Rabentage (eBook)

Tales of Transformation IV

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 8. Auflage
272 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-6751-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rabentage -  Judith Sixel
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'Rabentage' ist das vierte Buch der fünfbändigen Reihe 'Transformation'. Ein Arzt steigt aus. Er hält die Menschheit für unheilbar krank. Homo pestis lautet seine Diagnose. In der Einsamkeit der Berchtesgadener Alpen entwickelt er eine radikale 'Therapie'. Aber er hat nicht mit einer weißen Dohle gerechnet, die ihm folgt und mit menschlichen und tierischen Kräften gegen ihn ermittelt. 'Versuchen Sie auch manchmal, sich vorzustellen, wie es wäre, ein Tier zu sein?' 'Wie meinen Sie das? Woher wissen Sie ...' 'Aber das ist doch nichts Besonderes', meinte der Arzt. 'Solche Gedanken hat doch jeder mal ... Also, ich würde bisweilen gern mit einem Tier tauschen. Einfach mal Kolkrabe sein. Oder ein Adler, das hätte was. Es gibt hier echte Steinadler, haben Sie schon welche gesehen?' Mehr Bücher und ein persönlicher Blog der Autorin unter: judith-sixel.com.

Judith Sixel ist ausgebildete Krankenschwester und Doktorin der Philosophie. Sie hat als Haus- und Familienfrau, Deutschlehrerin, Briefseelsorgerin und freie Lektorin gearbeitet, hat Schreibwerkstätten geleitet und als Schreibcoach und Ghostwriterin anderen zum Buch verholfen. Heute genießt sie die Freiheit, ihre eigenen Buchideen zu verwirklichen.

Judith Sixel ist ausgebildete Krankenschwester und Doktorin der Philosophie. Sie hat als Haus- und Familienfrau, Deutschlehrerin, Briefseelsorgerin und freie Lektorin gearbeitet, hat Schreibwerkstätten geleitet und als Schreibcoach und Ghostwriterin anderen zum Buch verholfen. Heute genießt sie die Freiheit, ihre eigenen Buchideen zu verwirklichen.

Wie ein Arzt zu einer niederschmetternden Diagnose kam und auf Abhilfe sann


 

Es war noch sehr früh am Morgen, die Gestalt der Berge in Nacht verborgen, die Reußkopfalm in paradiesische Stille gehüllt. Noch schickte kein Schiff seine Trompetenstöße vom See herauf, noch tränkte keine Bergbahn die grüne Hochebene mit Menschenmassen – hier hießen sie Touristen. Nur Vogelgezwitscher und Wasserplätschern aus dem hölzernen Brunnen, an dem Arthur sich wusch. So eine Stille erlebte man in der Stadt nie. Schon um ihretwillen hatte es gelohnt, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen.

Seit drei Monaten wohnte er in der schlichten Holzhütte hoch über dem Königssee. Wenn er sein ganzes Leben mit einem Tag verglich, so erschienen ihm die neunundfünfzig Jahre, die er in der Großstadt verbracht hatte, wie eine gehetzte halbe Stunde, während die Zeit hier oben die restlichen dreiundzwanzigeinhalb Stunden ausmachte. Zum ersten Mal in seinem Leben bewohnte er eine Stätte, die er als sein Zuhause empfand.

Die vormals bewirtschaftete Alm war voll eingerichtet. Strom lieferte eine kleine Solaranlage auf dem Dach. Das Wasser holte er sich aus dem Brunnen. Kalt. Es machte ihn morgens sofort wach, dafür hätte er früher zwei Tassen starken Kaffee gebraucht. Für ein Jahr hatte er den Mietvertrag unterschrieben. Zu einem Preis, für den man in Köln nicht mal eine Garage bekam!

Den Eigentümer hatte er nicht zu Gesicht bekommen. Der Alte sei dement, hieß es, und im Heim. Solange er lebte, sollte die Alm nur vermietet, nicht verkauft werden. Arthur hatte mit dem Sohn gesprochen, Versicherungsmakler, beruflich viel unterwegs, der sich nicht für die Alm interessierte. Dass sein Vater hier über Sommer einen beliebten Schnapsausschank betrieben hatte, erwähnte der gerissene Makler nicht. Das erfuhr Arthur erst, als die Leute in Scharen bei ihm einfielen, den Brunnen verdreckten und die Bänke demolierten, weil sie weder Brotzeit noch Schnaps bekamen.

Er hatte es sich angewöhnt, über Tag Reißaus zu nehmen. Sobald der Trubel losging, spätestens ab zehn, verrammelte er die Alm und unternahm lange Touren durch den Nationalpark, meist von der Hütte aus. Manchmal fuhr er auch mit dem Auto, das unten an der Seelände parkte, in eines der Paralleltäler, wanderte zu einer bewirtschafteten Alm oder einfach ziellos vor sich hin, bis er müde war. Hier fand keiner es merkwürdig, dass der Doktor am hellen Tag durch die Gegend lief.

Er genoss die würzige Luft, so roch es in seiner Praxis nie, ging den Menschen nach Möglichkeit aus dem Weg und kam erst zurück, wenn das letzte Boot angelegt hatte, die letzte Seilbahn zu Tal geschwebt war und endlich wieder Ruhe über dem See einkehrte.

„Vorübergehend keine Bewirtschaftung“, stand an dem Gatter, das er als Erste-Hilfe-Maßnahme errichtet hatte. Der Tourismusverwaltung passte das nicht. Direktor Brandauer – „Kannst Alois zu mir sagen!“ – hatte ihm prompt einen Besuch abgestattet und wollte ihn beim gemeinsamen Schnapserl überreden, die Absperrung zu entfernen und die beliebte Alm wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einem seiner Cousins gehörte die örtliche Schnapsbrennerei. Brandauer erbot sich, mit dem Cousin zu reden, um optimale Einkaufsbedingungen für Arthur herauszuhandeln. Alle hätten sie was davon, Arthur, die Brennerei, die Kurverwaltung und nicht zuletzt die Touristen. Eine Win-win-win-win-Situation!

Arthur lehnte ab. Dafür war er nicht der Zivilisation entflohen, um in den Bergen den Mundschenk für Schnapsdrosseln zu geben!

 

Hätte er sich früher über die Vorgeschichte der Alm kundig gemacht, so hätte er den Mietvertrag gar nicht erst unterschrieben. Aber es war ja nur für ein Jahr. Die Möglichkeit, sich nach einer anderen Hütte umzusehen, stand ihm jederzeit offen. Das Wenige, das er mitgebracht hatte, wäre schnell verstaut.

Es dürfte allerdings nicht leicht werden, eine Bleibe mit vergleichbarem Ausblick zu finden. Die Reußkopfalm lag unmittelbar gegenüber dem Watzmann-Massiv, das ihm jeden Tag ein anderes Gesicht zeigt. Jetzt im Morgenrot glühten die Steilwände, als wärmten sie sich gegenseitig und erzählten sich was: der hohe, aufrechte Hauptgipfel und der ihm zugeneigte, niedrigere Gipfel mit den kleineren Erhebungen, wie ein Patriarch mit Frau und fünf Kindern. Man konnte verstehen, dass der Anblick die Dichter und Märchenerzähler seit jeher zu allerlei Mythen und Legenden inspiriert hatte.

Dr. Arthur Friedland war kein Dichter. Er war Arzt. Doch dem Zauber des Bergmassivs konnte auch er sich nicht entziehen. In der Einsamkeit entwickelte er eine persönliche Beziehung zu den einzelnen Zacken und kommunizierte mit ihnen wie mit seinesgleichen, vor allem dem höchsten, den er den Alten nannte. Wann immer es sich anbot, vor allem frühmorgens und abends bei Sonnenuntergang, saß er mit seinem Skizzenblock vor der Hütte und zeichnete. Er hätte auch fotografieren können, so wie alle anderen es taten, aber er hatte nicht mal mehr eine Kamera. Er, der in mehr als dreißig Berufsjahren immer mehr vom Humanmediziner zum Apparatediener mutiert war, hatte sich ein Jahr Gerätefasten verordnet.

Nicht, als könnte er sonderlich gut zeichnen. Aber er kannte mittlerweile den genauen Linienverlauf und hielt aufmerksam die wechselnde Stimmung des Bergmassivs fest, bedingt durch Tageszeit und Wetterlage. Jetzt, da die Sonne ihre ersten Strahlen über die steilen Bergkämme warf, fand gerade wieder eine geheimnisvolle Verwandlung statt. Seine Majestät, König Watzmann, hielt Hof vor einer Kulisse aus rot glänzendem Gold.

Von den Menschen, die er hinter sich gelassen hatte, vermisste er keinen. Aber den Alten würde er vermissen. Er zeichnete ihn mal scharf konturiert, mal in weiche Nebelschleier gehüllt, hinter Wolken versteckt oder von Streifen aus Stein und Staub bedeckt, die der Wind zu Tal trieb. Sein Skizzenblock enthielt nur Schwarzweißzeichnungen, immer dasselbe Motiv aus derselben Perspektive, doch kein Bild glich dem anderen.

 

Wenn er früher mit der Familie Urlaub in den Bergen gemacht hatte, waren sie ihm wie tote Wände erschienen, beklemmend, bedrückend. Jetzt hingegen begannen die Berge mit ihm zu sprechen, und sie sprachen von einem Leben, das einen so viel längeren Atem hatte als das Ameisentreiben der Winzlinge, die sich zu ihren Füßen abmühten und beim kleinsten Wind davongewirbelt wurden. Erst letzte Woche mussten wieder zwei Jungs aus der Ostwand geholt werden. Er hatte sie mit dem Fernglas verfolgt und später auch dazu Skizzen angefertigt.

Das Zeichnen war ihm mehr als nur ein anregender Zeitvertreib. Es war eine Form der meditativen Versenkung, die ihn innerlich zu einem Teil dieser steinernen Welt machte. In demselben Maße wuchs sein Abstand zu den Menschen.

Eigentlich hatte er gehofft, im Nationalparkgebiet den zerstörerischen Folgen der menschlichen Zivilisation entfliehen zu können. Etwas anderes als Flucht erschien ihm aussichtslos. Was konnte ein Einzelner schon gegen die Übermacht wirtschaftlicher und politischer Interessen ausrichten? Selbst wenn man sich zum Widerstand organisierte, vielleicht sogar an der einen Stelle einen Erfolg erzielte, so wurde die Erde an anderer Stelle nur umso rücksichtsloser ausgebeutet. Das Chaos wuchs, die zerstörerischen Energien nahmen unaufhaltsam zu. Es ödete ihn an. Er wollte weg von dem allen, in die Einsamkeit der Berge, zum einfachen Leben, das sich mit dem begnügte, was die Natur hergab.

 

Aber sie waren überall, die Spuren der so genannten Zivilisation. Bald nach seiner Ankunft hatte er begonnen, die Abfälle zu sammeln, die er auf seinen Wanderungen fand. Er musste nicht danach suchen, sie drängten sich auf. Schnell hatte er einen respektablen Haufen auf der Wiese zusammengetragen, der ihn zu einem kreativen Werk inspirierte.

Und nun stand auf der Wiese ein buntes, immer noch im Wachstum begriffenes Müllmonstrum mit einem Kopf aus zusammengeknüllten Plastiktüten und kotverschmierten Papiertaschentüchern, darauf geklebten Zigarettenkippen als Haaren, die Augen zwei entsorgte Batterien, der Mund ein defektes Handy, die Nase aus Bonbonpapier. Den Leib bildeten zwei mit weggeworfenen Textilien verhüllte Autoreifen, die Arthur mit Hilfe des Huber-Buben aus dem Bach geborgen hatte. Der Schwanz bestand aus Getränkedosen, mit Schnüren aneinander gebunden. „Homo pestis“, hatte er auf das Schild daneben geschrieben. „Fotografieren und verbreiten erwünscht!“

Das Werk war noch nicht vollendet, sein Umfang wuchs mit jeder Tour, auf die Arthur nur noch mit Müllsack und Handschuhen ausgerüstet aufbrach. Doch schon jetzt zeigte es die Symptome jener unheilbaren Krankheit namens menschliche Zivilisation, gegen die der beste Arzt machtlos war.

Aber es bereitete ihm Genugtuung, wenn wieder jemand vor seinem Kunstwerk stehen blieb und Fotos machte, auch wenn die meisten Leute darin nicht mehr als eine Kuriosität sehen mochten, eine originelle Vogelscheuche, ohne zu erkennen, dass sie selbst gemeint waren.

Tourismusdirektor Brandauer war das Werk ein Dorn im Auge, das hatte er ihn unverblümt wissen lassen, und allein das betrachtete der Arzt schon als Erfolg. Sein ganzes Leben lang – die letzten drei Monate ausgenommen – hatte er sich den Forderungen der anderen angepasst. Sein Werdegang vom Sohn eines einfachen Bergmanns zum Facharzt für Innere Medizin mit florierender Praxis in der Kölner Innenstadt war das Resultat eines unermüdlichen Anpassungsprozesses. Er verfügte über die Begabung, schnell zu erfassen, was andere von ihm erwarteten, und ihnen genau das Gewünschte zu liefern. So konnte man in diesem Land etwas werden und es zu beträchtlichem Wohlstand bringen. Aber...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Kriminalroman • Liebe • Natur • spannend • Unterhaltung • Wunder • Wut
ISBN-10 3-7598-6751-0 / 3759867510
ISBN-13 978-3-7598-6751-3 / 9783759867513
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