Willa Cather, Meine Antonia. Roman (eBook)
320 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-31150-6 (ISBN)
- »... und alles ist von einer ganz unwiderstehlichen Klarheit und Schönheit, der Sätze? der Welt? - wer will solche Unterschiede machen, wenn er nichts will als weiterlesen.« (Die Zeit)
- »Willa Cather schreibt eine eminent kluge, ehrliche, von allen Attitüden freie Prosa.« FAZ
- »Ohne Cather wären Truman Capote und E. Annie Proulx kaum denkbar.« Die Welt
Als Achtjährige übersiedelte Willa Cather (1873-1947) mit ihren Eltern von Virginia nach Nebraska, wo sie mit der unermesslichen Prärie, aber auch mit den dortigen Einwanderern aus der Alten Welt Bekanntschaft schloss. Diese Erfahrungen eines Neben- und Miteinander verschiedener Ethnien, Religionen und Kulturen prägten sie tief. Obwohl sie als Lehrerin, Redakteurin und später als erfolgreiche Schriftstellerin vor allem in New York lebte, spielen ihre Werke meist in der heroischen Weite der Prärie des amerikanischen Westens und Südwestens, der sie so ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Willa Cather erhielt den Pulitzer-Preis und gilt als eine der großen amerikanischen Erzählerinnen.
BUCH II
Die Dienstmädchen
I
Ich lebte schon fast drei Jahre bei meinen Großeltern, als Großvater beschloss, nach Black Hawk zu ziehen. Er und Großmutter waren zu alt für die schwere Farmarbeit geworden, und sie waren der Ansicht, dass ich auf eine richtige Schule gehen sollte, schließlich war ich jetzt dreizehn. Also wurde unsere Farm an «diese brave Frau, die Witwe Steavens», und ihren unverheirateten Bruder verpachtet, und wir kauften das Haus des Priesters White, das am nördlichen Rand von Black Hawk lag. Wenn man von der Farm kam, war es das erste Haus in der Stadt, das Zeichen für die Leute vom Lande, dass ihre lange Fahrt nun vorüber war.
Wir sollten im März nach Black Hawk ziehen, und sobald Großvater den Tag festgelegt hatte, teilte er Jake und Otto seine Absichten mit. Otto sagte, er werde wohl keine andere Anstellung finden, bei der es ihm so gut gefallen würde; er habe genug von der Farmarbeit und werde in jene Gegend zurückkehren, die er den «Wilden Westen» nannte. Jake Marpole, verlockt von Ottos Abenteuergeschichten, beschloss, ihn zu begleiten. Wir taten unser Bestes, um Jake davon abzubringen. Er konnte doch kaum lesen und schreiben und war so vertrauensselig und leichtgläubig, dass er eine leichte Beute für Betrüger sein würde. Großmutter bat ihn inständig, bei gütigen Christenmenschen zu bleiben, wo man ihn kannte; aber er ließ einfach nicht mit sich reden. Er wollte Schürfer werden. Er glaubte, dass in Colorado eine Silbermine auf ihn wartete.
Jake und Otto blieben bei uns bis zuletzt. Sie halfen uns beim Umzug in die Stadt, verlegten die Teppiche in unserem neuen Haus, zimmerten die Regale und Schränke für Großmutters Küche und schienen uns nur ungern zu verlassen. Doch am Ende gingen sie fort, ohne Vorwarnung. Diese beiden Burschen hatten uns bei Sonnenschein und Sturm die Treue gehalten, sie hatten uns mancherlei gegeben, was man nirgends auf der Welt kaufen kann. Zu mir waren sie wie zwei große Brüder gewesen, hatten sich aus Rücksicht auf mich mit ihren Ausdrücken und ihrem Benehmen gezügelt und waren mir sehr gute Freunde gewesen. Nun stiegen sie eines Morgens in ihren Sonntagsanzügen, kleine, mit Wachstuch bespannte Koffer in der Hand, in den Zug nach Westen – und ich sah sie nie wieder. Monate später erhielten wir eine Karte von Otto, auf der stand, dass Jake in den Bergen hohes Fieber bekommen habe, dass jetzt aber beide in der Yankee Girl Mine arbeiteten und es ihnen gut gehe. Ich schrieb an die Adresse auf der Karte, doch mein Brief kam wieder zu mir zurück: «Empfänger unbekannt.» Danach hörten wir nie wieder von ihnen.
Black Hawk, diese neue Welt, in der wir uns niedergelassen hatten, war eine saubere, hübsch angelegte kleine Präriestadt mit weißen Zäunen und gepflegten grünen Gärten um die Häuser, breiten, staubigen Straßen und schlanken Bäumchen, die neben den hölzernen Gehsteigen wuchsen. In der Stadtmitte standen an beiden Seiten der Straße neue «Kaufhäuser» und ein Schulhaus aus Backstein, das Gerichtsgebäude und vier weiße Kirchen. Unser Haus blickte auf die Stadt hinunter, und von den Fenstern im ersten Stock konnten wir sehen, wie sich zwei Meilen weiter südlich die Steilhänge des Flusses dahinschlängelten. Dieser Fluss sollte mich für den Verlust der Freiheit entschädigen, die ich auf der Farm gehabt hatte.
Im März kamen wir nach Black Hawk, und Ende April fühlten wir uns schon wie Städter. Großvater wurde Diakon der jungen Baptistengemeinde, Großmutter war mit Abendessen in der Gemeinde und missionarischen Zirkeln beschäftigt, und ich war ein ganz anderer Junge geworden, zumindest dachte ich das. Mitten unter Jungen meines Alters hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich noch eine ganze Menge lernen musste. Bevor das Frühjahrssemester vorüber war, konnte ich mich prügeln, mit «Schussern» spielen, kleine Mädchen ärgern und schmutzige Ausdrücke benutzen – und alles ebenso gut wie jeder andere Junge meiner Klasse auch. Einzig die Tatsache, dass Mrs. Harling, unsere direkte Nachbarin, ein wachsames Auge auf mich hatte, ließ mich meine Zunge zügeln, denn wenn mein Verhalten gewisse Grenzen überschritt, durfte ich nicht mehr in ihren Garten kommen und mit ihren reizenden Kindern spielen.
Die Nachbarn vom Lande sahen wir nun häufiger als zu der Zeit, da wir noch auf der Farm gewohnt hatten. Unser Haus war ein bequemer Ort zum Rasten für sie. Wir hatten eine große Scheune, in der die Farmer ihre Gespanne unterbringen konnten, und auch ihre Frauen kamen jetzt öfter mit, konnten sie doch bei uns zu Mittag essen, sich ausruhen und die Haube richten, ehe sie zum Einkaufen gingen. Je mehr unser Haus einem kleinen Hotel glich, desto besser gefiel es mir. Ich freute mich immer, wenn ich mittags von der Schule nach Hause kam und im Hinterhof einen Farmwagen stehen sah, und ich lief gerne hinunter in die Stadt, um für unerwartete Gäste einen Braten oder Brot zu holen. Den ganzen ersten Frühling und Sommer hindurch hoffte ich, dass Ambrosch einmal Antonia und Julka mitbringen würde, damit sie unser neues Haus sehen konnten. Ich wollte ihnen unser rotes Plüschsofa zeigen und die Cherubim mit den Trompeten, die der deutsche Tapezierer auf der Decke unseres kleinen Salons angebracht hatte.
Aber wenn Ambrosch in die Stadt kam, dann kam er immer allein, und obwohl er seine Pferde in unsere Scheune stellte, blieb er doch nie zum Essen und erzählte uns auch nichts von seiner Mutter und den Schwestern. Wenn wir hinausliefen und ihn mit Fragen bestürmten, ehe er vom Hof schlüpfte, zuckte er nur kurz mit den Schultern und sagte: «Geht ihnen gut, glaube ich.»
Mrs. Steavens, die jetzt auf unserer Farm wohnte, schloss Antonia ebenso in ihr Herz, wie wir es getan hatten, und brachte uns immer Neuigkeiten von ihr. Während der Weizenernte, so erzählte sie uns, habe Ambrosch seine Schwester wie einen Knecht verdingt, sie sei von Farm zu Farm gezogen, habe Garben gebunden oder mit den Dreschern gearbeitet. Die Farmer mochten sie gut leiden und waren freundlich zu ihr; sie sagten, sie hätten lieber sie zur Hilfe als Ambrosch. Als der Herbst kam, sollte sie wie im Vorjahr bis Weihnachten auf den benachbarten Farmen Mais schälen, doch Großmutter bewahrte sie davor: Sie besorgte ihr eine Anstellung bei unseren Nachbarn, den Harlings.
II
Großmutter sagte oft, wenn sie schon in der Stadt wohnen müsse, danke sie Gott dafür, dass sie neben den Harlings wohne. Sie waren wie wir Farmer gewesen, und ihr Grundstück glich noch einer kleinen Farm, mit einer großen Scheune und einem Garten, mit Obstbäumen und Wiesen – ja sogar mit einem Windrad. Die Harlings waren Norweger, und Mrs. Harling hatte bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Christiania* gelebt. Ihr Mann war in Minnesota geboren worden. Er handelte mit Vieh und Getreide, und es hieß, er sei der geschickteste Geschäftsmann des ganzen Bezirks. In den kleinen, westlich von uns gelegenen Städtchen entlang der Eisenbahnlinie besaß er zahlreiche Getreidespeicher, und er war sehr oft nicht zu Hause. Während seiner Abwesenheit stand Mrs. Harling dem Haushalt vor.
Mrs. Harling war klein und kräftig und wirkte so unerschütterlich wie ihr Haus. Jeder Zoll an ihr knisterte vor Energie, die man augenblicklich spürte, sobald sie ein Zimmer betrat. Sie hatte ein rundes, rosiges Gesicht mit fröhlich funkelnden Augen und einem eigensinnigen, kleinen Kinn. Sie geriet leicht in Wut, war leicht zum Lachen zu bringen und besaß eine von Grund auf heitere Natur. Wie gut ich mich doch noch an ihr Lachen erinnern kann; es schwang die gleiche, plötzliche Anerkennung darin, wie sie auch in ihren Augen aufblitzte; wie eine Salve, jäh und geistreich, brach es aus ihr heraus. Unter ihren raschen Tritten erzitterten die Fußböden des Hauses, und wo immer sie auch hinkam, verscheuchte sie alle trägen und gleichgültigen Gedanken. Nichts tat sie widerwillig oder oberflächlich. Ihre Begeisterung und die Heftigkeit ihrer Zu- und Abneigungen offenbarten sich in all ihren täglichen Verrichtungen. Waschtag bei den Harlings war immer spannend, niemals langweilig. Die Einweckzeit war ein andauerndes Fest, und der Hausputz glich einer Revolution. Als sich Mrs. Harling in jenem Frühjahr an die Gartenarbeit machte, konnten wir ihren geschäftigen Aufruhr durch die Weidenhecke spüren, die unser Grundstück von ihrem trennte.
Drei der Harling-Kinder waren etwa in meinem Alter. Charley, der einzige Sohn – ein älterer Junge war gestorben – war sechzehn; Julia, die als die Musikalische galt, wurde zur gleichen Zeit vierzehn wie ich; und Sally, der Wildfang mit dem kurz geschnittenen Haar, war ein Jahr jünger. Sie war fast so kräftig wie ich und beängstigend geschickt in allem, was sonst nur Jungs machten. Sally war ein ausgelassenes Ding, ihr blonder Bubikopf war von der Sonne gebleicht und die Haut braun gebrannt, denn sie trug nie einen Hut. Sie flitzte auf einem einzigen Rollschuh durch die ganze Stadt und schummelte oft beim Murmelspiel, doch sie war so flink, dass wir sie nie dabei ertappen konnten.
Frances, die erwachsene Tochter, war eine sehr wichtige Person in unserer Welt. Sie leitete das Büro ihres Vaters in Black Hawk, und während seiner häufigen Abwesenheiten führte sie es praktisch allein. Er war streng zu ihr und verlangte ihr sehr viel ab, denn sie war ungewöhnlich geschäftstüchtig. Er zahlte ihr ein gutes Gehalt, doch sie hatte nur wenige freie Tage und war nie ganz von ihren Pflichten entbunden. Selbst an den Sonntagen ging sie ins Büro, öffnete die Post und las die Börsenberichte. Mit Charley, der sich nicht fürs Geschäft interessierte, sondern sich stattdessen schon auf Annapolis vorbereitete, war Mr. Harling sehr nachgiebig; er...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2023 |
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Übersetzer | Stefanie Kremer |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | My Ántonia |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 1880 • 19. Jahrhundert • 2023 • Amerika • amerikanische Autorin • amerikanische Kinderbuchklassiker • amerikanische Klassiker • Amerikanische Literatur • Amerikanische Schriftstellerin • Auswanderer • Böhmen • Booktok • Coming of Age • das lied der lerche • der verwunschene fels • eBooks • Familie • feministische Autorinnen • Feministische Literatur • feministische Romane • Frauenliteratur • Frauenromane • Historischer Roman • jim burden • Lucy Gayheart • Mädchen • Mississippi • Nebraska • Neuerscheinung • o pioneers • Prärie • Roman • Siedler • Steppe • USA • USA / Amerika • Versorgung • Western |
ISBN-10 | 3-641-31150-0 / 3641311500 |
ISBN-13 | 978-3-641-31150-6 / 9783641311506 |
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