Alles gründlich geplant: 20 Minikrimis (eBook)
120 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7499-7 (ISBN)
Ausgenommen wie eine Weihnachtsgans
Schüchtern hob Christina ihre Hand, um die Kellnerin auf sich aufmerksam zu machen. Aber die übersah den nur halb erhobenen Arm. Schließlich stand Christina auf und suchte sich am Tresen ein Stück Sahnetorte aus und bestellte ein Kaffeekännchen. Dann setzte sie sich wieder an den kleinen Tisch in der hintersten Ecke. Nervös fingerte sie an ihren Manschetten herum. Sie wartete gespannt auf den Mann aus der Anzeige. Ob er die richtige Entscheidung gewesen war? Auf dem Foto, das er ihr geschickt hatte, sah er sehr gut aus. Christina, Anfang dreißig, wirkte mit ihrem biederen Jackenkleid, der dunkelblonden Pagenfrisur und den rosa geschminkten Lippen recht altbacken und erheblich älter als sie war. Der kostbare Schmuck hatte sicher noch ihrer Großmutter gehört und passte gar nicht zu ihr.
„Sind Sie Christina Brügmann?“, fragte eine angenehme, warme Stimme hinter ihr.
Erschrocken fuhr Christina hoch. Der Mann sah noch besser aus als auf dem Foto.
„Ja.“ Verlegen drehte sie ihren Brillantring hin und her. „Und Sie sind Enrico Hartmann?“
„Genau, meine Mutter war Italienerin, daher der italienische Vorname“, erklärte er. Ihr feines Lächeln bemerkte er nicht.
Er bestellte sich einen Cappuccino und ihr noch ein Glas Wasser, einen Kognak lehnte sie ab.
„Haben Sie zum ersten Mal auf ein Inserat geantwortet?“, fragte er.
Sie nickte, ohne ihn anzusehen.
„Bei mir ist es auch das erste Mal. Mit so einer Antwortflut hatte ich gar nicht gerechnet, tagelang habe ich gelesen und ausgewählt. Ich habe es mir gründlich überlegt, ob ich so mutig sein sollte. Aber ich bin durch meine Firma so eingespannt, dass ich keine Zeit habe, neue Kontakte zu knüpfen.“
Christina sah verlegen auf den Fußboden, dabei wusste sie, dass sie ihrem Gegenüber das Gespräch nicht leicht machte.
„Sie stammen aus der Stadt?“, fragte er.
„Nein.“ Schließlich traute sich Christina aufzusehen, schüchtern zu lächeln, und fuhr fort. „Ich bin nach meiner Ausbildung hierhergezogen. Bei uns in der Kleinstadt gab es keine Arbeitsplätze.“ Langsam taute sie auf und erzählte ihm ihre Lebensgeschichte. In den ersten Jahren hatte sie hier bei ihrer Tante gewohnt, aber die war vor fünf Jahren nach Mallorca ausgewandert. Seitdem lebte sie allein in der Wohnung, die sie ihrer Tante abgekauft hatte.
Zwei Stunden lang plauderten sie, zuerst im Café, später beim Spaziergang im Stadtpark. Sie harmonierten wunderbar miteinander. Enrico suchte kein Abenteuer, sondern eine Ehefrau. Eine Frau, die zu ihm hielt und seine Interessen teilte. Weil Christinas kulturelle und heimatverbundene Vorlieben seinen entsprachen, hatte er sie aus den Einsendungen ausgewählt. Schließlich brachte Enrico Christina zu ihrer Wohnung. Beim Abschied verabredeten sie sich gleich für den nächsten Tag zu einem Ausflug in die Heide.
Am Sonntag holte Enrico Christina mit seinem Alfa Romeo ab und fuhr mit ihr in einen romantischen Winkel. In dem Landgasthof aßen sie ausgezeichneten Heidschnuckenbraten und machten anschließend eine Kutschenfahrt. Christina erzählte von ihrer Arbeit als Alleinbuchhalterin, von ihrer Eigentumswohnung und dem geerbten Haus ihrer Eltern. Weil es ihr zu groß war, hatte sie es vermietet. Enrico konnte sich vor ihrer Redeflut kaum retten, trotzdem hörte er aufmerksam zu. Als sie sich alles vom Herzen geredet hatte, berichtete er von seiner Softwarefirma und dem Ärger mit den Mitarbeitern. Vor lauter Arbeit käme er gar nicht mehr zum Segeln auf seiner Yacht.
Mit großen Augen himmelte sie ihn an und bewunderte den Mut, sich selbständig zu machen.
In den nächsten Wochen lud Enrico sie zur Oper, zum Konzert und zu einer Ausstellung ein, jedes Mal gingen sie vorher essen. Er war charmant und aufmerksam und übernahm weltgewandt sowohl die Bestellung als auch die Rechnung im Restaurant. Alle paar Tage schickte er mit einem Boten Blumen in ihre Wohnung. Christina wurde verwöhnt wie noch nie in ihrem Leben. Sie genoss es, so umsorgt zu werden, und blühte richtig auf. Gemeinsam gingen sie einkaufen, und Enrico bewies seinen guten Geschmack. Er sorgte dafür, dass Christina nicht mehr ganz so hausbacken wirkte, ohne ihrer konservativen Einstellung zu nahe zu treten. Außerdem riet er ihr zu ein paar farbigen Strähnen und fransig geschnittene Haaren, aber damit traute sich Christina nicht herumzulaufen. Daraufhin erwähnte er die Frisur nicht mehr.
Es war erstaunlich, wie viel Zeit der gestresste Chef einer aufstrebenden Firma für sie erübrigen konnte. Gemeinsam planten sie einen Urlaub in der Toskana, der Heimat seiner Mutter.
„Dann lernst du meine Familie kennen, meine Großeltern und Onkel und Tanten.“
Folgsam studierte Christina Reiseführer und fragte Enrico nach Gebräuchen und Sehenswürdigkeiten aus. Natürlich bewunderte sie seine Sprachkenntnisse.
An einem schönen Wochenende segelten sie mit seiner Yacht auf der Ostsee. Sie sonnte sich an Deck und enthüllte dabei eine hinreißende Figur, während Enrico geschickt das Boot steuerte. Es war traumhaft. Als Kavalier servierte er ihr Champagner und Kaviar. Christina, die keinen Alkohol gewöhnt war, hatte einen kleinen Schwips. Der Höhepunkt war sein Heiratsantrag, den er ihr vor ihr kniend, machte. Christina nahm ihn errötend an und ließ sich einen Rubinring an ihren linken Ringfinger stecken. Den restlichen Tag entwarfen sie sorgfältig ihr künftiges Leben, wünschten sich zwei Kinder und ein Haus im Grünen. Natürlich würde Christina wegen des Nachwuchses daheimbleiben. Aber vielleicht konnte sie von dort aus Enricos Buchhaltung führen.
In der nächsten Woche hatte Enrico in der Firma so viel zu tun, sodass sie sich erst am Donnerstagabend in einem Restaurant trafen.
Enrico wirkte ungewöhnlich besorgt. Nachdem sie beim Dessert angelangt waren, druckste er herum.
„Es ist mir so peinlich, aber ich habe finanzielle Probleme. Meine Firma läuft so gut, ich kann die Aufträge gar nicht alle annehmen, aber die Zahlungsmoral meiner Kunden ist momentan sehr schlecht. Ich habe sehr viele Außenstände und deshalb Liquiditätsprobleme.“
„Dann solltest du dir einen Geldeintreiber beschaffen“, schlug Christina vor.
„Ich habe schon herumgefragt, bei zwei Kunden habe ich auch einen Zahlungsbefehl erwirkt, aber ich möchte mir meine guten Kunden nicht verprellen. Könntest du mir aushelfen?“, fragte er kleinlaut.
Christina schwieg.
„Du bekommst es bald wieder. Wenn du willst, setzen wir einen Kreditvertrag auf“, drängte Enrico und griff bittend nach ihrer Hand.
Mit dem Zeigefinger an der Nase dachte Christina angestrengt nach. „Um wie viel geht es denn?“, fragte sie schließlich leise.
„Hundertfünfzigtausend, na ja, hundertzwanzigtausend würden reichen. Wenn ich sie nicht auftreibe, muss ich meine Leute entlassen. Vielleicht kannst du auch für mich bürgen?“
Christina schluckte. Nervös drehte sie ihren Verlobungsring. „Das ist viel Geld“, meinte sie nach einer Pause.
„Eine einmalige Sache.“ Mit einem treuherzigen Dackelblick versuchte er, ihr Herz zu erweichen.
„Hoffentlich. Gut, aber im Portemonnaie habe ich das Geld nicht“, stellte sie klar.
„Kannst du es bald besorgen?“
„So eine große Summe dauert. Montag Abend vielleicht. Ja, treffen wir uns am Dienstag um fünf in unserem Café“, schlug sie endlich vor.
Mehr wurde nicht darüber geredet. Kommentarlos bezahlte Christina, zum ersten Mal seit sie sich kannten, die Restaurantrechnung.
Leider hatte sie am Wochenende keine Zeit für Enrico, da sie sich mit ihrer Großtante verabredet hatte.
Am Dienstag wartete Enrico zwei Stunden vergeblich im Café auf Christina. Der Kellner konnte ihm auch nicht sagen, wo seine Bekannte sei. Schließlich suchte er beunruhigt ihre Wohnung auf. Keiner öffnete auf sein Klingeln. Als er auf das Namensschild sah, erstarrte er. Statt C. Brügmann stand da: Familie Müller. Das musste ein Irrtum sein!
Enrico verließ den Hausflur und schaute draußen auf das Nummernschild. Nein, das Haus stimmte. Aber an der Klingel bei der Haustür stand jetzt auch Müller. Verzweifelt klingelte Enrico bei den Nachbarn. Schließlich öffnete der alte Herr eine Etage tiefer.
„Können Sie mir sagen, was hier los ist? Oben wohnte doch Christina Brügmann, aber jetzt steht da Müller an der Klingel“, fragte Enrico erregt.
„Müllers wohnen schon seit Jahren da. Frau Brügmann hat nur in den Ferien über einen Wohnungstausch hier gelebt. Am besten fragen sie Müllers nach Frau Brügmanns Heimatadresse“, erklärte der Mann.
Enrico stand fassungslos da.
*
Angeekelt schaute Tina noch einmal auf die hässliche Perücke, bevor sie sie im Mülleimer versenkte. Mit ihrer frechen Kurzhaarfrisur, dem schwarzen, sexy Kleidchen und dem ausdrucksvoll geschminkten Gesicht sah sie jung und aufreizend aus. Die Rache für ihre alte Schulfreundin Rosi, der einzigen, die trotz ihres unmoralischen Berufes noch zu ihr hielt, war ihr gelungen. Dieser Mistkerl hatte die gutmütige Rosi wie eine Weihnachtsgans ausgenommen. Aber diesmal hatte er draufgezahlt. Tina lachte leise bei dem Gedanken an den schönen Enrico.
Als es klingelte, straffte sie sich und setzte ein entzückendes Lächeln für...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7389-7499-7 / 3738974997 |
ISBN-13 | 978-3-7389-7499-7 / 9783738974997 |
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