Strom - Das dunkle Erwachen (eBook)
464 Seiten
Penhaligon Verlag
978-3-641-27153-4 (ISBN)
Die Welt, in der Fiora aufwächst, ist ein Albtraum aus Sand, Fels und einer alles versengenden Sonne. Doch schlimmer ist der Hass, welcher der jungen Frau entgegenschlägt. Denn ein dunkles Geheimnis umhüllt Fioras Herkunft. Im Schatten ihrer Halbschwester Mara versucht sie sich zu beweisen und lässt sich von Meister Konstantin, dem einzigen Gelehrten der Stadt, ausbilden. Doch der Meister ist nicht, wer er zu sein scheint: Die Energie, die durch ihn fließt, ist machtvoll genug, die Welt in Asche zu legen. Fiora muss herausfinden, wer sie wirklich ist - weit mehr als nur ihr eigenes Schicksal steht auf dem Spiel.
Robin Hill ist das Pseudonym eines deutschen Thriller-Autors. Sein Fantasy-Debüt »Strom - Das dunkle Erwachen« verbindet die epische Erzählgewalt eines Brandon Sanderson mit der kompromisslosen Sozialkritik eines Isaac Asimov. Die Möglichkeit einer starken KI hat Robin Hill lange als ein faszinierendes Gedankenspiel gesehen - inzwischen sieht er sie als eine Frage der Zeit.
1. Kapitel
Am Vorabend jener Nacht, die ihr den Vater raubte, besuchte Fiora das Grab ihrer Mutter. Es war kaum mehr als eine Erhebung im Geröll. Ein Unwissender hätte hinter den wenigen, hastig zusammengeworfenen Steinbrocken inmitten der Ödnis niemals Menschenhand vermutet.
Fiora zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, überprüfte den Sitz ihres Gesichtstuchs. Der Wind heulte, zerrte an ihrem Mantel; so zornig peitschte er den Sand auf, dass die Körner die kleinsten Lücken in den Schichten ihrer Kleidung fanden; wie Nadeln stachen sie, wo immer sie auf nackte Haut trafen. Dennoch war Fiora dankbar über den Sturm. Es war Sommer. Dem unverhüllten Blick des Feuergeists hätte sie nicht standgehalten. Eigentlich war es sogar verboten, die schützenden Mauern Bergquells zu verlassen, während der Dämon wachte. Doch später, wenn er schlief, würde Meister Konstantin Unterricht halten. Fiora hatte bereits mehrmals die Geduld des Meisters auf die Probe gestellt – und jener hatte klargemacht, dass er es nicht hinnehmen würde, wenn sie sich ein weiteres Mal verspätete.
Missmutig betrachtete sie den Steinhaufen. Von Jahr zu Jahr versank er tiefer im Sand. Eine gelbbraune Flechte überzog die letzten sichtbaren Brocken. Sie seufzte. Es war, als versuchten selbst die Kräfte der Natur, alle Erinnerungen an Mutter auszulöschen. Hin und wieder kämpfte Fiora dagegen an, legte die Steine frei, rückte sie zurecht, tauschte die verwittertsten aus. Doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Gefährlich obendrein. Immer wieder hatte Vater sie davor gewarnt, die Sitten der Stadt zu missachten. Und Vater wusste, wovon er sprach – denn er war es gewesen, der die Schande begangen hatte. Hatte ein Kind gezeugt mit einer Fremden – und noch schlimmer: mit einer Dunklen. Eine unaussprechliche Tat, welche die Lehre der Sternenherrin verhöhnte, ganz Bergquell der Verdammnis preisgab.
Zwanzig Stockhiebe standen darauf, die Stadtmauern bei Tage unerlaubt zu verlassen. Sollte der Rat herausfinden, dass sie das Grab einer Dunklen nicht nur besucht, sondern sogar gepflegt hatte, drohte die Verbannung. Und verbannt zu werden in eine Welt, die im Sterben lag, bedeutete den Tod.
Fiora griff in ihre Manteltasche, zog das hölzerne Figürchen hervor, das sie ihrer Mutter geschnitzt hatte. Es war der Form einer beleibten Frau nachgebildet, die einen Wasserkrug an ihren üppigen Busen drückte – die Herrin der Fruchtbarkeit. Eine weitere Sünde. Die Sternenmagd hatte die Verehrung der Alten unter Strafe gestellt. Sollte sie doch brennen.
Ohne sich von dem Toben des Sturmes stören zu lassen, kniete Fiora sich vor den steinernen Hügel, setzte behutsam die Göttin in den Sand. Sie glaubte an keine Götter, weder die alten noch die neuen. Aber das Andenken ihrer Mutter zu ehren, indem sie die wesentlichsten Gebote der Sternenmagd übertrat, verschaffte ihr eine finstere Befriedigung.
Es war ihr Weg, der Verzweiflung die Stirn zu bieten.
Sie war die Tochter einer Dunklen.
Solange sie lebte, würde sie von der Bevölkerung Bergquells mit Argwohn behandelt werden. Sie träumte davon, hinauszuziehen in die unbekannte Weite jenseits der Vierzehn Zinnen, wo niemand Angst vor ihr hätte. Wie oft hatte sie Vater angefleht, der Stadt den Rücken zu kehren, sich eine Bleibe zu suchen, die frei war von den Vorurteilen und dem abergläubischen Hass, der ihre Familie seit der unglücklichen Nacht ihrer Geburt begleitete. Doch Vater hatte nie etwas anderes getan, als müde den Kopf zu schütteln und all die vernünftigen Argumente vorzubringen: Ihnen fehle das Wissen, die Geröllwüste zu durchqueren – und selbst wenn, sie seien zu arm, sich die nötige Ausrüstung zu leisten. Niemand würde sie unterstützen, denn obwohl man sie verabscheue, die billige Arbeitskraft missen wolle man nicht. Und sogar das unwahrscheinliche Glück, eine der anderen Wehrstädte zu erreichen, sei letztlich nicht von Bedeutung, denn nichts spreche dafür, dass sie dort besser behandelt würden als hier.
Geduldig ertrug er ihren Widerspruch. Während sie ihm nacheinander Kaltherzigkeit, Feigheit und Selbstsucht vorwarf, wartete er still. Und dann, wenn sie endlich innehalten musste, um Atem zu schöpfen, pflegte er nur zu sagen: »Du kannst dein Erbe nicht verstecken«, wobei er sich darum bemühte, möglichst beiläufig zu klingen. Und sein Blick glitt über ihren Körper, so traurig und liebevoll, dass ihr das Herz zerspringen wollte vor Scham.
Wenn Fiora dann noch immer nicht von dem Streit lassen mochte und trotz allem darauf beharrte, dass selbst die Bestien und Giftpflanzen der Ödnis nicht so schlimm sein könnten wie die kalte Bosheit Bergquells, kam der Moment, in dem Vater unweigerlich brummte: »Fiora, denk an deine Schwester.« Und als Zeichen, dass das Gespräch beendet war, griff er nach den unseligen Mulsa-Knospen, schob sich zwei oder drei auf einmal in den Mund und brütete betäubt vor sich hin, bis der Abend dämmerte und er zurück in die Mine musste.
Die Nacht brach herein. Der Sturm wütete noch immer, würde jedes Sternenlicht verschlucken. Fiora richtete sich auf, sie musste zurück, bevor es gänzlich finster werden würde. Außerdem wartete ja der Unterricht. Meister Konstantin war dafür zuständig, die Jugendlichen zu nützlichen Mitgliedern der Gemeinschaft zu formen – und diese Aufgabe trieb er ohne Milde voran.
Nachdem sie noch einen Augenblick in stummem Abschiedsgruß verharrt hatte, wandte sie sich in Richtung Stadt. Verdrossen bemerkte sie, dass Sand in ihre Schutzbrille geraten war. Sie widerstand der Versuchung, die Brille an Ort und Stelle zu reinigen. Niemand nahm im Sturm seine Brille ab. Es war ein Fehler, den man nur einmal beging.
Schnaubend warf sich ihr der Wind entgegen, mit weit nach vorn geneigtem Oberkörper stapfte sie los. Sie dachte an Mara. Immer verwies Vater auf die große Schwester. Die statthafte Tochter. Manchmal, wenn Fiora sich schlaflos auf ihrer Matratze wälzte, malte sie sich eine Welt aus, in der Maras Geburt nicht nur deren Mutter das Leben gekostet hätte, sondern auch Mara selbst. Fiora schämte sich dafür, der Gedanke war abscheulich – was konnte ihre Schwester dafür, dass alle Menschen sie liebten?
Fiora erreichte das Flussbett des Torm, rutschte achtsam die Böschung hinunter. Der schwierige Teil des Weges war überstanden. Verirren konnte sie sich nun nicht mehr, und auch der Sturm riss weniger stark an ihrem Körper als zuvor. In ihrem Kopf allerdings wirbelte es umso heftiger.
Natürlich hatte Vater recht. Ohne Mara würden sie Bergquell nicht verlassen. Und während ihre Schwester hier eine Zukunft hatte, würde sie in jeder anderen Stadt, die sie mit Fiora gemeinsam beträte, genauso geächtet werden wie Fiora selbst. Einzig in Bergquell konnte Mara darauf vertrauen, dass man verzichtete, sie für die Entscheidungen ihres Vaters mit zur Rechenschaft zu ziehen.
Fioras Fuß prallte gegen Stein, ein glühender Schmerz zuckte durch ihre Zehen. Es war dunkel geworden; verloren in ihren Gedanken, hatte sie wenig auf den Weg geachtet und dadurch einen der scharfkantigen Felsen übersehen, die den Boden des ausgetrockneten Flussbetts spickten. Sie stolperte, konnte sich nicht fangen, hart schlug sie auf. Der Aufprall presste ihr die Luft aus dem Leib. Rauschen in den Ohren, ein schwebender Körper.
Dann der Schmerz, schlimmer als erwartet.
Mit zusammengebissenen Zähnen blieb sie liegen, über ihr toste der Wind. Ihre Lippen brannten, schmeckten metallisch. Zaghaft spürte sie in sich hinein. Pochen in den Zehen. Sie versuchte, ihre Glieder zu bewegen, es gelang; erleichtert atmete sie auf. Bis auf einige Schrammen war sie heil geblieben. Trotzdem, was für ein Missgeschick! Wütend raffte sie sich auf, zog die Kapuze zurecht und marschierte weiter.
Langsam ebbte der Sturm ab, der Sand nieselte nur noch, statt ihr waagrecht ins Gesicht zu schlagen. Erste Lichter flammten auf – die Gaslampen auf der Stadtmauer. Bevor der Lauf des Torm Bergquell erreichte, kletterte Fiora die Böschung hoch. Sie kannte jeden Stein der Umgebung; flink huschte sie längs der Mauer von Felsbrocken zu Felsbrocken, selbst ein geübter Späher hätte sie schwerlich entdeckt. Nicht, dass Fiora sich sorgte. Es standen schon lange keine Wachen mehr in den Türmen am Tor, erst recht nicht auf der Mauer. Sogar die Ältesten erinnerten sich nur verschwommen an die Zeit, als noch feindliche Heere gegen Bergquell marschiert waren. Seitdem die Ödnis bis zu den Vierzehn Zinnen vorgedrungen war, hatte der Landstrich nichts mehr zu bieten, was eine Eroberung lohnenswert gemacht hätte. Die wenigen menschlichen Spuren, die man in den letzten Jahren gefunden hatte, zeugten von zu kleinen Gruppen, um einer Stadt gefährlich werden zu können. Räuberbanden suchten ihr Glück inzwischen weiter im Süden, und nach Mutter war auch keine Dunkle mehr nach Bergquell gelangt. Was die wilden Tiere anging, so mochten sie zwar grausame Jäger sein, doch steinerne Mauern bezwangen sie nicht. Daher hatte der Rat beschlossen, die ständige Wachmannschaft aufzulösen und durch Streifen der Legion zu ersetzen.
Mit der Legion war nicht zu scherzen, aber auf Streife schickten sie nur diejenigen, die zu sonst nichts mehr zu gebrauchen waren. Es war die erste Stunde nach der Dämmerung, die Nachtschicht würde gerade erst ihren Dienst angetreten haben. Bell und Ismar, wenn Fiora sich nicht verrechnet hatte. Bell war brutal und gerissen, aber faul, Ismar eine schnarchende Vogelscheuche – die beiden würden bis Mitternacht brauchen, nur die Laternen am Hauptmarkt anzuzünden.
Das letzte Stück musste sie ohne Deckung zurücklegen. Der Sturm hatte sich endgültig gelegt, vor ihr erstreckte sich die...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 2023 • 2024 • Abenteuer • AI • Artificial Intelligence • Debüt • Dune • dystopie fantasy • dystopischer Roman • eBooks • Endzeit • Fantasy • Fantasy für Erwachsene • fantasy neuerscheinung 2024 • Frank Herbert • High Fantasy • KI • Klima Fantasy • Krieg • Künstliche Intelligenz • Mortal Engines • Neuerscheinung • Philip Reeve • Postapokalypse • Science Fiction • SciFi • Starke Frau • theresa hannig • Tom Hillenbrand • Trendthema |
ISBN-10 | 3-641-27153-3 / 3641271533 |
ISBN-13 | 978-3-641-27153-4 / 9783641271534 |
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