Schottenschuss (eBook)
336 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46796-1 (ISBN)
Gordon Tyrie ist das Pseudonym des Glauser-Preisträgers Thomas Kastura, geboren 1966 in Bamberg. Er studierte Germanistik und Geschichte, arbeitet als Autor für den Bayerischen Rundfunk und schreibt seit 20 Jahren Kriminalromane und Erzählungen. Bei Droemer erschienen 'Der vierte Mörder' (Platz 1 auf der KrimiWelt-Bestenliste), 'Das dunkle Erbe', 'Das geheime Kind' sowie 'Dark House'. Schottland ist seine große Liebe: Mit 'Todesströmung', 'Schottensterben' und 'Schottenkomplott' legt er eine erfolgreiche Reihe auf den Hebriden angesiedelter Cosy Thriller vor.
Gordon Tyrie ist das Pseudonym des Glauser-Preisträgers Thomas Kastura, geboren 1966 in Bamberg. Er studierte Germanistik und Geschichte, arbeitet als Autor für den Bayerischen Rundfunk und schreibt seit 20 Jahren Kriminalromane und Erzählungen. Bei Droemer erschienen "Der vierte Mörder" (Platz 1 auf der KrimiWelt-Bestenliste), "Das dunkle Erbe", "Das geheime Kind" sowie "Dark House". Schottland ist seine große Liebe: Mit "Todesströmung", "Schottensterben" und "Schottenkomplott" legt er eine erfolgreiche Reihe auf den Hebriden angesiedelter Cosy Thriller vor.
3
Seit Hynch zusammen mit Lizzy auf der Isle of Mull lebte, beschäftigte er sich mit der Herstellung von Eiscreme, mit Vogelbeobachtung, seinem langjährigen Hobby, und neuerdings immer intensiver mit Steinen. Dank seiner wechselvollen, teils vulkanischen Vorgeschichte galt Mull nämlich als Mekka der Geologie. Deswegen kam ihm der Gedanke, dass die Frau, die er in die Glass Barn eingeladen hatte, einer Gesteinsformation glich.
»Endlich treffen wir uns in real life«, sagte Frances. »Hat ja ganz schön gedauert.« Sie strich ihr geblümtes Kleid glatt – nicht forsch und hektisch wie ein Kontrollfreak, sondern eher beiläufig und versonnen, als würde sie bei dieser Geste an einen Menschen denken, der ihr einmal viel bedeutet hatte, die Großmutter vielleicht, eine ganz spezielle Tante oder ein verflossener Liebhaber. Das Kleid war moosgrün, sein Muster bestand aus weißen Glockenblumen. Es umhüllte einen Körper, an dem Erosion, Verwitterung und Sedimentation jahrzehntelang herumgemeißelt und allerlei Vorsprünge und Ausbuchtungen, aber auch Dellen und Verwerfungen hinterlassen hatten. Sehr individuell und durchaus attraktiv, wie Hynch fand, zumal Frances ihr leicht ausgeschnittenes Glockenblumenkleid mit einer Gelassenheit und Nichtbeachtung trug, als sei sie tatsächlich eine Art Stein, ein Monolith, über den die Natur ein Blütenmeer ausgegossen hatte. Was sie in Hynchs Auge zu einem geblümten Stein machte.
Er hob entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, dass es auf Colonsay2 nicht geklappt hat. Wie du siehst, hab ich kurz entschlossen die Insel gewechselt.«
»Machst du so etwas öfter?«
»Gelegentlich. Scheint sich zu einem Spleen von mir zu entwickeln.«
»Auf welchen Inseln warst du denn schon?«
»Och, hier und da«, wich Hynch aus. »Je kleiner, desto besser. Mull finde ich ein bisschen zu busy, zumindest Tobermory. Die Stadt hat immerhin fast tausend Einwohner, da ist andauernd was los.«
»Vorhin kam mir der Ort wie ausgestorben vor.«
»Das täuscht. Die saßen vermutlich alle beim Lunch.«
»Du magst es ruhiger.«
»Genau.«
»Ich lebe schon viel zu lange in Glasgow.« Frances strich sich eine grau melierte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Der Beruf hält mich dort fest, mein Beratungsbüro. Und die Aufträge, die ich hin und wieder von der Polizei bekomme. Die sind unglaublich interessant.«
»Du arbeitest für die Polizei?«, wunderte sich Hynch. »Hast du mir noch gar nicht erzählt.«
»Manche Leute reagieren dann komisch.«
»Ach wirklich?«
»Ich bin ja in Belfast aufgewachsen, zur Zeit der Troubles. Da galt es als suspekt, mit den Bullen zu paktieren.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Aber es ist nichts weiter dabei, alles rein geschäftlich. Ich bin Grafologin, wie du weißt. Und manchmal ist meine Expertise gefragt. Zum Beispiel für Gutachten.«
»Was gibt’s denn da zu begutachten?«
»Drohbriefe, Erpresserbriefe, vermeintliche Abschiedsbriefe oder Testamente … all so was. Und gefälschte Dokumente aller Art, Führerscheine, Pässe, Urkunden.«
»Wow.«
»Ist das ein Problem für dich?«
»Natürlich nicht.« Hynch wandte sich seinem Teebrot zu, einem Früchtekuchen mit Sultaninen und Mandeln. Das gehaltvolle Stück, das er von der Theke geholt hatte, konnte eine vielköpfige schottische Familie vermutlich tagelang ernähren. Er brach ein großes Stück davon ab und warf es Lizzy zu. Es verschwand kommentarlos in ihrem Maul.
Dass Frances Verbindungen zu den Bullen besaß, war durchaus ein Problem. Seit Jahren versuchte Hynch, unerkannt seinen Ruhestand zu genießen, bevorzugt auf kleinen Hebrideninseln, weil es dort häufig keine Polizei gab –, sofern ihm keine angespülten Leichen oder Todeskommandos abgehalfterter Gangsterbosse dazwischenkamen. Deshalb beschränkte er seine sozialen Kontakte auf ein Minimum.
Frances stellte eine Ausnahme dar. Das hing damit zusammen, dass er vor einigen Monaten einen großen Bock in seiner an Böcken ansonsten relativ armen Laufbahn geschossen und eine Kontaktanzeige in der Oban Times aufgegeben hatte. Viel Gutes war dabei nicht herausgekommen, im Gegenteil. Hynch war für bestimmte Leute, die ihn seit Jahren für tot gehalten hatten, wieder sichtbar geworden. Aus diesem Grund hatte er Colonsay den Rücken kehren müssen, um sich auf der weitaus größeren Isle of Mull anzusiedeln. Amouröse Folgen hatte das unvorsichtige Inserat jedoch nicht gehabt. Zwei Treffen mit Frauen, die sich an dem »59-jährigen Robinson mit Hang zur Poesie« interessiert gezeigt hatten, waren kläglich gescheitert, und ein ursprünglich geplantes Date mit Frances war schlichtweg geplatzt. Dieses Date wollte Hynch jetzt nachholen, nur aus Höflichkeit und Pflichtbewusstsein. Im Grunde hatte er die Schnapsidee, auf seine alten Tage noch eine Partnerin zu finden, längst abgehakt.
»Kürzlich ist mir im Job was Schräges passiert«, fuhr Frances fort. »Da kam diese Frau in mein Büro, Callie. Ich dachte, sie will etwas über die Gestaltung ihres Lebenslaufs wissen und wie man das handschriftlich am besten macht. In solchen Fällen berate ich die Leute, das ist so meine Haupttätigkeit. Die Schrift sagt ja unglaublich viel über die Persönlichkeit aus. In den großen Firmen werden angehende Führungskräfte auf Herz und Nieren geprüft, Handschriftanalysen sind da gang und gäbe.«
»Was wollte Callie denn von dir?«, hakte Hynch nach.
»Sorry, bin abgeschweift.«
»Du hast einen erstaunlichen Beruf. Was wäre denn, wenn wir nicht ausschließlich online Kontakt gehabt hätten? Wenn ich dir einen richtigen Brief geschrieben hätte?«
Frances lächelte. »Dann wüsste ich alles von dir.«
»Alles?« Hynch zuckte unwillkürlich zusammen.
»Bis in die Haarspitzen. Ich meine, was sehe ich jetzt? Einen Mann Ende 50, schlank wie ein Aal, hochgewachsen, vormals blond. Gut in Form. Selbstsicher, abwartend – und zugleich voller Angst, bei diesem Treffen in irgendein Fettnäpfchen zu treten, sei es aus Verlegenheit oder übertriebenem Perfektionismus. Du hast nur ein Auge. Ein sehr skeptisches Auge. Es ist unaufhörlich in Bewegung, scannt mich immerzu, ob es mir vertrauen darf.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Wie gesagt: Deine Handschrift würde noch viel mehr verraten.«
»Ein paar Geheimnisse möchte ich schon für mich behalten.«
»Was sieht denn dein Auge?«, fragte Frances. »Wie würdest du mich beschreiben?«
Hynch überlegte kurz. »Du bist ungefähr in meinem Alter …«, fing er an.
»Mist! Ich dachte, ich sehe mindestens zehn Jahre jünger aus.«
»Du wirkst wie ein Stein.«
»Unnachgiebig? Unnahbar? Ich kann mich irren, aber bei einem Date sagt man dem anderen erst mal was Positives. Und dann kommen nach und nach die Kritikpunkte.«
»Das war doch ein Kompliment.«
»Heißt das, du magst Steine?«
»Ich finde sie faszinierend. Die meisten Steine hier auf den Inseln sind wahnsinnig alt.«
»Und was für eine Sorte Stein soll ich sein?«
»Das ist mir noch nicht klar. Ich glaube nicht, dass du leicht zu bearbeiten bist wie zum Beispiel Sandstein, den nimmt man gern für Fenstereinfassungen.«
»Leicht zu bearbeiten? Ich?« Frances schmunzelte. »Nein, eher nicht.«
»Granit scheint mir auch nicht das Richtige zu sein – zu hart. Basalt ist ja vulkanischen Ursprungs – zu dramatisch. Ich glaube, du bist ein Gneis.«
»Davon hab ich mal in der Schule gehört – vor einer halben Ewigkeit.« Sie senkte den Blick. »Gneis. Klingt nicht gerade aufregend.«
»Ein Gestein, das entstand, als es noch kein tierisches Leben gab, bis zu drei Milliarden Jahre alt, ohne Einschlüsse von Fossilien. Ich finde dich erfrischend unlebendig.«
»Das hat mir noch niemand gesagt.« Ihre Stimme troff vor Ironie. »Ich fühle mich geschmeichelt.« Sie schlug die Beine übereinander. Zu dem geblümten Kleid trug sie weiße Sneakers, Stadtschuhe. Bequem und zweckmäßig, durchaus elegant, solange sie damit nicht in einen Kuhfladen oder Schafsköttel trat, was auf der Sgriob-ruadh Farm jederzeit möglich war.
»Gneise sind widerstandsfähig«, fuhr er fort. »Sie weisen eine hohe Dichte auf. Dadurch sind sie sehr belastbar, außerdem säurebeständig und frostunempfindlich. So kommst du mir vor.«
»Und ich komm mir vor wie in einem Baumarkt. Als würde jemand Steine für eine Gartenmauer aussuchen.«
»Auch dafür ist Gneis bestens geeignet.«
»Jedenfalls ist der Vergleich originell.«
»Danke.«
»Eine originelle Ausflucht. Vermutlich findest du mich etwas spröde, möchtest es aber nicht so direkt sagen. Diese Reaktion bin ich gewohnt, so wirke ich auf die meisten Menschen.« Sie lächelte gequält und trank einen Schluck Tee. Dann widmete sie sich ihrem Lemon Drizzle.
Falls Frances darauf wartete, dass Hynch widersprach und entgegnete: »Du bist doch nicht spröde!«, wurde sie enttäuscht. Für derlei Winke mit dem Zaunpfahl war er unempfänglich. Und falls »spröde« wirklich ihrer Selbsteinschätzung entsprach, sah er keinerlei Anlass, sie zu korrigieren. Menschen, die sich für spröde hielten, waren es häufig auch.
»Wolltest du mir nicht von dieser Callie erzählen?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
Frances hielt inne. »Stimmt.«
»Warum kam sie denn in dein Büro?«
»Sie bat mich um meinen Rat. Es geht um einen Selbstmord. Einen angeblichen Selbstmord, um genau zu sein.«
Hynch spitzte den Mund zu einem stummen »Oh«.
»Die Polizei hat den Fall bereits zu den Akten gelegt. Aber Callie glaubt nicht an...
Erscheint lt. Verlag | 3.6.2024 |
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Reihe/Serie | Hynch ermittelt | Hynch ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Auftragskiller • cosy crime deutsch • Cosy Crime Schottland • Cosy Krimi • cosy krimi deutsch • cosy thriller • Ex-Auftragskiller • Glauser-Preisträger • Gordon Tyrie • Hochlandrind • humorvolle Krimis • Hynch • Immobilienhai • Inselkrimi • Insel Mull • Junggeselle • Killer • Killer im Ruhestand • Krimi Hebriden • Krimi heiter • Krimi Hochlandrind • Krimi Humor • Krimi Humor Schottland • Krimi humorvoll • krimi reihen • Krimi Schottland • Krimis mit Humor • Krimi unblutig • lustige Krimis • police scotland • Profikiller • Profikiller ermittelt • Schatzsuche • Schottenkomplott • Schottenkrimi • Schottensterben • Schottland • Schwarzer Humor • schwarzer humor krimi • skurriler Humor Krimi • Thin Lizzy • Thomas Kastura • Tochter • Todesströmung • Urlaubskrimi • Wikinger |
ISBN-10 | 3-426-46796-8 / 3426467968 |
ISBN-13 | 978-3-426-46796-1 / 9783426467961 |
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