Der Schlangenmann (eBook)
272 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-6753-7 (ISBN)
Judith Sixel ist ausgebildete Krankenschwester und Doktorin der Philosophie. Sie hat als Haus- und Familienfrau, Deutschlehrerin, Briefseelsorgerin und freie Lektorin gearbeitet, hat Schreibwerkstätten geleitet und als Schreibcoach und Ghostwriterin anderen zum Buch verholfen. Heute genießt sie die Freiheit, ihre eigenen Buchideen zu verwirklichen.
Judith Sixel ist ausgebildete Krankenschwester und Doktorin der Philosophie. Sie hat als Haus- und Familienfrau, Deutschlehrerin, Briefseelsorgerin und freie Lektorin gearbeitet, hat Schreibwerkstätten geleitet und als Schreibcoach und Ghostwriterin anderen zum Buch verholfen. Heute genießt sie die Freiheit, ihre eigenen Buchideen zu verwirklichen.
Wie ein Experiment Hoffnung weckte und der Ernstfall auf sich warten ließ
Die Winter im romantischen Rheintal fielen selten romantisch aus. Dafür sorgte schon das rheinische Schmuddelwetter. Wenn es sich ausnahmsweise einmal winterlich gab und gar dem ersten Schnee das Feld räumte, brach sofort Chaos in der Region aus. Und kaum hatten sich Mensch und Straßenverkehr auf die weiße Verwandlung einstellt, zerrann sie schon wieder zu Matsch.
Der Winter, der auf Mimis Rückverwandlung folgte, brachte gar keinen Schnee, dafür umso mehr Nebel. Dicht verschleiert präsentierte sich der Rhein zur festlichen Weihnachtsgans, die Familie Rotermund im Fünf-Sterne-Restaurant auf dem Petersberg genoss, und auch den Silvesterböllern verdarb der Nebel die Schau. Der Januar übertraf die Tristesse noch mit Blitzeis und anhaltender Düsternis. Ein Wetter zum Auswandern! Oder Winterschlafhalten.
Kriminaloberkommissarin Mimi Rotermund lag das eine so fern wie das andere. Sie war vielleicht die Einzige weit und breit, die sich nicht beklagte, wenn der Wecker sie morgens aus den Träumen riss und in einen neuen nasskalten Nebeltag rief. Der Grund war ebenso einfach wie für sie noch immer unfassbar: Sie war wieder Mensch!
Nachts im Traum befand sie sich bisweilen noch in Tiergestalt – mal war es die Ratte, mal der Gecko, bisweilen auch ein ganz anderes Tier. Umso größer dann jedes Mal ihr Glücksgefühl, wenn sie im Erwachen die Matratze unter sich spürte, und ihre Hände strichen nicht über Fell oder Schuppen, sondern über zarte Menschenhaut, und ihre Füße trugen sie im aufrechten Gang in den neuen Arbeitstag.
Sie hatte es geschafft. Die Leitung der TIPE – kurz für: Tiere in der polizeilichen Ermittlungsarbeit – war ihr übertragen worden. Länderübergreifend liefen an verschiedenen EU-Standorten Modellprojekte mit dem Ziel, neue Wege der kriminalpolizeilichen Ermittlungen mit Tieren zu erproben. In Bonn lag der Schwerpunkt auf Kleintieren, insbesondere Ratten. Wer wäre da qualifizierter als sie?
Natürlich durfte sie nichts von ihren Transformationen erwähnen. Die Rattenfrau war ebenso tabu wie der Undercovergecko. Das hatte ihr Vater, der Leitende Oberstaatsanwalt Siegfried Rotermund, ihr eindrücklich klargemacht. Mimi war das nur recht. Sie neigte von Natur aus nicht dazu, in der Vergangenheit zu kramen, und zog die Aufklärung aktueller Straftaten der Beschäftigung mit sich selbst und den unfreiwilligen Rissen und verstörenden Sprüngen in ihrer Biographie bei weitem vor. Doch genau da lag das Problem. Die Straftaten ließen auf sich warten!
Mit insgesamt vier Mitarbeitenden blieben auch Mimis Aufgaben der Personalführung überschaubar. Zum TIPE-Team gehörten außer ihr selbst noch ihr niederländischer Adlatus Dr. Niklaas Ten Brinken, der als studierter Zoologe das Modellprojekt wissenschaftlich begleitete und dokumentierte, ferner Schreibkraft Claudia Weiß und Tierpflegerin Alina Lampe.
Bis auf weiteres mussten sie sich zwei Behelfsbüros im Poppelsdorfer Schloss teilen, gleich neben den Mineralogen, die im Zuge der Sparmaßnahmen zwei ihrer Büros abgeben mussten. In einem davon arbeiteten nun Mimi und Niklaas, das andere teilten sich Claudia und Alina. Es war nicht ideal, aber immerhin ein Anfang, und ein reizvoller dazu.
Genaugenommen gehörten natürlich auch die Tiere zu den Mitarbeitern, denn sie sollten künftig, wenn es gut lief, die Ermittlungen vorantreiben. Eines der Treibhäuser des Botanischen Gartens, gleich hinter dem Poppelsdorfer Schloss, war zu einer Art Zoohalle umfunktioniert worden. Dort hatte sich die TIPE um anfangs hundert Ratten zu kümmern, die in kürzester Zeit auf ganze Hundertschaften angewachsen waren.
Auf Mimis Anweisung hin wurden die Tiere zunächst darauf trainiert, geruchsintensive Substanzen wie Kaffee, Kampfer, Farben, Lacke, Klebstoffe und schwefelhaltige Verbindungen zu erkennen. Sobald sie den jeweiligen Duft aus einer Vielzahl von anderen Gerüchen erkannt hatten, berührten sie mit der Pfote einen Sensor und erhielten ihre Belohnung. Schnell konnten so die begabtesten zwanzig Ratten herausgefiltert werden. Mit dieser Elite wurde das Auffinden von chemischen Substanzen trainiert, wie sie organischen Sprengstoffen zugrunde lagen, insbesondere Nitrogruppen, Verbindungen von Stickstoff und Sauerstoff, sowie Ammoniumnitrate aus Ammoniak und Salpetersäure.
Bereits nach wenigen Wochen waren zwölf der ausgewählten Ratten in der Lage, diese Substanzen zuverlässig anzuzeigen, und nach weiteren zwei Wochen wurde ein erster offizieller Probeeinsatz angesetzt, von den Medien begleitet und von der Öffentlichkeit mit Spannung verfolgt.
Dazu sperrte die Polizei das Gebiet rund um den Oberkasseler Steinbruch großräumig ab. In dem abgegrenzten Gebiet wurde eine Sprengkapsel versteckt. Die zwölf Eliteratten wurden an verschiedenen Stellen im Steinbruch ausgesetzt. Bereits eine Stunde vor der geplanten Detonation hatten sie den Sprengsatz gefunden und ihre Belohnung in Empfang genommen. Als der Sprengsatz schließlich unter polizeilicher Kontrolle explodierte, befanden sich alle zwölf wieder unversehrt in der Zoostation.
Die Aktion war ein Erfolg, der das Ansehen der Bonner Polizei aufwertete. Die Zeitungen mit den dicksten Lettern sprachen schon von einer „Wunderwaffe gegen den Terror“, und Niklaas Ten Brinken erklärte den Fernsehkameras bereitwillig, wie es zu dem Erfolg kommen konnte: Oberkommissarin Rotermund verfüge über die seltene Fähigkeit, mit Ratten zu kommunizieren wie mit ihresgleichen, was ein außerordentlich feines Gehör und einen hochentwickelten Sinn für Vibration und Wärmestrahlung voraussetze.
Ausgerechnet der einstige Rattenhasser Frank Maikamp gratulierte seiner Ex-Geliebten aus Potsdam zu ihrem „beispiellosen Einsatz“ und meinte, er sei überzeugt, hier bahnten sich ganz neue Möglichkeiten der polizeilichen Ermittlungsarbeit an. Sie möge ihn doch bitte auf dem Laufenden halten!
In dieselbe Richtung äußerte sich auch Thorsten Glück, der inzwischen Maikamps Nachfolge als Dezernatsleiter angetreten hatte. Und während im nächsten Schritt die neuen Einsatzmöglichkeiten der Tiere juristisch überprüft wurden, trainierte die TIPE ihre hochbegabten Ratten bereits auf das Auffinden weiterer Arten von Explosivstoffen.
Natürlich gab es wie immer auch Kritik, allen voran vom örtlichen Kleintierschutzbund. Man behalte die neuen Polizeiexperimente genau im Blick, und werde, sollten sie auch nur im Geringsten gegen die Würde der Kleintiere verstoßen, mit allen Mitteln dagegen angehen, ließ man verlautbaren.
Die Skeptiker und Neider unter den Polizeikollegen argumentierten, das Ganze befinde sich bisher ja lediglich in der Erprobungsphase. Solange der Ernstfall noch nicht eingetreten sei, könne noch nicht von einem echten Erfolg die Rede sein. Diesem Argument hatte Mimi leider nichts entgegenzusetzen. Sie lechzte ja selbst nach ihrer ersten richtigen Bewährungsprobe!
Doch ausgerechnet in diesem Nebelwinter passierte nicht viel in Bonn und Umgebung. Der Terror in der Region schien Winterschlaf zu halten, selbst die Zahl der Einbrüche fiel auf einen historischen Tiefstand. Ob das bereits der öffentlichen Wirksamkeit der TIPE zu verdanken war oder dem Zufall oder dem Wetter, blieb abzuwarten.
Abwarten aber gehörte nicht zu Mimis Stärken. Von Tag zu Tag wuchs ihre Ungeduld. Sie war erfahren genug, um zu wissen, dass die Welle der öffentlichen Zustimmung schnell umkippen und in die Frage münden konnte, wofür die rattenflüsternde Kriminalistin eigentlich bezahlt wurde. So musste sie den Eindruck erwecken, als wäre sie unablässig beschäftigt und dürfe nur noch nichts Näheres preisgeben, während sie insgeheim auf eine echte kriminalistische Herausforderung hoffte.
Es gab genau zwei Menschen, mit denen sie offen reden konne, streng vertraulich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der eine war Oberkommissar Dominik Bickelmann, ihr ehemaliger Mitarbeiter und Nachfolger als Leiter des Kommissariats für Todesermittlungen. Er rief fast täglich an oder schaute in ihrem Büro vorbei, um sich Rat bei ihr einzuholen oder einfach nur zu plaudern.
Der andere Mensch war ihre beste Freundin Irene Biber, Leiterin des Polizeilabors und Mutter eines Bilderbuchbabys. Irene arbeitete momentan halbtags, ihr Mann machte Elternzeit, so blieb ihr genug Zeit, um die Mittagspause mit ihrer lang entbehrten Freundin zu verbringen. Meist drehten sie zusammen eine Runde im Botanischen Garten und aßen anschließend eine Kleinigkeit in einem der urigen Lokale gleich nebenan.
„Dein Einsatz mit den Ratten war Spitze“, fand Irene kurz nach der Fernsehausstrahlung. „Was hast du denen eigentlich zugeflüstert?“
Mimi spähte besorgt um sich. Aber außer ihnen ging bei diesem Wetter niemand im Botanischen Garten spazieren.
„Ich hab‘ ihnen einfach klargemacht, dass ich die Leitratte bin. Dafür gibt es spezielle Töne …“
„Wow! Und die beherrschst du?“, staunte die Freundin.
„Ja. Die hab‘ ich seinerzeit von Herrn M gelernt. Das war die weiße Ratte, die mich gebissen hat. Die aus der Wohnung mit dem Badewannentoten. Wobei ich bis heute nicht so genau weiß, ob es dieser Biss war, der die Verwandlung auslöste, oder irgendetwas anderes, Alkohol, Sex … oder die Kombi aus allem.“
Irene, die sich bislang bei dem Thema zurückgehalten hatte, konnte ihre Neugier nicht länger zurückhalten.
„Wie war das eigentlich für dich?“, fragte sie. „Ich meine, wie hat sich das angefühlt? War das einfach so, wie wenn man seine Kleider wechselt? Oder hat es wehgetan?“
„Wehgetan nicht unbedingt. Es war einfach verstörend. Ich hatte Angst,...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • Geheimnis • Krimi • Liebe • spannend • Unterhaltung • Verwandlung |
ISBN-10 | 3-7598-6753-7 / 3759867537 |
ISBN-13 | 978-3-7598-6753-7 / 9783759867537 |
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