Jannis Frank und Das Dunkelschiff (eBook)

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2024 | 1. Auflage
355 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-12764-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jannis Frank und Das Dunkelschiff -  Ben Castelle
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Seit Mitte des 21. Jahrhunderts gibt es eine Kolonie auf dem Planeten Maa. Die Menschen, die hier leben, haben das selbstzerstörerische Dasein auf der Erde hinter sich gelassen. Man ist stolz darauf, dass sich alles Handeln wissenschaftlich begründen lässt. Religion ist verboten, ebenso Literatur und Kunst. Als die Politik beschließt, wieder in Kontakt mit der Erde treten zu wollen, werden dreihundert Kinder, darunter Jannis Frank und seine vier Freunde, ausgewählt, um mit der Prometheus und ihrer Besatzung eine siebenjährige Reise zum einstigen Heimatplaneten zu unternehmen. Während der langen Zeit im Weltraum sollen die jungen Leute in der Raumschiffschule zu Wissenschaftlern, Technikern und Lehrern ausgebildet werden. Ihre Aufgabe ist es, den Erdbewohnern, die man nach klimatischen und kriegerischen Katastrophen wieder in einer frühzeitlichen Entwicklungsphase glaubt, die Frohe Botschaft eines auf Wissenschaft basierenden Lebens zu überbringen. Dazu möchte man ihnen ein Szientikon schenken, einen kleinen Glaswürfel, der alles Wissen der Welt enthält, und der den Erdbewohnern einen zivilisatorisch-technischen Quantensprung ermöglichen soll. Doch nach einer Verhaftungswelle auf Maa, von der auch Jannis' Großvater betroffen ist, beginnen Jannis und seine Freunde, an der friedlichen Absicht der Mission zu zweifeln. Eine neue Schulleiterin an Bord macht ihnen zudem schon bald das Leben schwer und unterwirft sie einem militärischen Drill. Gleichzeitig beginnen die fünf nachzuforschen, was es mit den verbotenen und verschwundenen Texten auf sich hat, die ihre Vorfahren in einer mysteriösen Glasperle, dem Poetikon, gespeichert haben wollen. Und sie finden heraus, dass die Prometheus ein dunkles Geheimnis birgt. 'Tiefgründiges Zukunftsabenteuer, liebenswerte junge Helden und eine große Portion Satire sind die Zutaten für diese temporeiche und ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte. Doch bei allen zu bestehenden Gefahren, die die Protagonisten und Leser gleichermaßen in Atem halten, wird auch immer wieder die Frage nach der Bedeutung der Sprache für die Realität gestellt. Dabei lässt sich die Jannis-Frank-Reihe mit ihrem erzählerischen Witz und schrägen Einfällen nicht zuletzt als Zeit-, Sprach- und Gesellschaftskritik der Gegenwart lesen.'

Ben Castelle wuchs im Münsterland auf, studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie und lebt heute als Redakteur und freier Autor in der Eifel. Er schreibt Romane, Erzählungen, Kurze Prosa, Jugendbücher und Haikus. Bei 'tredition' erschienen in den vergangenen Jahren neun Romane, zwei Erzählbände und ein Haiku-Band.

Ben Castelle wuchs im Münsterland auf, studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie und lebt heute als Redakteur und freier Autor in der Eifel. Er schreibt Romane, Erzählungen, Kurze Prosa, Jugendbücher und Haikus. Bei "tredition" erschienen in den vergangenen Jahren neun Romane, zwei Erzählbände und ein Haiku-Band.

9


 

»Schau dir an, wie freundlich er ist!« forderte Sergej Jannis auf. Jannis hatte Sergej an einem schulfreien Nachmittag in seiner elterlichen Wabe aufgesucht, und er hatte ihn sogleich mit nach draußen genommen, um ihm einen jungen Dronka zu zeigen, der ihm angeblich zugelaufen war.

»Ich habe mich neulich ein wenig im Lageeso-Gebirge umgesehen, weit draußen vor der Stadt, als ich plötzlich leise klagende Geräusche hörte. Unter einem Felsvorsprung saß dieses kleine Geschöpf«, erzählte Sergej. »Offensichtlich hatte es Mutter und Vater verloren und sich verlaufen. Zunächst dachte ich, gut, da kann man nichts machen. Schließlich dürfen wir nicht in die Naturzusammenhänge eingreifen. Alles hat seinen Grund, heißt es immer. Und wir Menschen sollen uns zurückhalten. Andererseits predigen uns die Damen und Herren von der Ethikkommission stets, wie wichtig es ist, aufeinander und auf die Schöpfung achtzugeben. Da dachte ich mir, dass es doch nicht im Sinne dieser hochintelligenten Menschen sein könne, diesen kleinen Hund, ich meine diesen Dronka, seinem Schicksal zu überlassen.«

»Und da hast du ihn einfach mitgenommen?« fragte Jannis empört.

»Ach wo, nein, er ist mir nachgelaufen. Ich ging ein paar Schritte und schon stand er wieder hinter mir und winselte. Ich versuchte, ihn zu verscheuchen, sagte: Hey, verschwinde, Kleiner! Ich bin nicht deine Mama. Und ich darf und kann nichts für dich tun. Doch der Dronka sah das anders und folgte mir weiter bis zu mir nach Hause. Und da sitzt er nun und verlangt drei Mal am Tag, dass ich ihn füttere. Aber was frisst so ein Dronka? Nun, er hat sehr viel Spaß mit dem künstlichen Hähnchenfleisch und Rindfleisch aus der Quadrantenküche. Anfänglich wollte er es nicht fressen, aber dann war der Hunger größer als der Vorbehalt.«

Auf Maa gab es Fleisch vom Rind, Lamm, Huhn und sogar von Fischen, obwohl diese Tiere dort gar nicht vorkamen. Bevor die Humboldt damals in den Weltraum startete, hatten die Reisenden vermittels Biopsie Zellen aus dem Muskelgewebe dieser Tiere entnommen, um sie in Kulturen immer wieder teilen und vermehren zu können. So war es möglich, Fleisch im Labor zu erzeugen. Das war bereits auf der Erde ein sehr erprobtes Verfahren, um Wasser und Getreide zu sparen und so etwas gegen den Hunger in der Welt zu unternehmen. Brauchte man in den Pionierjahren noch große Mengen Rinderserum als Nährlösung, was völlig indiskutabel und moralisch als zweifelhaft galt, so setzte man später auf pflanzlich erzeugte Nährmittel. Auf Maa – so stand es in den Geschichtsbüchern – war es dann gelungen, eine Art Pflanze zu finden, die Karnidonaren, die den perfekten Nährboden für die mitgeführten Zellkulturen lieferte. Und so aßen die Kolonisten gewissermaßen Tiere, die sie nur aus Büchern kannten, Tiere, von denen nicht ein einziges auf dem gigantisch großen Planeten lebte. Ja, die meisten der Kolonisten dachten, wenn sie das Wort Rind hörten, nur an eine nahrhafte Bulette und wären niemals auf die Idee gekommen, dass ein Rind vor vielen vielen Jahren noch ein lebendiges Tier gewesen war, das auf der Erde herumlief und Gras gefressen hatte. Insofern hatte auch das Wort Fleisch seine Bedeutung verloren. Denn auf Maa waren alle Menschen Vegetarier, und das Fleisch, das in den Quadrantenküchen ausgegeben wurde, galt als hochwertige pflanzliche Nahrung und wurde Carn genannt.

»Wie soll das jetzt weitergehen mit euch zweien?« fragte Jannis. »Der Dronka –«

»Donovan, er heißt Donovan«, unterbrach ihn Sergej.

»Also, dieser Donovan ist abhängig von dir, und das ist doch nicht gut. Was wird aus ihm, wenn wir unsere Reise starten?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Segej. »Am besten wäre es, ich würde hierbleiben und mich um ihn kümmern.«

»Du willst für einen dahergelaufenen Dronka dein Leben opfern?«

»Nicht mein Leben, nur meinen ewig währenden Ruhm als Erdenretter.«

»Du bist verrückt.«

»Na, mach dir keine Sorgen, mir fällt schon etwas ein.«

»Wir brauchen dich an Bord der Prometheus«, sagte Jannis.

»Wer ist wir?« fragte Sergej.

»Jala und ich.«

»Jala benötigt mich ganz gewiss nicht, und du kommst auch ganz gut ohne mich klar. Auf Dauer bringe ich dich eh nur in Schwierigkeiten.«

»Sagt wer?«

»Gestern musste ich zu unserem Ausbilder mit dem schönen Namen Francis Lafrance. Er sagte, es sei ihm zu Ohren gekommen, dass ich unseren Präsidenten veralbert hätte, und er wollte wissen, wer sonst noch an der Sache beteiligt gewesen war.«

»Und was hast du ihm gesagt?«

»Ich habe gesagt, dass er da etwas in den falschen Hals bekommen habe. Der Präsident sei für mich viel zu weit weg, um mich lustig über ihn zu machen. Späße könne man nur mit Leuten treiben, die einem vertraut seien und mit denen man täglichen Umgang pflege.«

»Und das hat er dir abgenommen?«

»Natürlich nicht. Aber er sagte, dass dies keine schlechte Ausrede wäre und er daher ein gutes Wort für mich einlegen wollte, da man ohnehin aus den ihm vorliegenden Sprachaufnahmen nichts Genaues heraushören könnte. In Zukunft solle ich meine Scherze aber gefälligst besser für mich behalten.«

»Ganz mein Reden, Sergej, ganz mein Reden.«

 

10


 

In klaren Nächten konnte man jetzt mit einem starken Teleskop bei jeder Umdrehung von Maa die Prometheus im Orbit erkennen. Der Rumpf war bereits fertiggestellt, und es funkelten zahlreiche Lichter an Bord der galaktischen Großbaustelle. Da draußen wurde Tag und Nacht gearbeitet. Immer neue Shuttles schafften Material hinauf und ließen das Schiff stetig wachsen.

Im Ausbildungssektor mussten die Kinder neuerdings reihum in einen Simulator steigen, der ihnen ein dreidimensionales Abbild des Schiffes zeigte. So sollten sie mit ihrem zukünftigen Zuhause bereits auf Maa vertraut gemacht werden, um sich später an Bord schneller zurechtzufinden. Die obersten Etagen des Schiffes würden der Schule gehören. Durch das durchsichtige und strahlungsresistente Dach blickte man direkt in die Galaxie. Unter dem gläsernen Dach befanden sich sämtliche Lehrräume, aber auch die Schlafsäle der Schüler sowie Dusch- und Toiletteneinrichtungen. Das alles füllte ungefähr die halbe Etage des Schiffes. Die andere Hälfte war den Gärten vorbehalten, in denen unter künstlichem Licht vorwiegend Karnidonaren und viele weitere Pflanzenarten heranwuchsen, die sich im Laufe der Zeit als essbar erwiesen hatten.

Eine Etage tiefer befanden sich die Küchen, die Gemeinschafts- und Sporträume sowie der große Hörsaal. Darunter wiederum waren die Schlafräume der Techniker, der Navigatoren, des Schul- und Kochpersonals sowie all derer, die für den reibungslosen Ablauf auf der Prometheus verantwortlich waren. Noch eine Etage tiefer lagerten die Vorräte und allerhand Dinge, die auf der langen Reise einmal von Nutzen sein könnten. Dann folgten die Laboreinheiten und Reparaturräume, und schließlich kamen noch mehrere Etagen, zu denen die Kinder keinen Zutritt hatten. Es hieß, dort werde die Schubkraft für das Schiff erzeugt und ein Aufenthalt dort sei nicht anzuraten, da man ihn ohne Vorkenntnisse nicht lange überlebe.

Am spannendsten jedoch war die Brücke. Hier waren die Kommandantin Jennifer Orlanda und ihre Crew zu Hause, die die Kinder sicher durch den Weltraum leiten sollten. In der Simulation wurde den jungen Leuten erlaubt, auch auf der Brücke herumzustromern und einen Blick auf die Navigationsinstrumente zu werfen. Später jedoch, wenn das Schiff unterwegs wäre, würden sie schon einen verdammt guten Grund benötigen, um diesen Bereich betreten und der Kommandantin einen Besuch abstatten zu dürfen.

Um sich mit dem Schiff vertraut zu machen, bekamen die Kinder in der Simulationseinrichtung immer neue Aufgaben gestellt. So sollten sie beispielsweise eigenständig aus dem Klassenraum bis in das Großlager F finden und von dort einen musealen Rechenschieber mitbringen, um sich anschaulich über die Geschichte der Mathematik zu informieren. Am Anfang verliefen sie sich hoffnungslos in den Weiten der Prometheus, verwechselten die Etagen oder die Abschnitte in den Etagen, landeten in den Kojen der Techniker oder in irgendeinem Hochregallager, aus dessen Labyrinth es kein Entkommen mehr gab, bis ihnen endlich einer der Ausbilder die Brille von der Nase riss und die Simulation abschaltete. Doch schon am anderen Tag liefen sie wieder unendlich lange Gänge entlang, Schiebetüren öffneten sich und schlossen sich wieder hinter ihnen, und sie verloren erneut jegliche Orientierung, obwohl es überall auf dem Schiff Zahlen- und Farbcodes gab. Aber die Prometheus war wie eine fremde Stadt, kannte man auch irgendwann einige der Hauptstraßen, so blieben einem doch Tausende von kleinen Nebengassen weiterhin verborgen, geschweige denn, dass man wusste, was in welchem Haus oder gar in welchem Zimmer vor sich ging. Wie sollte man sich dort jemals zurechtfinden?

Nun, im Grunde genommen war das gar nicht so schwer, denn als sie später auf der Prometheus eincheckten, bekamen sie selbstverständlich ihre Glastafeln, die sie mit freundlicher Stimme zu jeder gewünschten Stelle des Schiffs führten. War die Erkundung im Simulator also nur eine Schikane der Ausbilder? Nein, Francis Lafrance erklärte es so: »Ich will, dass ihr dieses Schiff in- und auswendig kennt, damit ihr im Erstfall auch ohne eure Glastafeln auskommt. Je mehr euch die Technik das Denken abnimmt, desto anfälliger werdet ihr für das Chaos. Gibt es nur ein kleines Energieproblem, so lauft ihr im Schiff herum wie die Lemminge. Was soll ich dann mit euch anfangen, wenn ihr weder wisst, wo ihr...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2024
Reihe/Serie Jannis Frank
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Akzeptanz • Astronomie • Außerirdisch • Bildungsroman • Coming-of-age • Diversität • Dystopie • Entdeckungsreise • Erdmission • Erkenntniskritik • Erwachsenwerden • exterrestrisch • Fortsetzungsroman • Fremder Planet • Freundschaft • Generationsübergreifend • Gesellschaftskritik • Humor • Identität • Internationale Jugendgruppe • Jugendabenteuer • Jugendfreundschaft • Jung und Alt • lange reise • Leben in der Zukunft • Literaturbegeisterung • Literatur versus Wissenschaft • Ökologie • Quantenphysik • Satire • Schulgeschichte • Schulroman • Selbstbehauptung • Selbstfindung • Serie • Sinnsuche • Soft Science-Fiction • Sprachkritik • Sprachphilosophie • Suche • Symbiotische Beziehung • Tierfreundschaft • Utopie • Verrat • Vielfalt • weltraumgeschichten • Weltraumschule • Wissenschaft • Zukunftsabenteuer • Zukunftsgeschichte
ISBN-10 3-384-12764-1 / 3384127641
ISBN-13 978-3-384-12764-8 / 9783384127648
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