Mondfarben (eBook)

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2023 | 3. Auflage
181 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-4984-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mondfarben -  Frieda Niklas
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In den Nächten des Blutmondes werden die Werwölfe geboren. Sie wachsen wie jedes andere Kind auf. Bis sich ihre Sinne schärfen und ihnen ein Fell wächst. Bis sie sich verwandeln und die Freiheit suchen, sie selbst zu sein, grenzenlos zu leben und zu lieben. Aus verschiedenen Zeiten kommend, unter verschiedenen Umständen erwachsen geworden, finden zwei Wölfe zueinander und suchen gemeinsam nach ihrer Geschichte. Sie treffen nicht nur auf ihresgleichen, sondern auch auf ihren Feind. Auf eine tödliche Bedrohung, die sich gut zu tarnen weiß. Mondfarben ist kein Kinderbuch. Es kommen Tod, Mord und suizidale Gedanken vor. Eine der handelnden Personen ist non binär und wird mit wechselnden Pronomen adressiert.

Frieda Niklas ist zwischen Bücherregalen aufgewachsen. Seit sie Märchen liest, interessiert sie sich für das, was unter ihrer Oberfläche gedacht werden kann. Sie lebt zusammen mit ihrer Familie am Rhein mit einem schönen Blick auf den Drachenfels.

Frieda Niklas ist zwischen Bücherregalen aufgewachsen. Sie hatte aber auch lebende Erziehungsberechtigte. Als junge Erwachsene begann sie mit dem Verfassen von Bühnentexten. Es folgten Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften unter ihrem Geburtsnamen. Viele Jahre erschöpfte sich ihre Kreativität in der liebevollen Begleitung ihres Kindes. Heute schreibt sie Geschichten, die zwischen Kunstmärchen und moderner Phantastik changieren. Dabei interessiert sie sich besonders für die unkonventionellen Lebensentwürfe ihrer Figuren. Mit Mondfarben legt Frieda Niklas ihren ersten phantastischen Roman vor. Sie lebt mit ihrer Familie am Rhein mit einem schönen Blick auf den Drachenfels.

Guillaume


 

So lange Guillaume denken konnte, war sein Leben Arbeit gewesen. Sein Elternhaus war in seiner Erinnerung nur Schatten und Geräusche. Das Gekreische vieler Geschwister, die laute Stimme der Mutter, die sich über das Geschnatter hin Gehör zu verschaffen suchte. Der Vater meist stumm dazwischen, doch wenn er etwas zu sagen hatte, tat er es mit donnerndem Gebrüll. Guillaumes Kindheit war Lärm. Danach kam die Arbeit, sobald er alt genug war zu verstehen, was im Stall und auf dem Acker zu tun war. Dann, im Kloster von Pontigny tat er andere Arbeiten. Er lernte den Weinbau, was ihm später im Leben von Nutzen sein würde. Am liebsten aber half er in der Küche, obwohl es schwer war, die Eimer und Kessel und Platten mit Speisen zu schleppen. Doch vor allem hieß es, von dem essen zu dürfen, was die frommen Brüder übrig gelassen hatten. Wie getrübt seine Erinnerung an seine frühe Kindheit auch war, er wusste sicher, dass er nie so satt gewesen war. Dass Essen nie zuvor so gut geschmeckt hatte.

So wie ihm ging es den meisten anderen. Jungen, die aus ihren Familien heraus gekauft im Kloster die schweren Arbeiten verrichteten. Als junge Männer gingen sie in ihr Dorf zurück und ihre jüngeren Brüder nahmen ihren Platz ein. Sie selbst fanden dann eine Frau, hatten ihre eigene Familie, gaben einen oder zwei ihrer Söhne für eine Zeit ins Kloster. Und so immer fort. Niemand dachte je darüber nach. Alle Wege waren klar und vorbestimmt. Was nicht auf dem Weg lag, konnte nur göttlich oder dämonisch sein.

Das Dämonische begegnete Guillaumes, als er älter wurde. Er sah die Zeichen früh. Sie verwirrten ihn, aber sie ängstigten ihn nicht.

„Wenn man das Böse sieht, würde man dann nicht Angst haben?“ fragte er den Novizen, der ihm den Gebrauch des Schermessers zeigte.

„Ich habe keine Erfahrung mit dem Bösen“, sagte dieser. Er führte die Klinge sanft über Guillaumes linke Wange.

„Aber ihr studiert das Böse doch“, sagte Guillaume.

Der Novize legte das Messer weg.

„Du hast etwas gesehen, was Böse sein könnte, aber du bist dir nicht sicher?“, fragte er. Guillaume sah zu Boden. Der Novize betrachtete sein Gesicht mit konzentriertem Blick, bevor er die Klinge wieder aufnahm.

„Manchmal kommt das Böse im leuchtenden Gewand zu uns, um uns zu verwirren.“ Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: „Du würdest es doch aber sicher bemerken, wenn du zu bösem Handeln verführt werden sollst.“

„Das ist es nicht“, sagte Guillaume. Er wusste sich nicht zu erklären. Hätte er sich schon so ausdrücken können, wie er es noch lernen sollte, hätte er vielleicht gesagt, dass er keine Angst vor dem Bösen fühlte. Nicht im Wachen, aber in der Nacht suchte sie ihn heim. Oft träumte ihm von einem Tier, das sich aufrecht auf seinen Hinterläufen mit ausgestreckte Pranken auf ihn zu bewegte. Groß wie er selbst, kam der Wolfskopf seinem Gesicht so nah, dass er seinen heißen Atem spürte. Während er zurück wich, näherte sich Guillaume einem Feuer, das bis zum Himmel loderte und das Läuten mächtiger Glocken erklang. Dann schrak Guillaume auf und schlich aus dem gemeinsamen Nachtlager der Gehilfen in das Badehaus und rasierte sich von Kopf bis Fuß. Diese Stunde in der Nacht war die einzige, in der er allein war. In der ungewohnten Stille hing er seinem wiederkehrenden Traum nach. Wo er das Tier hätte fürchten müssen, flößten ihm Feuer und Glocken viel größere Angst ein. Ohne Zweifel drohte ihm das Feuer, wenn er nachts allein im Badehaus entdeckt würde, wie er sich das dichter werdende Fell von der Haut schnitt. Der alte Bruder Desiderius, seit vielen Jahren der Gärtner und Apotheker des Klosters, wurde schließlich seine Rettung. Manche sagten, er hätte schon den Kräutergarten gepflegt, als der Vorgänger des jetzigen Abts noch nicht im Amt war, was ein Alter jenseits aller Vorstellung bedeutete. Bei Tisch war sein Platz gleich neben dem Abt. An einem Abend winkte er Guillaume zu sich. Dieser hatte schon oft den Blick des Alten auf sich gefühlt, ganz als würden die blinden Augen ihn ständig beobachteten. Er fühlte sich daher unwohl, doch als er sich näherte, hörte er den alten Mann einige freundliche Worte sprechen, die ihm jede Sorge nahmen. Seinen Blick ein wenig hebend, erkannte Guillaume, dass er sich getäuscht haben musste, denn der Bruder Apotheker bewegte seine Lippen nicht. Erst als Guillaume vor ihm stand, sagte er mit seiner brüchigen Stimme: „Komm morgen früh gleich nach Laudes zu mir in den Garten, Junge. Ich spreche mit dem Cellerar, dass er dich mir zuteilt.“ Damit lächelte er wieder und nickte, zum Zeichen, dass alles gesagt sei.

Guillaume verließ die Küche nicht gern. Doch war es nicht an ihm, sich seine Arbeit auszusuchen. Von dem alten Desiderius lernte er mit der Zeit alles über Kräuter. Es waren so viele, dass Guillaume zuerst dachte, er werde sie niemals unterscheiden können. Die Formen der winzigen Blättchen schienen ihm zu ähnlich. Der blinde Apotheker hatte keine Schwierigkeiten, jede einzelne Pflanze zu erkennen, an ihrem Geruch und an der Textur von Blättern und Stängeln.

„Es sind manche dabei, die dir nützlich sein können“, sagte er an Guillaumes ersten Tag im Garten. Wie zufällig strich der Bruder Apotheker mit seiner knorrigen Hand über Guillaumes behaarten Arm.

„Ganz wie ich dachte. Diese alte Nase täuscht sich nicht.“ Guillaume erschrak, er zog seinen Ärmel so weit herunter, wie er konnte, und schaute zur Seite.

Desiderius sagte: „Ich habe schon manchem wie dir geholfen.“

Also gab es andere, die wie er waren. Guillaume hätte gern mehr darüber erfahren, aber Desiderius sprach bereits wieder über die Kräuter.

„Von den Blüten dieser beiden bereitest du wässrige Auszüge mit Hilfe von Dampf. Ich werde dir zeigen, wie es geht. Du kannst sie in größeren Mengen herstellen und in einer Flasche gut verschlossenen aufheben. Die anderen Kräuter sind einfacher zu verarbeiten. Hiervon trocknest du nur die Blätter und hier die ganze Pflanze. Auch diese kannst du gut als Vorrat halten. Aus den getrockneten Teilen brühst du einen Tee. Und dann gibst du diese Blätter frisch dazu und ebenso einige Tropfen des Auszuges.“

Desiderius sah in Guillaumes verwirrtes Gesicht und ließ wieder sein schelmisches Kichern hören.

„Wir bereiten es gemeinsam zu. So oft, bis du es allein kannst. Du wirst sehen, bald kennst du jeden Handgriff, ohne ihn zu bedenken.“

„Brauchen wir denn viel davon?“, fragte Guillaume.

„Du nimmst jeden Tag einen Schluck von dem Gebräu“, sagte Bruder Desiderius, „das ist fast immer ausreichend. Dennoch sollst du die Zubereitung genau lernen. Auch wie du sie aufschreibst und lesen kannst, damit du sie niemals vergisst. Du trägst die Samen immer bei dir. Für den Tag, wo du deinesgleichen triffst.“

„Meinesgleichen?“ Guillaume konnte die Frage nicht zurück halten. Er vergaß allen Anstand und sah dem Bruder direkt in die Augen. Für einen winzigen Moment schienen sie klar und führten ihn in eine weit entfernte Zeit. Guillaume fühlte Schwindel in sich aufsteigen. Für einen Wimpernschlag schien ihm Desiderius‘ Gesicht glatt und jung. Doch dann waren die Augen des alten Mannes wieder trüb und schauten von ihm weg zum Horizont.

„Gott hat in seiner unendlichen Weisheit und Güte zu allem, was er schuf, ein anderes geschaffen. Ein jedes Ding hat sein Anderes, damit es nicht allein sei. Und alles hat auch sein Widerpart. Auf das wir, so uns etwas leiden macht, ein Mittel finden, uns davon zu erlösen.“

Guillaume fragte sich später oft, ob Bruder Desiderius einstmals die Kräuter für sich selbst verwendet hatte. Aber er wagte nicht, den Apotheker darauf anzusprechen. Er selbst trank jeden Tag von dem Gebräu. Selbst noch ein Löffel Honig milderte den bitteren Geschmack des Getränks kaum, aber Guillaume gewöhnte sich gerne daran, denn bereits nach der ersten Gabe ließ der Haarwuchs an seinem Körper nach. Und nachdem er sich noch einmal ganz rasiert hatte, blieb seine Haut glatt, solange er täglich seinen Schluck zu sich nahm. Er konnte es schon bald ohne Hilfe zubereiten. Als nächstes lernte er, die Samen zu gewinnen und die Kräuter aus ihnen zu ziehen. Es war kein leichtes Unterfangen. Ständiges Bemühen war nötig, Geduld und Hingabe. Nichts, was ihm in der Hetze und dem Lärm seiner Familie gelingen konnte. Er sah mit jedem Tag, dass es kein zurück mehr für ihn gab. Daher fragte er Desiderius, wie er ganz im Kloster bleiben könnte, als ein Laienbruder vielleicht. Aber der Alte sagte schlicht: „Das ist nicht dein Weg. Auch wirst du den Tee nicht ewig brauchen. Lass die Zeit ihre Arbeit tun.“ Und wieder einmal waren seine Augen für einen Moment klar, sein Blick ging tief bis in Guillaumes Innerstes. Da war eine Sehnsucht in Guillaume, die mit den Jahren stärker wurde. Ein wachsendes Verlangen, nach etwas, für das er keine Worte hatte, das mit dem Wind vom Wald her zu ihm kam. Da war der Wein und die Felder und noch mehr Felder. Und dennoch er konnte den Wald riechen, so fern er auch war. Manchmal in der Nacht lag Guillaume lange wach und lauschte auf die Herzschläge seiner Kameraden. Sie verwandelten sich in wildes Glockengeläut, wenn sein Alptraum kam. Die Bestie trieb ihn noch immer zum Feuer. Als er sich dem Bruder Desiderius anvertraute, gab dieser ihm einen weiteres Kraut für besseren Schlaf. Falls er Antworten hatte, behielt er sie für sich. Guillaume wusste nicht einmal, welche Fragen er stellen sollte. Er tat seine Arbeit. Im Weinberg, im Kräutergarten und wieder im Weinberg, je nach Jahreszeit. Was an seinem Innersten zerrte, wurde größer. Es zwang ihn eines Tages, sich in einem unbeobachteten Moment auf den Boden zu...

Erscheint lt. Verlag 18.12.2023
Illustrationen Relix TheArtist
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte BI • Bisexuell • Historischer Roman • Modernes Märchen • nicht-binär • non binär • Queer • Regenbogen • romantisch • Spannung • Trans • verschiedene Zeitebenen • Werwölfe
ISBN-10 3-7584-4984-7 / 3758449847
ISBN-13 978-3-7584-4984-0 / 9783758449840
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