In der Erde (eBook)
480 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491944-7 (ISBN)
Pernilla Ericson ist erfolgreiche Krimi-Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit für Zeitungen und TV befasst sie sich viel mit Klimawandel und sozialer Gerechtigkeit. Diese Themen bringt sie auch in ihre Spannungsromane ein. Ihre Reihe um die Polizistin Lilly Hed eroberte in Schweden die Bestsellerlisten und verhalf ihr auch international zum Durchbruch. Pernilla Ericson lebt in Stockholm.
Pernilla Ericson ist erfolgreiche Krimi-Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit für Zeitungen und TV befasst sie sich viel mit Klimawandel und sozialer Gerechtigkeit. Diese Themen bringt sie auch in ihre Spannungsromane ein. Ihre Reihe um die Polizistin Lilly Hed eroberte in Schweden die Bestsellerlisten und verhalf ihr auch international zum Durchbruch. Pernilla Ericson lebt in Stockholm. Friederike Buchinger übersetzt Belletristik für Erwachsene und Jugendliche sowie Sachbücher aus dem Dänischen, Norwegischen und Schwedischen ins Deutsche. Sie wurde für ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet.
Pernilla Ericson hat [...] erneut einen dramatischen und spannenden Fall kreiert.
1
Die Laken klebten auf der Haut. Monika Västlund drehte sich im Bett um, streckte die Hand aus und verstellte den Ventilator, der sich monoton hin und her bewegte. Es half nichts. Das Ding rührte die stickige Luft nur um, aber einen nennenswerten Unterschied machte es nicht. Sie fuhr sich mit der Hand durch die zerzausten dunklen Haare. Verzog das Gesicht, als sie merkte, wie verschwitzt ihr Nacken war. Im Zimmer war es dunkel. Patrik, ihr Mann, schlief tief und fest neben ihr und es nervte sie, wie unbeeindruckt er von der Hitze war, von der Feuchtigkeit, die sich bildete, wenn sich ihre Körper unter der Bettdecke berührten. Er suchte ihre Nähe, sie ging auf Abstand.
Monika drehte sich auf den Rücken, versuchte, sich zu entspannen. Aber sobald ihre Atmung ruhiger wurde, sobald ihre Augenlider schwer wurden, hinderte sie etwas am Einschlafen. Ihr Herz, das schneller schlug. Eine innere Anspannung. Die Entscheidung, die sie getroffen hatte und die Konsequenzen für ihre ganze Familie haben würde.
Sie musste sich ablenken, griff nach ihrem Handy, und das kalte Licht des Displays erhellte die Dunkelheit. Aber der Newsfeed war auch nicht beruhigend. Wieder eine Schlagzeile über eine Schießerei, diesmal in der Stockholmer Innenstadt. Sie seufzte. Diese sinnlose Gewalt. Nahm das denn nie ein Ende?
Das rastlose Gefühl wurde immer größer. Die Hitze immer unerträglicher. Sie schlug die Decke zur Seite, setzte sich auf. Vielleicht würde ein Glas Milch helfen? Oder sollte sie sich das Sofa herrichten und unten schlafen? Ein bisschen kühler war es dort allemal. Sie nahm ihr Kopfkissen und die dünne Decke, die vor allem aus dekorativen Gründen am Fußende ihres Bettes lag. Das musste reichen.
Auf dem Weg zur Treppe ging sie am Zimmer der Tochter vorbei, stockte und machte noch einmal kehrt. Vorsichtig schob sie die Tür einen Spaltbreit auf. Ein kleiner rosa Ventilator, verziert mit Einhornstickern, brummte leise neben dem Bett. Ein beruhigendes Geräusch, dachte Monika, auch wenn das winzige Ding kaum Abkühlung brachte. In diesem Zimmer war es noch stickiger, aber wegen der Mücken wollte sie das Fenster über Nacht nicht offen lassen. Maja schlief trotzdem tief, die langen dunklen Haare wie einen Fächer auf dem Kissen ausgebreitet und mit dem Daumen im Mund, obwohl die Sechsjährige schwor, sich das Daumennuckeln schon lange abgewöhnt zu haben.
Monika zog die Tür wieder zu, schlich leise die Treppe hinunter, um ihre Familie nicht aufzuwecken. Das helle Ziffernblatt der Uhr in der Diele, auf dem die Zahlen als silbern glänzende Striche dargestellt waren, zeigte, dass es kurz nach eins war. Noch viel Zeit, um weiterzuschlafen. Inzwischen schlief Maja meistens bis sieben Uhr morgens durch, ohne nachts zu ihnen ins Bett zu kriechen. Und hier unten war es wirklich nicht ganz so warm, das merkte Monika sofort. Vielleicht kamen ihre Gedanken hier zur Ruhe. Für einen kurzen Moment war sie versucht, sich noch eine schnelle Zigarette zu erlauben, aber sie widerstand dem Impuls. Sie hatte sich schließlich selbst versprochen aufzuhören. Oder wenigstens weniger zu rauchen.
Sie blieb vor dem runden Spiegel im Wohnzimmer stehen. Selbst hier im Halbdunkel waren die ersten grauen Strähnen in ihren schulterlangen Haaren nicht mehr zu übersehen und sie hatte tiefe Schatten unter den Augen. Ihr herzförmiges Gesicht war schmaler geworden, ihre Wangen eingefallen. Sie hatte sichtlich abgenommen. In letzter Zeit hatte sie keinen Appetit gehabt. Das lag an der Hitze. Und an dieser Entscheidung. Obwohl sie jetzt gefallen war, ließ sie ihr keine Ruhe. Der Gedanke daran erfüllte sie gleichermaßen mit Vorfreude wie auch mit Angst. Sie würde ihre Sicherheit aufgeben und ihr gesamtes Leben über den Haufen werfen, mit allen Folgen, die das womöglich mit sich brachte. Und eine Sorge führte zur nächsten. Rief alte Schuldgefühle wach. Dinge, die sie während ihrer Therapie erfolgreich bearbeitet und fortgejagt hatte. Alles wurde ihr in einer endlosen Gedankenschleife entgegengeschleudert. Vielleicht stecke ich auch in einer Midlifecrisis, dachte sie.
Sie legte sich auf das hellgraue Ledersofa im Wohnzimmer, klopfte ihr Kopfkissen zurecht und machte es sich unter der dünnen Decke bequem. Endlich kam der Schlaf, wie ein guter Freund. Monika versank in einen wohligen Schlummer. Träume von einem tiefen See und dunklen Wäldern glitten vorbei, schenkten ihrem Körper die Abkühlung, nach der er sich sehnte.
Als sie aufwachte, hatte sie keine Vorstellung davon, wie viel Zeit vergangen war und was sie geweckt hatte. Aber war da nicht ein Geräusch gewesen? Sie setzte sich auf, ziemlich verschlafen, im Kopf noch die Bilder von hohen Bäumen und dunklen Gestalten zwischen den Stämmen. Sie stellte die Füße auf den weichen Teppich und stand auf.
Ein Bild riss sie aus der Müdigkeit wie eine eiskalte Dusche. Oder träumte sie noch? Denn das hier konnte doch unmöglich Wirklichkeit sein? Die Haustür stand sperrangelweit offen. Der gelbliche Schein der Straßenlaterne fiel in den Flur. Ein schwacher Windzug streifte ihren Körper und überzeugte sie davon, dass sie wach war. Angstschweiß bildete sich über ihrer Oberlippe, ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Maja! Sie musste sofort nach Maja schauen.
Aber noch ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, hörte sie Schritte. Jemand kam die Treppe hinunter. Den Geräuschen nach eine schwere, kräftige Person. Patrik war offenbar auch aufgewacht. Oder war er mitten in der Nacht draußen gewesen? Schlafwandelte er? So wie früher als Jugendlicher? Konnte es sein, dass er jetzt wieder damit anfing? Ihre Gedanken überschlugen sich, sie taumelte.
Das Nächste, was ihre angespannten Sinne wahrnahmen, war ein schwacher, merkwürdiger Geruch. Stechend, ähnlich wie Benzin. Was sie dann sah, ließ sie erstarren. Ihr entfuhr ein entsetztes Keuchen. Der Mann, der die Treppe herunterkam und nun allmählich sichtbar wurde, war bedeutend größer und breiter gebaut als Patrik. Die Form seines Kopfs kam ihr irgendwie seltsam vor. Er trug etwas in den Armen. Mit schweren Schritten näherte er sich dem Erdgeschoss, und sie stand immer noch wie angewurzelt da.
Vielleicht war es das Geräusch ihres Atems. Vielleicht hatte sie geschrien, ohne sich dessen bewusst zu sein. Der riesige Kerl drehte sich um. Aber da war kein Gesicht. Er hatte eine Gasmaske auf, ein schwarzes unförmiges Ding, das ihn in ein Monster verwandelte. Und jetzt erkannte sie auch, was er in den Armen hielt. Maja. Dieser Mann trug ihre Tochter. Und auch sie hatte etwas auf dem Kopf. Monikas gesamter Körper brüllte, aber sie konnte sich nicht rühren. War wie gelähmt und konnte nichts dagegen tun. Heiße Tränen quollen aus ihren Augen, trübten ihre Sicht. Das alles erschien so unwirklich. Das alles passierte wirklich. Der Mann hatte ihr jetzt den Rücken zugedreht, sie sah nur noch seine schwarze Gestalt gegen das Licht, das von der Straße durch die Haustür fiel. Große Schritte. Er war jetzt draußen, lief am Schuppen vorbei und durch das Gartentor. Dann fing er an zu rennen, hin zu einem offenen Kastenwagen. Er sprang auf die Ladefläche und zog die Türen zu.
»NEEEEIIIINNN!«
Der Schrei, der aus ihr herausbrach, klang, als hätte sich ein Abgrund geöffnet, aus dem die Eingeweide der Erde herausquollen. Endlich kam wieder Leben in ihren Körper. Endlich konnte sie sich wieder bewegen. Sie stürzte in den Hausflur, hatte nur einen Gedanken im Kopf, nämlich die Autotür aufzureißen und Maja aus den Armen dieses Fremden zu zerren. Wenn er sie dabei töten würde, dann war es so. Sie war bereit sich zu opfern, aber sie musste ihre Tochter retten.
Die Explosion im Haus war wie ein weißes, alles verzehrendes Licht, das sie mit Haut und Haar verschlang. Mit einem Schlag wurde alles, was die Person Monika Västlund ausgemacht hatte, ausgelöscht. Die Explosion war so heftig, dass sich die Umrisse ihres Körpers in die Dielenwand einbrannten. Autoalarmanlagen sprangen an, in den Nachbarhäusern zerbarsten klirrend die Fensterscheiben, die Menschen aus der Umgebung schreckten in ihren Betten hoch und blickten sich ängstlich um. Währenddessen wütete das Feuer in dem zerstörten Haus, breitete sich rasend schnell aus.
Der gewaltige Knall hatte den Kastenwagen erschüttert. Zurück auf dem Fahrersitz, nahm der Mann die Gasmaske mit Gehörschutz ab und legte sie auf den Sitz neben sich. Das Ding war ein Erinnerungsstück an einen früheren Job, aber gerade erwies es sich als äußerst praktisch. Es hatte ihn vor dem Narkosespray und dem lauten Knall geschützt und dabei auch noch sein Gesicht verborgen.
Er drehte sich um. Die Kleine schlief tief und fest, sie lag vollkommen reglos auf der rauen Decke, auf der er sie abgelegt hatte, immer noch mit dem Gehörschutz auf. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und der Motor sprang bereitwillig an, aber das Geräusch wurde von dem hupenden Diebstahlalarm eines Autos übertönt. Er sah sich um. Die Explosion hatte die Frontscheibe des Wagens zerstört, der direkt neben dem Haus der Familie Västlund parkte. In den Fenstern der umliegenden Häuser gingen die ersten Lichter an. Besorgte, helle Vierecke. In Kürze würden die ersten Nachbarn nach draußen gelaufen kommen, zu begreifen versuchen, was passiert war. Aber bis dahin wäre er längst weit weg, irgendwo auf einer kleinen Nebenstraße, so wie es sein Fluchtweg vorsah, den er lange und gründlich geplant hatte. Er würde mit Maja verschwinden, als wären sie vom Erdboden verschluckt worden.
Bald würde er sich zu erkennen geben. Aber noch nicht. Noch musste er im Schatten bleiben.
Ohne Eile verließ der Kastenwagen den...
Erscheint lt. Verlag | 28.8.2024 |
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Reihe/Serie | Lilly Hed | Lilly Hed |
Übersetzer | Friederike Buchinger |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Anne Mette Hancock • Buch Thriller • Camilla Läckberg • Dänemark • Dürre • Entführung • Ermittlerin • Faber Pedersen • Im Feuer • Im Sturm • Island • Johanna Mo • Jonas Jonasson • Jussi Adler-Olsen • Karen Sander • Klimawandel • Kommissarin • Krimi Neuerscheinung • Lina Bengtsdotter • Maja Lunde • Naturkatastrophe • Nervenkitzel • Nordische Spannung • Norwegen • Polizistin • Schwedenkrimi • Schweden Krimi Bestseller • Skandinavischer Krimi • spannende Bücher • strong fmc • Thriller Bestseller • Tove Alsterdal • Viveca Sten • Wolf Harlander |
ISBN-10 | 3-10-491944-5 / 3104919445 |
ISBN-13 | 978-3-10-491944-7 / 9783104919447 |
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