Jenseits des Ozeans (eBook)

Die Fortsetzung des großen Spiegel-Bestsellers 'Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte'. Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
496 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-32015-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jenseits des Ozeans -  T. J. Klune
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Willkommen zurück auf der wunderbaren Insel Marsyas inmitten des azurblauen Ozeans. Hier bietet Arthur Parnassus magisch begabten Kindern, die zu Waisen geworden sind, ein Zuhause. Und hier hat Arthur seine große Liebe Linus Baker kennengelernt. Die Kinder und Linus sind Arthurs kostbarster Schatz. Doch sein Leben war nicht immer leicht, und als ein neuer Bewohner auf die Insel zieht und Arthurs dunkle Vergangenheit an die Öffentlichkeit kommt, droht sein Traum von einem glücklichen, freien Leben für alle magisch Begabten zu zerplatzen ...

Im Alter von sechs Jahren griff T. J. Klune zu Stift und Papier und schrieb eine mitreißende Fanfiction zum Videospiel »Super Metroid«. Zu seinem Verdruss meldete sich die Videospiel-Company nie zu seiner verbesserten Variante der Handlung zurück. Doch die Begeisterung für Geschichten hat T. J. Klune auch über dreißig Jahre nach seinem ersten Versuch nicht verlassen. Nachdem er einige Zeit als Schadensregulierer bei einer Versicherung gearbeitet hat, widmet er sich inzwischen ganz dem Schreiben. Für die herausragende Darstellung queerer Figuren in seinen Romanen wurde er mit dem Lambda Literary Award ausgezeichnet. Mit seinem Roman »Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte« gelang T. J. Klune der Durchbruch als international gefeierter Bestsellerautor.

PROLOG


Als Arthur Parnassus von der Fähre stieg und die Insel nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder betrat, glaubte er, er würde an Ort und Stelle in Flammen aufgehen. Er tat es nicht, aber es war knapp. Das Feuer in ihm brannte so heiß wie schon lange nicht mehr. Es verlangte ihn danach, aus seinem Körper auszubrechen, seine Flügel zu strecken und sich in die Lüfte zu erheben. Den vertrauten, salzigen Wind in seinem Gefieder zu spüren. Doch er wusste, wenn er diesem Wunsch nachgab, standen die Chancen gut, dass er einfach davonfliegen und diesen Ort für immer hinter sich lassen würde. Aber das ging nicht. Er war nicht ohne Grund zurückgekehrt.

Der Besitzer der Fähre, ein störrischer Kerl mit pockennarbigem Gesicht, schmutzigem Overall und dem bezaubernden Namen Merle, rief von der drei Meter höher gelegenen Reling zu ihm herunter: »Ich hoffe, Sie sind sich Ihrer Sache sicher. Sobald ich weg bin, sitzen Sie hier fest. Nach Einbruch der Dunkelheit fahre ich nicht mehr raus.«

Arthur sah den Fährmann nicht an. Er war wie hypnotisiert vom Anblick der unbefestigten Straße zu seinen Füßen. Sie führte direkt in einen Wald, der so dicht war, dass die Strahlen der mittäglichen Sonne kaum das Moos und die auf dem Boden liegenden Blätter erreichten. Das Geräusch der am weißen Strand leckenden Brandung erfüllte seine Ohren und erinnerte ihn an seine Kindheit: an die guten Zeiten und die schlechten, alles. »Danke, Merle. Ich weiß Ihre Hilfe sehr zu schätzen.« Er hob den Kopf. »Ich denke, ich komme zurecht. Sollte ich aufs Festland zurückkehren müssen, rufe ich Sie.«

»Wie? Es gibt kein Telefon auf der Insel. Keinen Strom und kein Wasser.«

»Das wird sich bald ändern. Alles Nötige dafür soll morgen um Punkt zehn angeliefert werden. Sie bringen es doch rüber, oder?«

Merle machte ein finsteres Gesicht, aber Arthur sah kurz das gierige Blitzen in seinen Augen.

»Der Preis könnte raufgehen«, meinte Merle mit einem etwas hochnäsigen Schniefen. »Treibstoff ist nicht billig, und eine einzelne Person hin und her zu …«

»Natürlich«, sagte Arthur. »Ich werde Sie angemessen für Ihre Mühen entlohnen.«

Merle blinzelte. »Nun, tja, wahrscheinlich.« Er betrachtete die beiden Koffer, die links und rechts von Arthur standen. Der eine alt, der andere neu. »Warum haben Sie überhaupt übergesetzt?«

Kaum eine Wolke am Himmel. Überall das gleiche Blau, oben wie unten. Das Ende eines langen, warmen Sommers. Andererseits war Arthur immer warm. Die salzige Luft kitzelte ihn in der Nase, und er atmete ein, bis seine Lunge randvoll davon war. »Warum nicht?«

»Diese Insel ist ein schrecklicher Ort«, antwortete Merle mit einem Schaudern. »Es soll Gespenster hier geben, hab ich gehört. Unbewohnt. Schon lange.« Er spuckte über die Reling. »Und als sie noch bewohnt war, durften wir nicht darüber reden. Alles streng geheim, wissen Sie.«

»Ich weiß«, murmelte Arthur. Dann hob er die Stimme: »Merle, Sie kennen nicht zufällig einen Mann namens Melvin?«

»Was? Woher … Das war mein Vater.«

»Dachte ich’s mir«, erwiderte Arthur. Ouroboros. Die Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Vielleicht war es ein Fehler. Das Dorf, von dem sie abgelegt hatten, sah von hier aus noch genauso aus wie schon vor Jahren: Gebäude in pastellfarbenen Rosa-, Gelb- und Grüntönen, Leute in Sommerkleidung, sorglos und in Sicherheit. Und warum auch nicht? Sie waren Menschen. Diese Welt war für sie gemacht.

Auch die Fähre war noch dieselbe, war nur im Lauf der Jahre ein wenig aufgemöbelt worden: ein neuer Anstrich und neue Sitze als Ersatz für die alten und kaputten. Selbst Merle passte perfekt ins Bild. Mit seinen stumpfen Augen und den nach unten gezogenen Mundwinkeln sah er fast aus wie Melvin. Alles war gleich.

Bis auf Arthur. »Ich habe ihn mal gekannt, früher.« Und dich auch, hätte er beinahe hinzugefügt und dachte an den mürrischen Teenager, der stets mit seinem Wischmopp auf der Fähre herumgeschlichen war.

Merle schnaubte. »Tot. Zehn Jahre schon.«

»Mein aufrichtiges Beileid.«

Merle winkte ab. »Woher kannten Sie ihn?«

Arthur lächelte. »Ich melde mich wieder«, sagte er, nahm seine beiden Koffer und straffte die Schultern. Endlich. Es war an der Zeit, zu sehen, was es zu sehen gab, und zu hoffen, dass sein Unterfangen nicht vergebens war. »Ich werde Ihre Hilfe nicht vergessen, doch jetzt muss ich los! Bis bald, guter Mann.«

Die Straße schlängelte sich durch den dichter werdenden Wald, eine Brise ließ das Blätterdach wackeln und Schatten über den Boden tanzen. Arthur schwitzte nicht – noch nicht –, aber der Weg war länger, als er ihn in Erinnerung hatte. Ach, die Jugend, dachte er, endlose Energiereserven. Eine Strecke mochte eine Meile lang sein oder sechs oder sieben, es spielte keine Rolle. Und jetzt, mit beinahe vierzig, war Arthur eigentlich ganz gut in Form, aber die Tage, an denen er endlos laufen konnte, lagen lange zurück.

Er kam an eine Biegung und blieb stehen. Bäume versperrten den Weg.

Fünf insgesamt, sie standen mitten auf der Straße, die Stämme so dicht beieinander, dass es dazwischen kein Durchkommen gab. Sie ragten hoch auf, bis in den Himmel über ihm, und sahen weit älter aus, als es eigentlich möglich war. Hundert Jahre oder mehr. Aber das konnte nicht sein. Als er das letzte Mal hier war, hatten diese Bäume noch nicht hier gestanden, ja nicht einmal Setzlinge.

Was bedeutete, dass es etwas anderes sein musste. Oder besser gesagt: jemand anderes. Aber nicht die Bäume, nein. Arthur wurde beobachtet.

Er stellte seine Koffer ab und näherte sich dem Baum in der Mitte. Die Rinde war aufgesprungen und fühlte sich rau an, als er seine Hand darauf legte. »Bist du da?«, fragte er. »Müsstest du eigentlich. Das hier ist dein Werk, würde ich vermuten.«

Als Antwort erklang das Lied eines Vogels.

»Du kennst mich«, sprach Arthur weiter. »Oder den, der ich einmal war.« Er lachte, aber es lag keine Heiterkeit darin. »Ich bin hierher zurückgekehrt in der Hoffnung, mehr aus diesem Ort zu machen, als er einst war.« Er schloss die Augen und lehnte die Stirn an den Stamm. »Ich werde es allein tun, wenn ich muss, aber nicht ohne deine Erlaubnis.«

Er öffnete die Augen wieder und der Stamm begann zu beben. Arthur trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die Wurzeln der Bäume vor ihm sich mit einem leisen, zitternden Rumpeln aus der Erde lösten. Wie Fühler streckten sie sich nach links und rechts in den Wald, gruben sich dort in den Boden, zogen sich wieder zusammen und holten ächzend ihre Stämme nach. Die Straße war jetzt wieder passierbar.

Nur der mittlere Baum stand noch da. Seine Blätter zitterten und seine Zweige klapperten, als er sich nach Arthur streckte. Er zuckte nicht zurück, als einer der Zweige über seine Wange strich und ein frisches Blatt seine Nase kitzelte.

In dem Kitzeln war ein Flüstern: Der Junge. Der Junge mit dem Feuer ist nach Hause gekommen.

»Ja«, flüsterte er zurück. »Ich bin wieder da.«

Der Boden unter dem Stamm knackte und riss auf, als der Baum sich herumdrehte, seine Wurzeln wie Füße benutzte und auf ihnen von der Straße ging, hinein in den Wald. Sobald er einen Platz gefunden hatte, senkten sich die Wurzeln zurück in die Erde. Die Löcher, die er im Boden hinterlassen hatte, füllten sich von selbst wieder auf, und einen Moment später war die Straße vor Arthur genauso glatt wie die hinter ihm.

»Danke«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. »Falls und wenn du bereit bist, werde ich da sein.« Dann nahm er sein Gepäck und ging weiter.

Der Moment, als er aus dem Wald trat und das Haus nach achtundzwanzig Jahren zum ersten Mal wieder sah, bot keine Überraschungen. Durch die Sonne von hinten erhellt ragte es am Rand einer Klippe hoch auf. Vor dem Haus stand ein steinerner Springbrunnen, das verwitterte, grün-schwarz gefleckte Becken war leer. Das Mauerwerk machte einen leicht verfallenen Eindruck. Einige Ziegel hatten Sprünge, Splitter davon lagen halb zugewachsen im Gras. Scheiben waren geborsten, um die weißen Fensterrahmen rankte sich der Efeu, der die halbe Vorderseite des Hauses bedeckte. Der Turm, der sich oben auf dem Dach gut sieben Meter hoch erhob, sah aus, als würde er bei der kleinsten Berührung einstürzen. Neben dem Haus erstreckte sich ein Garten mit Blumen in Gold-, Rot- und Pinktönen, die inzwischen auch den Pavillon überwucherten, in dessen Holz einst ein Junge mit Feuer in den Adern seine Initialen geritzt hatte, um zu beweisen, dass er existierte: AFP. Arthur Franklin Parnassus.

Ein Stück abseits des Hauses stand noch ein weiteres Gebäude, das er noch nie gesehen hatte. Es war nicht da gewesen, als er als Kind von hier weggegangen war – nach seiner langen Gefangenschaft in der Dunkelheit gegen das grelle Sonnenlicht anschreiend, während ein starker Arm ihn die Treppe hinauf zu einem wartenden Fahrzeug zog. Das andere Gebäude war klein und aus ganz ähnlichen Ziegeln erbaut wie das, das er in seinen Träumen immer wieder gesehen hatte. Er wusste, dass das sogenannte Waisenhaus im Lauf der Jahre immer wieder den Eigentümer gewechselt hatte, aber soweit er es beurteilen konnte, wohnte hier schon eine ganze Weile niemand mehr. Das kleine, offensichtlich für Gäste gedachte Nebengebäude würde es einstweilen auch tun. Die Fenster waren intakt, und das Dach schien auch besser in Schuss als das des Haupthauses, welches bei Stürmen einige Dachschindeln eingebüßt zu haben...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2024
Reihe/Serie Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte-Reihe
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel Somewhere beyond the Sea
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2024 • Abenteuer • Diversity • eBooks • elementare • Fantasy • found family • Gestaltwandler • Hexen • LGBTQ • Liebe • Magie • Neuerscheinung • New-York-Times-Bestsellerautor • Queere Literatur • SPIEGEL-Bestsellerautor • Teufel
ISBN-10 3-641-32015-1 / 3641320151
ISBN-13 978-3-641-32015-7 / 9783641320157
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