielt sich erschrocken die linke Wange, stieß einen weinerlichen Laut aus, doch gehorchte schließlich wortlos.
»Störrisches Weibsbild!«, fluchte Ivar leise und ging zum Brunnen, um Wasser mit einem Eimer zu schöpfen.
Er zog sich sein blutbeflecktes Hemd über den Kopf und begann, sich zu waschen. Seine Muskeln schmerzten, unerbittliche Kopfschmerzen plagten ihn und die Verletzungen in seinem Gesicht machten ihm noch immer zu schaffen, doch das eisige Wasser erweckte seine Lebensgeister und minderte den Schmerz etwas. Nachdem er sich gewaschen hatte, trank er und kippte sich den Rest des Eimers über den Kopf. Er schöpfte erneut Wasser aus dem Brunnen und warf einen Blick zu der Hütte, doch die Tür hatte sich hinter Nolwenn und Folkvin bereits geschlossen. Seufzend hob er den Eimer hoch und marschierte in Richtung Scheune. Er stieß die Tür mit einem Fuß auf und fand Jeanne auf dem Heuboden sitzend vor. Sie starrte ihn mit wütend funkelnden Augen an und hielt sich noch immer die Wange. Er stellte den Eimer Wasser vor ihr ab und begutachtete die Scheune. Das Stroh auf dem Boden sah trocken aus und würde ihnen eine ausreichend bequeme Schlafstätte bieten. Er nickte zufrieden und seufzte »Wasch dich, wenn du willst!«, murmelte er dann an Jeanne gewandt und legte seine Waffen ab.
»Willst du dich nicht entschuldigen?«, zischte die Herzogin mit bebender Stimme. Ivar sah nicht auf, öffnete seinen Gürtel und ließ ihn zu Boden gleiten, bevor er seinen Mantel nahm, ihn auf dem Boden ausbreitete und sich darauf niederließ.
»Es war ein Fehler!«, sagte er ruhig, rückte sich einen Heuballen als Kissen zurecht und schloss seufzend die Augen.
»Das war es ganz bestimmt! Ich bin von adeligem Blut und du hast mich nicht zu berühren!«, presste Jeanne aus zusammengekniffenen Lippen hervor. Ivar öffnete die Augen und blinzelte....
Erscheint lt. Verlag | 28.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7693-7992-6 / 3769379926 |
ISBN-13 | 978-3-7693-7992-1 / 9783769379921 |
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