Warten auf den Tod (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
OKTOPUS by Kampa (Verlag)
978-3-311-70345-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warten auf den Tod -  Josephine Tey
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Ganz London, scheint es, steht vor dem Woffington Schlange. Nach zwei Jahren Spielzeit ist dies die letzte Woche von Wussten Sie es nicht?. Wer das legendäre Musical noch einmal sehen will, muss stundenlang vor der Theaterkasse ausharren. Als inmitten des Gedränges ein Mann ohnmächtig zusammensackt, weichen die Umstehenden erschrocken zurück: Aus seinem Rücken des Mannes ragt der Griff eines Dolchs. Der Unbekannte ist tot, heimtückisch erstochen in der Menschenmenge. Inspector Alan Grant von Scotland Yard, der mit den Ermittlungen beauftragt wird, sieht sich einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber: Nicht nur hat niemand der Anwesenden irgendetwas beobachtet; auch die Identität des Toten ist vollkommen unbekannt. Grant hält sich an die wenigen Indizien, die er hat - den altmodischen Typ des Dolchs, die Kleidungsstücke des Toten und die merkwürdige Mordmethode -, und tut, was er am besten kann: Er nutzt die Kraft seiner Gedanken.

Josephine Tey ist das Pseudonym der schottischen Autorin Elizabeth MacKintosh (1896-1952), die vor allem für ihre Kriminalromane bekannt geworden ist. Mit dem Schreiben begann sie, nachdem sie ihre Arbeit als Sportlehrerin aufgeben musste, um ihre Mutter zu pflegen, die an Krebs erkrankt war. Nach deren Tod kümmerte sich Tey um den Vater und blieb auch danach in ihrem Elternhaus wohnen. Tey lebte sehr zurückgezogen, mied Interviews und öffentliche Auftritte. Sie starb im Alter von 55 Jahren während einer Reise nach London. Ihr Roman Alibi für einen König wurde von der englischen Autorenvereinigung Crime Writers' Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt und 1969 mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet.
Ganz London, scheint es, steht vor dem Woffington Schlange. Nach zwei Jahren Spielzeit ist dies die letzte Woche von Wussten Sie es nicht?. Wer das legendäre Musical noch einmal sehen will, muss stundenlang vor der Theaterkasse ausharren. Als inmitten des Gedränges ein Mann ohnmächtig zusammensackt, weichen die Umstehenden erschrocken zurück: Aus seinem Rücken des Mannes ragt der Griff eines Dolchs. Der Unbekannte ist tot, heimtückisch erstochen in der Menschenmenge. Inspector Alan Grant von Scotland Yard, der mit den Ermittlungen beauftragt wird, sieht sich einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber: Nicht nur hat niemand der Anwesenden irgendetwas beobachtet; auch die Identität des Toten ist vollkommen unbekannt. Grant hält sich an die wenigen Indizien, die er hat - den altmodischen Typ des Dolchs, die Kleidungsstücke des Toten und die merkwürdige Mordmethode -, und tut, was er am besten kann: Er nutzt die Kraft seiner Gedanken.

Josephine Tey ist das Pseudonym der schottischen Autorin Elizabeth MacKintosh (1896–1952), die vor allem für ihre Kriminalromane bekannt geworden ist. Mit dem Schreiben begann sie, nachdem sie ihre Arbeit als Sportlehrerin aufgeben musste, um ihre Mutter zu pflegen, die an Krebs erkrankt war. Nach deren Tod kümmerte sich Tey um den Vater und blieb auch danach in ihrem Elternhaus wohnen. Tey lebte sehr zurückgezogen, mied Interviews und öffentliche Auftritte. Sie starb im Alter von 55 Jahren während einer Reise nach London. Ihr Roman Alibi für einen König wurde von der englischen Autorenvereinigung Crime Writers' Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt und 1969 mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet.

1 Mord


Es war zwischen sieben und acht Uhr an einem Märzabend, und überall in London wurden die Schranken vor den Türen zum Parkett und zur Galerie zurückgezogen. Peng, bum und klirr: Grimmige Geräusche, um ein abendliches Vergnügen einzuleiten. Aber kein letzter Trompetenstoß hätte die erschöpften Wartenden auf Thespis und Terpsichore so elektrisieren können, die geduldig in Viererkolonnen vor den Toren der Verheißung standen, wie diese Geräusche. Natürlich gab es hier und da keine Warteschlange. Vor dem Irving lagerten fünf Leute auf den beiden Stufen und opferten an Wärme, was sie an Bequemlichkeit gewannen; die griechische Tragödie war nicht populär. Vor dem Playbox war niemand; das Playbox war exklusiv und kannte so etwas wie Parkett überhaupt nicht. Beim Arena-Theater, das eine dreiwöchige Ballettsaison hatte, warteten zehn Personen vor der Galerie und eine lange Schlange vor dem Parkett. Aber am Woffington schienen sich beide Menschenketten bis ins Unendliche zu erstrecken. Schon lange zuvor war ein gebieterischer Angestellter die Reihe vor dem Parkett entlanggegangen und hatte mit einer Geste seines ausgestreckten Armes, die die Hoffnung zu guillotinieren schien, verkündet: »Alle ab hier nur noch Stehplatz.« Nachdem er so durch ein knappes Zusammenziehen eines Schultermuskels die Spreu vom Weizen getrennt hatte, kehrte er in olympischer Haltung vors Theater zurück, wo jenseits der Glastüren Wärme und Schutz warteten. Aber niemand entfernte sich aus der endlosen Reihe. Die dazu verdammt waren, noch drei Stunden länger zu warten, schienen gleichgültig gegenüber ihren Leiden. Sie lachten und schwatzten und reichten einander stärkende Stücke Schokolade in aufgerissenem Silberpapier. Nur noch Stehplatz, ja? Nun, wer würde nicht stehen wollen und sich noch daran erfreuen, in der letzten Woche von Wussten Sie es nicht?. Beinahe zwei Jahre lang war jetzt Londons Musical schlechthin gelaufen, und dies war sein Schwanengesang. Die Parkettplätze und Ränge waren Wochen im Voraus gebucht worden, und viele törichte Jungfrauen, an Warteschlangen nicht gewöhnt, vergrößerten die Menschenmasse vor den versperrten Türen, weil alle Bestechungsversuche an den Kassen erfolglos geblieben waren. Jedermann in London, so schien es, versuchte ins Woffington zu kommen, um das Stück noch einmal zu bejubeln. Um zu sehen, ob Golly Gollan seiner Revue einen neuen Gag hinzugefügt hatte – Gollan, der von einem risikofreudigen Manager vor einem Leben auf der Straße bewahrt worden war, seine Chance bekommen und sie genutzt hatte. Sie kamen, um sich ein weiteres Mal im Liebreiz und im Ruhm von Ray Marcable zu sonnen, dem Kometen, der zwei Jahre zuvor aus dem Nichts kommend am Zenit erstrahlt war und den Glanz der alten und etablierten Stars getrübt hatte. Ray tanzte wie ein schwebendes Blatt, und ihr kleines schüchternes Lächeln hatte in einem halben Jahr die Vorliebe für das strahlende Zahnpastalachen ausgestochen. Ihre Kritiker nannten das »ihren undefinierbaren Charme«, doch ihre Bewunderer fanden eine Menge außergewöhnlicher Ausdrücke dafür und behalfen sich mit Gesten und Mienenspiel, wenn Worte zu schwach waren, um ihr feenhaftes Wesen zu vermitteln. Nun ging sie nach Amerika, wie alles Gute, und nach den letzten beiden Jahren würde London ohne Ray Marcable eine unvorstellbare Wüste werden. Wer würde da nicht ewig stehen, um sie noch ein letztes Mal sehen zu können?

Seit fünf Uhr hatte es genieselt, und dann und wann griff sich ein kühler Lufthauch den Regen und strich ihn mit einem langen Pinselstrich halb spielerisch von einem Ende zum anderen über die Menge. Das entmutigte niemanden – sogar das Wetter machte an diesem Abend seine Scherze; es hatte gerade genug Geschmack, um einen passenden Aperitif abzugeben für die Kost, die auf sie wartete. Die Wartenden drehten Däumchen und machten nach Cockneymanier das Beste aus jeder Unterhaltung, die sich in der dunklen Straßenschlucht bot. Zuerst waren die Zeitungsjungen gekommen, schmale Burschen mit schmächtigen, teilnahmslosen Gesichtern und argwöhnischen Augen. Sie waren die Reihe entlanggehuscht wie ein Buschfeuer und hatten einen Schweif von Geschwätz und flatternden Zeitungen zurückgelassen. Dann legte ein Mann mit Beinen, die kürzer als sein Rumpf waren, einen zerlumpten Teppichstreifen auf das feuchte Pflaster und begann, sich selbst zu verknoten, bis er aussah wie eine Spinne, wenn sie überrascht wird; seine traurigen Krötenaugen funkelten ab und zu an völlig unerwarteten Stellen aus der sich windenden Masse hervor, sodass selbst dem hart gesottensten Zuschauer ein Schauer über den Rücken lief. Ihm folgte ein Mann, der auf einer Geige beliebte Lieder spielte, glücklicherweise sich der Tatsache nicht bewusst, dass seine E-Saite einen halben Ton zu tief gestimmt war. Dann kamen zur gleichen Zeit ein sentimentaler Balladensänger und ein synkopisches Dreimannorchester. Nachdem sie einander für einen kurzen Moment finster angesehen hatten, versuchte der Solosänger die Dinge nach dem Prinzip »Wer wagt, gewinnt« an sich zu reißen, indem er mit einem klagenden »Because you came to me« begann, aber der Chef des Orchesters reichte seine Gitarre einem Mitspieler und fing an, den Tenor anzustarren, die Arme ausgestreckt und die Hände erhoben. Der versuchte ihn zu ignorieren und über ihn hinwegzusehen, doch das war schwierig, da der Musiker einen halben Kopf größer als er selber war und überall zu sein schien. Er sang noch zwei Verse weiter, und dann schwenkte die Ballade über in bittere Vorwürfe in seiner natürlichen Stimmlage, und zwei Minuten später verschwand er in der dunklen Gasse, Drohungen und Klagen murmelnd, während das Orchester mit dem neuesten Schlager loslegte. Da das mehr nach dem Geschmack des modernen Publikums war als die unpassende Wiederbelebung abgestorbener Gefühlswelten, vergaßen sofort alle das arme Opfer höherer Gewalt und schlugen mit den Füßen den Takt. Nach dem Orchester und nacheinander kamen ein Zauberer, ein Evangelist und ein Mann, der sich mit einem Seil voller beeindruckend aussehender Knoten fesseln ließ und sich danach ebenso beeindruckend befreite.

Sie alle hatten ihren kleinen Auftritt und gingen dann weiter zur nächsten Vorstellung irgendwo anders, und jeder von ihnen, bevor er verschwand, lief die Warteschlange ab und schob sanft, aber hartnäckig einen Hut in die kärglichen Lücken zwischen den Reihen und sagte: »Danke! Danke!« als Ermutigung für die Mildtätigen. Zwischen den Programmen waren Verkäufer von Süßigkeiten, Streichhölzern, Spielzeug, ja sogar Ansichtskarten ihren Geschäften nachgegangen. Und die Menge hatte das Vergnügen geschätzt und die Pennys freigebig verteilt.

Jetzt kam Bewegung in die Reihe – eine Bewegung, deren Bedeutung die Erfahrenen sofort erkannten. Sitzhocker wurden beiseitegeschoben oder zusammengeklappt in Tragetaschen verstaut, Nahrungsmittel verschwanden, Geldbörsen wurden gezückt. Die Türen waren geöffnet. Das prickelnde, aufregende Spiel begann. Würde es Sieg, Platz oder Niederlage heißen, wenn man am Schalter angekommen war? Vorn in der Schlange, die weniger nach der mathematischen Zwei-und-Zwei-Ordnung organisiert war, als das weiter hinten der Fall war, hatte das Türöffnen für einen Augenblick die eingefahrene Gewohnheit des Engländers besiegt, seinen Platz zu halten – ich sage bewusst des Engländers, denn der Schotte hat keinen solchen Instinkt –, und es hatte ein leichtes Gerangel und eine Neuorientierung gegeben, bevor die Schlange als gedrängte und kurzatmige Masse vor dem Schalterfenster zur Ruhe kam, das sich direkt in der Tür zum Parkett befand. Das Klimpern und Rasseln von Kleingeld zeugte von den ständigen hektischen Transaktionen, die die Glücklichen in den siebten Himmel brachten. Allein das Geräusch ließ die weiter hinten Stehenden unbewusst nach vorn drücken, bis die Menge vorn so hörbar protestierte, wie es die gepressten Lungen zuließen, und ein Polizist die Reihe entlangging, um die Leute zu beruhigen. »Gut jetzt, gut jetzt, halten Sie sich ein bisschen zurück. Es ist Zeit genug. Durch Drängeln kommen Sie auch nicht rein. Alles zu seiner Zeit.« Dann und wann torkelte die ganze Reihe ein paar Zentimeter nach vorn, wenn sich ganz vorn die Befreiten zu zweit und zu dritt von ihrer Spitze lösten, wie Perlen von einer gerissenen Schnur. Jetzt hielt eine dicke Frau sie alle auf, die in ihrem Beutel nach mehr Geld suchte. Diese Närrin hätte ganz sicher schon vorher herausfinden können, wie viel sie genau brauchte, anstatt sie alle aufzuhalten. Als sei sie sich der allgemeinen Feindschaft bewusst, drehte sie sich zu dem Mann hinter ihr um und sagte ärgerlich: »Hey, ich wäre ganz dankbar, wenn Sie aufhören würden zu schieben. Kann eine Dame hier nicht mal ihre Geldbörse herausnehmen, ohne dass alle ihre Manieren vergessen?«

Aber der Mann, den sie angesprochen hatte, reagierte nicht. Sein Kopf war auf die Brust gesunken. Nur die Spitze seines weichen Hutes begegnete ihrem empörten Blick. Sie schnaubte verächtlich, drehte sich von ihm weg zur Kasse und legte freiweg das Geld hin, das sie gesucht hatte. Und während sie das tat, sackte der Mann langsam auf seine Knie, sodass die hinter ihm beinahe über ihn stolperten, verharrte einen Augenblick lang so und kippte dann noch langsamer nach vorn auf sein Gesicht.

»Der Kerl ist ohnmächtig geworden«, sagte jemand. Für eine kurze Weile waren alle erstarrt. Sich in einer Menge vor allem um sich selbst zu kümmern, gehört heutzutage ebenso zum Selbsterhaltungstrieb wie die Wandlungsfähigkeit eines Chamäleons. Vielleicht würde irgendwer sagen, dass er den Kerl kannte. Aber keiner tat das; und...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2024
Reihe/Serie Ein Fall für Alan Grant
Ein Fall für Alan Grant
Übersetzer Jochen Schimmang
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Dolch • England • London • Mord • Scotland Yard • Theater • Warteschlange
ISBN-10 3-311-70345-6 / 3311703456
ISBN-13 978-3-311-70345-7 / 9783311703457
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