Du hast das Recht, zu sterben (eBook)
428 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-0914-1 (ISBN)
Peter Slomke, geboren 1949, arbeitete mehrere Jahre als Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen. Vornehmlich zur Aufklärung von Kapitalverbrechen und ungeklärten Todesfällen wurde er hinzugezogen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften war er als Rechtsanwalt tätig. Im Ruhestand fand er die Zeit, auf der Grundlage seiner Erfahrungen Kriminalromane zu schreiben. "Du hast das Recht, zu sterben" ist der erste der in sich abgeschlossenen Romane aus der Reihe "Wolfssterben". Der Autor lebt mit seiner Familie im Großraum Wuppertal.
1
Der kleinwüchsige Mann schnalzte mit der Zunge. Seit er aus der Tür an der Stirnseite des großen Saales, in dem ich saß, getreten war, schaute er mich wütend an. Er erinnerte mich an Schnick Schnack, den Diener von Christopher Lee in dem Bondfilm »Der Mann mit dem goldenen Colt«. Lächelnd nickte ich ihm zu. Seine Abneigung beeindruckte mich nicht. Aber seine Erscheinung beeindruckte mich dafür umso mehr, wie ich mir widerwillig eingestehen musste. Auf dem Kopf trug er eine wig, die blonde Pferdehaarperücke der englischen Prozessanwälte. Sein Frack war eine Maßanfertigung und in seinen Lackschuhen spiegelte sich das kalte Neonlicht der Deckenbeleuchtung. Mit der rechten Hand stützte er sich auf einen Knüppel, der ihn um Haupteslänge überragte. An der Spitze des Stockes war ein Knauf aus Silber befestigt. Er stand neben einem Tisch, hinter dem 7 Sessel aufgereiht waren. Der Saal, in dem ich mich befand, war wie ein Kinosaal mit aufsteigenden Sitzreihen aufgebaut. Aber alle Sitze bis auf den meinigen waren leer.
Der kleine Mann stieß den Stock dreimal auf die Holzdielen. »Erheben Sie sich, das Gericht«, rief er in den Saal.
Die Tür öffnete sich und sieben Männer, gekleidet in blutroten Roben, betraten nacheinander den Raum. Jeder von ihnen stellte sich vor einen der Sessel.
»Sie sollen aufstehen«, rief mir Schnick Schnack zu und erhob drohend seine Faust mit dem Stock in meine Richtung.
Aber ich konnte mich nicht erheben. Meine Arme und Beine waren mit breiten Lederriemen an dem Stuhl, auf dem ich saß, fixiert worden. Der Richter in der Mitte sah mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. Bedächtig nahm er ein Blatt Papier auf, das vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte.
»Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte wird wegen Mordes in sechs Fällen, jeweils begangen in Tateinheit mit Vergehen gegen das Waffen-, das Bundeskleingarten-, das Betäubungsmittel- und das Tierarzneigesetz sowie gegen das Abfallbeseitigungsgesetz und wegen schwerer Brandstiftung zum Tode verurteilt. Ein Rechtsmittel ist ausgeschlossen. Der Angeklagte hat nur noch das Recht, jetzt und auf der Stelle zu sterben. Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«
Die Richter setzten sich und schauten mich erwartungsvoll an. Peters hatte mich also überführt, aber was erwarteten sie jetzt noch von mir? Dass ich zusammenbrechen und um mein Leben winseln würde? Den Gefallen würde ich ihnen nicht erweisen. Auf das letzte Wort, das mir der Vorsitzende als Angeklagten eingeräumt hatte, würde ich verzichten. Kurz überlegte ich, was ich ihnen überhaupt hätte sagen können. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Wenn, dann würde ich ihnen nur sagen, dass ich nicht anders hätte handeln können. Meine Opfer hätten sterben müssen. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Der Vorsitzende sah erst seine Kollegen rechts und links von ihm an, dann mich und nickte.
»Ihr Verhalten deute ich so, dass Sie auf das letzte Wort verzichten wollen. Möchten Sie ihr Gewissen nicht erleichtern? So sei der Herr Ihrer Seele gnädig.«
Mit diesen Worten blickte er in die Richtung auf Schnick Schnack, den ich in den letzten Minuten nicht mehr beachtet hatte. Statt seines Stockes hatte er ein kleines Beil in der Hand. Grinsend kam er Schritt für Schritt auf mich zu. Angst verspürte ich nicht, nur Wut. Wäre ich nicht an den Sessel fixiert worden, wäre er trotz der Axt kein würdiger Gegner für mich gewesen. Ohne Stress zu empfinden, suchte ich nach einem Ausweg. Fliehen wollte ich nicht, sondern ihn einfach nur töten. Das Neonlicht der Deckenbeleuchtung wurde von der Klinge der Axt aufgefangen und blendete mich. Es gab keinen Ausweg mehr für mich.
»Dann werde ich eben sterben«, murmelte ich und ergab mich widerwillig in mein Schicksal.
Eine Hand tätschelte meine Wange.
»Kommen Sie zu sich, das sind nur die Wirkungen des Beruhigungsmittels, das Ihnen der Notarzt gespritzt hatte. Solange Sie in meinem Wagen liegen, sterben Sie nicht. Nicht in meinem Krankenwagen. Reißen Sie sich zusammen, wir sind gleich in der Uniklinik.«
Die Stimme des Sanitäters wirkte beruhigend auf mich. Langsam öffnete ich die Augen und blinzelte in das Licht der Innenbeleuchtung des Krankenwagens. Die Erinnerung kam zurück. Aus einem Infusionsbeutel tropfte eine klare Lösung in meine Vene in der linken Armbeuge. Hinter mir im Wagen saß der Rettungssanitäter, der mich gerade beruhigt und zwanzig Minuten zuvor in meiner Kanzlei ein EKG durchgeführt und den Herzinfarkt erkannt hatte.
Es war einer dieser trügerischen Frühlingstage in Köln, denen es stets gelang, die Einwohner zu täuschen. Am Himmel war keine Wolke zu sehen, aber der Wind, der aus dem Rheintal herunterkommend auf die Stadt traf, zauberte immer noch Eisblumen auf die Scheiben der geparkten Autos.
Obwohl es auch in meinem Wagen kalt war, schwitzte ich und das Hemd klebte mir am Rücken fest. Meine kurz geschnittenen, dunkelblonden Haare waren in Nacken nass und noch immer hatte ich Schmerzen in meiner linken Schulter, die ich nicht zu deuten vermochte. Nachdem ich den Wagen vor dem Gerichtsgebäude geparkt hatte, sah ich in dem Innenspiegel in ein schmales, blasses und verschwitztes Gesicht. Gern wäre ich sitzen geblieben, aber mein Verhandlungstermin stand in fünfzehn Minuten an. Langsam stieg ich aus und ging zu dem Eingang des Oberlandesgerichtes. Der Justizwachtmeister kannte mich und winkte mich ohne Kontrolle meines Anwaltsausweises durch die Schleuse. In der Eingangshalle erschien mir die Treppe in den ersten Stock, in dem mein Gerichtssaal lag, wie der Mount Everest. An normalen Tagen nahm ich die Treppe immer mit zwei Stufen auf einmal, aber der Tag war nicht normal. Oben, auf dem Absatz, musste ich erst einmal stehen bleiben und meinen Puls und die Atmung beruhigen. Der Aufzug wäre heute die richtige Wahl für mich gewesen.
In den letzten zwölf Jahren hatte ich einen siebten Sinn für Gefahren entwickelt. Bislang war ich einer Verhaftung wegen meiner Morde nur deshalb entgangen, weil ich vorsichtig gewesen war, auf jede Kleinigkeit geachtet und nur wenig dem Zufall überlassen hatte. Aber auf die Warnzeichen meines Körpers hatte ich nicht geachtet. Seit zwei Tagen fühlte ich einen Schmerz in der linken Schulter. Das tägliche Treppensteigen bereitete mir Atemprobleme wie auch heute.
Als ich in der ersten Reihe des großen Gerichtssaales saß, nahmen die Schmerzen in der Schulter zu. Es bereitete mir Mühe, der Verhandlung des Falles vor meinem Verfahren zu folgen. In meinem deutete der Vorsitzende an, dass man meine Berufung zurückweisen wolle aber wegen der europarechtlichen Probleme die Zulassung der Revision erwägen würde.
Wenn ich in Form gewesen wäre, und eigentlich war ich vor Gericht immer in Form, hätte ich mir mit dem Senat einen Schlagabtausch geliefert, aber heute wollte ich mich mit ihnen nicht streiten. Dann musste es die Kollegin am Bundesgerichtshof für uns richten.
Die Fahrt zurück in mein Büro bereitete mir Probleme. Nur mit Mühe konnte ich mich auf den Verkehr konzentrieren und der Schmerz wanderte von meiner Schulter hin in meine Brust. Meine Bürovorsteherin, Pauline Breuer, genannt Tröti, die schon seit einigen Jahren bei mir arbeitete, musterte mich kritisch.
»Du siehst scheiße aus«, sagte sie ohne jede weitere Regung.
»Danke, jetzt geht es mir schon gleich viel besser«, antwortete ich, als ich an ihr vorbei in Richtung meines Büros ging.
Mit meiner Hand strich ich mir die verklebten Haare aus dem Gesicht und spürte, was sie meinte. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn.
»Im Ernst, mir ist schon den ganzen Tag flau. Ich werde nur noch den Terminbericht diktieren, trinke anschließend in der Kaffeebar gegenüber zwei Espressi und dann wird es schon wieder gehen.«
Aber es wurde nicht besser und der Druck in der Mitte meiner Brust wurde immer stärker.
»Ruf bitte den Rettungsdienst an, ich habe einen Herzinfarkt«, sagte ich zu ihr.
»Bist Du sicher?«
»So sicher, wie man nur sicher sein kann.«
Während ich sie telefonieren hörte, ging ich in den Wartebereich für meine Mandanten, zog mir die Jacke aus, legte die weiße Krawatte ab, öffnete mein Hemd und die Manschettenknöpfe und wartete.
Es dauerte nicht lange und die beiden Sanitäter klingelten und wurden von Tröti eingelassen. Das EKG war schnell gemacht, der Notarzt kam, spritzte mir Heparin und ein Beruhigungsmittel und legte für den Tropf den Zugang in die Vene in meiner linken Ellenbeuge. Nach dieser Erstversorgung brachten sie mich auf einer Liege in den Krankenwagen und fuhren zur Universitätsklinik. Dort wurden wir bereits erwartet. Der Oberarzt, ohne Kittel und nur mit Oberhemd, Jeans und Sneakern bekleidet, lächelte mich an, als ob er mit mir unter den möglichen Patienten des heutigen Tages den Haupttreffer gezogen hätte.
»So, jetzt werden wir jede Leistenseite öffnen und jeweils einen Katheder einschieben, einen für das Kontrastmittel und um die Stents zu setzen, den...
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7597-0914-1 / 3759709141 |
ISBN-13 | 978-3-7597-0914-1 / 9783759709141 |
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