Alle Farben des Himmels (eBook)
480 Seiten
MORE by Aufbau Digital (Verlag)
978-3-96797-535-2 (ISBN)
New York, 1897. Ein tragisches Unglück beendet jäh die Familienidylle der Malerin Margarita und des Fotografen Daniel. Hals über Kopf muss die junge Frau eine schwere Entscheidung treffen: Nach sieben unbeschwerten Jahren entschließt sie sich, mit ihren beiden kleinen Kindern nach Costa Rica zu reisen, um dort Zuflucht auf der familieneigenen Kaffeeplantage zu suchen. Doch ist hier noch das Zuhause, das Margarita einst so liebte?
Sie spürt, sie ist nicht mehr dieselbe, die einst von dort aufbrach, um sich ihren Traum vom Künstlerdasein zu erfüllen. Doch Margarita will einen Neuanfang wagen und für ihr Glück kämpfen ...
Vom New York der Jahrhundertwende zu den blühenden Kaffeefeldern Costa Ricas - Abschluß der großen Familiensaga von Anna Paredes
Anna Paredes ist eine deutsche Autorin. Mit ihren historischen Romanen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, hat sie sich ein internationales Publikum erobert. Unter dem Pseudonym Alexandra Guggenheim befasst sie sich mit der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Die im Aufbau Verlag unter dem Namen Agnès Gabriel erschienenen Romane haben die Modeschöpfer Christian Dior und Elsa Schiaparelli sowie die Malerin Berthe Morisot zum Thema. Die Autorin lebt in Hamburg.
1
JUNI 1897
»Will mitkommen, Mommy.« Lilly stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte die Ärmchen fordernd in die Höhe.
»Mitkommen, mitkommen«, plapperte William seiner älteren Schwester nach, steckte einen Daumen in den Mund und saugte gedankenverloren daran. Mit der anderen Hand zerknüllte er einen grasgrünen Stofffetzen: seinen Drachen, den der kleine Junge immer bei sich haben musste und der sogar Zauberkräfte besaß, wie er felsenfest behauptete.
Margarita ging in die Hocke und drückte ihren Kindern einen herzhaften Kuss auf die Wangen. »Heute nicht, meine Herzchen. Eure Mommy will sich mit einer Freundin treffen und von früheren Zeiten erzählen. Ihr schlaft sonst vor Langeweile ein. Außerdem wolltet ihr doch mit Elsie einen Bananenkuchen backen und mit den Nachbarskindern ein Picknick im Garten veranstalten.«
»Lilly will mitkommen«, beharrte die Vierjährige, stampfte mit dem Fuß auf und schlang die mageren Kinderarme um den Hals der Mutter.
»Auch mitkommen.« William nahm den Daumen aus dem Mund und zog einen Flunsch. Dicke Tränen kullerten ihm über die Pausbäckchen.
Margarita seufzte unhörbar. Seit dem Aufstehen hatte sie sich das Wiedersehen mit ihrer Freundin in den schönsten Farben ausgemalt. Henriette unterrichtete als Französischlehrerin die weiblichen Sprösslinge der New Yorker High Society. Sie kannten sich nahezu neun Jahre, seit der Zeit, als Margarita in die aufregende Stadt zwischen Hudson und East River gezogen war. Damals wohnten sie Tür an Tür in der Bond Street, im südlichen Teil Manhattans. Seither trafen sie sich so oft wie möglich zum Gedankenaustausch in einem Café, gingen ins Theater oder bummelten durch die riesigen noblen Warenhäuser in der West 20th Street, bei deren Auslagen die Herzen aller Frauen höher schlugen. Allerdings verließen Margarita und Henriette den Kauftempel nur höchst selten mit einer Einkaufstüte aus Papier, denn die Preise waren ebenso exquisit wie die Angebote.
Doch nun empfand Margarita fast ein schlechtes Gewissen, dass sie ohne die Kinder aus dem Haus gehen wollte. Unschlüssig blickte sie zu ihrer Haushälterin hinüber, die sich eine Schüssel unter die Achsel geklemmt hatte und mit einem Kochlöffel den Kuchenteig rührte. Elsie bemerkte den fragenden Blick ihrer Dienstherrin und zwinkerte ihr beruhigend zu.
»Wer von euch beiden hilft mir, der Banane die Hose herunterzuziehen? Schließlich wollen wir doch keine Schalen mitessen!«, rief sie mit ihrer tiefen Baritonstimme, die so gar nicht zu der molligen kleinen Frau mit den weiblichen Rundungen passte. Hätte man Elsie nur gehört und nicht gesehen, man hätte ihre Stimme für die eines Mannes gehalten.
»Ich!«
»Nein, ich!«
Wie auf Kommando ließen Lilly und William von der Mutter ab und rannten um den Küchentisch herum auf Elsie zu. Diese stellte die Schüssel auf der Tischplatte ab, zog ein scharfes Küchenmesser aus der Schublade und schnitt den Stängel einer reifen gelben Frucht an. Dann löste sie ringsum die Schale, jedoch nicht mehr als einen Finger breit. Die Kinder griffen gleichzeitig nach der Banane, zogen gemeinsam und unter viel Gekicher den Rest der Schale ab. »Hose aus«, jauchzte William und biss lachend ein Stückchen Fruchtfleisch ab. Lilly tat es ihm nach, und Elsie überließ ihnen mit mildem Lächeln eine zweite Frucht. Schmunzelnd sah Margarita zu. Bananenkuchen war in ihrer Kindheit ihr Lieblingskuchen gewesen. Auf der Kaffeeplantage ihres Urgroßvaters, auf der sie aufgewachsen war, hatte die Köchin ihn jeden Samstag gebacken. An Tagen, wenn tropische Regenfälle das Spielen unter freiem Himmel unmöglich gemacht hatten, hatte Margarita viele Stunden in der Küche verbracht. Oftmals hatte sie beim Zubereiten der Mahlzeiten zugeschaut, durfte gelegentlich sogar vom rohen Teig naschen. Vor einigen Wochen hatte ein neuer Obst- und Gemüsehändler in der Jones Street, Ecke Bleecker Street seinen Laden eröffnet. Er bot gelegentlich die exotischen gelben Früchte an. Wenn Margarita in ein saftiges Kuchenstück biss, wurde sie unweigerlich an ihre Heimat Costa Rica erinnert, die sie im Alter von achtzehn Jahren verlassen hatte, um in New York eine Ausbildung zur Malerin zu beginnen.
Dankbar für das geglückte Ablenkungsmanöver, warf Margarita ihrer Haushälterin eine Kusshand zu und verschwand eilig durch die Haustür. Auf der Straße umfing sie milde Sommerluft. In den Tagen zuvor war es nahezu unerträglich heiß gewesen, wie es für New York zu dieser Jahreszeit typisch war. Doch in der Nacht zuvor hatten kräftige Gewitter und Regenschauer für leichte Abkühlung gesorgt. Tief atmete Margarita den Rosenduft ein, der ihr entgegenströmte. Die Menschen in West Village, diesem beschaulichen Viertel zwischen Hudson-Ufer und Washington Square Park, waren zumeist Kaufleute, Handwerker und Künstler. Allen war die Liebe zu üppig bepflanzten Gärten und Vorgärten gemeinsam.
Ihr Ehemann Daniel und sie hatten sich rasch in dieser ruhigen Wohngegend mit den braunroten Klinkerfassaden eingelebt, nachdem sie fünf Jahre zuvor hierhergezogen waren. Bei einem ihrer Abendspaziergänge hatte Daniel das Verkaufsschild an einem schmiedeeisernen Gartentor in der Bedford Street als Erster gesehen. Damals wohnten sie noch in seiner winzigen Junggesellenkammer nahe dem Union Square Park, der den Broadway mit der Park Avenue verband. Ein gemütliches Haus mittlerer Größe und mit mehreren Zimmern sollte es sein, denn Margarita war zu dieser Zeit zum ersten Mal guter Hoffnung.
Dank der Mitgift, die ihr Onkel seiner vaterlosen Nichte zur Hochzeit vermacht hatte, konnte das junge Ehepaar das Reihenhaus erwerben und ganz nach seinen Vorstellungen einrichten. Im Erdgeschoss befand sich der Wohn- und Schlafbereich für die mittlerweile vierköpfige Familie, in der ersten Etage gab es drei weitere Zimmer, die später einmal für die heranwachsenden Kinder ausgebaut werden sollten. Unter dem Dach hatte sich der Hausherr ein kleines Studio mit Dunkelkammer eingerichtet. Sein früheres, weitaus größeres Atelier hatte Daniel aufgegeben, als er die Selbstständigkeit gegen eine Festanstellung bei einer der großen Zeitungen, dem New York Chronicle, eingetauscht hatte. Fortan war er als Photograph vorzugsweise in Brooklyn und Manhattan unterwegs, lichtete Menschen, Häuser, Werkstätten, Straßen, Pferderennen, Sportveranstaltungen und die Schiffe in den Docks und im Hafen ab.
Daniel liebte es, unter freiem Himmel unterwegs zu sein und mitzuverfolgen, wie die Stadt sich nahezu jeden Tag veränderte. Sein alter Freund Brian hatte mehrfach versucht, ihn zu einem Gemeinschaftsatelier zu überreden. Doch Daniel war der hochnäsigen Kundschaft überdrüssig geworden, die sich in extravaganten Verkleidungen und gekünstelten Posen gefiel und sich unerträglich anmaßend aufführte.
Sie würde ihrem Liebsten auf dem Rückweg ein neues Rasierwasser mitbringen, beschloss Margarita. Beim Frühstück war ihr in der Zeitung eine Annonce aufgefallen. Ein frischer Duft für den dynamischen Gentleman, so hatte der Hersteller geworben. Eilig und ohne auf den Weg zu achten, schritt Margarita aus und wäre um ein Haar in einen Hundehaufen getreten, der mitten auf dem Bürgersteig lag. Zwei halbwüchsige Jungen, die ihren beherzten Seitwärtssprung von der anderen Straßenseite aus beobachtet hatten, pfiffen laut und anerkennend. An der Ecke Barrow Street hielt sie eine Droschke an.
»Zum Waverly Café, nordöstliche Ecke Washington Square Park!«, rief sie dem Kutscher zu.
Eilfertig sprang der Mann vom Bock und öffnete den Schlag des Gefährts. »Bitte einzusteigen! Eine hübsche junge Lady wie Sie fahre ich überallhin«. Er schenkte ihr ein breites, fast zahnloses Lächeln.
Margarita, die nicht gern zu spät kam, war vor der Freundin am vereinbarten Ort. Um diese Uhrzeit war das Lokal nur zur Hälfte besetzt. Das würde sich jedoch eine Stunde später ändern, wenn die Menschen nach getaner Arbeit auf ein Bier, eine Suppe oder ein Sandwich hier einkehrten, bevor sie sich nach Hause begaben. Sie suchte sich einen Platz am Fenster, von wo sie einen Blick auf den Park mit dem imposanten Triumphbogen hatte. Das Bauwerk aus hellem Sandstein war anlässlich der Hundertjahrfeier der Vereidigung des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington errichtet worden.
Ein junges Mädchen in der schlichten graublauen Kleidung der Landfrauen hielt mit ihrem Handkarren vor dem Lokal an und pries ihre Melonen in den prächtigsten Rot-, Grün- und Gelbtönen an. Kaum hatte Margarita Zeichenblock und Stift gezückt, um die Szene festzuhalten, eilte Henriette zu ihr an den Tisch. Als Erstes nahm Margarita den Geruch von Bergamotte, Zedern und Salbei wahr. Henriette hatte ein Faible für Parfum, und für jede Stimmungslage besaß sie einen anderen Duft. Ihr Hut saß leicht schief auf dem weizenblonden Haar, die Wangen waren gerötet, auf den Lippen lag ein kräftiger Roséton. Selbstverständlich trug sie die als verrucht geltende Kolorierung nie während des Unterrichtes, vielmehr war sie Markenzeichen der privaten Henriette Winterling.
Die Freundinnen umarmten sich herzlich. »Ich habe mich verspätet«, entschuldigte sich Henriette. »Aber als ich vorhin die Wohnungstür hinter mir zuzog, bemerkte ich einen fehlenden Knopf an der Bluse. Also musste ich mich erst noch umziehen. Puh, so schnell bin ich lange nicht mehr gelaufen.«
»Ich warte erst seit wenigen Minuten. Darf ich rasch die Händlerin zu Ende skizzieren, Henriette?...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Reihe/Serie | Sehnsucht, Glück und Land der Träume |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Costa Rica • Familiensaga • Große Liebe • Schicksal • Unglück |
ISBN-10 | 3-96797-535-5 / 3967975355 |
ISBN-13 | 978-3-96797-535-2 / 9783967975352 |
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