Mein Herz ließ sich nicht teilen (eBook)
248 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44835-9 (ISBN)
Claudia Wenzel, geboren am 21. September 1959 in Lutherstadt Wittenberg, war nach dem Schauspielstudium festes Ensemble-Mitglied des Leipziger Schauspielhauses. Nach der Wende spielte sie u.a. am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und dem Winterhuder Fährhaus in Hamburg. Zusätzlich stand Claudia Wenzel bereits in der DDR vor der Kamera. Es folgten nach der Wende zahlreiche Serienrollen, u.a. in den TV-Serien Unser Lehrer Doktor Specht und der ARD-Soap Sturm der Liebe. Seit 2003 ist Claudia Wenzel mit dem Schauspieler Rüdiger Joswig verheiratet.
Claudia Wenzel, geboren am 21. September 1959 in Lutherstadt Wittenberg, war nach dem Schauspielstudium festes Ensemble-Mitglied des Leipziger Schauspielhauses. Nach der Wende spielte sie u.a. am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und dem Winterhuder Fährhaus in Hamburg. Zusätzlich stand Claudia Wenzel bereits in der DDR vor der Kamera. Es folgten nach der Wende zahlreiche Serienrollen, u.a. in den TV-Serien Unser Lehrer Doktor Specht und der ARD-Soap Sturm der Liebe. Seit 2003 ist Claudia Wenzel mit dem Schauspieler Rüdiger Joswig verheiratet.
1968
Diplomaten im Trainingsanzug
Ein Sonntag 1968. Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Los geht es zum Bahnhof und dann ab in den Zug zum Wettkampf nach Halle an der Saale. Seit der zweiten Klasse trainiere ich bei der Leichtathletik-Sportgruppe Lok Wittenberg dreimal in der Woche. Im Sportunterricht bin ich durch meine guten Leistungen, besonders im Laufen, aufgefallen, und wie bei allen Sichtungen von Talenten im DDR-Schulsystem wurde ich zum Sportverein BSG (Betriebssportgemeinschaft) Lok Wittenberg geschickt.
Das Training macht Spaß, die Sportgruppe ist groß, alle Altersklassen sind vertreten. Wir trainieren mit den älteren Sportlern, manche schon über zwanzig Jahre alt, eine bunt zusammengewürfelte Gruppe mit einem aufopferungsvollen Trainer Manfred Kuschel aus Wittenberg. Im Sommer trainieren wir auf der »Kampfbahn des Friedens«, einem kleinen Stadion mit Aschenbahn, im Winter im Lenin-Park und in der Jahn-Turnhalle. Alles bestens organisiert. Sogar die Trainingsanzüge, Wettkampfsachen mit Lok-Emblem und Sportschuhe bekommen wir vom Verein gestellt. Die Wettkampfsachen sind kostenlos; für die Trainingssachen wird ein kleiner Betrag gezahlt. Lok Wittenberg wird von der Deutschen Reichsbahn – so hieß sie im Osten ja noch bis 1993 – unterstützt, sodass wir auch mit den Zügen immer mit Freifahrtscheinen zu den Wettkampforten fahren können.
In Halle ist der Kleiner-Trompeter-Crosslauf angesagt, und nach einigen Siegen bei unterschiedlichen Wettkämpfen, diesmal auch in Halle, wird eine Trainerin von der Kinder- und Jugendsportschule »Friedrich Engels« in Halle an der Saale auf mich aufmerksam. Meine Erfolge in der Altersklasse Mädchen C sind auch immer wieder in der Presse nachzulesen.
Dazu ein Ausschnitt aus dem Artikel der Zeitung Freiheit vom August 1969: »Die relativ beste Leistung brachte die 9-jährige Claudia Wenzel (Lok) über 800 m der Mädchen C, sie verabschiedete sich aus der niedrigsten Klasse mit einer enormen Verbesserung ihres eigenen Kreisrekordes, der nun auf 2:54,4 min steht.«
Mein Trainer bei Lok Wittenberg sagt mir, dass man mich zu einer Sichtung besonderer Sporttalente an die Sportschule einlädt, und ich denke sofort, ja, das will ich! Mehr noch: Ich will Olympiasiegerin werden. Ich möchte auf dem Siegerpodest ganz oben stehen. Dass es auch darum gehen würde, mein Land zu vertreten, daran habe ich zu dieser Zeit noch gar nicht gedacht.
Dass dieser Staat seine Sportler benutzte, um sich Weltgeltung zu verschaffen, und ein durchorganisiertes staatliches Sportsystem hatte, konnte ich damals noch nicht durchschauen. Das Wichtigste war, die DDR-Nationalhymne zu spielen und die DDR-Fahne zu zeigen – deshalb nannte man die Leistungssportler auch »Diplomaten im Trainingsanzug«.
Mir war das alles ziemlich egal. Ich wollte nur Sport machen und erfolgreich sein. Und so fuhr ich im Sommer 1970 wieder nach Halle an der Saale, gemeinsam mit anderen Sportlern aus meiner Trainingsgruppe, und absolvierte nach Vermessungen des Körpers einige Sporttests.
Man beobachtete mich ein weiteres Jahr, in dem ich durch viele Siege in unterschiedlichen Disziplinen auffiel (Weitsprung, Sprint und Mittelstrecke) und sogar mehrfache Kreismeisterin und Bezirksmeisterin wurde.
Für meine Wettkämpfe hatte ich mir zwei Rituale – physiologisch und psychologisch – angewöhnt, die mir die nötige Kraft geben sollten. Zuerst gab es immer ein rohes Ei mit Traubenzucker und Zitrone, um mich körperlich fit zu fühlen. Für die psychologische Beeinflussung meiner sportlichen Gegner gab es in der End-Aufwärmphase auf dem Rasen das demonstrative Essen eines Mars-Riegels aus den Paketen meiner West-Oma. Diese Riegel wurden immer gesammelt und nur zu den Wettkämpfen mitgenommen. Da saß ich dann auf dem Rasen, lockerte meine Beine und verspeiste genüsslich, mit Blick auf meine Hauptgegnerin, den Riegel. Untertext: Wer Mars aus dem Westen vor dem Start isst, der muss einfach gewinnen. Liebe Gegnerin, du hast keine Chance!
Die Werbung im Westfernsehen ist überzeugend: Mars macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel! Und ich bin tatsächlich überzeugt, dass mir dieses Ritual hilft. Viele Siege bei Wettkämpfen und Rekorde in meiner Altersklasse über 800 Meter folgen – den Mars-Riegeln sei Dank!
Eines Tages meldet sich die Trainerin der Sportschule bei meinen Eltern in Wittenberg zu einem Gespräch an. Man möchte mich mit Beginn des neuen Schuljahres im September 1972, kurz vor meinem dreizehnten Geburtstag, auf die Sportschule zum SC Chemie Halle einladen, in die Leichtathletik-Klasse.
Ich bin begeistert. Meine Eltern nicht. »Claudia, willst du das wirklich? Auf ein Internat nach Halle, nur noch ab und zu an den Wochenenden, wenn kein Wettkampf ist, nach Hause? Willst du tatsächlich auf die Sportschule?«, fragen sie mich. Die Entscheidung überlassen sie jedoch mir.
Und ja, ich will, ohne genau zu wissen, was mich dort erwartet. Ich will Leistungssport machen, träume von großen Wettkämpfen in der weiten Welt. So fahre ich Ende August 1972 als Zwölfjährige mit meinen Eltern im Zug nach Halle. Mit gepackten Koffern in ein neues, anderes Leben. Bei der Verabschiedung im Internat von meiner Mutter und meinem Vater sehe ich beide weinen: »Komm bitte sofort nach Hause zurück, wenn es dir hier nicht gefällt, das ist nicht schlimm«, sagen sie mir mehrmals.
Auch für mich sind die ersten Wochen härter, als ich erwartet habe. Heimweh, Sehnsucht nach meinen Geschwistern und die Umgewöhnung, im Internat mit drei fremden Mädchen ein Zimmer zu teilen, fallen mir nicht leicht. Auch das anfängliche viele Training und der Konkurrenzkampf innerhalb der Trainingsgruppe sind neu für mich. Aber das Ziel vor Augen, eine große Sportlerin zu werden und mein Land bei den Wettkämpfen zu vertreten, lässt all meine Befindlichkeiten unbedeutend erscheinen.
Wir trainieren hart, täglich zwei, manchmal sogar drei Trainingseinheiten. Dazu kommt die Schule. Wenn ich mir heute meine Trainingstagebücher anschaue, frage ich mich, wie ich das alles geschafft habe.
Aber meine Trainingsgruppe, aus gleichaltrigen Mädchen bestehend, versteht sich hervorragend, und unsere Trainerin, die selbst einmal Vize-Europameisterin und 1964 sogar Olympiateilnehmerin war – in Tokio, wo zum vorerst letzten Mal eine gemeinsame deutsche Mannschaft antrat – und dort die 800 Meter lief, ist uns ein großes Vorbild.
Sonnabend nach der Schule fahre ich oft mit dem Bummelzug nach Hause. Zwei Stunden dauert die Fahrt von Halle nach Wittenberg. Mein Papa holt mich meistens vom Bahnhof mit dem Fahrrad ab, meine Tasche kommt auf den Gepäckträger, und dann laufen wir zu uns nach Hause. Auf dem Weg erzähle ich, wie die Woche war, berichte vom Stand meiner Trainingsleistungen und von allem, was mir auf dem Herzen liegt. Diese vertrauten Gespräche mit meinem Vater bedeuten mir sehr viel, denn das selbstständige Leben mit all den Anforderungen und dem Leistungsdruck ist nicht einfach.
Wenn wir zu Hause ankommen, verteile ich an meine Geschwister Bananen oder Orangen, die ich in der Woche für sie aufgespart habe. Die Verpflegung für uns Sportler ist hervorragend, abgestimmt auf die Sportart, natürlich mit viel Obst und Gemüse und eben auch mit den exotischen Früchten, die man in den Läden so gut wie nie bekommt.
In Halle ist der Fritz-Weineck-Gedächtnislauf angesagt, ein Crosslauf auf der Peißnitzinsel der Stadt.
Die Jahre an der Sportschule haben mich geprägt: Selbstdisziplin, Ausdauer, Durchhaltevermögen. Alles Eigenschaften, die mir in meinem weiteren Leben sehr geholfen haben und bis zum heutigen Tag, besonders auch in meinem Beruf, von Vorteil waren und sind.
Meine Trainerin, Waltraud Kaufmann (verheiratete Pöhlitz), eine wunderbare, beeindruckende Frau, sollte 1974 mit der Nationalmannschaft zu einem Wettkampf nach Schweden fahren. Einen Tag vor dem Abflug bekam sie mitgeteilt, dass sie als Betreuerin der Sportler nicht mitreisen dürfe, natürlich ohne Begründung. Wir spürten an den Tagen danach beim Training, dass diese willkürliche Entscheidung sie sehr traf.
Auch unter uns Sportlern spielte das Thema, wer wohl später mit ins kapitalistische Ausland zu Wettkämpfen reisen dürfte, eine große Rolle. Wir waren als sogenannte Nachwuchskader alle überprüft worden, was wir Kinder damals natürlich nicht wussten. Aber die Art der Machtausübung in der DDR war immer unberechenbar, wie wir nun am Beispiel unserer Trainerin mitbekamen. Sie war als aktive Sportlerin eine echte Diplomatin im Trainingsanzug gewesen, hatte so viele Siege für die DDR errungen – und nun verweigerte man ihr als Trainerin die Reise ins kapitalistische Ausland. Für mich war sie die Beste, weil sie auch nach Rückschlägen und dann, wenn ich die gesetzten Ziele nicht erreichte, immer an mich glaubte.
Seite aus meinem Trainingstagebuch im Jahr 1974, meinem zweiten Jahr auf der Sportschule
1976 verletzte ich mich bei einem Wettkampf schwer: Achillessehnenriss. Eine lange Trainingspause folgte. Dann kündigte im Sommer 1976 zum Ende meines zehnten Schuljahres auch noch meine Trainerin, ich kam in eine neue Trainingsgruppe, wo ich mich mit dem Trainer nicht verstand und auch meine Leistungen nicht...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | 35 jahre mauerfall • Autobiografie • Berliner Mauer • beste biografien • Biografie • Biografie Bestseller • Biografie Frauen • biografie neuerscheinung 2024 • Biographien berühmter Persönlichkeiten • biographie schauspieler • buch biografie • Claudia Wenzel • damals in der ddr • DDR • DDR Buch • DDR-Schauspielerin • Deutsche Geschichte • Mauerfall • Memoiren • neue biografien 2024 • Ostdeutschland • Ost/West • Rote Rosen • Schauspielerin • Wiedervereinigung • Wiedervereinigung Deutschland |
ISBN-10 | 3-426-44835-1 / 3426448351 |
ISBN-13 | 978-3-426-44835-9 / 9783426448359 |
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