Im Zeichen des Löwen -  Anne Holt

Im Zeichen des Löwen (eBook)

Ein Fall für Hanne Wilhelmsen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03792-213-2 (ISBN)
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Im Spannungsfeld von Politik, Macht und Intrigen Die norwegische Ministerpräsidentin wird tot in ihrem Büro aufgefunden - erschossen. Doch es fehlt jedes Motiv, und Hanne Wilhelmsen sieht sich gezwungen, frühzeitig aus ihrem Sabbatical zurückzukehren, um die Ermittlungen begleiten zu können. Kurz darauf nimmt sich ein Richter, der die Politikerin zuletzt lebend gesehen haben soll, das Leben. Als schließlich eine Spur zu mysteriösen Todesfällen aus dem Jahr 1965 führt, scheint sich die Büchse der Pandora zu öffnen ...

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

0.57, Hauptwache Oslo


Selbst Billy T., der dafür eigentlich kein Auge hatte, musste zugeben, dass Benjamin Grinde ein ungewöhnlich gut aussehender Mann war. Er war athletisch gebaut, nicht besonders groß, hatte breite Schultern und schmale Hüften. Seine Kleidung war ausgesprochen geschmackvoll, sogar die Socken, die zu sehen waren, wenn er die Beine übereinanderschlug, passten zu seinem Schlips, den er nur ganz wenig gelockert hatte. Den dunklen Haarkranz um seinen Kopf hatte er kurz geschoren, was seine fast kahle Schädelspitze beinahe erwünscht erscheinen ließ; sie zeugte von Potenz und großen Mengen Testosteron. Seine Augen waren dunkelbraun, der Mund wohlgeformt. Die Zähne waren überraschend weiß, immerhin war der Mann schon fünfzig.

»Sie haben morgen Geburtstag«, sagte Billy T., der in den Unterlagen blätterte.

Ein junger Polizeianwärter hatte Grindes Personalien aufgenommen, während Billy T. etwas Privates erledigen musste. Etwas sehr Privates. Er hatte Hanne Wilhelmsen ein zweiseitiges handgeschriebenes Fax geschickt. Danach hatte er geduscht. Beides hatte geholfen.

»Ja«, sagte Benjamin Grinde und schaute auf seine Armbanduhr. »Oder eigentlich heute. Genau genommen.«

Er lächelte müde.

»Fünfzig Jahre oder nicht«, sagte Billy T. »Lassen Sie uns das hier so schnell wie möglich über die Bühne bringen, damit Ihr Fest nicht ruiniert wird.«

Benjamin Grinde machte zum ersten Mal ein erstauntes Gesicht, bisher hatte sein Gesicht fast leer gewirkt, müde und nahezu apathisch.

»Über die Bühne bringen? Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass mir vor wenigen Stunden ein Haftbefehl vorgelegt worden ist. Und jetzt wollen Sie die Sache schnell erledigen?«

Billy T. wandte sich von der Schreibmaschine ab und musterte den Richter. Er presste die Handflächen auf den Tisch und legte den Kopf schräg.

»Hören Sie«, seufzte er, »ich bin nicht blöd. Und auch Sie sind definitiv nicht blöd. Sie und ich wissen beide, dass Birgitte Volters Mörder nicht deren Sekretärin freundlich anlächeln und brav in seine Küche nach Hause gehen würde, um dort …«

Er blätterte in den Unterlagen.

»… Pastete herzustellen. Waren Sie nicht gerade damit beschäftigt?«

»Doch.«

Jetzt sah der Mann ehrlich überrascht aus. Die Polizei war doch gar nicht in der Küche gewesen?

»Sie wären ein so perfekter und leicht zu überführender Mörder, dass Sie es unmöglich gewesen sein können.«

Billy T. lachte kurz auf und rieb sich so heftig das Ohrläppchen, dass das Petruskreuz tanzte.

»Ich lese Kriminalromane, müssen Sie wissen. Und der Mörder ist nie derjenige, der auf den ersten Blick so wirkt. Und Mörder gehen danach nicht nach Hause. Um ganz ehrlich zu sein, Grinde: Dieser Haftbefehl war ein verdammter Blödsinn. Es war nur richtig, dass Sie den an sich genommen haben. Werfen Sie ihn weg. Verbrennen Sie ihn. Typische Panikhandlung unserer verdammten Juristen …«

Er wandte sich wieder seiner Schreibmaschine zu und ließ die Finger vier Sätze hämmern, dann legte er ein neues Blatt ein. Wieder wandte er sich Benjamin Grinde zu und schien zu zögern, ehe er seine sehr langen Beine mit Stiefeln in Größe 47 auf die Tischkante legte.

»Warum waren Sie dort?«

»Im Büro? Bei Birgitte?«

»Birgitte? Haben Sie sie gekannt? Persönlich, meine ich?«

Die Füße knallten auf den Boden, und Billy T. beugte sich über den Schreibtisch.

»Birgitte Volter und ich kennen uns schon seit unserer Kindheit«, erwiderte Benjamin Grinde und starrte den Polizisten an. »Sie ist ein Jahr älter als ich, und das bedeutet ja viel, wenn man noch jung ist. Aber in Nesodden lief man sich eben dauernd über den Weg. Damals waren wir befreundet.«

»Damals. Und heute, sind Sie noch immer befreundet?«

Benjamin Grinde setzte sich anders hin und legte das linke Bein über das rechte.

»Nein, das kann ich wirklich nicht behaupten. Im Laufe der Jahre hatten wir nur ganz sporadischen Kontakt. Das hat sich so ergeben, könnte man sagen, weil unsere Eltern weiterhin Nachbarn waren, auch als wir beide schon längst von zu Hause ausgezogen waren. Nein. Ich würde nicht sagen, dass wir befreundet sind. Befreundet waren, meine ich.«

»Aber Sie duzen sich?«

Grinde lächelte kurz.

»Wenn man sich schon als Kinder gekannt hat, wirkt es doch etwas krampfhaft, auf das Sie umzusteigen. Auch wenn man zwischendurch den Kontakt verloren hat. Oder geht es Ihnen da anders?«

»Ich glaube nicht.«

»Gut. Sie wollen wissen, warum ich bei ihr war. Das steht sicher in ihrem Terminkalender. Vielleicht kann auch ihre Sekretärin das bestätigen. Ich wollte über die Notwendigkeit sprechen, die Kommission, der ich vorstehe, mit zusätzlichen Mitteln auszustatten. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission.«

»Die Grinde-Kommission, natürlich«, sagte Billy T. und legte abermals die Füße auf den Tisch.

Benjamin Grinde starrte die Stiefelspitzen des Riesen auf der anderen Schreibtischseite an und fragte sich, ob hier ein Polizist seine Macht vorführen wollte, da er endlich einen der höchsten Richter des Landes in seiner Hand hatte.

Billy T. lächelte. Seine Augen waren so intensiv eisblau wie die eines Husky, und der Richter schlug seine nieder und betrachtete seine Knie.

»Halten Sie meine Füße bitte nicht für den Ausdruck mangelnden Respekts«, sagte Billy T. und schwenkte seine stahlbeschlagenen Stiefelspitzen. »Es ist einfach unbequem, wenn man lange Beine hat. Schauen Sie! Unter dem Tisch ist einfach nicht genug Platz.«

Er führte das ausführlich vor und legte die Füße dann wieder auf den Tisch.

»Sie wollten also über … zusätzliche Mittel sprechen?« Grinde nickte.

»Warum haben Sie sich denn nicht an die Gesundheitsministerin gewandt? Wäre das nicht näherliegend gewesen?«

Der Richter hob den Blick.

»Im Grunde schon. Aber ich wusste, dass Birgitte unserer Arbeit ganz besonderes Interesse entgegenbrachte. Außerdem … außerdem wollte ich die Gelegenheit wahrnehmen, sie zu treffen. Wir hatten seit vielen Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Ich wollte ihr gratulieren. Zum neuen Job, meine ich.«

»Warum wollten Sie mit Frau Volter darüber sprechen, dass Sie für Ihr Komitee mehr Geld brauchen?«

»Kommission.«

»Ist doch egal. Warum?«

»Die Arbeit wird viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wir anfangs angenommen hatten. Wir müssen ausführliche Gespräche mit fünfhundert Elternpaaren führen, die im Jahre 1965 ihr Baby verloren haben. Das ist eine ziemliche Arbeit. Und wir müssen … auch im Ausland müssen einige Untersuchungen angestellt werden.«

Er schaute sich um, und sein Blick ruhte auf dem Fenster, das plötzlich vom pulsierenden Blaulicht eines Streifenwagens getroffen wurde. Dann erlosch das Licht wieder.

»Wie lange waren Sie bei ihr?«

Der Richter überlegte und starrte seine Armbanduhr an, als könne diese die Antwort wissen.

»Schwer zu sagen. Ich nehme an, eine halbe Stunde. Ich war um Viertel vor fünf bei ihr. Nein, es war wohl ziemlich genau eine Dreiviertelstunde. Bis halb sechs. Dann bin ich gegangen. Das weiß ich, weil ich überlegt habe, ob ich eine bestimmte Straßenbahn erwischen könnte oder ob ich mir lieber ein Taxi nehmen sollte. Eine Dreiviertelstunde.«

»Na gut.«

Billy T. sprang auf.

»Kaffee? Tee? Cola? Zigarette?«

»Eine Tasse Kaffee, bitte. Nein, ich rauche nicht.«

Billy T. ging zur Tür und öffnete sie. Leise sprach er mit einer Person, die offenbar direkt vor der Tür gestanden hatte. Dann schloss er die Tür und setzte sich wieder, diesmal auf die Fensterbank. Der Richter verspürte eine beginnende Gereiztheit.

Es mochte noch angehen, dass dieser Mann sich den Kopf glatt rasiert hatte und Jeans trug, deren beste Zeiten schon längst vorüber waren. Auch die beschlagenen Stiefel hätte er zur Not hinnehmen können, es war sicher schwer, für diese riesigen Füße das passende Schuhwerk zu finden. Das Petruskreuz jedoch war die pure Provokation, vor allem heutzutage, wo Rechtsextremisten und Satanisten fast täglich neue Verbrechen begingen. Und es musste diesem Mann doch wohl möglich sein, während eines Verhörs ruhig sitzen zu bleiben.

»Tut mir leid, wenn Sie finden, dass ich wie ein Nazischwein aussehe«, sagte Billy T.

Konnte der Mann Gedanken lesen?

»Ich wurde jahrelang bei Straßenunruhen eingesetzt«, fügte der Polizist hinzu. »Und ich hab mir noch nicht abgewöhnen können, wie ein Schläger auszusehen. In der Regel ist das auch ziemlich effektiv. Die Kriminellen behandeln einen wie einen Kumpel, wissen Sie. Sonst hat es nichts zu bedeuten.«

Es klopfte, und eine junge Frau in einem abgenutzten roten Samtkleid und Schnürschuhen brachte zwei Tassen Kaffee, ohne auf ein »Herein« zu warten.

»Engel!« Billy T. grinste. »Vielen Dank.«

Der Kaffee war glühend heiß und stark wie Schießpulver, es war unmöglich, ihn zu trinken, ohne zu schlürfen. Der gewachste Pappbecher wurde zu heiß, weichte auf und ließ sich nur mit Mühe...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2024
Reihe/Serie Hanne-Wilhelmsen-Reihe
Hanne-Wilhelmsen-Reihe
Übersetzer Gabriele Haefs
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Hanne Wilhelmsen • Intrige • Macht • Norwegen • Oberstes Gericht • Politiker • Politthriller • Scandicrime • Skandinavien • Starke Frauen • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-03792-213-3 / 3037922133
ISBN-13 978-3-03792-213-2 / 9783037922132
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