Das Haus Zamis 94 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6783-5 (ISBN)
Ein vielstimmiges Krächzen hallte wie ein Schrei von den Dächern herab. Dutzende Raben aller Größen stießen wie ein Blitzschlag auf mich zu. Sofort ließ ich mich in den schnelleren Zeitablauf fallen, doch meine Magie gehorchte mir nicht.
Ich stürzte zurück ins Café. Die Tür lag nur wenige Schritte entfernt, und dennoch erschien es mir wie eine Ewigkeit. Harte Schnäbel hackten auf mich ein. Krallen gruben sich in mein Fleisch. Ich schützte meinen Kopf, so gut ich konnte.
Dann hatte ich es geschafft. Das hysterische Krächzen der verfluchten Biester folgte mir bis nach drinnen. Ein paar schwarze Körper knallten gegen die Scheibe und ließen sie scheppern.
Doch folgte mir keines der Tiere ins Haus. Lilian schlug die Tür hinter mir rechtzeitig zu ...
1. Kapitel
Coco mochte Tante Sandra nicht besonders. Sie war fremd und sagte seltsame Sachen zu Papa, die Coco nicht verstand. Darüber wurde Mama ärgerlich. Coco bemerkte, wie sie die hinterm Rücken gekreuzten Hände zu Fäusten ballte.
Onkel Behemoth aber war noch schlimmer. Er lachte zu laut und zu brüllend und würdigte die Kinder keines Blickes, bevor er sich mit Vater in die Bibliothek verzog, um dort etwas zu trinken. Coco begriff nicht, warum man dazu in die Bibliothek gehen musste. Die Milch und der Saft waren doch im Kühlschrank in der Küche.
Tante Sandra und Mutter blieben im Wohnzimmer zurück, und das bedeutete, dass auch Coco und Georg bleiben mussten. Die Tante musterte Georg mit einem abschätzenden Blick. So ähnlich wie der gruselige alte Skarabäus Toth immer Coco anschaute, wenn er Vater besuchen kam. Sie hatte dieses Starren in Gedanken den Durchleuchte-Blick getauft, weil er sich so ekelhaft anfühlte. Zum Glück kamen solche Besuche selten vor. Diesmal bekam Georg den Ekelblick ab.
»Er macht sich ganz gut für einen kleinen Bastard.« Das Lob der Tante klang freundlich, aber Coco spürte genau, dass irgendwo verborgen in dem seidig glatten Lächeln der Tante eine spitze Nadel lauerte, die nur darauf wartete, zuzustechen.
»Wie sehr ich doch dein Interesse an meinen Kindern zu schätzen weiß«, gab Mutter zurück.
Die Frauen tranken Tee.
»Schließlich bin ich vom Fach«, sagte die Tante, nachdem sie einen Keks geknabbert hatte.
»Ach ja, richtig. Du bist Kindermädchen.«
»Ausbilderin.«
»Gouvernante.«
»Lehrerin!«
Die beiden Frauen sahen einander streng an.
Schließlich lachte die Tante auf. Der Laut war unecht, aber trotzdem lustig. Die Kinder kicherten mit. Das wiederum freute Tante Sandra.
»Wo habe ich nur meine Manieren und meinen Kopf?«, murmelte sie. »Hier, ihr Süßen. Ein kleines Geschenk. Esst nicht alles auf einmal.«
Eine Handbewegung zauberte zwei kleine Schüsseln hervor. Darin war eine Art Creme, die verdächtig nach Schokolade aussah und auch so roch.
Wie hungrige Harpyien stürzten sich die Kinder auf die Süßigkeit. Sie hatte einen besonderen Geschmack nach Eisen und einer anderen Süße, die nichts mit Schokolade zu tun hatte und ein wenig an Wurst erinnerte. Georg erkannte den Ursprung und hob den Kopf.
»Da ist Blut drin.«
Die Tante lächelte mild. »Eine Spezialität. Sehr delikat. Dein Geschmackssinn gefällt mir, Junge.«
Später spielte sie mit Georg Hoppe-Hoppe-Reiter. Er saß auf ihrem Knie und tat so, als säße er auf einem schnellen Pferd. Gemeinsam sangen sie einen Abzählvers, in dem der Reiter in einen Graben oder Sümpfe fiel und von Raben gefressen wurde. Jedes Mal, wenn der Sumpf Erwähnung fand, stieß ihn die Tante mit einem Zauber von sich. Er flog wie eine Kanonenkugel durch das halbe Zimmer, schaffte es aber immer, sich abzurollen. Mit jeder Runde wurde das Spiel wilder. Einmal knallte Georg sogar mit dem Kopf voran gegen den Geschirrschrank, aber er lachte nur und stürmte sogleich wieder los, um sich erneut fortschleudern zu lassen. Normalerweise mochte er solche Spiele überhaupt nicht. Wenn Coco mit ihm raufen wollte, sagte er immer, dass er für solche Dinge zu alt war. Aber bei Tante Sandra war alles anders.
Mutter verfolgte das Treiben stumm und bediente sich mit Tee und Gebäck. Auch Coco wollte Spaß haben. Nachdem sich die Tante so freundlich Georg gegenüber zeigte, wagte sie sich näher zu den Knien der Tante.
»Ich will auch!«, krähte sie ihren Wunsch heraus.
»Na, ich weiß nicht«, sagte die Tante. »Du bist noch ein bisschen zu klein dafür. Wenn dir später alles wehtut, heulst du uns bloß die Ohren voll.
»Ja, das stimmt«, pflichtete Georg eifrig bei. Er sah Coco streng an. »Du bist noch zu klein dafür.«
»Bin ich nicht!«, wehrte sich das Mädchen.
»Bist du wohl!«
Sie kratzte ihn, er trat ihr auf den Fuß.
»Kinder! Schluss damit!«
Die Tante packte sowohl Georg als auch Coco und zog sie auseinander. Ihre spitzen Fingernägel gruben sich tief in Cocos Oberarme. Georg ging es nicht besser, aber er schwieg trotzig. Coco nahm sich ein Beispiel an ihm und unterdrückte die Tränen des Schmerzes und der Wut.
Erst als sich die Kinder beruhigt hatten, ließ Tante Sandra los. »Gut so«, lobte sie. Dann seufzte sie. »Na gut, komm schon her, du kleine Göre.«
Sie hob Coco auf ihr Knie.
Mutti verzog den Mund zu einem Lächeln, das zugleich auch Verachtung zeigte.
»Na, als Kindergärtnerin bist du nicht schlecht.«
Coco spürte, wie Tante Sandra sie fester packte. »Um Asmodis Kinder und Enkel zu erziehen, reicht es gerade noch. Ist ja nicht so als gäb's davon besonders wenige.«
Mutter schwieg, aber ihre Lippen formten weiterhin das starre Nicht-Lächeln.
Dann fing die Tante mit dem Spielgesang an, und Coco vergaß das unverständliche Gespräch der Frauen.
»... wenn er fällt, dann schreit er ...«
Coco jauchzte. Das Spiel war wirklich lustig. Sonst spielte niemand solche lustigen Sachen mit ihr.
»... fällt er in den Graben ...«
Plötzlich gefror die Luft. Coco quietschte vor Vergnügen. Sie konnte die Kälte des Grabens richtig spüren. So als käme der Winter ins Zimmer geflogen.
»... fressen ihn die Raben ...«
Tante Sandra schüttelte sie immer heftiger und hielt dabei immer weniger fest. Coco hatte keine Angst. Irgendwann würde sie fallen, aber das war der Lauf der Dinge. Bei Georg hatte es so lustig ausgesehen.
Tante Sandra war plötzlich auch ganz begeistert. Sie schrie und riss die Hände hoch wie zum Jubel. Dabei bewegte sie jedoch immer noch ihr Knie. Sie zappelte wie verrückt. Coco kicherte. Plötzlich krächzten Raben in der Ferne. Nein, in der Nähe. Coco hörte sie deutlich. Ganz nah! Oh, war das schön. Bei Georg waren keine Raben gekommen. Die Tante schrie immer noch. Vielleicht gehörte das zum Spiel.
Mutti sprang auf, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Genau wie Georg. Vater stürmte zur Tür herein. Er brüllte etwas, aber Tante Sandras Geschrei übertönte alles.
Coco kreischte glücklich mit. Endlich stand einmal sie im Mittelpunkt. Und alle starrten sie an. Sie lachte. Das war besser als Schokolade.
Im nächsten Augenblick zerbarst das Fenster zum Garten, und die Raben fegten herein. Ein wilder schwarzer Schwarm.
Sie tanzten um Coco und Tante Sandra herum. Coco tanzte mit. Und plötzlich war sie in der Luft, mitten unter ihnen. Flog mit den Krähen um die Wette durchs Zimmer. Der schwarze Schwarm schnatterte aufgeregt, als wollten die Tiere das Lied krächzen, das die Tante schon längst nicht mehr sang. Der Text rollte in Cocos Gedanken weiter wie eine Lawine.
Fällt er in den Sumpf, macht der Reiter plumps.
Sie spürte Schwingen, die sanft gegen ihre Haut peitschten, war eingehüllt in eine Wolke aus Gefieder und Krach, und nur ein paar Flügelschläge später war sie mit den Krähen aus dem Fenster geglitten, hinaus in die Welt und den Himmel.
Zurück in der Villa Zamis, gelang es dem Hausherrn am schnellsten, sich aus dem unbekannten Bann zu lösen. Dann folgte Thekla. Die Eheleute tauschten einen vielsagenden Blick. Wer immer es gewagt hatte, sie in ihrem eigenen Haus anzugreifen und ihre Tochter zu entführen, war des Todes.
Schließlich erwachte auch Sandra Thornton aus dem Zauberbann. Erschöpft glitt die Hexe auf die Couch. Ihre Glieder zitterten. Sie war bleich wie die Insassen einer Leichenhalle.
Behemoth, der die Entführung über die Schulter mit angesehen hatte, genauso zur Untätigkeit verdammt wie alle anderen, setzte sich zu seiner Gespielin. »Was ist passiert?«
Sie zuckte schwach mit den Schultern. Thekla goss ein Glas Scotch ein und drückte es der Thornton in die bebenden Finger, dann genehmigte sie sich selbst ebenfalls einen Schluck, bevor sie ihrem Mann ein Glas anbot. Er nahm es stirnrunzelnd entgegen.
»Ich konnte nichts tun«, fauchte die Thornton. »Ein fremder Wille hat mich kontrolliert. Ich war seinem Zwang völlig ausgeliefert.«
»Das waren wir alle«, knurrte Behemoth.
Plötzlich landete Michaels Glas in den Splittern des zertrümmerten Fensters. »Vorgeführt! In meinem eigenen Haus!«
Thekla leerte ihren Scotch mit stoischer Ruhe. »Wem haben wir das zu verdanken?«
»Das werden wir herausfinden!« Michael fauchte wie ein verwundeter Panther. »Los! Bewegt eure Ärsche in den Keller. Wir werden ritualisieren und den Feind ausspähen.«
»Falls es ein Feind ist, der deine Tochter entführt hat«, gab die Thornton zu bedenken.
»Wer sonst soll mir das Balg stehlen?«, brummte Michael unwirsch.
Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Die Erwachsenen suchten den Ritualkeller auf. Dabei vergaßen alle Georg, der während des Krähenangriffs ebenso in Starre verfallen war wie alle...
Erscheint lt. Verlag | 18.5.2024 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-6783-5 / 3751767835 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6783-5 / 9783751767835 |
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