Jerry Cotton Sonder-Edition 228 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6264-9 (ISBN)
G-man Porters Auftrag war ein Himmelfahrtskommando. Darüber waren sich alle einig. Schon nach kurzer Zeit blieben seine Berichte aus. Und dann meldete sich ein unbekannter Anrufer beim FBI. 'Wir haben Porter geschnappt', sagte er. 'Für eine Million Dollar könnt ihr ihn zurückhaben.' Mr. High hatte Zweifel. Lebte Porter überhaupt noch? Er entschied: 'Wir zahlen keinen Cent für eine Leiche.' Aber da war ich schon unterwegs, um Porter tot oder lebendig zurückzuholen ...
1
Es stank in der Wohnung. Von dem Moment an, in dem wir die Tür aufgebrochen hatten, konnte man nur mit angehaltenem Atem überleben.
Phil ging neben mir an der Wand in die Knie. Er hielt den 38er in beiden Fäusten und richtete den Lauf ins Halbdunkel.
Ein leises Klicken machte deutlich, dass er den Hammer nach hinten zog und einrasten ließ.
Ich sah in das angespannte Gesicht meines Freunds.
Phil nickte.
Er war okay und bereit, mich zu schützen, so gut es ihm möglich war.
Ich rannte den schmalen Gang entlang. Die Tür in der Wand war nur angelehnt. Ich stieß sie mit dem Fuß auf, zögerte einen Moment und hechtete in den Raum hinein.
Schwere Läden waren vor die Fenster geklappt. Es war nichts zu sehen. Mit der Schulter knallte ich gegen einen Tisch und riss ihn mit mir zu Boden. Ich landete auf der Seite, rollte mich nach links und hielt die Dienstwaffe schussbereit in der Hand.
Totenstille um mich herum.
Dann waren Phils Schritte zu hören.
Ich wollte etwas sagen, aber süßlicher Modergeruch hielt mich davon ab, den Mund zu öffnen.
Ich sprang auf. Meine Augen hatten sich so an das Dunkel gewöhnt, dass ich mich orientieren konnte. Ich sah das Fenster, hastete darauf zu und riss es auf. Mit beiden Händen stieß ich den schweren Laden beiseite.
Frische Luft strömte in den Raum. Ich sog den Sauerstoff wie ein Geschenk in meine Lungen ein.
Neben mir stand Phil. Er keuchte und kämpfte gegen die Übelkeit an, die ihn würgte.
»Verdammt, Jerry«, sagte er.
Ich drehte mich in den Raum hinein.
Der Mann lag halb über der zerschlissenen Couch. Ein Arm war über seiner Brust verschränkt und verdeckte die Einschusslöcher. Die andere Hand deutete gegen den abgewetzten Teppich.
Er musste schon seit einer Woche tot sein.
Es schüttelte mich. Man kann noch so viele Tote in seinem Leben gesehen haben, es nimmt einen doch immer wieder mit.
Ich löste mich vom Fenster. Die Luft in der Wohnung war wieder zu atmen. Zwei Türen standen offen, die zur Küche und die zum kleinen Schlafraum.
Ich durchstreifte die Räume und schaute mich um. Nichts.
Ich ging in den schmalen Flur zurück, während mein Freund Phil an die Couch mit dem Toten herangetreten war.
Ein leises Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Ich blieb stehen und hob die Waffe, die ich noch immer in der Hand hielt.
Das Geräusch kam von rechts. Ich blieb neben der geschlossenen Tür stehen und gab Phil durch ein Zeichen zu verstehen, dass wir uns nicht allein in der Wohnung befanden.
Phil trat auf Zehenspitzen in den Gang und schaute mich fragend an.
Ich zuckte mit den Schultern. Ein unwahrscheinlich enges Gefühl war in mir. Ich dachte an den halb verwesten Toten, den wir auf der Couch gefunden hatten, und ich wollte einfach nicht daran glauben, dass sich noch jemand hier aufhielt. Aber es hatte das Geräusch gegeben.
Ich wartete einige Sekunden, dann hob ich den rechten Fuß und trat die Tür einfach ein. Im selben Sekundenbruchteil sprang ich zurück. Sicher war sicher. Als G-man kann man nur alt werden, wenn man in kritischen Momenten keinen Fehler beging.
Sekunden verstrichen. Dann hörte es sich an, als stürzte jemand zu Boden. Anschließend drang ein tiefes Stöhnen aus dem Raum.
Es war das Bad. Ich machte einen Satz in den kleinen Raum und drückte mich rechts an die Wand. In dem Spiegel über dem schmutzigen Waschbecken sah ich die junge Frau. Sie war nackt und lag vor der Wanne.
»Mein Gott«, sagte Phil hinter mir. »Mein Gott!«
Die Frau war sicher nicht älter als zwanzig Jahre, sah jedoch aus wie eine Greisin. Das Gesicht war eingefallen. Die Haut war grau, und die Lippen waren blutleer. Sie war völlig abgemagert. Die langen blonden Haare bedeckten strähnig ihre Brust.
Ich ging neben der blonden Frau in die Knie. Dann erst sah ich, dass ihr Arm über der Beuge abgebunden war. Eine Spritze lag auf dem Boden. In der Vene steckte noch die Kanüle, die rostig aussah. Am Ende ein einzelner Bluttropfen, der langsam zu trocknen begann. Ihr Atem ging schwer. Die Augen waren weit aufgerissen. Sie starrte mich an, aber ich war mir sicher, dass sie mich nicht sah.
»Den Rettungswagen, Phil!«
Phil machte auf dem Absatz kehrt und verschwand aus der Wohnung. Sekundenlang waren seine schweren Schritte noch auf der alten Treppe zu hören. Dann herrschte wieder Totenstille.
Es war eine makabre Situation. Im Wohnraum ein Toter, der dort sicherlich schon eine Woche lag. Im Bad die magere Blondine, die tagelang in diesem süßlichen Verwesungsgestank gelebt hatte und wahrscheinlich gar nicht begriffen hatte, was um sie passiert war, weil sie dauernd unter Drogen stand. Auf dem Boden vor der Badewanne lagen leere Morphiumampullen. Auf der Ablage unter dem Spiegel standen mehrere kleine Beutel mit weißem Puder. Heroin, daran konnte es keinen Zweifel geben. Das Heroin des Mannes, der tot auf der Couch lag. Auch das war sicher.
Der Mann war Jesse Anatol, ein Exilkroate. Er gehörte zu den Leuten, die für Don Canvetti tätig waren. Anatol war einer von Canvettis Großverteilern, die das Gift umpackten und an die kleineren Dealer weiterreichten.
Obgleich wir das nicht beweisen konnten, war es mehr als eine bloße Vermutung. Es war Gewissheit. Das allein zählte vor Gericht so lange nicht, wie man es nicht beweisen konnte.
Die blonde Frau bewegte die Lider. Ihre Beine zuckten. Sie schlug mit den Armen um sich. Nur für Sekunden. Dann wurde sie wieder still. Und dann geschah etwas, das ich nicht erwartet hatte. Ihr eingefallenes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. In diesem Moment wurde sie wieder so schön, wie sie es vielleicht früher einmal gewesen war, als sie noch nicht von dem Teufelszeug abhängig gewesen war.
»Kannst du mich hören?«, fragte ich und beugte mich dicht über sie. »Kannst du mich hören?«
Wieder bewegten sich ihre Lider. Die eben noch starren Pupillen wurden lebendig und rollten in meine Richtung.
»Hallo, Kleine!« Ich berührte ihr Gesicht und strich ihr das strähnige blonde Haar in den Nacken. »Alles in Ordnung. Wir holen dich von hier weg.«
Keine Reaktion mehr. Das Gesicht war wieder uralt. Der nackte Körper zitterte. Ihre Hände schlugen wild auf die schmierigen Kacheln.
Für einen Moment dachte ich daran, dass jeder junge Mensch dieses Elend sehen müsste, wenn er zum ersten Mal nach der Droge griff. Einige würden vielleicht abspringen, bevor es auch für sie zu spät war wie für die arme magere Frau.
Phil kehrte zurück.
Ich stand auf. Die Frau hatte inzwischen das Bewusstsein verloren.
»Der Rettungswagen ist unterwegs«, sagte Phil. Er warf einen schnellen Blick auf die Frau. »Sie muss hier gewesen sein, als man Jesse Anatol erschossen hat, Jerry. Sie muss sich in der Wohnung versteckt gehalten haben. Der Mörder hatte es eilig, oder er wurde gestört. Auf jeden Fall hat er nicht im Bad nachgeschaut. Sie hat hier eine Woche, vielleicht noch länger zusammen mit einem Toten gelebt.«
Ich nickte, verließ das Bad und ging in den Wohnraum zurück.
Don Canvettis Mann war seit Tagen tot. Niemand hatte sich darum gekümmert. Das konnte nur heißen, Anatol sollte gar nicht in New York sein. Deshalb hatte man ihn nicht vermisst.
Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich wischte ihn mit dem Handrücken ab.
Jesse Anatol musste unvorsichtig gewesen sein. Jemand hatte gewusst, dass er eine größere Menge Heroin im Haus aufbewahrte, hatte ihn besucht, ihn über den Haufen geschossen und in aller Eile an sich gerafft, was er mitnehmen konnte.
Wenn es wirklich so gewesen war, würde es unglaublich schwer sein, den Mörder Jesse Anatols zu finden.
Unten vor dem Haus hielt der Rettungswagen. Türen schlugen. Schritte wurden auf der Treppe laut. Wenig später traten zwei Sanitäter und der Doc in die Wohnung, die Jesse Anatols Ausweichquartier gewesen war. Er hatte sie immer nur dann benutzt, wenn es frische Ware zu verteilen gab.
Das hatten wir vor einer knappen Stunde von einem kleinen Dealer erfahren, der den Kollegen bei einer Razzia in Little Italy ins Netz geraten war.
Ich begab mich ins Bad.
Der Doc kniete neben der Frau. Er injizierte eine farblose Flüssigkeit. Dann stand er auf. Die Sanitäter setzten ihr eine Sauerstoffmaske auf und legten sie auf die Trage.
Ich schaute den jungen Doc fragend an.
Er zuckte mit den Schultern. »Es sieht nicht gut aus.«
»Was heißt das?«
»Es ist wahrscheinlicher, dass sie sterben wird, als dass sie am Leben bleibt. Wir können für sie nicht mehr tun, als ich jetzt getan habe.«
Der Doc fragte nach einer Zigarette. Ich gab ihm eine und brachte ihn ins Wohnzimmer zu Jesse Anatol.
»Für den kann ich nun wirklich nichts mehr tun«, sagte er.
Er war vertraut mit dem Tod in jeder Form. Der fürchterliche Anblick der Leiche konnte ihn weder schrecken noch beeindrucken.
»Wie lange liegt er schon hier, Doc?«
»Vielleicht eine Woche, vielleicht länger. Es ist heiß draußen, Agent. Die Autopsie wird es ergeben.«
Ich nickte. »Wohin bringen Sie die...
Erscheint lt. Verlag | 3.2.2024 |
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Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-6264-7 / 3751762647 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6264-9 / 9783751762649 |
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Größe: 815 KB
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