Monster (eBook)

Spiegel-Bestseller
Kriminalroman

****

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
560 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3050-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Monster -  Nele Neuhaus
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Wer schuldig ist, entkommt nicht

Im Feld wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Die 16-Jährige Larissa wurde erdrosselt. Durch eine DNA-Analyse gerät ein abgelehnter afghanischer Asylbewerber, der erst zu einer Haftstrafe verurteilt, aber nach einer Haftbeschwerde auf freien Fuß gesetzt wurde, ins Visier der Polizei. Er kann untertauchen, bevor Pia und Bodenstein mit dem Mann sprechen können.

Auf einer Landstraße im Hintertaunus wird nachts ein Mann von einem Auto erfasst und getötet. Sein Körper ist übersät mit Bisswunden, sein Gesicht entstellt. Der Mann hatte bei einem illegalen Autorennen eine schwangere Frau getötet. Wovor ist er geflohen und wer hat ihn so zugerichtet?

Pia und Bodenstein stoßen auf immer mehr rätselhafte Todes- und Vermisstenfälle und auf eine Parallele zum Mordfall Larissa. Ohne es zu ahnen, steuern sie auf eine Katastrophe zu.
Spiegel-Bestseller

Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus und schreibt bereits ebenso lange. Ihr 2010 erschienener Kriminalroman Schneewittchen muss sterben brachte ihr den großen Durchbruch, heute ist sie die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands. Außerdem schreibt die passionierte Reiterin Pferde-Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur. Ihre Bücher erscheinen in über 30 Ländern. Vom Polizeipräsidenten Westhessens wurde Nele Neuhaus zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt.

Samstag, 7. Dezember


Den ganzen Vormittag über war der Schnee das Hauptgesprächsthema bei den wenigen Kunden, die den Weg in die Apotheke fanden. Am späten Freitagabend hatte es angefangen zu schneien, und seitdem rieselte der Schnee aus tief hängenden Wolken, wie ein dichter weißer Vorhang. Den Räumfahrzeugen der Stadt gelang es kaum, die Straßen frei zu halten, und wer sich am frühen Morgen die Mühe gemacht hatte, den Schnee vom Bürgersteig vor seinem Haus zu schippen, der konnte eine halbe Stunde später wieder von vorne anfangen. Die weiße Pracht, die einen viertel Meter hoch auf Autos, Hausdächern und Mülltonnen lag, erinnerte Anne Böhlefeld an ihre Kindheit. Damals hatte es in jedem Winter so viel Schnee gegeben, und in ihrer Erinnerung war er wochenlang liegen geblieben, nicht so wie heutzutage, wo sich der Schnee auf den Straßen binnen weniger Stunden in grauen Matsch verwandelte. Sie fand es beruhigend, dass es schneite, so wie früher, als es noch vier Jahreszeiten gegeben und niemand von Klimawandel gesprochen hatte.

Die Kunden brachten die feuchte Kälte und Schneematsch an den Schuhen in den Verkaufsraum der Apotheke, die Jüngeren beklagten sich, weil sie ihre Autos freischaufeln mussten, die Älteren fürchteten, sie könnten stürzen und sich die Knochen brechen, und Anne dachte, dass es so typisch deutsch war, in allem immer nur das Negative zu sehen. Ihrer guten Laune konnte es heute aber nichts anhaben, denn sie hatten gestern einen so kurzweiligen Abend verbracht wie schon lange nicht mehr. Jörg und sie waren bei Freunden zum Krimidinner eingeladen gewesen, und sie hatten so viel gelacht, dass Anne heute Muskelkater im Bauch hatte.

Gegen Mittag versiegte der zäh tröpfelnde Strom der Kunden völlig.

»Bei dem Schnee kommt wohl keiner mehr«, meinte die Chefin.»Ihr könnt ruhig Feierabend machen. Ich schließe dann ab.«

Tatsächlich schneite es unverdrossen weiter, und es waren kaum noch Autos unterwegs. Mehrere Kunden hatten erzählt, dass keine Busse mehr fuhren und die S3 ihren Betrieb eingestellt hatte, weil ein Baum auf die Oberleitung gefallen war. Anne nahm ihr Smartphone aus der Tasche. Lissy hatte sich noch nicht gemeldet. Sie tippte ihrer Tochter rasch eine Nachricht und bot ihr an, sie bei ihrer Freundin Sara abzuholen, damit sie nicht durch den Schneefall laufen musste. Dann schaute sie die Bestellungen durch.

»Die Frau Kreuzer aus der Falkenstraße hat angerufen«, sagte Anne. »Sie traut sich nicht aus dem Haus. Ich bringe ihr die Medikamente vorbei, wenn ich nach Hause fahre.«

Sie checkte ihr Smartphone. Keine Antwort von Lissy. Seltsam. Sie rief den Chat auf. An der Nachricht, die sie eben geschickt hatte, war nur ein graues Häkchen. Lissy war zuletzt gestern Abend um 19:22 Uhr online gewesen. Anne schluckte und wählte Lissys Nummer. Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar … Ein hohles Gefühl breitete sich hinter ihrem Brustbein aus, und sie hatte plötzlich einen sauren Geschmack im Mund. Vorübergehend nicht erreichbar. Grauer Haken an der WhatsApp-Nachricht. Das war vollkommen unmöglich. Ihre Tochter war mit ihrem Smartphone quasi verwachsen, sie schaltete es niemals aus und achtete beinahe panisch darauf, dass der Akku immer ausreichend geladen war. Anne rief die Wo ist-App auf. Lissy nannte sie scherzhaft die »Stalking-App«, hatte aber nichts dagegen, dass Anne jederzeit sehen konnte, wo sie sich gerade befand. Kurz zeigte die App den Standort von Lissys Handy in Niederhöchstadt an, und Anne durchzuckte ein freudiger Schreck, aber dann las sie LisBoe2003@t-online.de, Eschborn, Steinbacher Straße, vor 19 Stunden. Und dann war das Symbol verschwunden. Aktuell kein Standort.

Anne ging in den Aufenthaltsraum und schloss die Tür hinter sich. Sie wählte Jörgs Nummer. Hätte Lissy ihr Handy verloren, oder wäre es ihr gestohlen worden, hätte sie Mittel und Wege gefunden, ihre Mutter unverzüglich über die größtmögliche Katastrophe im Leben eines Teenagers zu informieren. Nein, es gab einfach keine schlüssige Erklärung dafür, weshalb Lissy seit gestern Abend um 19:22 Uhr nicht mehr online gewesen war.

»Geh schon ran«, murmelte Anne, die linke Hand auf ihr Brustbein gepresst, aber ihr Ehemann meldete sich nicht.

Sie atmete tief durch. Der Schreck schlug in bange Ahnung um. Wen konnte sie anrufen? Sara? Nein, wohl besser deren Mutter. Sie kannte Viola Korbmacher eher flüchtig von Schulveranstaltungen und ein paar Treffen mit anderen Müttern. Ihre Finger zitterten, als sie durch das Telefonbuch auf ihrem Smartphone scrollte, bis sie unter K die Nummer von Saras Mutter gefunden hatte.

»Bitte sei da«, flüsterte sie, während das Handy sich ins Netz wählte und die Verbindung aufbaute. »Bitte sei da, Lissy. Bitte hab dein Handy verloren. Bitte hab einfach nur vergessen, es aufzuladen. Bitte, bitte, bitte, lieber Gott, lass sie einfach noch schlafen …«

»Hallo, Anne!« Der überraschte Tonfall von Viola Korbmacher fuhr ihr wie ein Schlag in die Magengrube. »Das ist aber nett, dass du anrufst! Wie geht’s dir?«

»Hallo, Viola.« Anne versuchte, nicht panisch zu klingen. »Sag mal, schlafen die Mädchen noch? Ich wollte Lissy anrufen, aber ihr Handy ist aus.«

»Ähm …«

Anne hörte auf zu atmen. Dieses winzige Zögern rührte an etwas, das in jeder Zelle ihres Körpers lauerte, seit dem Moment, in dem sie Lissy zum ersten Mal in ihren Armen gehalten hatte: Es war die schreckliche, nie verstummende Angst jeder Mutter, ihrem Kind könnte etwas zugestoßen sein.

»Lissy war nicht bei uns«, sagte Viola verwundert. »Sara ist vorhin mit ihrem Vater in den Alten Kurpark gefahren. Sie helfen am Stand vom Sportverein. Heute ist doch Weihnachtsmarkt hier in Bad Soden.«

»Aber … ich dachte … also … Lissy hat mir erzählt, dass sie bei euch übernachten will«, stammelte Anne.

»Nein, tut mir leid«, erwiderte Viola, und ihre Stimme klang nach Tja, meine Liebe, da hat dich deine Tochter wohl angelogen.

»Danke«, flüsterte Anne und beendete das Gespräch. Sie ließ sich auf das schmale Bett sinken, rief erneut Lissys WhatsApp-Chat auf und kämpfte gegen die Panik an, die sie zu verschlingen drohte wie eine schwarze Flutwelle. Ihre Gedanken überschlugen sich. Hatte Lissy wirklich gesagt, dass sie bei Sara übernachten wollte? Oder hatte sie vielleicht zu Marcella oder Lynn oder zu einer anderen Freundin gehen wollen? Warum rief Jörg nicht zurück? Anne las die letzte Nachricht, die Lissy ihr gestern Abend um 19:18 Uhr geschrieben hatte: War voll super auf der Eisbahn, laufen grad zum Zug. Bis morgen, hab dich lieb.

Anne presste die Lippen zusammen und scrollte im Chatverlauf nach oben. Sie zögerte einen Moment, dann tippte sie auf die Sprachnachricht, die ihre Tochter ihr um 15:17 Uhr geschickt hatte. »Hey, Mama«, ertönte Lissys Stimme. »Sara und ich laufen jetzt hier los. Ich hab die Küche aufgeräumt. Mein Zimmer mach ich morgen, wenn ich zurück bin. Wir treffen uns um vier mit Marcella und Lynn und den anderen im Skulpi und laufen dann zur Eisbahn. Und heut Abend würden wir dann alle bei Sara übernachten. Wir wollen Plätzchen backen, für den Weihnachtsmarkt morgen, du weißt schon. Sagst du mir noch mal Bescheid, ob das okay ist? Hab dich lieb!«

Ein stechender Schmerz durchfuhr Annes Herz. Sie schloss die Augen.

Später konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war. Sie war ins Haus gestürzt und die Treppe hochgerannt, hatte die Tür zu Lissys Zimmer aufgerissen, in der irrationalen Hoffnung, ihre Tochter schlafend im Bett vorzufinden. Aber Lissys Bett war leer und das Zimmer so unordentlich, wie sie es gestern hinterlassen hatte. Schranktüren und Schubladen standen offen, überall lagen achtlos hingeworfene Klamotten, auf dem Schreibtisch herrschte ein Chaos aus Schulsachen, Schminkzeug, Bastelkram.

Alle Kraft war aus Annes Körper gewichen. Sie war auf der obersten Treppenstufe zusammengesackt, und da saß sie nun und versuchte, ihre Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Wo bist du, Lissy?

Sie schrak auf, als plötzlich ihr Handy klingelte. »Lissy!«, schoss es ihr durch den Kopf, aber zu ihrer bodenlosen Enttäuschung war es nur Viola Korbmacher.

»Ist Lissy aufgetaucht?«, erkundigte sich Saras Mutter.

»Nein«, antwortete Anne mit mühsam beherrschter Stimme. »Ihr Handy ist aus. Ihr Handy ist normalerweise nie aus.«

»Ich habe Sara angerufen«, sagte Viola. »Sie weiß leider auch nicht, wo Lissy sein könnte. Aber sie hat mir erzählt, dass sie sich gestern Abend wegen irgendetwas gestritten haben. Lissy war sauer und wollte von Niederhöchstadt aus zu Fuß nach Hause laufen.«

»Gestritten? Worüber denn?«, flüsterte Anne.

»Ich weiß es nicht.«

Nein. Das war unmöglich. Lissy und Sara waren wie Pech und Schwefel. Sie stritten sich nie.

»Es tut mir leid, Anne. Wenn ich irgendwie helfen kann …«

Anne drückte...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2023
Reihe/Serie Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi ; 11
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bestseller 2023 • Bodenstein • Ermittler • Geschenk • Krimibestseller • Kriminalkommissar • Kriminalroman • Mord • Pia Kirchhoff • Pia Sander • Polizeiarbeit • Provinz • regional • Schneewittchen muss sterben • spannend • Taunuskrimi • Team
ISBN-10 3-8437-3050-4 / 3843730504
ISBN-13 978-3-8437-3050-1 / 9783843730501
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