Kanadische Wälder (eBook)
400 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70481-2 (ISBN)
Giles Blunt, geboren 1952 in Windsor, Ontario, lebte ab dem Alter von zehn Jahren in North Bay, einer Stadt am Lake Nipissing, die als Vorlage für Algonquin Bay diente. Nach einem Studium der englischen Literatur an der Universität von Toronto verbrachte er zwanzig Jahre in New York. Heute lebt und arbeitet der Schriftsteller, Dichter und Drehbuchautor, unter anderem für die Serie Law & Order, wieder in Toronto. Für den ersten Band der John-Cardinal-Reihe wurde Giles Blunt der British Crime Writers' Association Silver Dagger verliehen. Seither sind fünf weitere Fälle erschienen. Auf die Frage, warum er seine Romane in einem vergleichbaren, aber nicht in seinem Heimatort ansiedelt, sagt Blunt: »North Bay hat nur knapp 50 000 Einwohner und eine sechsköpfige Polizei. Das Risiko, dass eine Figur versehentlich einer realen Person ähnelt, ist zu groß.«
Giles Blunt, geboren 1952 in Windsor, Ontario, lebte ab dem Alter von zehn Jahren in North Bay, einer Stadt am Lake Nipissing, die als Vorlage für Algonquin Bay diente. Nach einem Studium der englischen Literatur an der Universität von Toronto verbrachte er zwanzig Jahre in New York. Heute lebt und arbeitet der Schriftsteller, Dichter und Drehbuchautor, unter anderem für die Serie Law & Order, wieder in Toronto. Für den ersten Band der John-Cardinal-Reihe wurde Giles Blunt der British Crime Writers' Association Silver Dagger verliehen. Seither sind fünf weitere Fälle erschienen. Auf die Frage, warum er seine Romane in einem vergleichbaren, aber nicht in seinem Heimatort ansiedelt, sagt Blunt: »North Bay hat nur knapp 50 000 Einwohner und eine sechsköpfige Polizei. Das Risiko, dass eine Figur versehentlich einer realen Person ähnelt, ist zu groß.«
3
Cardinal fuhr am Haus seines Vaters vorbei an den nördlichen Stadtrand von Algonquin Bay, wo er nach links in die Ojibwa Road einbog. Dort gab es nur drei Häuser – zwei verfallene Bungalows und Bressards anderthalbstöckiger Backsteinbau. Selbst im Nebel sah es aus wie jedes andere spießige Vorstadthaus, nichts daran verriet dem flüchtigen Betrachter, dass sein Eigentümer so wie Generationen vor ihm davon lebte, Tieren wegen ihres Fells Fallen zu stellen.
Bei Paul Bressard selber war das was anderes. Er kam gerade aus dem Haus, als Cardinal in die Einfahrt bog, und er sah ganz und gar nicht spießig aus. Pelztierjäger sind eine Sorte für sich, mit einem Hang zur Exzentrik, gelinde gesagt, sodass sie an einem konservativen Ort wie Algonquin Bay ziemlich aus dem Rahmen fallen. Aber selbst in diesem bunten Haufen war Bressard eine auffallende Type. Er kam in einem breitkrempigen Biberhut und einem bodenlangen Waschbärmantel die Eingangsstufen heruntergerauscht, obwohl es für beides zu warm war. Er hatte einen gezwirbelten Schnauzbart, der ihm bis unters Kinn reichte, und tief liegende Augen, die so dunkel waren, dass sie schon schwarz wirkten. Diese Augen richtete er auf Cardinal, und als er ihn wiedererkannte, brach er in ein Grinsen aus, das einem Filmstar zur Ehre gereicht hätte.
»Arbeiten Sie neuerdings für den Naturschutz? Woll’n Sie mich wegen irgend so ’nem Schonzeitscheiß drankriegen?«
»Nein, ich hab nur gehört, Sie wären tot. Dachte, ich schau mal vorbei, um sicherzugehen.«
Bressard runzelte die Stirn. Augenbrauen wie Eichhörnchenschwänze trafen über der Nase aufeinander.
»Ich möchte Sie keinesfalls beunruhigen«, fuhr Cardinal fort. »Es geht da nur dieses Gerücht, Sie hätten das Zeitliche gesegnet. Vielleicht der Anfang für eine Stadtlegende.«
Bressard blinzelte genau zwei Mal, um die Nachricht zu verdauen, bevor er zum zweiten Mal sein Filmstarlächeln auflegte. »Sie sind den weiten Weg hier rausgekommen, nur um zu sehen, ob’s mir gut geht? Ich bin gerührt, Mann, wirklich gerührt. Wie soll ich denn gestorben sein?«
»Man erzählt sich, dass irgendjemand von auswärts – vielleicht einer von diesen finsteren Touristentypen, die Sie auf die Jagd mitnehmen – es sich in den Kopf gesetzt hat, Sie umzulegen und im Wald zu verbuddeln.«
»Also, eigentlich krieg ich um diese Jahreszeit nicht allzu viele Touristen zu sehen. Und wie Sie sehen, bin ich noch am Leben.«
»Ich weiß – Sie sind nicht mal als vermisst gemeldet. Herbe Enttäuschung.«
Bressard lachte.
»Mit solchen Gerüchten müssen die Großen nun mal leben«, sagte Cardinal. »Jetzt können Sie wenigstens sagen, dass Sie mit Paul McCartney was gemeinsam haben.«
»Machen Sie Witze? Ich seh zehnmal besser aus als der Typ. Kann auch besser singen.« Bressard stieg in seinen Ford Explorer und kurbelte das Fenster herunter. »Sie sollten mal zu ’nem Karaoke-Abend bei den Chinook rauskommen. Sie werden mich um ein Autogramm anbetteln.«
Cardinal sah zu, wie Bressard Richtung Stadt an ebendem Wald vorbeifuhr, in dem der Trapper seinen mehr als angemessenen Lebensunterhalt verdiente.
An der Kreuzung zwischen der Algonquin und der Umgehungsstraße zum Highway 11 kam Cardinal wegen eines Unfalls nicht weiter. Ein Traktor war mit seinem Anhänger auf die Gegenfahrbahn geschwenkt. Es gab keine Toten, doch der Verkehr kam nur stockend voran, solange sie versuchten, das Hindernis von der Straße zu bekommen. Cardinal hörte die Nachrichten und wartete. Der Vorsitzende des Provinzverbands der Neuen Demokraten umriss die Themen der Partei für die kommenden Wahlen: Gesundheitsreform, Kindertagesstätten zur Entlastung berufstätiger Mütter und höhere Mindestlöhne. Leider mochte Cardinal den Kerl nicht, auch wenn er ihm in allem, was er sagte, nur beipflichten konnte. Dann kam die Erwiderung von Premierminister Geoff Mantis, in der er die Opposition als die »Meister im Steuererhöhen und Geldausgeben« bezeichnete. Kein Zweifel, die Tories hatten die besseren Sloganschreiber. Sie schienen nur gar nicht auf die Idee zu kommen, die Regierung müsse vielleicht für irgendjemanden irgendetwas tun. Schließt die Krankenhäuser, macht die Schulen dicht, und alle sind zufrieden.
Dann kam der Wetterbericht. Über dem größten Teil des nördlichen Ontario würde sich der Nebel halten, und danach gäbe es ein bisschen Regen. Ein Experte erklärte, warum diese komische Wärme nicht unbedingt ein Zeichen globaler Erwärmung war, sondern vermutlich nur eine statistische Abweichung darstellte.
Cardinals Handy klingelte.
»Cardinal.«
Es war Mary Flower. Sie klang aufgeregt. »Cardinal, Sie müssen sofort zur Sackville Road raus – Skyway Service Centre. Delorme ist schon unterwegs.«
»Wieso? Was ist los?«
»Sie haben eine Leiche gefunden, so was Ähnliches jedenfalls.«
Cardinal kehrte um und fuhr nach Westen Richtung Sackville Road. Der Nebel war in diesem Teil der Stadt dünner, nicht viel mehr als ein weißer Dunst. Nach einer Weile kam er an eine vergammelte Tankstelle. Skyway Service Centre, Reparaturen von Schneemobilen & Außenbordern. Verbeulte Wracks von Schneemobilen waren wie buntes Kaminholz an eine Wand gestapelt.
Als er aus dem Wagen stieg, hielt Lise Delorme hinter ihm.
»Wir stehen schwer in Wudkys Schuld, Lise. Wir sollten den Richter bitten, ihm eine Woche extra aufzubrummen.«
»Paul Bressard ist nicht tot?«
»Paul Bressard ist nicht nur nicht tot, Paul Bressard erfreut sich bester Gesundheit.«
»Na ja, das hier wird vermutlich ein bisschen interessanter.«
Ein großer Mann kam in einem verschmierten Overall aus der Werkstatt. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und war vermutlich einmal eine imposante Erscheinung gewesen. Doch der Overall wölbte sich vorne, als steckte ein Basketball darin. Sein Gesicht verschwand unter einem buschigen Holzfällerbart, schwarzgrau meliert. Ivan Bergeron war die eine Hälfte der Bergeron-Brüder, eineiige Zwillinge, die volle sechs Jahre lang den Mannschaftssport an der Algonquin Highschool beherrscht hatten. Das war ein bisschen vor Cardinals Zeit gewesen, doch Ivan und sein Bruder Carl waren ihm aus seinem ersten Jahr am Gymnasium als eine explosive Mischung im Hockey- wie auch im Football-Team in Erinnerung geblieben.
»Sagen Sie uns, was Sie gefunden haben«, sagte Cardinal. »Dann gehen wir rüber und werfen einen Blick drauf.«
»Also, ich bin in der Werkstatt«, erzählte Bergeron, »und versuch, ein 74er-Ski-Doo wiederzubeleben, das schon vor zwanzig Jahren auf den Schrott gehört hätte. Der Hund fängt an zu bellen, ist sonst nicht seine Art, und auf einmal kläfft er los wie ’n Wahnsinniger. Ich brüll, er soll aufhören, aber er macht weiter. Irgendwann geh ich raus, und da steht er im Garten hinterm Haus und – am besten kommen Sie mit, ich zeig’s Ihnen.«
Um die Ecke lehnte sich ein zweistöckiges Haus an die Werkstatt, als wäre es ohnmächtig geworden. Bergeron führte sie daran vorbei in den Garten. »Da liegt es, da«, sagte er und wies mit dem Finger drauf. »Ich hab den dämlichen Köter gleich ins Haus geschleift, als ich sah, was es ist. Er hat auch noch erwartet, ich würde ihn dazu beglückwünschen oder so, aber ich dachte nur, das kann doch nicht wahr sein.«
»Wann war das?«, fragte Cardinal.
»Weiß nicht – so um zehn herum?«
»Und Sie holen uns erst jetzt?«
»Na ja, woher soll ich denn wissen, was ich machen soll? War ja nicht gerade so was wie ’n Notfall. Und ehrlich gesagt, ich wollte am liebsten gar nicht drüber nachdenken.«
Cardinal hatte in seinen zwanzig Dienstjahren eine Menge unschöner Dinge gesehen, aber noch nie einen menschlichen Arm, der vollständig von seinem Eigentümer abgetrennt war. Sie standen vielleicht drei Meter davon entfernt. Ivan Bergeron machte keine Anstalten, einen Schritt näher zu gehen. Er pflanzte sich breitbeinig auf und verschränkte die Arme über dem Bauch.
Cardinal und Delorme gingen zu dem Ding hinüber.
»Ihr nehmt es doch hoffentlich mit«, sagte Bergeron.
»Noch nicht«, sagte Cardinal. »Sind Sie sicher, dass der Hund es hierhergebracht hat? Sie haben ihn nicht dabei beobachtet, oder? Sie sind erst rausgekommen, als er dastand und es anbellte, nicht wahr?«
»Er muss es aus dem Gebüsch rübergeschleppt haben. Er hat ’ne ganze Weile da draußen rumgetobt, bevor er damit ankam.«
Cardinal merkte, wie sein Magen seltsame Kapriolen schlug. Es war etwas Irritierendes an einem menschlichen Körperteil, der so gänzlich fehl am Platze war. Er lag auf einem schmutzig grauen Stück Schnee und war, abgesehen von den krausen dunklen Haaren, die zum Ellbogen hin dichter, zum Handgelenk hin dünner wurden, vollkommen blass. Er wies tiefe Male von Tierkrallen auf, doch wenig Blut.
»Sieht ganz so aus, als hätte sich da jemand mit einem Bären angelegt«, sagte Cardinal.
»Einem Bären?«, fragte Delorme. »Halten die nicht um diese Jahreszeit Winterschlaf?«
»Das warme Wetter kann sie durcheinanderbringen«, erwiderte Cardinal. »Kommt schon mal vor, dass sie aufwachen. Und dann kommt der kleine Hunger. Wird lustig werden, den Kerl da zu identifizieren.«
»Sehen Sie sich die Haare an seinem Unterarm an«, sagte Delorme und zeigte mit dem Finger darauf. »Sie sind grau.«
»Hmm. Wir müssen die Vermisstenmeldungen nach älteren Männern durchforsten. Aber erst mal sollten wir das finden, was sonst noch von dem Kerl übrig ist.
»Sie schaffen das Ding da doch weg, ja?«, sagte...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2024 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für John Cardinal | Ein Fall für John Cardinal |
Übersetzer | Anke Kreutzer |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bär • CIA • Eis • Geheimdienst • Kanada • Leiche • Nebel • Schnee • Silvester • Wald • Winter |
ISBN-10 | 3-311-70481-9 / 3311704819 |
ISBN-13 | 978-3-311-70481-2 / 9783311704812 |
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