Dorian Hunter 140 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6288-5 (ISBN)
Bernd stolperte durch Sträucher, stürzte und stützte sich mit den Händen an einem Stein ab. Es war ein Grabstein. Der Name, der hineingemeißelt war, brannte ihm förmlich in den Augen. Bernd Haider stand dort. Er raffte sich verzweifelt auf und stürzte weiter. Plötzlich hatte er den Strand erreicht. Von fern vernahm er Ruderschlag. Hinter ihm war plötzlich das Gerassel einer Kette. Er wollte herumwirbeln, doch da legte sich die Kette um seinen Oberkörper und wurde zusammengezogen.
Der Ruderschlag kam näher. Stimmen sprachen verhalten miteinander.
»Hoffentlich haben wir bald eine komplette Mannschaft.«
»Dann stechen wir in See.«
»Name?«
»Bernd Haider«, antwortete Bernd automatisch.
Er fühlte sich emporgehoben und gleich darauf in die Knie gezwungen. Unter seinem Sitzfleisch spürte er ein feuchtes Brett.
»Willkommen an Bord ...!«
1. Kapitel
Dann verstummten die militärischen Schritte schlagartig.
»Name?«, fragte eine befehlsgewohnte Stimme in gepflegtem Katalanisch.
Fernando zuckte zusammen. Er wich vor der Stimme des Unsichtbaren zurück. Eine furchtbare Angst befiel ihn. Er wusste auf einmal, was das zu bedeuten hatte. Sie kamen, um ihn zu holen.
»Name!«, forderte die Stimme wieder, nur diesmal ungeduldiger.
»Ich ...«, begann Fernando. Es versagte ihm die Stimme. Mit einem unartikulierten Aufschrei wirbelte er herum und rannte davon.
»Ein Deserteur! Ausschwärmen!«
Fernando begann schneller zu laufen. Er konnte überhaupt nichts sehen. Ein paarmal stolperte er über Steine und Sträucher, und auf einmal erkannte er, dass er vom Weg abgekommen war und querfeldein lief.
»Fangt ihn! Er darf nicht entkommen!«
Fernando wusste überhaupt nicht mehr, wo er war. In welcher Richtung lag das Meer, wo Vigo und die Scheune seines Vaters? Er musste unbedingt den Hórreo erreichen, bevor ihn seine Verfolger einholten. Maria wartete. Er musste sie unbedingt noch einmal sehen, und wenn es das letzte Mal war. Er bereute es bereits, sich auf diese Sache eingelassen zu haben, aber es schien kein Zurück mehr zu geben.
»Da ist er! Auf ihn!«
Die Verfolger schienen ihn trotz des dichten Nebels sehen zu können. Das Getrampel der Stiefel kam rasch näher. Fernando veränderte wieder die Richtung.
Plötzlich schälten sich aus dem Nebel die schemenhaften Umrisse eines Gebäudes, das trutzig wirkte wie eine Burg. In einem der beiden Fronttürme war ein Fenster erleuchtet. Es roch intensiv nach Seetang. War er bereits am Meer?
Fernando prallte zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Barriere gerannt. Vor ihm erhob sich tatsächlich das Gemäuer einer Burg, obwohl er wusste, dass es hier weit und breit keine solche geben konnte. Da fielen ihm die Geschichten über die versunkene Zitadelle ein, die zu gewissen Zeiten aus dem Meer auftauchen sollte. Hier sollten angeblich die unruhigen Seelen der Matrosen herumspuken, die mit ihren Schiffen und unermesslichen Schätzen in der Ria von Vigo versunken waren.
Fernando hatte auf einmal einen unheimlichen Verdacht, der ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er rannte von der Zitadelle fort, bis der Nebel sie wieder verschluckt hatte.
»Lasst ihn nicht entkommen!«
Fernando bahnte sich einen Weg durch dichtes Gesträuch. Auch hier stank es nach Seetang. Zwischen den Sträuchern tauchten immer wieder verwahrloste Grabsteine auf.
Aber wieso? Hier gab es keinen Friedhof! Nur die Legenden wussten von einem solchen zu berichten. Es sollte ein verfluchter Ort sein, den niemand verlassen konnte, wenn er ihn einmal betreten hatte.
Fernando strauchelte und fiel mit dem Kopf hart gegen einen der Grabsteine. Für einen Moment war er wie benommen.
Als er die Augen aufschlug, blickte er genau auf die ungelenke Inschrift des Grabsteins. Dort stand: Fernando Vergara.
Aber das war sein Name!
Mit einem Aufschrei sprang er hoch und lief wie von Furien gehetzt weiter. Endlich ließ er den Friedhof hinter sich und erreichte das freie Feld. Hinter sich vernahm er immer noch die Schritte und die wütenden Stimmen seiner Verfolger.
Da tauchte erneut ein Schemen im Nebel auf. Es war ein schlankes, hoch aufragendes Gebilde. Erleichtert stellte Fernando fest, dass es sich um die Betsäule am Kreuzweg handelte.
Er ließ sich erschöpft dagegen fallen, umarmte die steinerne Säule und betete.
Der Nebel riss schlagartig auf, verflüchtigte sich, und auf einmal war wieder sternklare Nacht. Fernando blickte sich ängstlich um. Niemand war zu sehen. Es fanden sich auch keine Hinweise auf die Existenz eines Friedhofs oder einer Zitadelle.
Nachdem er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, lief er, so schnell er konnte, zu dem steinernen Speicher seines Vaters. Die beiden Kreuze an den Dachgiebeln vermittelten den Eindruck von einer kleinen Kapelle. Für Fernando war es ein Zufluchtsort, wo er Asyl vor den Schrecken der Nacht finden konnte.
»Maria!«, rief er, während er durch die Öffnung in die Scheune stürzte. »Maria, bist du da?«
Er hörte ihren raschen Atem, spürte, wie sich sanfte Haut gegen sein Gesicht schmiegte und sich schlanke Arme zärtlich um ihn schlangen, und er klammerte sich an die zierliche Gestalt, als befürchtete er, sonst in einen unendlich tiefen Abgrund zu fallen.
»Fernando, was ist denn nur passiert?«
Er gab keine Antwort, hielt die Geliebte nur fest im Arm, küsste ihr Gesicht und ihren Körper. Die Erinnerung an die schreckliche Wirklichkeit ließ ihn zu einem zitternden Nervenbündel werden.
Er bettete sein Gesicht schluchzend in ihren Schoß.
»Fernando ...« Sie ließ ihm Zeit, bis er sich von seinem Schock erholt hatte. Es dauerte eine geraume Weile, bis sein Körper zu zittern aufhörte.
Er hob den Kopf. »Maria, ich bin gekommen, um von dir Abschied zu nehmen. Ich gehe fort.«
Sie blickte ihn nicht an, streichelte seine Hand, starrte ins Leere. »Warum?«, fragte sie tonlos. Und: »Wohin?«
»Ich ertrage die Armut nicht mehr«, schrie er fast. »Ich möchte nicht wie mein Vater ein Leben lang schuften und trotzdem ein armes Schwein bleiben. Ich werde meinen Weg machen. Ich habe auf einem Schiff angeheuert. Wenn ich zurückkomme, werde ich reich sein.«
Sie kannte das. Schon viele tatendurstige junge Männer hatten Galicien verlassen, um in der Fremde reich zu werden. Irgendwann kamen sie zurück, gebrochen, enttäuscht, verbittert. Man fand sie überall in Galicien auf ihren zweirädrigen Ochsenkarren sitzend, auf ihren winzigen Minifundien Mais einholend, in den Straßen vor den Cafés herumlungernd – noch immer träumend von den verpassten Gelegenheiten in der Vergangenheit.
»Ich weiß, was du denkst, Maria«, sagte Fernando. »Aber mir wird es nicht so ergehen wie diesen gescheiterten Existenzen. Ich werde mein Glück machen.«
»Auf einem Schmugglerschiff?«
»Ich gehe auf Schatzsuche.«
»Fernando!«
»Nicht, Maria!« Er legte ihr eine Hand auf den Mund. »Ich habe mich entschieden. Du kannst mich nicht mehr umstimmen. Ich könnte auch nicht mehr zurück, denn ich habe mich mit meinem Blut verpflichtet.«
Jetzt war es an ihr, zu weinen. Sie hatte sich nicht viel vom Leben erwartet; nur ein kleines Glück. Aber selbst das entriss ihr das Meer.
Sie spürte, wie er wieder zu zittern begann, und das ließ sie doch noch hoffen. »Wovor fürchtest du dich eigentlich, Fernando?«
»Ich habe keine Angst.«
»Bist du zu stolz, um mir zu sagen, was eigentlich passiert ist? Vertraue dich mir an!«
Er ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern zu verbergen. »Ich kann es nicht recht erklären. Ich weiß selbst nicht mehr genau, wie alles gekommen ist. Da war ein Mann. Ich habe ihn eines Nachts getroffen. Wir haben über die Schätze geredet, die in der Bucht von Vigo verborgen liegen, Schätze, die nur darauf warten, gehoben zu werden.«
Sie lächelte. Alle jungen Männer träumten davon, die Schätze der versunkenen Galeonen zu heben. Viele hatten ihr Leben und ihre Träume im Meer gelassen. »Aber dann brauchst du nicht fortzugehen«, sagte sie. »Die Bucht breitet sich direkt vor uns aus. Wenn du ihre Schätze heben willst, dann wirst du mir nicht fern sein.«
»Es ist etwas anderes«, sagte er. »Ich kann es dir nicht erklären. Ich weiß selbst nicht genau – aber ich werde für eine Weile fort sein. Wirst du auf mich warten?«
Sie schüttelte verständnislos den Kopf, versuchte seinem Blick zu begegnen, aber er wich ihr aus.
Plötzlich drückte er sie wieder an sich. »Wartest du auf mich, Maria? Ich muss fort. Wenn ich nicht freiwillig gehe, werden sie mich holen.«
»Wer?«
Er gab keine Antwort. Wieder spürte sie, dass er zitterte. Sie verstand nicht, warum er auf seiner Entscheidung beharrte, wenn er Angst hatte.
Sein Kopf ruckte hoch. »Hörst du den Ruderschlag?«
»Nein.«
»Sie kommen, um mich zu holen. Ich muss gehen.«
»Wer kommt, dich zu holen, Fernando?«
»Sie rufen mich.«
Er erhob sich. Sie versuchte, ihn zurückzuhalten, aber entschlossen entzog er sich ihrem Griff und lief aus dem Speicher. Sie raffte ihr Kleid hoch und folgte ihm ins Freie. Er drehte sich um. »Bleib zurück, Maria! Sie sollen dich nicht sehen.«
Der Strand lag in dichtem Nebel.
Fernando lächelte ihr noch einmal zu, dann war er im Nebel verschwunden.
Sie rief seinen Namen, aber er antwortete nicht. Verzweifelt lief sie den Strand entlang, in der Hoffnung, die Anlegestelle zu finden; sie schlug seine Warnung einfach in den Wind.
Jetzt konnte auch sie den Ruderschlag eines Bootes hören. Die Geräusche näherten sich dem Ufer. Gedämpfte Stimmen unterhielten sich. Sie bildete sich ein, dass von holländischen und englischen Flotten gesprochen wurde und von einer Seeblockade.
»Wenn wir komplett sind, stechen wir in...
Erscheint lt. Verlag | 6.1.2024 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-6288-4 / 3751762884 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6288-5 / 9783751762885 |
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