Michail Bulgakow, Das Hundeherz. Vollständig neu übersetzt von Alexandra Berlina (eBook)

Genial, urkomisch, messerscharf. Der russische Klassiker
eBook Download: EPUB
2023
160 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-31136-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Michail Bulgakow, Das Hundeherz. Vollständig neu übersetzt von Alexandra Berlina - Michail Bulgakow
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Bello ist ein ganz manierlicher Straßenköter, bis der geniale Chirurg Professor Filipp Preobraschenski auf die Idee verfällt, dem Tier die Hypophyse eines Menschen einzupflanzen. Er möchte damit den Hund nur verjüngen - doch der Versuch misslingt auf grandiose Weise: Aus Bello wird Genosse Bellski, der flucht und säuft und stiehlt. Mit dieser grotesken Fabel, entstanden 1925 in Moskau, nahm Michail Bulgakow die utopisch-verwegene Idee vom proletarischen Sowjetmenschen tierisch satirisch aufs Korn und hat dabei die vielleicht komischste Science-Fiction-Dystopie der Weltliteratur geschaffen, ein Must-read für alle Fans von »Der Meister und Margarita«.
  • »Auch nach 95 Jahren ist das unbedingt eine grandiose Fabel, irgendwo zwischen ?Frankenstein? und Fausts Homunkulus« Deutschlandfunk, 2018
  • Genial, urkomisch und messerscharf: Ein russischer Klassiker, immer wieder lesbar


Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt und zog dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Werke liegen im Luchterhand Literaturverlag in der Übersetzung von Thomas und Renate Reschke vor.

1


Uuuhu-huuu! Oh schaut mich an, ich verende! Der Schneesturm im Torweg heult mein Trauergebet, und ich heule mit. Vorbei ist es mit mir, aus und vorbei. Dieser Schurke mit der dreckigen weißen Mütze – der Koch der Standardernährungskantine für Angestellte des Sowjetwirtschaftszentralrats, ein Schuft von einem Proletarier – hat mir mit großem Schwung eine Portion siedendes Wasser verpasst. Herrgott, wie weh das tut! Hat sich bis an die Knochen in meine linke Seite gefressen! Also jaule ich was das Zeug hält, aber was hilft das schon?

Was habe ich ihm denn getan? Was? Fress ich den Wirtschaftszentralrat etwa arm, wenn ich in den Abfällen wühle? Geiziges Mistvieh. Schauen Sie sich doch nur mal seine Visage an: breiter als sie lang ist! Dieb mit stumpfer Fresse. Oh Menschen, Menschen! Heute Mittag hat mir die Kochmütze die Verbrühung serviert, und nun ist es dunkel, so um die vier Uhr nachmittags wird’s wohl sein, dem Zwiebelgeruch nach zu urteilen, der von der Feuerwache kommt. Die Feuerwehrleute essen zu dieser Zeit bekanntlich Brei. Aber das ist nun wirklich das Allerletzte, so schlimm wie Pilze. Wobei – ein paar bekannte Hunde haben erzählt, im Restaurant ›Bar‹ an der Neglinnaja sei die Spezialität des Hauses »Pilze Pikant«, drei Rubel fünfundsiebzig die Portion, und das würden die Leute fressen. Na, wer es mag. Da kann man auch gleich eine Galosche lecken. Auuuu …

Unerträglich, wie mir die Seite wehtut, und meinen künftigen Werdegang sehe ich sonnenklar vor mir: ­Morgen kommen die Geschwüre, und was soll ich bitteschön dagegen tun? Im Sommer wäre ich rüber in den Sokolniki-Park, da gibt es dieses besondere Kraut, das ist wirklich sehr gut, und außerdem kannst du dich dort gratis mit Wurstzipfeln vollfressen und das schöne fettige Papier ablecken, das die Bürger überall fallenlassen. Wenn die alte Schachtel nicht wäre, die auf der runden Bühne steht und beim Mondschein »Himmlische Aida« singt, dass einem das Herz in den Magen fällt, wäre es dort ganz wunderbar. Doch jetzt, wo soll ich jetzt hin?

Wurde ich etwa nie mit Stiefeln getreten? Doch, natürlich. Einen Ziegelstein in die Rippen? Kenn ich zur Genüge. Alles habe ich erlebt, ich hadere nicht mit dem Schicksal, und wenn ich jetzt weine, dann bloß vor körperlichem Schmerz und vor Hunger; mein Geist ist noch nicht erloschen. Zäh ist der Hundegeist.

Doch mein Leib – mein Leib ist gequält, verkrüppelt, geschändet von Menschen. Das Schlimmste ist ja: Er hat mich so ordentlich verbrüht, so das Fell weggeätzt, dass die linke Seite jetzt ganz ohne Schutz ist. Da kann ich mir nichts, dir nichts eine Lungenentzündung kriegen, und wenn das passiert, liebe Bürger, kratze ich ab vor Hunger. Eine Lungenentzündung muss man kurieren, es sich in einem Hauseingang unter der Treppe gemütlich machen, aber wer soll denn bitteschön für mich bettlägerigen Junggesellen die Mülltonnen durchwühlen? Ja, wenn es an die Lunge geht, verliere ich alle Kraft und krieche auf dem Bauch. Dann haut mich der Erstbeste mit einem Stock tot. Und die Straßenkehrer werden mich bei den Beinen packen und auf einen Karren laden …

Von allen Proletariern sind Straßenkehrer der schlimms­te Abschaum. Menschliche Kartoffelschalen der allerletzten Sorte. Köche, da gibt’s solche und solche. Der Wlas von der Pretschistenka, Gott hab ihn selig, wie viele Leben der gerettet hat! Weil wenn man krank ist, da ist nichts wichtiger als den Magen zu füllen. Und da, haben alte Hunde erzählt, schmeißt der Wlas dir einen Knochen zu, und darauf ein Achtelpfund Fleisch! Ein Mann von Format war das, Koch der Grafen Tolstoi, nichts mit Standardernährung. Was die sich dort bei der Standardernährung leisten, das glaubt doch kein Hund! Die kochen da ihren Borschtsch aus faulem Pökelfleisch, und die armen Leute haben keinen Schimmer! Fressen es nur so auf!

Da bekommt so ein Tippfräulein nach Tarifklasse neun ihre fünfundvierzig Rubel, und dann vielleicht noch von ihrem Kavalier ein paar Kunstseidenstrümpfe geschenkt. Aber was sie für diese Kunstseide alles über sich ergehen lassen muss! Er will ja nicht ganz normal, sondern sie soll es ihm auf die französische Art machen. Diese Franzosen sind schon Saukerle, unter uns gesagt. Auch wenn sie gut zu essen wissen. Jedenfalls trippelt das Tippfräulein also in die Normalkantine, sie kann ja nicht in die »Bar« mit ihren fünfundvierzig Rubeln! Nicht mal fürs Filmtheater hat sie genug, und Filme sind für Frauen ja der einzige Trost im Leben. Da schüttelt sie sich also, und rümpft die Nase, aber fressen muss sie. Kaum zu fassen, vierzig Kopeken für zwei Gerichte, und beide zusammen keine fünfzehn wert; die anderen fünfundzwanzig hat nämlich der Kantinenleiter eingesteckt. Dabei hat sie ganz andere Kost nötig! Oben am rechten Lungenflügel hat sie was, und eine Frauenkrankheit dazu, und Lohnabzug, und das verdorbene Essen im Magen, hier, da läuft sie! Eilt in den Torweg in ihren geschenkten Strümpfen. An den Beinen friert sie, der Wind kommt ihr an den Bauch, sie hat ja nicht mehr Fell als ich an der verbrühten Seite, und ihre Unterhose wärmt kein bisschen, da ist nichts als Schein und Spitze. Lumpen für den Kavalier. Würde sie es wagen, eine Flanellhose drunter zu tragen, na, da wäre das Geschrei aber groß:

»Was bist du denn für eine! Ich hab genug von Flanellunterhosen und von meiner Frau, jetzt ist meine Zeit gekommen! Jetzt bin ich Vorsitzender, und was ich zusammenklaue, gebe ich aus für den Frauenleib, für Krebsschwänze und Sekt! Hab in meiner Jugend genug gehungert, mir reicht es, ich will ein richtiges Leben, und nach dem Tod gibt es keins.«

Sie tut mir leid, die frierende Frau, natürlich tut sie mir leid! Doch ich selbst noch mehr. Ich sage das auch wahrhaftig nicht aus Egoismus, sondern weil es ihr ja wirklich besser geht. Sie hat’s zumindest zuhause warm, und ich? Und ich? Wohin mit mir? Verprügelt, verbrüht, verstoßen, wohin mit mir? Au-u-u-u!

»Oh du Fellnase! Na, was heulst du denn so, du armer Bello? Was ist denn, Süßer? Hat man dir was angetan?«

Der Schneesturm, dieser alte Kobold, ratterte mit dem Tor und versetzte dem Tippfräulein eine Ohrfeige, dass ihr die Worte im Hals steckenblieben. Ihren Rock bauschte er über den Knien hoch, entblößte die fadenscheinigen cremeweißen Strümpfe und einen dünnen Streifen schlecht gewaschener Spitzenwäsche. Den Hund bedeckte er mit Schnee.

»Mein Gott … Was für ein Wetter … Uh, und Bauchschmerzen auch noch. Dieses Fleisch, dieses verdammte Pökelfleisch! Hört es denn niemals auf?«

Das Fräulein senkte den Kopf und stürzte dem Schneesturm entgegen, schaffte es aus dem Torweg und auf die Straße hinaus, wurde herumgewirbelt, zerweht, zerflattert, und dann in einer Schneeschraube außer Sicht gefegt.

Der Hund mit seiner verstümmelten, schmerzenden Seite blieb im Torweg zurück, drückte sich an die kalte Mauer, schnappte nach Luft und beschloss fest, keinen Schritt mehr zu tun; hier in diesem Torweg würde er krepieren. Verzweiflung wuchtete ihn nieder. So bitter und gequält war er, so groß seine Einsamkeit und Angst, dass kleine Tränen aus den Hundeaugen quollen und sogleich austrockneten. Seine wunde Seite war voller filziger gefrorener Klumpen, und dazwischen zeichneten sich bedrohlich rote Flecken ab.

Diese sinnlose, stumpfe Grausamkeit der Köche! Bello hat sie ihn genannt. Er und Bello! Ein Bello ist rund wie ein Ball, flauschig, dumm, Sohn nobler Eltern, frisst Haferbrei zum Frühstück – und er, struppig, schlaksig, dürr, er zerschundener Streuner? Na, jedenfalls hat sie’s gut gemeint.

Auf der anderen Straßenseite ging die Tür eines grell beleuchteten Ladens auf, und heraus kam ein Bürger. Definitiv ein Bürger, kein Genosse; vielleicht sogar ein Herr. Immer näher, immer klarer, tatsächlich: ein Herr. Sie denken vielleicht, ich gehe da nach dem Pelzmantel? Unsinn. Inzwischen tragen auch jede Menge Proletarier einen. Der Kragen ist natürlich ganz anders, gar kein Vergleich, aus der Ferne könnte es aber schon zu einer Verwechslung kommen. Doch die Augen – die Augen sind nicht zu verwechseln, selbst aus der Ferne nicht! Oh, die Augen, das ist schon was. Wie ein Barometer. Alles kannst du sehen: Wer eine ausgetrocknete Wüste von einer Seele hat, wer dir aus heiterem Himmel einen Tritt unter die Rippen versetzen kann, wer selbst Angst hat und vor jedem kuscht. So einen Kriecher in die Wade zu beißen, das tut gut! Angst hast du? Nimm das! Wer Angst hat, der wird schon was ausgefressen haben. Rrr! Wau!

Zielbewusst überquerte der Herr im Schneewirbel die Straße und steuerte auf den Torweg zu. Ja, da sieht man gleich, was das für einer ist. Der wird kein vergammeltes Pökelfleisch fressen, und wenn er doch welches vorgesetzt bekommt, na, dann gibt’s aber einen fetten Skandal und Briefe an die Zeitungen: mir, Herrn Preobraschenski, wurde verdorbene Nahrung serviert!

Näher kommt er, näher. Dieser eine stiehlt nie und isst reichlich. Er wird dich nicht treten, hat aber auch selbst keine Angst, vor niemandem, denn er kennt keinen Hunger. Einer geistigen Arbeit geht er nach, der Herr mit kultiviertem Spitzbart und grauem buschigem Schnauzer, verwegen wie bei einem französischen Ritter; doch der Geruch, den der Schneesturm von ihm herüberweht, ist übel, nach Krankenhaus, und auch nach Zigarre.

Was will so einer denn zum Henker beim Zentralkonsumverein? Ganz nah ist er jetzt. Wieso ist er hier? U-u-u-u … Was hatte er in diesem elenden Laden zu suchen, sind ihm denn die guten Geschäfte in der Stadt nicht genug? Was? Wurst, Wurst hat er gekauft! Mein guter Herr, wenn Sie nur wüssten, woraus diese...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Übersetzer Alexandra Berlina
Sprache deutsch
Original-Titel Sobatschje serdze
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Booktok • bücher bulgakow • bücher moskau • Das hündische Herz • Der Meister und Margarita • Dystopische Romane • eBooks • Frankenstein • Gesellschaftskritik • Gogol • Groteske • homo sovieticus • Homunkulus • Hundemenschen • Klassiker russischer Schriftsteller • literatur gegen propaganda • Meisterwerk • Neuerscheinung • Parabel • Russische Klassiker • Russische Literatur • russischer goethe • Satire • satirische Literatur • schauplatz moskau • sobatschje serdze • Sowok • Teufeliaden • the murder of comrade sharik • verschlüsselte kritik • warum bellt herr bobikow • Zensur
ISBN-10 3-641-31136-5 / 3641311365
ISBN-13 978-3-641-31136-0 / 9783641311360
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