Perry Rhodan Neo 344: Dreihundert Jahre Einsamkeit (eBook)
160 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5544-3 (ISBN)
4.
Die Perlenschnur
Nirris-San steuerte das zapfenförmige Kleinstbeiboot und die weiteren Dingis, die sie mittels Zugseilen zu einer Schlepptraube gekoppelt hatte, geschickt von der GRASHKAR-SLAK weg.
Jetzt ist jetzt. Schwäche schwächt das Ganze. Großes erhöht es.
Wieder und wieder ließ sie sich die Sozialen Weisungen durch den Kopf gehen. Ganz gleich, was geschehen mochte, sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand.
Mit einem Ruck löste sich das nächste Dingi aus der Vertäuung der gekoppelten Wartungsbootschar. Nirris-San arbeitete so energieeffizient wie möglich und achtete sorgfältig darauf, die Dingis mit den niedrigsten Energiereserven zuerst freizusetzen. Der Widerstand der Hypergranulen, der sich bis in den Normalraum auswirkte, war enorm, und ohne die kombinierte Schubunterstützung der anderen Dingis wäre sie mit ihrem eigenen Gefährt kaum weit gekommen – obwohl es das einzige Raumboot war, das noch fast voll aufgeladene Energiespeicher gehabt hatte.
Sie prüfte die Funkverbindung, ließ sich bestätigen, dass die Entfernung nicht zu groß geworden war, und aktivierte den Sender des Dingis. Anschließend zog sie mit ihrer Traube weiter.
Die GRASHKAR-SLAK schwebte hinter ihr scheinbar unversehrt und ungefährdet im Nichts, als gäbe es in dieser Umgebung nichts Besonderes oder Bedrohliches. Die hohe Granulendichte machte sich mit bloßem Auge nicht bemerkbar, der Weltraum wirkte so leer wie anderswo auch. Ein fataler Irrtum, wie sie gerade am eigenen Leib erfuhr.
Sie prüfte laufend die Signalstärke der Funkkette, wobei sie sich ganz auf ihre Ohren verlassen musste, denn auch in ihrem Dingi waren die höheren Funktionen der Bordpositronik ausgefallen.
»Erzählen Sie mir etwas von den Schlüpflingen!«, bat sie Vissk-Trass. »Ein Gedicht! Mein Ausflug ist etwas eintönig.«
»Wenn Sie sich sogar mit meiner Dichtkunst bescheiden«, hörte sie die Stimme des Kommandanten schwach aus dem Akustikfeld des Funkempfängers, »muss Ihnen wahrhaftig langweilig sein!«
»Meine Fans sind leider nicht sehr gesprächig«, gab Nirris-San zurück. »Auch wenn sie mir an den Schuppen hängen.«
Zu ihrer Überraschung wartete Vissk-Trass gleich nach dem Absetzen des nächsten Dingis mit einem Gedicht auf, das zwar ziemlich holprig war, für Nirris-San aber schöner klang als alles, was sie bislang gehört hatte.
Ich schwebe mitten im Nichts in einer Blechdose, die kaum noch Energie für den Antrieb hat – und selbst wenn sie mehr Kraft hätte, könnte ich damit höchstens weiterkrabbeln wie eine flügellahme Wrrikidar auf einem Weltraumbahnhof, sinnierte sie.
Sie hatte noch drei Dingis übrig. Der Abstand zwischen den Relaispositionen war mittlerweile so angewachsen, dass sie eine ganze Weile fliegen musste, bis das Funksignal wieder deutlich schwächer wurde. Außerdem brauchte es merklich weniger Schub, um den Widerstand des Granuleneinflusses auszugleichen. Die GRASHKAR-SLAK war längst nicht mehr hinter ihr zu sehen. Umso bedrohlicher wirkte aber nun die Wolke aus undurchdringlichem Schwarz, die sich aus der Richtung des großen Raumschiffs erhob. Die Ränder der Wolke waren ausgefranst, als würde sie rauchen. Vor dem Schwarz glänzte ein winziger Punkt – das Dingi, das sie zuletzt ausgesetzt hatte.
Für einen Moment überkam sie Panik bei der Vorstellung, den Weg nicht wieder zurückzufinden. Sie kämpfte das Gefühl nieder und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Das Funksignal der Relaiskette wurde schwächer. Wie weit konnte sie sich noch wagen? Ein Stückchen war auf jeden Fall noch möglich!
Sie koppelte das drittletzte Dingi ab. Noch zwei ... die Sendereichweite war zwar größer geworden, aber nach wie vor viel zu begrenzt.
Das Ganze ist wirklich eine letzte Verzweiflungstat, dachte sie. Aber die zählt. Jetzt ist jetzt.
»Wie wäre es mit einem Gedicht über die Weibchen des Geleges?«, rief sie in das Funkgerät.
Im Rauschen des Empfängers ging die Stimme von Vissk-Trass zwar fast unter, aber er antwortete. Sein Gedicht war so geistreich, dass sie trotz ihrer Lage lachen musste. Der Kommandant hatte in einem Sechszeiler mehrere logische Schlingen untergebracht, in die sie mitten hineingetappt war.
Das vorletzte Dingi war platziert. Für das letzte nahm sich Nirris-San vor, bis zum Maximum der Reichweite zu gehen. Sie wurde sich bewusst, dass das ziemlich weit war. Unter normalen Umständen wäre sie mit einem winzigen Wartungsboot nie so weit in die Leere geflogen. Die Energie der kleinen Triebwerke würde bald erschöpft sein.
Aber darum konnte sie sich kümmern, wenn es so weit war. Erst mal musste sie das letzte Dingi im Schlepp loswerden.
Dann geschah das, was sie insgeheim befürchtet hatte: Sie flog zu weit. Das Relaisdingi konnte das Signal nicht mehr vernünftig empfangen und verstärken. Nirris-San züngelte indigniert und verbrauchte wertvolle Energie, um ihre beiden Raumboote in die Gegenrichtung zurückzudirigieren.
Beim zweiten Positionierungsversuch hatte sie mehr Glück. Der Empfang war weiterhin alles andere als sauber und klar, als sie Vissk-Trass Bericht erstatten wollte, aber darauf kam es nicht an. Das letzte Relaisdingi strahlte das Notsignal mit voller Sendestärke ab.
Sie verharrte und bereitete sich auf die kritischste Phase ihrer Mission vor. Sie musste den Kurs ihres jämmerlich winzigen Raumfahrzeugs exakt anlegen, sonst genügte ihr Treibstoff nicht mehr für die Rückkehr. Wie eine Kugel aus dem Spiel, das die Vitalier Billard nannten, musste sie die schwarze Zielkugel treffen, nämlich das Mutterschiff GRASHKAR-SLAK. Sie durfte es dabei allerdings nicht wegstoßen.
Das würde mir glücklicherweise ohnehin kaum gelingen, dachte sie und rauschte amüsiert mit den Schuppen.
Sie gab Schub. Zu ihrer Zufriedenheit beschleunigte ihr Dingi überraschend stark.
»Kommandant, ich bin auf dem Rückweg«, meldete sie sich.
Die Bestätigung von Vissk-Trass kam prompt.
Beinahe wäre sie in das vorletzte Dingi der Relaiskette hineingeflogen. Sie entdeckte es erst, als es schon fast zu nah war: Plötzlich erschien direkt vor ihr ein glimmender Punkt und wuchs rasant zu der für Dingis typischen Zapfenform an. Nirris-San gab maximalen Gegenschub. Hätte sie etwas später reagiert, wäre das Ganze übel ausgegangen.
Wie kann man nur so dumm sein?, rügte sie sich. So genau wollte ich den Rückkurs auch nicht anlegen!
Dicht vor ihr schwebte das Gefährt, das nun als Verstärker diente. Sie lenkte ihr eigenes Raumboot vorsichtig daran vorbei und richtete es neu aus.
Sie war so sehr mit dieser Kurskorrektur beschäftigt, dass sie die kleine Anzeige erst bemerkte, als sie weiterfliegen wollte. Ein rotes Lämpchen leuchtete schräg unten an der Instrumentenkonsole.
Ihre Energie war so gut wie erschöpft.
Nirris-Sans Schuppen stellten sich auf. Hastig rechnete sie nach, rechnete noch mal, bezog den Geschwindigkeitsverlust durch die Granulendichte mit ein, verringerte diesen Faktor so weit, dass sie selbst nicht mehr an ihn glaubte, aber das Ergebnis blieb immer gleich: Sie hatte nicht mehr genug Energie, um es zur GRASHKAR-SLAK zurück zu schaffen.
Im freien Raum hätte sie nur einen einzigen Schubstoß gebraucht und wäre mit nahezu konstanter Geschwindigkeit auf ihr Ziel zugeflogen, aber die Hyperraumgranulen würden die Bewegung abbremsen. Um das zu kompensieren, benötigte sie über die ganze Strecke hinweg eine stetige Energiezufuhr für ihr Triebwerk. Und dafür eins der Relaisdingis aus der Senderkette anzuzapfen, kam nicht infrage.
Sogar wenn es ihr durch Glück und Zufall gelänge, bis zur GRASHKAR-SLAK vorzudringen, blieb ihr keine Energie mehr zum Abbremsen. Und dass die Granulen sie direkt vor dem Raumschiff stoppen würden, wäre ein allzu gefälliger Zufall gewesen; alle Berechnungen, die sie im Kopf dazu anstellte, widersprachen dieser Hoffnung.
»Gut!«, sagte sie laut. Sie aktivierte den Funk. »Kommandant, ich muss umplanen. Meine Energie reicht nicht für den Rückflug aus.«
»Wir holen Sie!«, erklang die verzerrte Stimme von Vissk-Trass. »Nähern Sie sich uns so weit wie möglich. Wir finden eine Lösung.«
»Sie wissen ebenso gut wie ich, dass es keine Lösung gibt. Alle Dingis sind hier. Unsere anderen Beiboote haben keine Energie mehr. Sie können mir nicht helfen.«
»Aber was wollen Sie tun?«
»Ich werde Hilfe holen. Oder besser gesagt, ich werde es versuchen.«
Damit rotierte sie ihr Dingi in die entgegengesetzte Richtung, weg von der GRASHKAR-SLAK, am letzten Dingi der Funkkette vorbei, und gab ein finales Mal Vollschub. Den letzten Rest ihrer Energie sparte sie für das Abbremsen und den Notsender auf.
In Gedanken hörte sie das Gedicht des Kommandanten über das Gelege. »Beim besten Willen, du bist ein miserabler Dichter, aber ein brillanter Logiker«, zischelte sie mit traurigem Amüsement.
*
Das Ende der Ortungschefin war ein schwerer Schlag für Vissk-Trass. Er war zuversichtlich gewesen, dass sie es zum Hauptschiff zurückschaffen würde. Nun war sie fort, noch lebendig, aber unerreichbar weit entfernt im Weltraum. Ein langsamer Tod erwartete sie, und er konnte nichts dagegen tun.
Die Lichter in der Zentrale der GRASHKAR-SLAK gingen aus. Vissk-Trass tastete sich durch die totale Finsternis. Auch die Lampe an seinem Anzug versagte ihm den Dienst. Nur ein winziger roter Punkt schwebte vor ihm in der Schwärze.
Er bewegte sich darauf zu – und stieß sich den Kopf. In der Dunkelheit war es unmöglich, Entfernungen richtig...
Erscheint lt. Verlag | 21.11.2024 |
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Reihe/Serie | Perry Rhodan Neo |
Verlagsort | Rastatt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Neo • Perry Rhodan • Perryversum • Science Fiction |
ISBN-10 | 3-8453-5544-1 / 3845355441 |
ISBN-13 | 978-3-8453-5544-3 / 9783845355443 |
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