Die Entführung (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman – Die große Fortsetzung des Weltbestsellers »Die Firma«

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
384 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-30681-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Entführung - John Grisham
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Fünfzehn Jahre ist es her, dass Mitch McDeere gemeinsam mit dem FBI seine kriminelle alte Firma hat hochgehen lassen. Mittlerweile arbeitet er in der größten Anwaltskanzlei der Welt in Manhattan. Da holt ihn das Verbrechen wieder ein: Als ihn ein Mentor in Rom um einen Gefallen bittet, findet sich Mitch schnell im Zentrum eines mörderischen Konflikts wieder. Er soll durch eine immense Lösegeldzahlung eine Geiselnahme beenden, doch die Umstände sind dramatisch. Schon bald ist nicht nur er selbst in Gefahr, sondern auch die, die ihm nahestehen.

John Grisham ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Seine Romane sind ausnahmslos Bestseller. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und Jugendbücher veröffentlicht. Seine Werke werden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.

1


Im siebenundvierzigsten Stock eines in der Sonne funkelnden Hochhausturms an der Südspitze von Manhattan stand Mitch McDeere allein in seinem Büro am Fenster und sah hinab auf den Battery Park und den lebhaften Verkehr auf dem Fluss. Boote jeder Art kreuzten im Hafen. Riesige, mit Containern beladene Frachtschiffe warteten nahezu bewegungslos. Die Fähre nach Staten Island schob sich an Ellis Island vorbei. Ein mit Touristen vollgepacktes Kreuzfahrtschiff nahm Kurs auf das Meer. Dazwischen flitzte irgendwer todesmutig mit einem fünf Meter langen Katamaran umher. Dreihundert Meter über dem Wasser schwirrten nicht weniger als fünf Hubschrauber wie wütende Hornissen. In der Ferne stauten sich auf der Verrazano Bridge die Lastwagen. Die Freiheitsstatue betrachtete das Bild aus majestätischer Höhe. Es war eine fantastische Aussicht, die Mitch zumindest einmal am Tag zu genießen versuchte. Manchmal gelang es ihm, aber die meisten Tage waren zu hektisch für Müßiggang. Die Uhr bestimmte sein Leben, wie das von Hunderten anderen Rechtsanwälten im Gebäude. Scully & Pershing beschäftigte zweitausend Juristen weltweit und hielt sich für die beste internationale Kanzlei überhaupt. In New York belohnten sich die Partner – und Mitch war einer – mit großzügigen Büros im Herzen des Financial District. Die Kanzlei war mittlerweile über hundert Jahre alt und verströmte die Aura von Prestige, Macht und Geld.

Mitch sah auf die Uhr, und die visuelle Besichtigungstour fand ein Ende. Zwei angestellte Anwälte klopften und kamen zu einer seiner vielen Besprechungen herein. Sie setzten sich an einen kleinen Tisch, eine Sekretärin bot Kaffee an. Als sie ablehnten, ging sie wieder. Ihre Mandantin war eine finnische Reederei, die Probleme in Südafrika hatte. Die dortigen Behörden hatten einen Frachter beschlagnahmt, der mit Elektronikgeräten aus Taiwan vollgepackt war. Leer war das Schiff um die hundert Millionen wert. Voll beladen doppelt so viel, und die Südafrikaner regten sich über irgendwelche Zollfragen auf. Mitch war im vergangenen Jahr zweimal in Kapstadt gewesen und hatte keine Lust auf einen erneuten Besuch dort. Nach etwa einer halben Stunde schickte er die Anwälte mit einer ganzen Liste von Anweisungen weg und begrüßte das nächste Gespann.

Um Punkt fünf Uhr verabschiedete er sich von seiner Sekretärin, die Feierabend machte, und ging an den Aufzügen vorbei zum Treppenhaus. Wenn er nur ein paar Stockwerke nach oben oder unten musste, vermied er die Aufzüge, um sich das sinnlose Geschwätz der Anwälte zu ersparen, von denen er noch nicht einmal alle kannte. Er hatte viele Freunde in der Kanzlei und, soweit er wusste, nur eine Handvoll Feinde, aber es schwappte immer wieder eine neue Welle angestellter Anwälte und Juniorpartner herein, deren Gesichter und Namen er eigentlich hätte kennen sollen. Das war aber oft nicht der Fall, und er hatte auch nicht die Zeit, das Mitarbeiterverzeichnis zu studieren und sie sich einzuprägen. Zu viele waren ohnehin schon wieder weg, bevor er sich ihre Namen gemerkt hatte.

Wenn er die Treppe nahm, trainierte er Beine und Lunge. Dabei wurde ihm immer wieder bewusst, wie lange seine Collegezeit zurücklag, in der er oft stundenlang Football und Basketball gespielt hatte. Trotzdem war er mit einundvierzig gut in Form, weil er auf seine Ernährung achtete und mindestens dreimal in der Woche das Mittagessen ausfallen ließ, um im Fitnessraum der Kanzlei zu trainieren. Ein weiteres Privileg, das den Partnern vorbehalten war.

Er verließ das Treppenhaus im einundvierzigsten Stock und steuerte das Büro von Willie Backstrom an, einem Partner, der den Luxus genoss, nicht nach Stunden abrechnen zu müssen. Willie hatte die beneidenswerte Aufgabe, die Pro-bono-Programme der Kanzlei zu managen, und führte zwar Buch über seine Stunden, stellte aber keine Rechnungen. Es hätte sie ohnehin niemand bezahlt. Anwälte verdienten bei Scully & Pershing hervorragend, besonders die Partner, und die Kanzlei war bekannt für ihr Engagement im ehrenamtlichen Bereich. Sie übernahm unentgeltlich schwierige Fälle überall auf der Welt. Jeder Anwalt war verpflichtet, mindestens zehn Prozent seiner Zeit in den Dienst einer guten Sache zu stellen, die von Willie abgesegnet war.

Die Kanzlei war beim Thema ehrenamtliche Arbeit tief gespalten. Die Hälfte der Anwälte freute sich, zur Abwechslung einmal nicht für Firmenmandanten schuften zu müssen, die enormen Druck ausübten. Ein paar Stunden pro Monat konnte ein Anwalt einen echten Menschen oder um ihr Überleben kämpfende gemeinnützige Organisationen vertreten, ohne sich Gedanken um Rechnungen und Honorare zu machen. Die andere Hälfte zeigte sich zwar überzeugt vom edlen Gedanken, etwas zurückzugeben, hielt das Programm aber für reine Verschwendung. Die zweihundertfünfzig Stunden im Jahr konnten sinnvoller genutzt werden, nämlich um Geld zu verdienen und die eigene Position bei den verschiedenen Ausschüssen zu sichern, die bestimmten, wer befördert oder gar Partner und wer vor die Tür gesetzt wurde.

Willie Backstrom sorgte für Frieden unter ihnen, was nicht schwer war, weil kein noch so ehrgeiziger Rechtsanwalt es gewagt hätte, die aggressive Pro-bono-Politik der Kanzlei zu kritisieren. Scully & Pershing zeichnete sogar jedes Jahr Anwälte aus, die im Dienste der Bedürftigen über ihre Pflicht hinausgingen.

Mitch arbeitete im Augenblick vier Stunden pro Woche zusammen mit einer Obdachlosenunterkunft in der Bronx für Mandanten, die sich gegen eine Zwangsräumung wehrten. Es war sichere, saubere Schreibtischarbeit, was genau seinen Vorstellungen entsprach. Sieben Monate zuvor war er dabei gewesen, als ein zum Tode Verurteilter in Alabama seine letzten Worte sprach, bevor er hingerichtet wurde. Er hatte sechs Jahre und achthundert Stunden lang vergeblich darum gekämpft, den Mann zu retten, und ihn sterben zu sehen war herzzerreißend, die bitterste aller Niederlagen.

Mitch wusste nicht genau, was Willie wollte, aber dass er ihn überhaupt zu sich gerufen hatte, verhieß nichts Gutes.

Willie war der einzige Anwalt bei Scully mit Pferdeschwanz, noch dazu einem sehr ungepflegten. Sein Haar war grau und passte damit zu seinem Bart. Wenige Jahre zuvor hätte ihn ein Vorgesetzter angewiesen, sich zu rasieren und zum Friseur zu gehen. Aber die Kanzlei arbeitete hart daran, ihr angestaubtes Image als Schreibtischtäterverein weißer Anzugträger loszuwerden. Eine der radikalen Veränderungen war die Abschaffung jeglicher Kleiderordnung. Willie ließ sich Haar und Schnurrbart wachsen und kam fortan in Jeans zur Arbeit.

Mitch, der zwar einen dunklen Anzug trug, aber keine Krawatte, setzte sich auf die andere Seite des Schreibtischs und wechselte ein paar belanglose Worte mit Willie. Endlich kam Willie zum Thema. »Mitch, ich möchte, dass du dir unten im Süden einen Fall ansiehst.«

»Sag bloß nicht, dass es um die Todesstrafe geht.«

»Es geht um die Todesstrafe.«

»Das kann ich nicht, Willie. Ich hatte in den letzten fünf Jahren zwei solche Fälle, und beide Männer sind hingerichtet worden. Meine Erfolgsquote ist bescheiden.«

»Du hast hervorragende Arbeit geleistet, Mitch. Niemand hätte die beiden retten können.«

»Ich kann so was nicht noch einmal übernehmen.«

»Hörst du’s dir wenigstens an?«

Mitch zuckte resigniert mit den Schultern. Willies Engagement für Todeskandidaten war legendär, und nur wenige Anwälte in der Kanzlei schafften es, Nein zu sagen. »Okay, schieß los.«

»Sein Name ist Tad Kearny, und er hat noch neunzig Tage. Vor einem Monat hat er merkwürdigerweise seine Anwälte gefeuert, ausnahmslos alle, dabei war sein Team hochkompetent.«

»Klingt verrückt.«

»Das ist er auf jeden Fall. Völlig durchgeknallt, wahrscheinlich gar nicht schuldfähig, aber Tennessee macht trotzdem Druck. Vor zehn Jahren hat er drei verdeckt ermittelnde Drogenfahnder bei einer Razzia erschossen, die völlig aus dem Ruder gelaufen war. Überall Tote und Verletzte, insgesamt fünf Leute starben vor Ort. Tad wäre auch fast umgekommen, aber es gelang den Ärzten, ihn zu retten, damit man ihn später hinrichten konnte.«

Mitch lachte frustriert. »Und ich soll mich als edler Ritter in die Schlacht werfen und den Mann retten? Also wirklich, Willie. Ich brauche schon Argumente.«

»Argumente gibt es praktisch keine, bis auf Schuldunfähigkeit. Das Problem ist, dass er sich wahrscheinlich weigern wird, dich zu sehen.«

»Und warum verschwenden wir dann unsere Zeit damit?«

»Weil wir es versuchen müssen, Mitch, und ich glaube, du bist der Beste dafür.«

»Das musst du mir erklären.«

»Er erinnert mich an dich.«

»Herzlichen Dank.«

»Nein, im Ernst. Er ist weiß, in deinem Alter und aus Dane County, Kentucky.«

Für einen Augenblick hatte es Mitch die Sprache verschlagen, dann fasste er sich wieder. »Na toll. Wahrscheinlich sind wir Cousins.«

»Das glaube ich nicht, aber sein Vater hat im Kohlebergbau gearbeitet, genau wie deiner. Und beide sind dort gestorben.«

»Meine Familie ist tabu.«

»Entschuldigung. Du hattest Glück und warst clever genug, um da nicht hängen zu bleiben. Tad war anders gestrickt und hatte bald mit Drogen zu tun, als Konsument und als Dealer. Er und ein paar Kumpel wurden bei einer Großlieferung in der Nähe von Memphis von den Drogenfahndern überrascht. Außer Tad kamen alle ums Leben. Jetzt hat ihn das Glück wohl verlassen.«

»Und er ist eindeutig schuldig?«

»Für die Geschworenen bestimmt. Die Frage ist nicht, ob er schuldig, sondern ob er schuldfähig ist. Ich stelle mir vor, dass wir ihn von...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2024
Übersetzer Imke Walsh-Araya, Bea Reiter
Sprache deutsch
Original-Titel The Exchange
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2024 • Afrika • Agententhriller • Bestsellerautor • "die firma" • eBooks • Geiselnahme • Manhattan • Neuerscheinung • New York • New York Times Bestseller • Politthriller • Rom • Thriller • Tom Cruise • Verfolgung
ISBN-10 3-641-30681-7 / 3641306817
ISBN-13 978-3-641-30681-6 / 9783641306816
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