Der Steg (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3620-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Steg - Petra Johann
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Verhängnisvoller Besuch.

Bis vor einer halben Stunde dachte Priska, ihr Leben sei perfekt. Toller Job, toller Ehemann, tolles Haus am Plöner See, Vorfreude auf ein langes Wochenende mit ihrem Halbbruder Moritz und dessen neuer Freundin Anna. Doch jetzt steht Priska auf dem Bootssteg, der zu ihrem Haus gehört, und blickt ins klare Wasser. Auf dem Seegrund liegt ein Mann, er ist tot, und es ist ihre Schuld. Da klingeln auch schon die Gäste ...

Ein tiefgründiger, virtuos komponierter Psychothriller über zwei Frauen: Die eine will mit allen Mitteln ein Geheimnis bewahren, die andere möchte nur die Schwester ihres Freundes kennenlernen - bis ihr der Verdacht kommt, diese könnte eine Mörderin sein!

 



Petra Johann, Jahrgang 1971, ist promovierte Mathematikerin. Sie arbeitete mehrere Jahre in der Forschung und in der Softwarebranche, bevor sie sich entschloss, Schriftstellerin zu werden. Sie ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt mittlerweile in Niedersachsen.

Bei Rütten & Loening und im Aufbau Taschenbuch sind ebenfalls ihre Spannungsromane »Die Frau vom Strand«, »Der Buchhändler« und »Die Schwester« lieferbar. Zuletzt erschien von ihr der Thriller »Der Steg«.

1


Priska

Ich wollte nie ein Gutmensch sein. Nicht einmal als kleines Mädchen, als ich noch in meiner heilen Prinzessinnenwelt mit Tennisstunden und Klavierunterricht im Überfluss lebte, dachte ich übers Teilen nach. Und später schon gar nicht. Ich wollte immer nur erfolgreich und unabhängig sein, vor allem Letzteres. Begehrt, aber nicht begehrend.

Doch natürlich wollte ich auch nie ein schlechter Mensch werden. Nur Psychopathen haben den Wunsch, Böses zu tun. Ich wollte einfach im moralischen Mittelfeld mitlaufen, auf der Leiter des Lebens nach oben klettern, ohne meine Energie dafür zu vergeuden, andere mit mir auf die nächste Sprosse zu hieven, aber auch ohne sie nach unten zu treten. Denn jeder ist seines Glückes Schmied.

Was ich mir dabei nicht klargemacht habe: Manchmal stellt das Schicksal uns vor die Wahl – gut oder böse –, und wir bekommen nur Sekunden, um uns zu entscheiden.

Wehe denen, die das Gutsein nicht geübt haben.

»Sie ist Veganerin? Und das sagst du mir erst jetzt?« Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Abendzigarette und trete gegen ein Büschel Unkraut, das zwischen den Fugen unserer Terrassenplatten wuchert, als würde es dafür bezahlt. Die Sonne ist schon vor zwei Stunden untergegangen, doch durchs Wohnzimmerfenster fällt so viel Licht, dass ich die ersten Meter um mich herum überblicken kann. Bis zum Wasser reicht der Schein allerdings nicht, in den dunklen Schatten ist nicht zu erkennen, wo unser Grundstück aufhört und der See beginnt. »Flo hat das Essen für das ganze Wochenende schon geplant und eine Riesenbestellung beim Fischhändler aufgegeben. Er will morgen eine Fischpfanne machen.«

»Äh, das tut mir leid. Sorry, Sis, ich habe es einfach total vergessen.«

Ich lasse kurz das Handy sinken. »Wie konntest du das vergessen? Ich habe dich letzte Woche gefragt, ob Anna Allergien oder Unverträglichkeiten hat.«

»Die hat sie ja nicht. Sie isst nur aus ethischen Gründen keine tierischen Produkte.« Moritz schweigt einen Augenblick lang, und ich stelle mir vor, wie sich sein Teddygesicht zu einer zerknirschten Grimasse verzieht. Das macht es immer, wenn er Chaos anrichtet – was oft vorkommt. »Aber hör mal – wenn es zu kompliziert ist, das noch zu ändern, dann soll Florian einfach die geplante Pfanne machen. Vielleicht kann Anna den Fisch weglassen.«

»In der Pfanne ist auch Sahne drin oder Schmand oder so etwas.«

»Hm, das macht es schwieriger. Vielleicht kann Florian für Anna einfach ein bisschen extra Gemüse anbraten? Oder wir bringen Brot und veganen Aufstrich mit.«

»Und dann isst Anna das ganze Wochenende Sandwiches, während wir anderen in Flos Kochkünsten schwelgen?«, frage ich skeptisch.

»Sie sagt, das sei kein Problem für sie. Eigentlich wäre es ihr sogar am liebsten so. Sie will euch auf keinen Fall Mühe machen.«

Ach, echt nicht? Ich inhaliere noch etwas Nikotin. »Und Anna ist wirklich zu hundert Prozent Veganerin?«, hake ich nach. »Nicht bloß so eine, die sich auf Insta politisch korrekt und megawoke mit Falafel Buddha Bowl inszeniert, während sie sich heimlich bei Burger King einen Doppelwhopper reinzieht?«

Moritz lacht. »Anna ist zu hundert Prozent Veganerin und zu hundert Prozent authentisch – weswegen sie zu hundert Prozent Instagram hasst. Sie hat überhaupt nur aus beruflichen Gründen einen Account. Und wie gesagt, sie will keine Mühe machen. Sandwiches wären absolut okay.«

Ich denke über den Vorschlag nach. Auf den ersten Blick gefällt er mir, auf den zweiten ist er selbst mir zu pragmatisch. Abgesehen davon wird Flo ohnehin dagegen sein. Im Gegensatz zu mir ist mein Mann ein begeisterter, fürsorglicher Gastgeber. Im Gegensatz zu mir kann er auch kochen, weil er nicht mit dreizehn Jahren beschlossen hat, es niemals zu lernen. Als sich damals mein Leben von einem Tag auf den anderen mit einem Riesenknall änderte, habe ich einige Vorsätze gefasst. An die meisten habe ich mich gehalten, an den wichtigsten allerdings nicht.

»Lasst den Aufstrich mal zu Hause, das bekommen wir schon hin. Sonst noch irgendwelche Last-minute-Informationen? Müssen wir einen Treppenlift einbauen, weil Anna im Rollstuhl sitzt, oder eine Katzenklappe, weil sie ihren Lieblingstiger mitbringt?«

»Den lässt sie zu Hause.«

»Dann bin ich beruhigt. Und wann sollen wir mit euch rechnen?«

»Wir planen, gegen halb fünf da zu sein, damit wir noch im Hellen ankommen. Also«, fügt Moritz hinzu, »noch einmal Sorry wegen der Extramühe. Ich bin sicher, es wird ein großartiges Wochenende. Wir freuen uns total auf euch.«

»Wir freuen uns auch.«

Das ist nicht nur eine Floskel. Ich freue mich, zumindest auf Moritz. Ich habe ihn seit meiner Hochzeit vor acht Monaten nicht gesehen. Das ist der Nachteil daran, dass ich von Baden-Württemberg nach Schleswig-Holstein gezogen bin: Jetzt trennen mich sechshundertfünfzig Kilometer von meinem kleinen Bruder. Allerdings bin ich mir noch nicht sicher, ob ich mich auch auf seine neue Freundin freue.

Ich stecke mein Handy in meine Hosentasche und rauche mit Genuss meine Zigarette zu Ende. Ich genieße dieses Ritual. Ich habe mir für Flo das Rauchen abgewöhnt, bis auf diese eine abendliche Zigarette. Ich habe ihm ein Ultimatum gestellt – »Wenn die letzte Zigarette verschwindet, tue ich es auch.« –, und Flo hat das akzeptiert. Dabei wusste er genauso gut wie ich, dass ich für ihn nicht nur auf die letzte Zigarette, sondern notfalls auch aufs Essen, Trinken und Atmen verzichten würde. Die schlichte Wahrheit ist: Ich bin verrückt nach ihm – und er nach mir.

Ich trete die Zigarette aus und lege die Kippe in die Blechdose, die an der Hauswand bereitsteht. Dann drücke ich die Terrassentür auf und kehre ins hell erleuchtete Wohnzimmer zurück. Flo steht in der offenen Küche an der Spüle und schrubbt an einer gusseisernen Pfanne herum, während er aus vollem Hals und ziemlich schief »Love to go« schmettert, laut genug, um Kelvin Jones zu übertönen, der im Radio mitzuhalten versucht.

Als ich Flos knackigen Po betrachte, der im Rhythmus der Musik hin und her zuckt, kann ich nicht widerstehen. Leise schlüpfe ich aus meinen Turnschuhen, schäle mich aus Jeans und Bluse und schleiche mich an meinen Mann heran. Von hinten lege ich meine Arme um ihn, schiebe die Hände tief in die Taschen seiner Jeans und presse mich an ihn.

Flo singt weiter, erst als die letzte Strophe verklungen ist, dreht er sich zu mir um. Als er sieht, dass ich nur BH und Slip trage, leuchten seine Augen. »Uh, Nachtisch.«

Wir treiben es direkt in der Küche und dann noch einmal auf der Couch im Wohnzimmer, wobei Flo zwischendurch geistesgegenwärtig das Licht dimmt. Als wir das Haus gekauft haben, hat Flo mit seinem Partner aus der Schreinerei die alten Fenster durch riesige Panoramascheiben ersetzt, für die wir noch keine passenden Vorhänge gefunden haben. Das hat uns bis vor kurzem auch nicht gestört. Die Fensterfront geht zum Garten und zum See hinaus, niemand kann hineinschauen. Das dachten wir zumindest, bis wir uns eines Abends bei schönster Festbeleuchtung im Wohnzimmer vergnügten und irgendwann bemerkten, dass ein Ruderboot nur wenige Meter von unserem Bootssteg entfernt vorbeischipperte, darin zwei Personen, die – wie im Mondschein gut erkennbar – interessiert zu uns herübersahen. Ich weiß nicht, ob es zwei Fischer auf nächtlicher Angeltour oder zwei Voyeure auf Spannertour waren, doch danach habe ich angefangen, Stoffmuster zu wälzen.

Als wir nackt und zufrieden in einem Nest aus Decken auf dem Teppich vor unserer Couch kuscheln, erzähle ich Flo, dass er seine Kochpläne fürs Wochenende über den Haufen werfen muss. Er reagiert gelassen. Flo ist meistens gelassen, regelrecht tiefenentspannt, eine Eigenschaft, um die ich ihn oft beneide und die mich manchmal in den Wahnsinn treibt.

»Kein Problem, ich koche etwas anderes, und wir frieren den Fisch ein. Oder ich koche ...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bestseller 2024 • Domestic Crime • Familie • Krimi • neuerscheinung 2024 • Thriller
ISBN-10 3-8412-3620-0 / 3841236200
ISBN-13 978-3-8412-3620-3 / 9783841236203
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