Der vierzehnte Stein (eBook)

Kommissar Adamsberg ermittelt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
528 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-31677-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der vierzehnte Stein - Fred Vargas
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Dieser Fall geht Kommissar Adamsberg unter die Haut wie nie zuvor!
Kommissar Adamsberg, der an einem DNA-Lehrgang in Québec teilnehmen soll, erfährt durch einen Zeitungsartikel von dem furchtbaren Verbrechen an einem Mädchen, das mit einem Dreizack ermordet wurde. Der Fall ruft alten Schrecken in ihm wach: Vor dreißig Jahren wurde sein Bruder Raphaël zu Unrecht eines ähnlichen Verbrechens bezichtigt. Der Mann, den Adamsberg für den eigentlichen Täter hielt, ist längst tot. Hat er einen Nachahmer gefunden? Ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit beginnt, in dem Adamsberg selbst zum Verdächtigen wird ...

Wenn Ihnen die Krimis um Kommissar Adamsberg gefallen, lesen Sie auch die Evangelisten-Reihe unserer internationalen Bestseller-Autorin Fred Vargas!

Fred Vargas, geboren 1957, ist ausgebildete Archäologin und hat Geschichte studiert. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin mit internationalem Renommee. 2004 erhielt sie für »Fliehe weit und schnell« den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk und 2016 den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International für »Das barmherzige Fallbeil«.

1


An die schwarze Kellerwand gelehnt, betrachtete Jean-Baptiste Adamsberg den gewaltigen Heizkessel, der zwei Tage zuvor jede Tätigkeit eingestellt hatte. An einem Samstag, 4. Oktober, während die Außentemperatur auf ungefähr ein Grad gesunken war und ein steifer Wind von der Arktis her wehte. Laienhaft begutachtete der Kommissar den Brenner und die nun stillen Rohrleitungen, in der Hoffnung, sein freundlicher Blick könnte der Anlage neue Kraft einflößen oder aber den Fachmann auftauchen lassen, der kommen sollte und nicht kam.

Dabei war er weder besonders kälteempfindlich, noch war ihm die Situation unangenehm. Im Gegenteil, die Vorstellung, der Nordwind käme ohne Aufenthalt oder Umweg vom Packeis geradewegs in die Straßen des Pariser 13. Arrondissements, gab ihm das Gefühl, er könnte mit einem einzigen Schritt in jene eisigen Weiten gelangen, dort umherstapfen und sich ein Loch für die Robbenjagd aufhacken. Er hatte sich noch eine Strickweste unter seine schwarze Jacke gezogen, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er hier in aller Ruhe die Ankunft des Monteurs abgewartet und auf das Auftauchen der Robbenschnauze gelauert.

Aber die mächtige Maschine im Kellergeschoss trug nun einmal auf ihre Weise zur Aufklärung der Fälle bei, die zu jeder Tageszeit auf die Brigade criminelle zukamen, indem sie die Körper der vierunddreißig Radiatoren und der achtundzwanzig Bullen im Gebäude wärmte. Kältestarre Körper, die derzeit in Anoraks verschwunden waren, sich um den Kaffeeautomaten drängten und ihre behandschuhten Finger an die weißen Becher drückten. Oder sich gleich davonmachten in die umliegenden Bars. Damit aber erstarrten auch die Akten. Hochwichtige Akten, blutige Verbrechen. Die den gewaltigen Heizkessel indes nicht interessierten. Wie ein fürstlicher Tyrann wartete er darauf, dass ein Mann der Zunft sich aufmachen und sich ihm zu Füßen legen möge. Als Zeichen seines guten Willens war Adamsberg schließlich hinuntergegangen, um ihm seine kurze und überflüssige Aufwartung zu machen, aber vor allem auch, um dem Lamentieren seiner Männer zu entfliehen und ein wenig Dunkel und Stille zu finden.

Dieses Gejammer, während sich in den Räumen doch immerhin noch eine Temperatur von zehn Grad hielt, war ein schlechtes Vorzeichen für den DNA-Lehrgang in Québec, wo sich ein rauer Herbst ankündigte – minus vier Grad gestern in Ottawa und hier und da bereits Schnee. Zwei Wochen, in denen es um genetische Fingerabdrücke gehen würde, um Speichel, Blut, Schweiß, Tränen, Urin und andere Absonderungen, die heutzutage elektronisch erfasst, geordnet und analysiert werden konnten, alle menschlichen Säfte, die zum regelrechten Kriegsgerät der Kriminalwissenschaft geworden waren. Eine Woche vor der Abreise hatten Adamsbergs Gedanken bereits abgehoben in Richtung kanadische Wälder, jene unermesslich Weiten, wie es hieß, die durchlöchert waren von Tausenden von Seen. Sein Stellvertreter Danglard hatte ihn grollend daran erinnert, dass sie wohl eher auf Bildschirme starren würden und in gar keinem Fall auf die Oberfläche von Seen. Seit einem Jahr grollte Capitaine Danglard nun schon. Adamsberg wusste, warum, und wartete geduldig darauf, dass dieses Knurren sich legte.

Danglard dachte nicht über Seen nach, sondern betete jeden Tag, dass ein heißer Fall die gesamte Brigade hier festnageln möge. Seit einem Monat quälte ihn der Gedanke an sein baldiges Ableben bei einer Explosion der Maschine über dem Atlantik. Seitdem allerdings der Fachmann, der kommen sollte, nicht kam, wurde seine Stimmung merklich besser. Er setzte auf diesen unerwarteten Ausfall des Heizkessels und hoffte, der Kälteeinbruch würde die absurden Fantasien entkräften, die die eisigen Weiten Kanadas in den Köpfen seiner Kollegen erzeugten.

Adamsberg legte seine Hand auf die Brennerklappe der Anlage und lächelte. Wäre Danglard imstande, den Heizkessel zu manipulieren, weil er die demobilisierende Wirkung einer solchen Aktion voraussah? Und die Ankunft des Monteurs zu verzögern? Ja, zu so etwas war Danglard imstande. Seine bewegliche Intelligenz glitt in jedes noch so feine Räderwerk des menschlichen Geistes: vorausgesetzt natürlich, dass es auf Vernunft und Logik beruhte. Und genau hier, auf dem schmalen Grat zwischen Vernunft und Instinkt, waren Adamsberg und sein Stellvertreter mit den Jahren zu absoluten Gegensätzen geworden.

Der Kommissar stieg die Wendeltreppe wieder hinauf und durchquerte den großen Saal im Erdgeschoss, wo sich seine Männer schwerfällig, weil angedickt mit der Last ihrer Schals und Pullover, wie in Zeitlupe hin und her bewegten. Ohne jeden erkennbaren Grund nannte man diesen Raum den Konzilsaal, sicherlich, dachte Adamsberg, weil hier die gemeinsamen Versammlungen stattfanden, Schlichtungsgespräche oder auch Verschwörungssitzungen, je nachdem. Ebenso nannte man den angrenzenden Raum den Kapitelsaal, er war viel kleiner, und hier versammelte sich der engere Kreis der Mitarbeiter. Wer sich diese Namen ausgedacht hatte, wusste Adamsberg nicht. Wahrscheinlich Danglard, dessen Bildung ihm mitunter grenzenlos, ja beinahe toxisch erschien. Der Capitaine wurde von heftigen Wissensausbrüchen heimgesucht, die so häufig wie unkontrollierbar über ihn kamen, etwa wie ein Pferd, das sich in schnaubender Erregung schüttelt. Ein schwacher Anreiz genügte – ein selten verwendetes Wort, ein verschwommener Begriff –, und schon setzte sich bei ihm ein gelehrter Mechanismus in Gang, der nicht unbedingt immer sehr angebracht war, sich jedoch mit einer Handbewegung unterbrechen ließ.

Mit einer verneinenden Geste bedeutete Adamsberg den Gesichtern, die sich ihm auf seinem Weg zuwandten, dass der Heizkessel noch immer kein Lebenszeichen von sich gab. Er erreichte das Büro von Danglard, der mit düsterer Miene die dringendsten Berichte zu Ende schrieb, für den verheerenden Fall, dass er mit nach Labrador musste. Allerdings würde er dort ja ohnehin nie ankommen wegen dieser Explosion über dem Atlantik infolge eines Brandes im linken Triebwerk, ausgelöst durch einen Schwarm Stare, der in die Turbine geraten war. Und das war eine Aussicht, die ihn seiner Meinung nach vollauf berechtigte, eine Flasche Weißwein schon vor sechs Uhr abends zu öffnen.

Adamsberg setzte sich auf eine Ecke des Tisches.

»Wie weit, Danglard, sind wir mit dem Fall Hernoncourt?«

»So gut wie abgeschlossen. Der alte Baron hat ein Geständnis abgelegt. Vollständig und klar.«

»Zu klar«, sagte Adamsberg, indem er den Bericht zurückschob und sich die Zeitung griff, die sauber gefaltet auf dem Tisch lag. »Da haben wir ein Abendessen im Kreise der Familie, das in einem Gemetzel endet, und wir haben einen zögerlichen alten Mann, der sich in seinen Worten verstrickt. Plötzlich aber entschließt er sich zur Klarheit, ohne jeden Übergang, ohne Helldunkel. Nein, Danglard, das unterschreiben wir nicht.«

Adamsberg schlug geräuschvoll eine Seite der Zeitung um.

»Und das soll heißen?«, fragte Danglard.

»Dass wir noch mal von vorn beginnen. Der Baron führt uns doch an der Nase herum. Er deckt jemanden, und sehr wahrscheinlich seine Tochter.«

»Und die Tochter würde ihren Vater ans Messer liefern?«

Adamsberg blätterte eine nächste Seite der Zeitung um. Danglard mochte es nicht, wenn der Kommissar seine Zeitung las. Er gab sie ihm stets zerknittert und in Einzelteilen zurück, man brauchte dann gar nicht erst zu versuchen, das Papier wieder in seine gefaltete Form zu bringen.

»Hat man schon erlebt«, antwortete Adamsberg. »Aristokratische Traditionen und vor allem ein mildes Urteil für einen schwachen alten Mann. Ich sage Ihnen nochmals, da gibt’s nichts Zwielichtiges und so was ist nicht vorstellbar. Dieser Sinneswandel kommt viel zu plötzlich, das Leben kennt keine so sauberen Brüche. Also ist irgendetwas faul daran.«

Danglard war müde, er verspürte plötzlich eine heftige Lust, sich den Bericht zu schnappen und alles hinzuschmeißen. Auch die Zeitung an sich zu reißen, die Adamsberg in seinen Händen achtlos auseinandernahm. Ob wahr oder falsch, er würde in jedem Fall gezwungen sein, das verdammte Geständnis des Barons noch einmal zu überprüfen, nur weil der Kommissar irgendeine schwammige Eingebung hatte. In den Augen Danglards glichen diese Eingebungen einer primitiven Rasse wurmartiger Weichtiere ohne Füße noch Flossen, ohne Unter- noch Oberseite, deren durchsichtige Körper unter der Wasseroberfläche trieben, und sie reizten den präzisen, scharfen Verstand des Capitaine, ja sie widerten ihn regelrecht an. Er wäre auch deshalb gezwungen, noch einmal alles zu überprüfen, weil diese weichtierartigen Eingebungen sich nur allzu häufig als richtig erwiesen, dank wer weiß welchem adamsbergschen Vorauswissen, das der raffiniertesten Logik trotzte. Ein Vorauswissen, das den Kommissar von Erfolg zu Erfolg schließlich bis auf diese Tischkante geführt hatte, auf diesen Posten als ungebührlicher, versonnener Chef der Mordbrigade des 13. Arrondissements. Ein Vorauswissen, das Adamsberg selbst indes leugnete und ganz einfach die Leute, das Leben nannte.

»Hätten Sie das nicht früher sagen können?«, meinte Danglard. »Bevor ich den ganzen Bericht hier geschrieben habe?«

»Ich bin erst heute Nacht darauf gekommen«, entgegnete Adamsberg und schlug plötzlich die Zeitung zu. »Beim Gedanken an Rembrandt.«

Er faltete die Zeitung hastig zusammen, aus der Fassung gebracht von einem heftigen Unwohlsein, das ihn mit einer Wucht befiel, als würde ihm eine Katze mit ausgefahrenen Krallen in den Rücken springen. Ein Schlag, ein Gefühl der Beklemmung, Schweiß im...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Reihe/Serie Kommissar Adamsberg ermittelt
Kommissar Adamsberg ermittelt
Übersetzer Julia Schoch
Sprache deutsch
Original-Titel Sous les vents de Neptune
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2024 • Bei Einbruch der Nacht • Cay Rademacher • Cold Case • Dämonen der Vergangenheit • Das barmherzige Fallbeil • Der Zorn der Einsiedlerin • Die Nacht des Zorns • eBooks • Ermittlerkrimi • Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord • Frankreich • Frankreich-Urlaub • Jean-Baptiste Adamsberg • Jean-Luc Bannalec • Kanada • Kommissar • Krimi • Krimiklassiker • Kriminalromane • Krimireihe • Krimis • Mahjong • Mordserie • Neuerscheinung • Paris • Preisträgerin • Québec • Regiokrimi • Schatten der Vergangenheit • Serienmörder • Sophie Bonnet • Spiegel-Bestsellerautorin • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-641-31677-4 / 3641316774
ISBN-13 978-3-641-31677-8 / 9783641316778
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