Janus (eBook)
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491796-2 (ISBN)
Phillip P. Peterson arbeitete als Ingenieur an zukünftigen Trägerraketenkonzepten und im Management von Satellitenprogrammen. Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen schrieb er für einen Raumfahrtfachverlag. »Transport« war sein erster Roman, der zum Bestseller wurde. Mit »Paradox« gewann er 2015 den Kindle Storyteller-Award, bei FISCHER Tor erschien zuletzt »Janus«. Zu seinen literarischen Vorbildern gehören die Hard-SF-Autoren Stephen Baxter, Arthur C. Clarke und Larry Niven.
Phillip P. Peterson arbeitete als Ingenieur an zukünftigen Trägerraketenkonzepten und im Management von Satellitenprogrammen. Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen schrieb er für einen Raumfahrtfachverlag. »Transport« war sein erster Roman, der zum Bestseller wurde. Mit »Paradox« gewann er 2015 den Kindle Storyteller-Award, bei FISCHER Tor erschien zuletzt »Janus«. Zu seinen literarischen Vorbildern gehören die Hard-SF-Autoren Stephen Baxter, Arthur C. Clarke und Larry Niven.
[...] ein fesselnder und realistischer Weltraum-Thriller, der die Leser auf eine spannende Reise mitnimmt.
1
Jenny Nelsons Hände schwitzten in den Handschuhen, als sie nach dem Steuerknüppel griff. »In Ordnung, ich übernehme.« Sie gab sich alle Mühe, selbstsicher zu klingen, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
»Keine Sorge, du schaffst das schon.« Malcolm Berry, ihr Kommandant, saß links neben ihr in der Raumkapsel.
Kosmonaut Mikhail Gidzenko, zu ihrer Rechten, schwieg.
Jenny rückte sich mit der linken Hand den Helm ihres Raumanzuges zurecht und beugte sich ein wenig nach vorne, um besser aus dem Fenster schauen zu können.
Genau vor sich, vielleicht noch ein paar hundert Meter entfernt, sah sie die Internationale Raumstation ISS. Die rechte Seite der Station wurde von der Sonne angestrahlt, und die silbernen Module, die ein wenig an überdimensionierte Mülltonnen erinnerten, schimmerten im grellen Licht. Die großen Solarsegel, mit denen der Strom für die Station gewonnen wurde, waren weggeklappt, damit sie nicht durch die ausströmenden Triebwerksgase ihrer Gaia-Kapsel verschmutzt werden konnten. Ein Fadenkreuz und mehrere Linien mit Winkelangaben waren im Fenster eingearbeitet und sollten ihr die Navigation erleichtern.
Ein erstes Andocken an der ISS – Jenny war sich der Verantwortung vollkommen bewusst. Wenn sie Mist baute, beschädigte sie nicht nur die Hunderte Milliarden Dollar teure Station. Sie riskierte auch das Leben ihrer Besatzung und das der drei Astronauten an Bord der ISS.
Sie atmete tief ein und drückte dann den Steuerknüppel leicht nach vorne. Ein dumpfes Zischen ertönte, als die Kapsel beschleunigte.
»Relativ zwei Meter pro Sekunde.« Gidzenko hatte immer noch seinen schweren, russischen Akzent, der dafür sorgte, dass sie ihn manchmal kaum verstand. Der Kosmonaut hatte erst sehr spät angefangen, Englisch zu lernen, und tat sich mit der Sprache offenbar recht schwer. Dafür war der hagere, eher kleine Mann mit dem an Lenin erinnernden Spitzbart ein mathematisch-physikalisches Genie. Bei der NASA hatte man schnell seinen von Kosmonautenkollegen stammenden Spitznamen »Menschlicher Computer« übernommen. Jenny mochte den Kollegen, und daran konnten auch die schlechten internationalen Beziehungen zwischen den USA und Russland nichts ändern.
Die Station wurde allmählich größer. Langsam näherten sie sich dem Andockstutzen des amerikanischen Teils der Station.
»Sieht weiterhin sehr gut aus«, meldete Malcolm. Jenny erlaubte sich, kurz den Kopf zu wenden, und sah, dass ihr Kommandant lächelte. Allmählich beruhigte sie sich. Malcolm hatte ein enormes Talent, anderen Menschen alleine durch seine positive Ausstrahlung ein gutes Gefühl zu geben.
Er hatte bereits zwei Flüge zur Internationalen Raumstation absolviert und insgesamt schon über vierhundert Tage im All verbracht. Commander Malcolm Berry war der erfahrenste Astronaut im aktuellen amerikanischen Astronautenkorps. Jenny war froh, dass der große, stämmige Marine bei ihrer ersten Weltraummission ihr Kommandant war.
»Achtung!« Gidzenko rückte sich in seinem Sitz zurecht. »Du entfernst dich mit einer leichten Komponente in Richtung plus Z vom Zentrum des Andockkegels.«
Jennys Blick wanderte vom Fenster zum Bildschirm vor ihr auf der Konsole. Rechts war mit einigen Rechtecken die ISS schematisch dargestellt. Vom Knotenmodul ragte ein sich erweiternder Kegel nach links auf den Bildschirm. Das kleine Dreieck, das ihre Gaia-Kapsel darstellen sollte, wanderte langsam, aber deutlich sichtbar nach oben.
Was soll denn das?
Jenny ärgerte sich. Vor wenigen Augenblicken hatte sie noch genau auf der weißen Linie im Zentrum des Kegels gelegen. Warum entfernte sie sich nun vom optimalen Kurs?
»Du musst ausgleichen.« Malcolm sprach mit ruhiger Stimme.
Das war Jenny schon klar. Wenn das kleine Kapsel-Dreieck den Rand des Kegels berührte, dann musste sie den Anflug abbrechen und wieder von vorne beginnen, was den Zeitplan durcheinanderwerfen würde. Außerdem würde es sie blamieren. Es gab bei der NASA nach all den Jahren seit Sally Ride und Eileen Collins immer noch erzkonservative Männer, die Frauen prinzipiell für die schlechteren Piloten hielten. Ein Scheitern des Anflugs würde diesen Ewiggestrigen Wasser auf den Mühlen sein.
Mit einem kurzen Druck auf den Steuerknüppel zündete Jenny die oberen Lageregelungsdüsen. Nur für einen kurzen Augenblick, aber das reichte, um die Kapsel wieder auf das Zentrum des Andockkegels zuzusteuern.
»Gut gemacht.« Malcolms Stimme klang nüchtern.
Als das Dreieck auf dem Bildschirm die Linie in der Mitte berührte, stoppte Jenny mit einem erneuten Druck auf den Steuerknüppel die Bewegung.
»Äh …«, machte Mikhail.
Jenny hob die Augenbrauen. »Was denn?«
»Nichts«, sagte Malcolm anstelle des Russen. »Mach einfach weiter.«
Mikhail zuckte mit den Schultern und schwieg.
Irgendetwas lief falsch, warum sagte er es ihr nicht?
Egal! Ich muss mich auf meine Aufgabe konzentrieren.
Jenny drückte den Knüppel erneut leicht nach vorne. Langsam, ganz langsam wurde die Station in ihrem Fenster wieder größer.
»Relativgeschwindigkeit ein Meter pro Sekunde«, verkündete Mikhail.
Jenny nickte befriedigt. Das war der nominelle Wert. Alles sah gut aus. Wenn sie sich der ISS bis auf hundert Meter genähert hatte, würde sie die Geschwindigkeit weiter verringern.
Mikhail räusperte sich. »Radialvektor in plus Z. Null Komma eins. Wir entfernen uns aus dem Zentrum des Andockkegels.«
Ungläubig starrte Jenny auf den Bildschirm. Das Dreieck der Kapsel entfernte sich schon wieder von der Mittellinie des Kegels und schob sich nach oben. Jenny schüttelte den Kopf.
Verdammt nochmal!
»Das kann doch nicht sein!« Sie konnte nun auch mit einem Blick aus dem Fenster erkennen, dass die Station nach unten zog.
Scheiße, verdammte!
Was war denn nur mit dem Schiff los?
»Immer mit der Ruhe«, beschwichtigte Malcolm. »Denk nach! Was könnte für die Abweichung verantwortlich sein?«
Er weiß es! Warum sagt er es dann nicht einfach?
Sie mussten ein Problem mit der Kapsel haben. »Vielleicht hat sich das Ventil einer Schubdüse verklemmt.«
Mit Sicherheit, das war es! Die Düse feuerte permanent, übte einen geringen Schub aus und drückte die Kapsel von der vorgesehenen Flugbahn weg.
Doch ihr Chef und der Russe wechselten einen schnellen Blick.
»Kann das sein?«, fragte Malcolm, mit sanfter Geduld wie ein Grundschullehrer.
Jenny spürte, wie sie einen roten Kopf bekam. Sie mochte Malcolm, aber im Moment verhielt er sich so, als wollte er sie bloßstellen. »Verdammt, Malcolm! Wenn du weißt, was kaputt ist, dann raus damit.«
Sie bereute ihren Ausbruch sofort.
Ihr Chef und Astronautenkollege lächelte. »Immer langsam. Wie lässt sich deine Theorie überprüfen?«
Jenny zwang sich zur Ruhe. Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Wollte Malcolm etwa, dass sie scheiterte? Was hätte er denn davon? Indessen bewegte sich das Dreieck immer weiter auf die Grenze des Andockkegels zu.
Denk nach, Jenny! Denk nach!
Wenn ein Ventil verklemmt war, würde permanent Stickstoff aus den Düsen strömen. Der Druck im Tank würde sinken. Langsam zwar, aber die Sensoren mussten die Änderung erfassen können.
Jenny drückte einen Knopf auf ihrer Konsole. Der sekundäre Bildschirm zeigte eine lange Reihe an Zahlen und Messwerten.
Nein!
Die Druckanzeige des Stickstofftanks für das Lageregelungssystem änderte sich nicht. Auch alle anderen Werte blieben stabil.
»Wir haben kein Leck.« Jennys Stimme zitterte.
»Nein, haben wir nicht«, sagte Malcolm.
Jennys Herzschlag beschleunigte sich. Was konnte denn sonst für die Abweichung des Kurses verantwortlich sein?
Gleich würde das Dreieck der Kapsel die äußere Linie des Kegels berühren. Sie konnte natürlich wieder Gegenschub geben, aber auf Dauer strapazierte das ihre Treibstoffvorräte. Es machte auch keinen Sinn, ein Andockmanöver durchzuführen, wenn ihre Kapsel ein Problem hatte.
Sie straffte sich. »Ich breche den Anflug ab.«
»Moment«, stoppte Malcolm sie.
Jenny blickte ihn an.
Ihr Kommandant lächelte wieder. »Gehen wir doch einfach mal davon aus, dass die Kapsel unbeschädigt ist und kein Problem hat.«
»Ja, aber …« Malcolm unterbrach sie mit einer schnellen Handbewegung.
»Was tust du, um dich der Station anzunähern?«, fragte er.
Verdammt, worauf wollte er nur hinaus?
»Ich beschleunige leicht.«
Er lächelte. »Was bedeutet das für die Umlaufbahn, in der wir uns befinden?«
Sofort wusste sie, was er meinte.
Jenny schloss die Augen.
»Genau!« Malcolm musste an ihrem Gesichtsausdruck bemerkt haben, dass sie die Situation verstanden hatte. »Wenn wir stabil hinter der Station fliegen, sind wir auf derselben Umlaufbahn um die Erde. Beschleunigst du aber auf die Station zu, veränderst du die Bahn. Erhöht sich deine Orbitalgeschwindigkeit, steigt auch die Höhe der Umlaufbahn an.«
Jennys Wangen glühten. Sie kam sich so dumm vor. Sie war die Physikerin. Malcolm war ausgebildeter Kampfpilot. Sie hätte sofort draufkommen müssen. Aber sie hatte vergessen, dass sie sich auf einer Umlaufbahn um die Erde befanden. Sie hatte es einfach vergessen.
Diese aus der Himmelsmechanik resultierende Bewegung musste kompensiert werden. Das machte die Kapsel normalerweise automatisch, aber sie hatte bei der Vorbereitung des Anflugs...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2023 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Außerirdische • Deutsche Science Fiction • Erstkontakt • first contact • Hard SF • Mars • Neue Science Fiction 2023 • Phobos • Raumfahrt • science fiction bestseller • SF Bestseller • Wettlauf ins All • Zukunft |
ISBN-10 | 3-10-491796-5 / 3104917965 |
ISBN-13 | 978-3-10-491796-2 / 9783104917962 |
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