Das Weihnachtsalibi (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
OKTOPUS by Kampa (Verlag)
978-3-311-70552-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Weihnachtsalibi -  Peter Swanson
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Ashley Smith, Studentin der Kunstgeschichte aus Sacramento, Kalifornien, wollte die Weihnachtstage während ihres Auslandsjahrs in London eigentlich allein verbringen. Erst die kurzfristige Einladung ihrer Kommilitonin Emma Chapman führt sie nach Starvewood Hall, dem Landsitz der Familie in Clevemoor in den Cotswolds. Ashley ist fasziniert von dem festlich geschmückten Herrenhaus, dem Feuer im Kamin, den vielen Gästen, dem guten Essen - und auch von Emmas attraktivem Bruder. Doch gegen Adam ermittelt die örtliche Polizei: Er soll ein Mädchen brutal ermordet haben. Außerdem treibt ein mysteriöser Fremder sein Unwesen in dem Wald zwischen Starvewood Hall und dem örtlichen Pub ... Mehr als dreißig Jahre später werden die Ereignisse jener schrecklichen Festtage wieder aufgerollt: Was 1989 in einem kleinen englischen Dorf begann, findet viele Weihnachten später sein grausames Ende in New York.

Peter Swanson, geboren 1968 in Concord, Massachusetts, studierte Englische Literatur, Kunst und Pädagogik und arbeitete als Sonderpädagoge und Buchhändler. Seit 2014 sind acht Thriller von ihm erschienen, unter anderem Die Unbekannte, der auf der Shortlist des Los Angeles Times Book Prize stand, und Die Gerechte, Gewinner des New England Society Book Award und Finalist des CWA Ian Fleming Steel Dagger. Swansons Bücher wurden in über dreißig Sprachen übersetzt, seine Geschichten, Gedichte und Features erscheinen in renommierten Zeitschriften wie dem Atlantic Monthly. Swanson lebt mit seiner Frau und seiner Katze in Somerville, Massachusetts.

Peter Swanson, geboren 1968 in Concord, Massachusetts, studierte Englische Literatur, Kunst und Pädagogik und arbeitete als Sonderpädagoge und Buchhändler. Seit 2014 sind acht Thriller von ihm erschienen, unter anderem Die Unbekannte, der auf der Shortlist des Los Angeles Times Book Prize stand, und Die Gerechte, Gewinner des New England Society Book Award und Finalist des CWA Ian Fleming Steel Dagger. Swansons Bücher wurden in über dreißig Sprachen übersetzt, seine Geschichten, Gedichte und Features erscheinen in renommierten Zeitschriften wie dem Atlantic Monthly. Swanson lebt mit seiner Frau und seiner Katze in Somerville, Massachusetts.

1


Da ich keine eigene Familie habe, laden michFreunde und Kollegen jedes Jahr an Weihnachten zu sich nach Hause ein. Ich lehne immer ab und gebe als Begründung für meine Absage an, dass ich keinerlei Probleme damit habe, eine Woche lang allein zu sein. Und meistens ist das auch so. Ich lese ein gutes Buch, sehe mir ein paar meiner Lieblingsfilme wieder an. Am ersten Weihnachtsfeiertag brate ich ein Hähnchen und esse es mit Kartoffelbrei und Rosenkohl. Auch meine Katze, Elspeth, bekommt etwas von dem Hähnchen und darf ausnahmsweise auf der Küchentheke sitzen. Am Nachmittag putze ich meistens meine Wohnung oder ordne meine Bücherregale neu. Manchmal, bei gutem Wetter, mache ich einen Spaziergang durch Manhattan und schaue, ob es irgendwo einen Film gibt, der interessant sein könnte.

Ich bin nicht völlig allein. In der Regel finden Howard, der Doorman, und ich Zeit für ein Glas Whisky, und oft schaut eine enge Freundin vorbei, die ebenfalls keine Familie hat. Die letzten zwei Jahre hat sie das allerdings nicht mehr getan.

Dieses Jahr ist der Weihnachtstag im Gefolge eines nassen, graupeligen Nordoststurms gekommen, der an den Fenstern meiner Wohnung rüttelt, weshalb ich nach meinem Brathähnchen den Spaziergang ausfallen lasse und meinen Schlafzimmerschrank in Angriff nehme. Ich habe das Glück, in einer Dreizimmerwohnung zu wohnen, und es ist mir ein wenig peinlich zuzugeben, dass ich das dritte Zimmer in einen begehbaren Kleiderschrank umgewandelt habe. Ich bin im Fundraising tätig und habe manchmal das Gefühl, die Hälfte meines Lebens auf Galadinners und Cocktailpartys zu verbringen. Deshalb brauche ich eine Menge Kleider und Schuhe.

Der Kleiderschrank in meinem Schlafzimmer ist meine Ersatzrumpelkammer geworden, voller Schachteln mit Erinnerungsstücken aus meinen vergangenen Leben, lauter Krempel, den wegzuwerfen ich nicht übers Herz bringe, auch wenn er vollkommen nutzlos ist. Ich öffne vorsichtig die Tür und erwarte, dass mir eine Lawine aus Fotoalben und Erinnerungsstücken entgegenkommt. Wenn das keine New Yorker Schlagzeile wäre: Einsame, alleinstehende Frau am Weihnachtstag beim Ausmisten eines Schranks erschlagen – Katze überlebt dank der Reste eines Brathähnchens. Aber die Schachteln bleiben lange genug an ihrem Platz, um sie eine nach der anderen aus dem Schrank nehmen und auf den Boden stellen zu können. Mein Ziel ist, etwa ein Viertel von dem ganzen Krempel wegzuwerfen. Den Anfang mache ich mit einer Schachtel, die ich im Lauf meiner ersten Jahre in New York City zu füllen begonnen habe. Ich finde einen Packen Fotos, die eine Silvesterparty im East Village kumentieren (wert, behalten zu werden), und eine DVD-Box mit den Seinfeld-Staffeln eins und zwei, die auf der Stelle in den Müll wandert. Das wird einfacher, als ich gedacht habe.

Bis ich die Lampen in der Wohnung anmachen muss, habe ich fast alle Boxen durchgesehen und zwei kleine Müllsäcke gefüllt. Inzwischen habe ich mir die ältesten Schachteln vorgenommen, darunter eine, die nach Mottenkugeln riecht und die Handtasche meiner Großmutter enthält, und eine andere mit einer Puppe aus meiner Kindheit, die wegzuwerfen ich mich irgendwie sträube. Unter meiner Geburtsurkunde und meinen abgelaufenen Pässen stoße ich auf ein sofort als solches erkennbares Tagebuch mit weißem Moleskineinband und Lesebändchen. Ich nehme es heraus, setze mich, an das Bett gelehnt, auf den Perserteppich und beginne darin zu blättern, bis ich zu einem Eintrag vom Dezember 1989 komme. Vor genau dreißig Jahren. Ich beschließe, ihn zu lesen, auch wenn ich unschlüssig bin, ob ich in der Verfassung bin, mich in dieses schreckliche, dieses mörderische Jahr zurückzubegeben. Außerdem bin ich mir bewusst, dass ich nicht mehr zu lesen aufhören kann, wenn ich einmal begonnen habe.

Am Anfang steht ein berühmtes Zitat, die erste Zeile aus L.P. Hartleys Ein Sommer in Brandham Hall, einem Buch über das Erinnern (geht es nicht in jedem Buch ums Erinnern?). »Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, man macht die Dinge anders dort.« In meinem Fall ist die Vergangenheit tatsächlich ein fremdes Land. Und ja, man macht die Dinge sehr anders dort.

17. Dezember

Emma Chapman, die Kommilitonin, die aussieht wie ich, hat mich über Weihnachten zu sich nach Hause eingeladen! Ich habe versucht, unbeeindruckt zu tun und fünf Sekunden zu zögern, als müsste ich erst noch überlegen, aber ich glaube nicht, dass ich ihr was vormachen konnte. Deshalb nahm ich ihre Einladung einfach an, und sie schien sich zu freuen. Sie sagte, dass auch ihre Eltern, diese Satansbrut, da sein würden; und ihr Zwillingsbruder, der ganz nett sein soll; außerdem eine Menge Freunde und Cousins. Aber nicht zu viele, meinte sie.

Ich weiß, dass ich dir von Emma erzählt habe, liebes Tagebuch. Kennengelernt hab ich sie in der Orientierungswoche. Trägt Kaschmir und Schmuck, der aussieht, als könnte ich mir so was nie im Leben leisten. Macht einen richtig noblen Eindruck – sagen zumindest andere Studenten. Wenn wir uns unterhalten, sage ich jedes Mal irgendwas Idiotisches, das mir danach endlos durch den Kopf geht, und dann hat sie mir mal erzählt, dass sie auf Stuart Montgomery steht, und ich dachte nicht mehr dran und bandelte mit ihm an und fühlte mich hinterher schrecklich. Mit anderen Worten, ich bin einfach davon ausgegangen, dass sie mich hasst wie die Pest. Sie war zwar immer nett zu mir, aber ich dachte, das wäre einfach die feine englische Art. Aber jetzt, wo sie mich über Weihnachten zu sich nach Hause eingeladen hat, bin ich vielleicht, wer weiß, ihre beste Freundin. Haha.

Ich hab sie gefragt, wie groß ihr Haus ist, und sie meinte nur, keine Angst, ich bekäme ein Zimmer für mich allein.

Ich hatte so viele Fragen, aber sie hatte mich zwischen zwei Unterrichtsstunden angesprochen, und es war keine Zeit, sie zu stellen. Sie sagte, sie sei entzückt, dass ich zugesagt hatte, und sie wäre morgen Abend im Pub der Verbindung, und dort würde sie mir alles genauer erklären, wenn ich mich dort mit ihr träfe.

Ich bin BEGEISTERT (das richtige Wort wäre vermutlich entzückt), und obwohl ich mich damit abgefunden habe, an Weihnachten allein in London zu sein, und mich zum Teil sogar darauf gefreut habe, bin ich jetzt richtig froh, mit Leuten zusammen zu sein. Nervös aber auch. Wie werden ihre Eltern sein? Ist meine Kleidung hübsch genug? Werden sie erwarten, dass ich auf die Moorhuhnjagd mitkomme? Muss ich Geschenke mitbringen? Aber das werde ich wahrscheinlich alles morgen erfahren.

18. Dezember

Heute war kein guter Tag. Ich bin ziemlich sicher, dass ich meine Prüfung Britische Landschaftsmalerei vermasselt habe. Ich war total blockiert, und als ich hinterher im Lehrbuch nachgesehen habe, habe ich gemerkt, dass ich ein Turner-Gemälde Constable zugeschrieben habe. So viel dazu. Als ich am Nachmittag in meine Wohnung zurückkam, hatte Jody das ganze Frühstücksgeschirr auf dem Tisch stehen gelassen. Ich überlegte, ob ich es in ihr Zimmer bringen sollte, tat es dann aber doch nicht. In zwei Tagen ist sie weg, und ich werde sie nie mehr sehen. Wozu also der Aufstand? Trotzdem hat es mir die Stimmung vermiest.

Dann ging ich in der Erwartung, dort Emma zu treffen, ins Pub und dachte, wenn mich etwas aufheitert, dann das. Ich konnte es kaum erwarten, mehr über unser gemeinsames Weihnachten zu erfahren. Aber ich saß eine Stunde allein an einem Tisch, und sie tauchte nicht auf. Ich wollte gerade gehen, als Tom, der Junge aus Florida, der immer eine Baseballkappe aufhat, hereinkam und wir was miteinander tranken. Ich erzählte ihm, dass ich in den Weihnachtsferien nicht nach Amerika fliege, und als er mich ständig fragte, warum, erzählte ich ihm, vielleicht auch, weil ich schon sechs Ciders intus hatte, dass meine Mutter tot ist und ich nicht weiß, wer mein Vater ist, sodass ich praktisch eine Waise bin. Eigentlich wollte ich ihm das gar nicht erzählen, weil ich dachte, er würde dann voll auf die Mitleidstour machen, und das konnte ich in diesem Moment überhaupt nicht haben, aber wie sich herausstellte, war er nicht sonderlich feinfühlig, was meinen Waisenstatus anging, und sagte nur etwas wie: Hast du denn keine Freunde? Ich erzählte ihm, dass ich natürlich Freunde habe, und dachte dabei an Michelle, die allerdings gerade so verliebt in ihren Freund ist, dass ich kaum mehr was von ihr höre (WAAH!).

Ich ließ mich von Tom nach Hause begleiten, und er kam auf diese Party im September zu sprechen, als wir miteinander rumgemacht haben, und ich habe gesagt, dass ich seitdem deutlich erwachsener geworden bin. Haha, hat er nur gesagt und versucht, mich trotzdem zu küssen, aber mir war, ehrlich gesagt, nicht danach. Ich kann mich noch ziemlich gut erinnern, wie wir miteinander rumgeknutscht haben, und es waren nicht gerade schöne Erinnerungen (zum einen hat er ständig an nem Hals rumgeleckt, und sein Hemd hat gerochen). Ich ging in meine Wohnung hoch, wo ich Jody mit diesem Prof aus ihrem Seminar vögeln hören konnte, und ich trampelte, so laut ich konnte, in die Küche und aß einen Teller übrig gebliebenen Kartoffelbrei. Das Geschirr, das sie auf dem Tisch stehen gelassen hatte, spülte ich zwar nicht, aber ich stellte es zähneknirschend in die Spüle, um es in warmem Wasser einzuweichen. Dann ging ich ins Bett und schrieb dir, liebes Tagebuch.

19. Dezember

Inzwischen ist es hell geworden, und ich liege immer noch im Bett. Heute habe ich nichts anderes zu tun, als das Referat über die Kunst der Weimarer Republik abzugeben, das ich bereits geschrieben habe, und mich dann mit...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2024
Übersetzer Sepp Leeb
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Amerika • Christmas • Clevemoor • England • Großbritannien • Herrenhaus • Leiche • London • Mord • Pub • USA • Weihnachten
ISBN-10 3-311-70552-1 / 3311705521
ISBN-13 978-3-311-70552-9 / 9783311705529
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