Deine Mutter braucht mehr Punsch! (eBook)

Immer wieder Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
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2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01805-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deine Mutter braucht mehr Punsch! -  Dietmar Bittrich
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Es wird immer besser mit der buckligen Verwandtschaft. Pünktlich schalten Freunde und Familienmitglieder in den Katastrophenmodus. Schwiegermutter reißt die Erziehung der Enkel an sich. Vati versucht, sich ins Ausland abzusetzen. Und dass der Kleinste den Weihnachtspudding stilvoll unterm Lichterbaum hervorwürgt, gehört zu den festen Programmpunkten. Mutter erduldet das alles mit Fassung. Und mit Punsch. Weitere Abhilfe schaffen wieder einmal die von Dietmar Bittrich zusammengestellten Geschichten.

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller 'Alle Orte, die man knicken kann'. Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller "Alle Orte, die man knicken kann". Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Marie Stadler Der Streik der Frauen


Schnappatmung klingt – wenn man genau hinhört und in Weihnachtsstimmung ist – ein bisschen wie der Anfang von Jingle Bells. Wie die gegeneinanderschlagenden Glocken an einem Pferdeschlitten, in dem sich grenzdebil grinsende Menschen den Allerwertesten abfrieren und darauf warten, dass gesungen wird.

Auch ich gerate ins Frösteln beim Anblick der halb nackten Dame, die mich von dem riesigen Plakat am Ortseingang von Heiligenstadt anstarrt. Von diesem Plakat aus hat uns alle seit ungefähr zwei Jahrzehnten Jürgen angestarrt. Uns alle, die wir hier in Heiligenstadt wohnen. Jürgen besitzt hier einen Elektrofachhandel, in dem es nicht mehr Auswahl gibt als in jedem x-beliebigen Keller, aber immerhin, Jürgen betreibt das einzige Geschäft in diesem Kaff, das sich insgeheim für seinen urbanen Namen schämt. Und deshalb war es auch vollkommen okay, jahrzehntelang angestarrt zu werden und veraltete Technik zu überhöhten Preisen zu kaufen.

Jetzt ist Jürgens von Regenwasser und Wind lädierte Visage weg. Ersetzt durch ein weihnachtlich lächelndes Callgirl, das an einer Banane lutscht. Daneben Santa – oder zumindest eine dreißigjährige, brusthaarfreie Brad-Pitt-von-früher-Santa-Version mit Sonnenbrille, Bad-Boy-Charme und sonnengebräuntem Teint. Sonnengebräunt, und das an jedem Zentimeter seines Körpers, so als läge der Nordpol am Strand der Karibik.

Und da steht also diese Dame im Schnee, in rot-weiß-plüschiger Unterwäsche, mit dellenfreien Oberschenkeln und High Heels, nuckelt an einer Banane, während sie den ebenfalls spärlich bekleideten Santa anschmachtet, und hält mit der anderen Hand einen Kochlöffel in der Hand. Darunter steht in leuchtend roten Buchstaben: «Auch Mutti wünscht sich an Weihnachten nicht nur Arbeit! Tolle Geschenke für SIE bei Klopfhaus Küchenatelier in Weindorf.»

Während ich darüber grübele, ob es tatsächlich irgendeine Marketingabteilung geben könnte, die ein solches Ungetüm abgesegnet, bleibt hinter mir ein weiteres Auto stehen. Ich höre eine zuknallende Autotür, dann Martas Stimme.

«Oh. Mein… Was ist das?!»

Sie legt den Kopf schief, als würde das irgendetwas an dem Bild ändern, das sich uns hier auf dieser drei mal vier Meter großen Leinwand bietet.

«Ähm, Werbung für Küchenatelier Klopfhaus in Weindorf», murmle ich, auch wenn ich weiß, dass ihre Frage keine Antwort verlangte.

Kurz herrscht Stille, dann fasst sich Marta wieder.

«Glaubst du, der Major weiß davon?»

Der Major ist der Bürgermeister unserer genau 357 Menschen umfassenden Gemeinde mitten im Nirgendwo nahe Weindorf. Ich glaube, er heißt mit Vornamen Thomas, aber jeder hier nennt ihn nur «der Major». Mit Artikel. Und das mindestens schon ebenso lange, wie Jürgen diese Werbefläche gemietet hat. Hatte. Denn jetzt scheint es aus zu sein mit Jürgen, zumindest werbetechnisch.

Ein paar Minuten später sind wir schon fünf Frauen vor dem Plakat, und meine Zehen drohen schwarzblau gefroren abzufallen wie ein halb geschmolzenes Eis vom Stiel. Ich kann mich trotzdem nicht von dem Anblick lösen.

«Was findet ihr am schlimmsten?», frage ich die anderen. «Santas sexy Banane, die dellenfreie Alte oder den Gedanken, wir könnten uns an Weihnachten ernsthaft über Küchengeräte freuen?»

«Und zwar, weil wir alle Arbeit ALLEINE machen?», ergänzt Brigitte, die 1968 noch nicht alt genug war, um Krawall zu machen und Joints zu rauchen, aber wenigstens schon gelebt hat. Ihr verbitterter Unterton verrät, dass sie zu Hause tatsächlich alles alleine macht. Die anderen stehen weiter wie angewurzelt da und pusten mit tief in den Jackentaschen versenkten Händen wütende Atemwolken in die Luft.

Tanja, die Erzieherin, bricht das Schweigen. «Santa scheint ein Riesenarschloch zu sein. Der kann mich mal kreuzweise, dieser sexistische Perversling!»

Dabei verzieht sie ihre Miene und gräbt ihren Stiefel tief in den harten Wintermatsch unter uns.

«Vielleicht ist auch nur der Marketingmensch vom Küchenatelier ein Perversling?», wagt Silke einen friedfertigen Vorstoß.

«Möglich!» Tanja kaut auf ihrer Unterlippe. «Jedenfalls muss Jürgen wieder her. Dieses Drecksplakat bleibt keinen Tag länger. Lasst uns direkt zum Major fahren. Die sind doch verrückt geworden!»

Wir stapfen zu unseren Autos und fahren in Kolonne zum Rathaus. Na gut, es ist kein echtes Rathaus. Wir nennen das Zuhause des Majors Rathaus, aber es ist eine Dreizimmerwohnung, in dem nur der Major und vorne im Flur eine Sekretärin arbeiten.

«Na, Else?», fragt Brigitte, als wir das Rathaus betreten. «Alles klärchen?»

Else sieht von ihrem Bildschirm auf und schaut mit offenem Mund zu, wie wir – mittlerweile zu siebt – ins Innere strömen.

«Ach herrje! Wer heiratet denn?», fragt sie und blättert hektisch in ihrem Notizbuch.

«Keine Hochzeit!», poltert Tanja und stellt sich wie Jeanne d’Arc persönlich vor Elses Schreibtisch auf. «Es geht um Santas Banane.»

Hinter Tanja fängt Mila an zu kichern und kassiert einen Blick des Todes von uns anderen.

«Santas Banane?», stammelt Else. «Ich dachte, Santa bringt eher Nüsse?» Im selben Moment kommt der Major aus seinem Zimmer und bleibt beim Anblick unserer Gruppe erstaunt stehen.

«Heiratet heute irgend…»

Tanja, die Erzieherin, lässt ihn nicht aussprechen. «Nein, hier gibt’s keine scheiß Hochzeit!»

Und ich beginne zu verstehen, warum unsere Kinder immer so üble Wörter aus der Kita mitbrachten. Die anderen Kinder waren nicht das Problem.

Es dauert, bis der Major unser Anliegen versteht, oder sagen wir: zur Kenntnis nimmt. Die geballte Ladung Östrogen in Kombination mit Tanjas losem Mundwerk lässt ihm auch wenig Wahl. Sein Gesichtsausdruck bleibt ratlos, aber davon lassen wir uns nicht beirren in unseren Wutreden über Sexismus in der Werbung, die Ungleichverteilung von häuslicher und unbezahlter Arbeit zu Weihnachten und überhaupt … darüber, dass das Patriarchat allein schuld daran ist, dass Jürgen seinen Job als Aushängeschild von Heiligenstadt verloren hat.

«Echt mal, Major – Jürgen!», quietscht Brigitte, als würde sie vom Messias persönlich sprechen, der ausgerechnet zu Weihnachten von einem Flittchen entthront wurde.

«Jürgen wollte die Preiserhöhung nicht mitgehen», erklärt der Major leicht zerknirscht. «Wir bekommen jetzt das Fünffache, weil wir die Werbefläche über einen externen Vermarkter vermieten, und wir müssen den Strom für die Weihnachtsbeleuchtung zahlen können.»

Dabei wischt er mit der einen Hand über die andere, als ob er Geldscheine aus dem Fenster schmeißen würde.

«Du bekommst gleich das Fünffache an Stress, Mister!», nuschelt Marta, die mit dem Bruder des Majors verheiratet ist, während Tanja sich unsanft in die erste Reihe vorarbeitet, offenbar fest entschlossen, Martas Drohungen gleich in die Tat umzusetzen.

«Also, jedenfalls, wenn dieses Ding da jetzt nicht wegkommt, dann sind wir raus an Weihnachten. Ohne Jürgen gibt’s bei uns keinen Braten, keinen Adventskalender für die Kleinen, keinen Kranz, keinen Basar, keine Weihnachtsfeier in der Kita und schon gar keinen Familiengottesdienst!» Sie bebt. «Ernsthaft, Major, ich scheiß auf das Küchenatelier! Ich scheiß auf Santas Banane, und auf seine Nüsse scheiß ich auch!» Dabei sieht sie Else strafend an, die erschrocken zu Boden blickt. «Wir streiken. Alle. Alle Frauen von Heiligenstadt. Dann könnt ihr Kerle ja mal sehen, wie es ist, wenn Mutti sich mit Bananen vergnügt, anstatt die Arbeit an Weihnachten zu machen!»

Ich sehe mich um. Rundherum nur erschrockene Gesichter. Hat Tanja gerade ernsthaft mit einem Streik aller Frauen gedroht, ohne die Belegschaft, beziehungsweise in diesem Fall die Frauen, einmal gefragt zu haben? Und hat sie damit wirklich gemeint, dass hier, im idyllischsten Fachwerkörtchen der Umgebung, das Weihnachtsfest einfach ausfallen soll? Die schönste Zeit des Jahres, in der es bei uns glitzert, leuchtet, singt und vor Vorfreude nur so vibriert? Kann sie das machen? Einfach so? Und wollen wir das? Santas Banane hin oder her …

Trotz lodert auf in den Augen des Majors, und die Stimmung kippt. «Aha!», presst er mit fast geschlossenen Lippen hervor und winkt Else unwirsch zu sich.

«Else!», befiehlt er mehr, als zu bitten. «Else, berufen Sie den Rat ein. Wir müssen reden!»

Und dann gibt er uns zu verstehen, dass wir das Rathaus verlassen sollen. Und zwar schleunigst. Er habe zu tun.

Als wir draußen stehen, fortgejagt aus dem Zentrum der Macht, fängt Mila schon wieder zu kichern an.

«Dem hast du es aber gezeigt!», gluckst sie und stupst Tanja mit dem Ellenbogen in die Rippen. «Das ziehen die nie durch mit dem Plakat!» Sie hebt die Faust, wie sie es für notwendig hält bei einem Kampf für Geschlechtergerechtigkeit.

Und dann herrscht betretenes Schweigen.

«Bin ich zu weit gegangen?», fragt Tanja zerknirscht, und alle außer Mila nicken heftig.

«Ihr müsst mich doch aufhalten, Mädels!», fügt Tanja kleinlaut hinzu und sieht echt klein und gar nicht mehr laut aus, wie sie da steht und über sich selbst nachdenkt.

«Ach was, Kopf hoch, Tanja!», tröste ich halbherzig. «Die Drohung war gut! Die werden das Plakat abhängen, Jürgen wieder zu Ehren kommen lassen, und dann haben wir denen gezeigt, wo der Hammer hängt. Das war … gut. Wirklich. Ich glaube, das war gut!»

Die anderen nicken.

 

Eine Woche später stehen wir wieder vor dem Rathaus. Nicht zu...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Reihe/Serie Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Schlagworte Advent • Adventsgeschenk • Adventszeit • Famillie • Geschenk • Geschenkbuch • Geschenk für Männer • Humor • Lustige Bücher • lustige bücher für erwachsene • lustige wichtelgeschenke • Verwandtschaft • Weihnachten • Weihnachtsbuch • Weihnachtsgeschenk Buch • Wichtelgeschenk • witzige Bücher
ISBN-10 3-644-01805-7 / 3644018057
ISBN-13 978-3-644-01805-1 / 9783644018051
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