Vom Glück, mit dem Wind zu leben (eBook)

Kraftvoll-poetisches Nature Writing über die inspirierenden und heilenden Kräfte der Natur
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60716-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom Glück, mit dem Wind zu leben -  Renske Jonkman
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Renske Jonkman lebt hinterm Deich, auf dem flachen Land, wo der Wind freies Spiel hat. Mitreißend schreibt sie über ihre Verbundenheit mit dem aufbrausenden Element. Über ihre Kindheit in den westfriesischen Poldern, die heranrollenden Wolken beim Surfen mit ihrem Bruder und die Freude ihrer Kinder beim Fahrradfahren im Gegenwind. Denn für die Niederländer gibt es nichts Erfrischenderes als uitwaaien: vorgebeugt gegen den Sturm anzulaufen und sich den Kopf freipusten zu lassen - um Kraft und Inspiration zu finden oder auch den Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen zu überwinden. »Vergesst ?Hygge?, es ist Zeit für ?Uitwaaien?!« Washington Post Poetisch und inspirierend zeigt uns dieses sehr persönliche Buch auf, wie beruhigend und heilend die Natur sein kann. Ein Plädoyer fürs Draußensein und Durchatmen.  »Dieses Buch ist ein Plädoyer dafür, sich den Naturkräften auszusetzen, sich zu spüren: den Rhythmus der Schritte bei einem Spaziergang, den Herzschlag, das Blut in den Adern. Es zeigt uns, was wir finden, wenn wir uns von den Nachrichten auf unserem Bildschirm verabschieden. Dieses Buch bringt uns nicht nur in Bewegung, es bringt uns vor die Tür.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Renske Jonkman ist preisgekrönte Autorin und Journalistin, ihre Texte werden unter anderem in National Geographic und der Zeitung De Volkskrant veröffentlicht. In den letzten Jahren schrieb sie eine monatliche Kolumne in der niederländischen Zeitung Trouw über das Leben von Landwirten und Naturschützern. Ihre Romane standen in der engeren Auswahl für den Academica Debutantenprijs, den Woman & Proza Prize und den Victoriefonds Cultuurprijs. Jonkman lebt derzeit mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern auf einem Bauernhof in Friesland im Norden der Niederlande.

Renske Jonkman ist preisgekrönte Autorin und Journalistin, ihre Texte werden unter anderem in National Geographic und der Zeitung De Volkskrant veröffentlicht. In den letzten Jahren schrieb sie eine monatliche Kolumne in der niederländischen Zeitung Trouw über das Leben von Landwirten und Naturschützern. Ihre Romane standen in der engeren Auswahl für den Academica Debutantenprijs, den Woman & Proza Prize und den Victoriefonds Cultuurprijs. Jonkman lebt derzeit mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern auf einem Bauernhof in Friesland im Norden der Niederlande.

Vor einigen Jahren radelte ich an einem kalten Februartag – es waren ein paar Grad unter null – die wenigen Kilometer zur Mühle, meine mittlere Tochter im Kindersitz vor mir. Sie trug eine unterm Kinn zugebundene Wollmütze und die große Schneehose ihrer Schwester. Ihre Händchen hatte sie tief in den Jackentaschen vergraben. An dem Tag wehte von Osten her ein schneidender Wind, und die eisige, alles durchdringende Kälte, die er mitbrachte, erinnerte mich an die Geschichten von Polderbewohnern älterer Generationen: Vor einem halben Jahrhundert hatten sie sich Zeitungen unter den Pullover geschoben, als zusätzliche Isolierschicht für Brust und Bauch. Wollsocken, Holzschuhe, Leinenkittel … Wie lebten die Menschen damals in diesen kahlen, urbar gemachten Poldern? Was für ein Dasein muss das gewesen sein auf diesem sumpfigen Land? Zu Fuß legten sie weite Strecken zurück, manchmal auch mit Pferd und Wagen oder, wenn sie zu den Inseln wollten, in hölzernen Kähnen. Es war ein hartes Brot. Da hatte ich in meinem modernen wattierten »Windbreaker« alles in allem wenig Grund zur Klage.

Ich radelte immer geradeaus, über die endlose Polderstraße, die sich quer durch die Landschaft zog, gesäumt von langen Reihen in gleichmäßigen Abständen gepflanzter Pappeln. Auf den Gräben lag eine dünne Eisschicht, und das weiß bereifte Schilf zeichnete sich scharf gegen den tiefblauen Himmel ab. In der Nähe graste eine kleine Schafherde. Die Eiseskälte, die unzähligen Eiskristalle, die in der tief stehenden Sonne auf den Feldern glitzerten, verliehen dieser so kahlen Landschaft etwas Leichtes, Märchenhaftes.

Im Osten ragte die Mühle des Nachbardorfs Wogmeer auf.

Ich kniff die Augen gegen die blendende Sonne zusammen, die Füße fest auf den Pedalen, und wir fuhren gegen den Wind über die kleine steinerne Brücke, vorbei an Scheunen und Kuhställen und an dem Camping-Bauernhof, auf dem jetzt nur noch zwei einsame Wohnwagen und ein Trampolin standen. Die Zweige der Trauerweiden an den Gräben hingen ins Wasser, manche festgefroren wie die beiden am Ufer vertäuten Kanus. Im Sommer fuhren Boote durch die Gräben, und von der Brücke sprangen Kinder ins Wasser. Jetzt aber war dieses Bild so unwirklich wie die Vorstellung, dass die Böschung in einem halben Jahr wieder gelb sein würde von blühendem Raps.

Ein Gänseschwarm flog laut schnatternd über uns hinweg, doch meine Tochter schaute kaum auf. Sie sah starr vor sich hin und begann, leise zu weinen vor Kälte. »Ein bisschen durchhalten noch«, sagte ich, »wir sind gleich da.« Nach der Brücke ging es an der kleinen Pumpstation vorbei, und dann sah man schon den Bauernhof mit den großen Scheunen. Hier befand sich die Kindertagesstätte meiner älteren Tochter, die sie zweimal in der Woche besuchte. Die Kinder konnten dort im Freien spielen, es gab Schweine, Kaninchen, Hühner und sogar ein Pony, das für kürzere Ausflüge vor einen Wagen gespannt wurde. Am Deich bog ich in einen unbefestigten Weg ab. Er führte an einem kleinen Anwesen mit einem weißen Haus vorbei und mündete dann in einen Klinkerweg, auf dem ein paar bunte Hühner vor uns herliefen. Auf der einen Seite des Deichs lag der Polder, auf der anderen der Ringkanal.

»Schau, da sind wir schon!« Ich zeigte auf die Mühle, die am Ende des Weges über dem Deich aufragte. Ihre Flügel drehten sich. Als wir näher kamen, konnten wir sehen, wie kraftvoll die Pumpe das Wasser aus dem Wogmeer-Polder in den angrenzenden Hensbroek-Polder beförderte. Ich stellte mein Rad am Holzgatter ab und hob meine Tochter aus ihrem Sitz. Wir waren bis auf die Knochen durchgefroren. Sie schlang die Ärmchen um meinen Hals und schaute zu den riesigen rotierenden, knarrenden und quietschenden Flügeln hoch. Ich staunte immer wieder, welch unvorstellbare Kraft in der hölzernen Mechanik steckte. Die Tür ging auf, und wir traten ein, zogen unsere Schuhe aus, und meine Tochter begann sofort, die Schildpattkatze zu streicheln, die am Fuß der Treppe saß. Drinnen war es angenehm warm. Der Müller schüttelte uns die Hand und führte uns in seinen Schafwollsocken in die Küche.

Ein paar Wochen zuvor war ich zufällig mit ihm ins Gespräch gekommen, und er hatte mich eingeladen, einmal bei ihm in Wogmeer vorbeizuschauen. Die Windmühle stand schon seit dem Jahr 1600 hier, und er bewohnte sie mit seiner Frau, einer Gabelstaplerfahrerin, und den dreijährigen Zwillingen, einem Jungen und einem Mädchen.

Ich begrüßte alle.

Die beiden Kinder versteckten sich hinter den Beinen des Vaters.

Er war eine auffallende Erscheinung: ein junger Mann im Seemannspullover, wuscheliges Haar, verwegen blickende klare blaue Augen. Nicht gerade der typische Müller, dachte ich, doch wie sich herausstellte, entstammte er einer großen Müllersfamilie: Auch seine Cousins und Cousinen hatten in Mühlen gewohnt, und sein Großvater hatte sogar mit eigenen Händen eine gebaut. Wir saßen in der Küche, und der Kanonenofen bullerte gemütlich. Meine Tochter auf dem Stuhl neben mir trank einen Becher warmen Kakao. Der raue Ostwind tobte gegen die Fenster, und die grelle Wintersonne schien herein. Der Müller schaute eine Weile nachdenklich hinaus. Zu den Feldern, dem Dorf in der Ferne.

Vom Flur her war das stetige Wummern des hölzernen Zahnradmechanismus zu hören, der das Wasser aus dem tiefer gelegenen Graben in den Ringkanal beförderte. Es war eine sogenannte Achtkantmühle mit entsprechend kleinen, verwinkelten Zimmern, alle in leuchtenden altholländischen Farben gestrichen: die Küche geldersblau, das behagliche Wohnzimmer grachtengrün, der Flur apfelblütenrosa. Die schmalen Sprossenfenster gingen auf die ausgedehnten Wiesen und Weiden des drei Meter tiefer gelegenen Polders hinaus.

Die Mühle diente längst nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck. Sie war jetzt Kulturerbe, und der Müller hatte als dessen Verwalter dafür zu sorgen, dass Flügel und Schöpfräder in Bewegung blieben und nicht blockierten. Das hieß schmieren, schmieren und nochmals schmieren und alles in Ehren halten. Die eigentliche Arbeit hatte ein elektrisches Schöpfwerk weiter hinten am Deich übernommen.

Die Zwillinge krabbelten zwischen den Tischbeinen umher, die Wangen vom rauen Wind gerötet. Ihr Vater schenkte Kaffee ein. Er achte ständig auf den Himmel, sagte er, halte Ausschau nach Gewitterwolken, nach Vorzeichen. Um zu sehen, ob ein Unwetter aufziehe. Auch an einem schönen Sommertag könne sich plötzlich eine große Ambosswolke bilden, eine Art Kumuluswolke, die sich immer weiter aufbaue, um dann, wenn sie auf eine andere Luftschicht treffe, abzuflachen. Auch das sei ein Vorzeichen. »Das ist diese scheußliche Luft«, sagte er, »da ist jede Menge Wind drin.«

Im Sommer liege er morgens mit seiner Frau am liebsten auf dem Rücken oben in der Mühle, auf dem Dielenboden der Mühlenhaube, ringsum das stille Land, die Luken weit geöffnet. Vogelgezwitscher. Ein weiter Blick.

Man wohne nicht in einer Mühle, meinte er, man wohne mit ihr. Sie sei wie ein lebendiges Wesen, das sich bewege, das knarre, ächze und stöhne, und bei starkem Südwestwind müsse man sie ständig im Auge behalten. Einmal habe er erlebt, dass bei Windstärke zwölf die Flügelbremse versagt habe. Das Wasser schoss tosend aus der Schraube. Im Küchenschrank klapperten die Tassen. Er war nach oben gestürmt und hatte einen Stein, den er sich noch rasch gegriffen hatte, auf den Bremsbalken gelegt. In solchen Momenten fühle man sich als Mensch klein und nichtig, sagte er. »Alles passiert dann rasend schnell. Wenn der Sturm von hinten kommt, geht es noch. Aber von vorn, direkt auf die Flügel …«

Mir kam der Gedanke, dass dieses »klein und nichtig« genau der Grund war, weshalb er hier wohnte. Er schien ein abenteuerlustiger Typ zu sein, und in seinem Troyer hatte er auch etwas von einem Seemann am Ruder eines Segelschiffs, vor Anker auf einem trockengelegten Meer.

Wer an diesem Ort leben will, muss seine Sinne schärfen, muss auf Signale achten, auf Geräusche. Muss spüren. Mutig sein. Nicht in Panik geraten, sondern wissen, was zu tun ist. Das Segel nicht zu spät einholen, »sonst hat der Wind freies Spiel«. Man muss den Himmel permanent beobachten: Luftschichten, Temperatur, Wolken, Unterwind, Fallwind, abflauender Wind.

Ich glaube, ich verstand, was er meinte, denn wenn man am Fuß einer Mühle mit rund fünfundzwanzig Meter langen Flügeln steht und das Schwirren und...

Erscheint lt. Verlag 29.8.2024
Übersetzer Barbara Heller
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Schlagworte Böen • Buch • Bücher • Deich • die Kraft des Windes • draußen genießen • Draußensein • durchpusten lassen • Einklang • Element • Energie • Fahrrad • Flaches Land • Frei • Friesland • frische Luft • Funktionskleidung • Genuss • Geschenkbuch • Geschenk Frauen • Gesund • gesünder • Heilkraft • Heimat • Himmel • Holländisch • hygge • Ijsselmeer • Inspiration • Jahreszeiten • Kindheit • Kraft • Kraftort • kraftvoll • Kreativität • Landleben • Leben • Leben mit der Natur • Marschland • Meditation • Meer • nächste Wanderung • Naturbeschreibung • Natur erfahren • Nature writing • Naturgewalten • Naturkräfte • Naturtherapie • Niederlande verstehen • Niederländisch • poetisch • Polder • raues Wetter • reinigende Wirkung • Resilienz • Schicksalsschlag • See • sich durchpusten lassen • Sonne • Strand • stubenhocker • Sturm • Surfen • treiben lassen • uitwaaien • umpusten lassen • Urlaub • Verlust • Vom Winde verweht • Waldbaden • Wehen • Wetter • Wind Breaker • Windmühle • Windtherapie • Wolken
ISBN-10 3-492-60716-0 / 3492607160
ISBN-13 978-3-492-60716-2 / 9783492607162
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