4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1013 (eBook)
700 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-8552-8 (ISBN)
Prolog
Oberlauf des Großen Flusses, September 2504
Lichtpunkte glühten im Gestrüpp auf. Schwach und nur zwei oder drei Herzschläge lang, dann erloschen sie wieder. Erschöpft lehnte er gegen einen Baumstamm.
Er zügelte seinen Atem, spähte in die Dunkelheit. Was war das gewesen? Leuchtende Insekten? Ferne Fackeln? Oder nur ein Reflex seiner Angst? Es gab hier keine Lichter, nirgends. Kein Mondlicht schimmerte am Himmel über dem Wald. Kein Stern funkelte zwischen den Zweigen, wenn er in die Baumkronen hinauf sah. Die Nacht war ein schwarzes Loch. Und er war so maßlos erschöpft.
Weiter.
Links brach ein Zweig. Er kauerte sich ins Unterholz, hielt still, lauschte. Kaum vermochte er seine Atemzüge zu zähmen. Da! Wieder knackte es im Unterholz, vierzig, höchstens fünfzig Schritte entfernt diesmal. So nahe? Himmel über Salisbury! Hatten sie seine Spur entdeckt? Natürlich, seinen Schweiß, sein Blut! Beim Atem seiner Mutter – sollte dies denn wahrhaftig seine letzte Nacht sein?
Und da! Laub raschelte, vielleicht dreißig Schritte entfernt. Ein Verfolger? Bei Wudan, bitte nicht! Er verharrte reglos, lauschte nur, war starr vor Furcht. Nachtschwarzer Wald schluckte die Umrisse seiner Gestalt, nicht einmal als Schatten war er jetzt noch zu sehen. Um selbst kein Geräusch zu verursachen, atmete er mit weit geöffnetem Mund.
Still, ganz still!
So verharrte er minutenlang tief ins Gestrüpp geduckt und alle Sinne in den nächtlichen Wald gerichtet. Doch kein weiteres Rascheln oder Knacken verriet einen Verfolger. Da war nichts. Sie hatten seine Spur verloren, sie tappten im Dunkeln, wie er selbst auch. Nein, da war nichts. Seine Sinne hatten ihn getäuscht. Weiter.
Weiter, immer weiter!
Von Stamm zu Stamm tastete er sich durch das Unterholz. Das Atmen fiel ihm schwer, in seinen Wunden pochte brennender Schmerz. Sein rechter Arm war wie taub, sein Herz klopfte ihm in der Kehle, und das Schwert auf seinem Rücken wog schwer wie ein Eichenstamm.
Dieser Kampf …
Er lehnte wieder gegen etwas Hartes, verschnaufte, versuchte seine Schmerzen wegzudrängen, versuchte seiner Hoffnungslosigkeit auszuweichen, versuchte nichts zu spüren.
Dieser zähe, mörderische Kampf …
Hundertzwanzig, vielleicht hundertfünfzig Schritte weit arbeitete er sich durch das Unterholz. Leise, Meter für Meter, langsam, leise, weiter, immer weiter. Die Zeit kroch dahin wie erkaltende Lava.
O, dieser mörderische, nicht enden wollende Kampf! Nicht daran denken! Nichts spüren, nichts fühlen, alles vergessen, einfach nur weiter gehen!
Einmal mehr glaubte er, ein Sternenpaar in der Schwärze des Waldes aufleuchten zu sehen. Schon wieder Lichter? Versagten seine Sinne erneut? Fieberte er bereits? Er kniff die Augen zusammen, er blinzelte, er spähte – nichts leuchtete mehr.
Weiter.
Dann war ihm, als hörte er bereits den Fluss rauschen. Er richtete sich auf, vergaß einen Augenblick lang jede Vorsicht, rannte los, stolperte. Verzweiflung überschwemmte ihn, drohte seinen Willen zu ersticken. Er schüttelte sich, er seufzte, er biss die Zähne zusammen und richtete sich auf. Torkelnd tastete er einen Baumstamm, hielt sich fest, stieß sich ab, tastete den nächsten Stamm, hielt sich fest, stieß sich erneut ab. So schlich er von Baum zu Baum, und wirklich: Das Rauschen des Flusses war jetzt deutlich zu hören.
Er arbeitete sich durch ein Farnfeld. Schmerz und Erschöpfung zwangen ihn irgendwann zu Boden. Er ging in die Knie, er beugte sich über seine Oberschenkel, er bohrte die Stirn in die Kühle des Waldbodens. Konnte man denn derart erschöpft sein? Keinen Schritt wollte er noch gehen, keinen weiteren Atemzug tun.
Es duftete nach faulem Holz, nach feuchter Erde, nach Farn und Moder. Aufstehen, weitergehen. Nach wenigen Metern sackte er blitzartig in die Knie. Da waren sie wieder, die Lichter! Sechs diesmal, und er konnte blinzeln, so oft er wollte, er konnte spähen, die Augen zusammenkneifen, sich abwenden – sah er wieder hin, leuchteten sie noch immer.
Er blickte nach links – auch dort zwei Lichterpaare. Augenpaare? Augen, die in der Dunkelheit leuchteten? Er blickte nach rechts, er blickte nach links, er blickte hinter sich. Leuchtende Doppellichter, wohin er sah.
Aus und vorbei!
Die Bestien umzingelten ihn, er hatte verloren. Endlich war die Flucht vorüber. Er griff über seine Schulter und zog das Schwert aus der Rückenscheide. Viel zu langsam, viel zu schwerfällig. Seine Arme schmerzten, seine Wunden brannten, in seinem Kopf hämmerte eine Schürfhacke, seine Füße waren aus Granit, seine Knöchel, seine Waden, Knie und Schenkel, alles aus kaltem Granit.
Vorwärts, Mann aus Salisbury! Vorwärts und voran zu Wudans Festtafel! Ein Sohn der Wildnis stirbt nicht aus Versehen! Ein Sohn der Alten stirbt nicht im Schlaf!
Ein Ring aus Lichtern, so umgaben ihn die Augen der Bestien. Mit jedem Atemzug wurden es mehr, gleichgültig, wohin er sich wandte, vollkommen gleichgültig. Er dachte kurz an die Waffe im Panzer, er dachte an seinen Vater, an seine Mutter, und so torkelte er dem Rauschen des Flusses entgegen.
Vielleicht hätte er noch ein paar weitere Winter erleben können, wenn er den EWAT erreicht, wenn er die Waffe in die Hände bekommen hätte. Doch was wogen ein paar weitere Winter voller Mühsal gegen den Frieden an Wudans Festtafel? Was dieses verfluchte Leben gegen das letzte Aufatmen, das sie Tod nannten?
Er hob das Schwert und beschleunigte den Schritt. Den leuchtenden Augen entgegen. Er stieß einen Kampfschrei aus, er rannte, er hob die Klinge …
Er stolperte.
Keine Wurzel hatte ihn zu Fall gebracht. Kein Stein, kein Strunk, kein Bruchholz. Schwer atmend richtete er sich auf und tastete hinter sich. Seine Hand berührte etwas Warmes, tastete Haut, Kleider, Haare. Ein menschlicher Körper. Verkrümmt und reglos lag er im Gestrüpp. Seine Finger glitten durch etwas Feuchtes, Klebriges – Blut. Seine Hand zuckte zurück, sein ausgezehrter Körper erbebte unter kalten Schauern.
Einer der Jäger, die ihm auflauerten? Er hatte keine Freunde in den Ruinen und Uferwäldern des Großen Flusses. Und wenn – die Bestien unterschieden nicht freundliches Menschenfleisch von feindlichem Menschenfleisch. Es musste einer seiner Jäger sein, der hier verblutet war.
Als er sich auf den Knien aufrichtete, schwindelte ihn. Er stemmte die Fäuste in den Waldboden und atmete gegen einen Brechreiz an. Und plötzlich stand sie ihm vor Augen, seine schöne Mutter, so klar, als wäre sie eben hinter einem Stamm hervorgetreten. Ihre Miene war streng, ihre Augen leuchteten, und ihm war, als hörte er sie flüstern: „Steh auf, laufe, lebe!“
Er tastete nach seinem Schwert, rammte es in den Boden, zog sich an ihm hoch und lief los. Keine Lichter mehr im nachtschwarzen Wald, keine Augenpaare.
Steh auf, laufe, lebe!
Sein Atem flog, er keuchte, das Schwert vor sich ausgestreckt brach er durch Gestrüpp und Gebüsch. Tiefhängende Äste peitschten ihm ins Gesicht, Baumstämme schürften seine Schultern und Wangen wund, Bruchholz brachte ihn zu Fall.
Steh auf, laufe, lebe!
Er stand auf und rannte weiter. Vor ihm rauschte der Fluss, hinter ihm raschelte und knackte es. Nicht zurückblicken, weiterlaufen, dem Fluss entgegen!
Seine Stiefel versanken in Uferschlamm, sein Schwert bog Schilfrohr zur Seite, er stolperte über einen Stamm, schlug lang im Wasser hin. Wasservögel flatterten auf und verschwanden kreischend in der Nacht über dem Fluss.
Steh auf, laufe, lebe!
Aufstehen, weiterlaufen! Bis zu den Knien reichte ihm das Wasser. Er drehte sich um – Dutzende von leuchtenden Augenpaaren im Schilf! Er schleuderte ihnen sein Schwert entgegen, warf sich ins Wasser und schwamm los.
Er spürte, wie die Strömung ihn davontrug. Das Wasser drang durch seine Kleider und brannte in seinen Wunden. Seine vom Kampf tauben Arme wollten kaum noch gehorchen. Er drehte sich auf den Rücken, breitete die Arme aus, stieß sich allein mit den Beinen ab. Über ihm riss die Wolkendecke auf. Ein Stern glitzerte am Nachthimmel, und da, noch einer!
Er sah zurück – der Uferwald war eine schwarze Wand. Lichter schwammen auf dem Fluss. Sechs, sieben, acht Paare – sie verfolgten ihn! Er warf sich auf den Bauch, seine tauben Arme zerteilten das Wasser, er schwamm um sein Leben.
Bald konnte er die Konturen des Waldes am rettenden Ufer erkennen. Die Mitte des Großen Flusses lag hinter ihm. Seine Armmuskulatur drohte endgültig zu erlahmen. Er schluckte Wasser, hustete, versank, tauchte wieder auf. Die Kräfte schwanden ihm.
Weiter, Mann aus Salisbury! Das Ufer ist nah! Um deiner schönen Mutter Willen – weiter! Sie will, dass du lebst!
Er drehte sich auf den Rücken, um mit den Beinen zu rudern und zu strampeln. Ein Schreckensschrei entfuhr ihm: Die Augenpaare schwammen nur zwanzig oder dreißig Schritte hinter ihm. Er konnte die Umrisse von Schädeln erkennen.
Er warf sich auf den Bauch. Fünfzehn oder zwanzig Schritte entfernt erhob sich ein großer Vogel aus dem Schilf. So nahe schon das Ufer, so nahe der Wald! Doch seine Arme erlahmten. Wieder schluckte er Wasser. Seine Sinne drohten zu schwinden. Und da! Was war das? Lichter glühten im Schilf und am Waldrand! Augenpaare! Sie erwarteten ihn!
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
ISBN-10 | 3-7389-8552-2 / 3738985522 |
ISBN-13 | 978-3-7389-8552-8 / 9783738985528 |
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Größe: 1,3 MB
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