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Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
168 Seiten
Blond Verlag
978-3-7579-1623-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas -  Stefan Wimmer
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»Kühn ist das Mühn / herrlich der Lohn...« - so schrieb 1808 der alte Goethe über amouröse Abenteuer. Im Jahre 2021 sieht der Single-Markt in Deutschland anders aus: »Hölle-Hölle-Hölle« (W. Petry), aber auch eine Spur Inferno. In Stefan Wimmers viertem Buch dreht sich mal wieder alles um die Tücken und Fallstricke bei der Partnerwahl - und um den zunehmenden geistigen Zerfall einer ganzen Gesellschaft. Der King of Comedy ist wieder da, der Hexenmeister der Gender-Satire ! Neben »Die 12 Leidensstationen nach Pasing«, »Der König von Mexiko« und »Die 120 Tagen von Tulúm«.... »Wimmers Prosa zeichnet sich durch eine Kraft aus, die manch anämischer Nachwuchsgrübler vergeblich rund um den eigenen Bauchnabel zu aktivieren sucht...« (SZ) »Jeder Satz brennt... Das ist die Literatur von Stefan Wimmer. Sie ist klug.« (WDR 1Live)

Stefan Wimmer war mehrere Jahre Journalist in Mexiko City, danach Redakteur bei diversen Lifestyle-Magazinen, die er auch verschiedentlich in seinen Büchern verulkt. Er schreibt regelmäßig Features fu?r die ARD und das ZDF. 2010 wurde ihm der Deutsche Radiopreis fu?r die »beste Sendung« verliehen. Seine Romane »Die 12 Leidensstationen nach Pasing«, »Die 120 Tage von Tulúm« und »Der König von Mexiko« sind inzwischen Klassiker.

Stefan Wimmer war mehrere Jahre Journalist in Mexiko City, danach Redakteur bei diversen Lifestyle-Magazinen, die er auch verschiedentlich in seinen Büchern verulkt. Er schreibt regelmäßig Features für die ARD und das ZDF. 2010 wurde ihm der Deutsche Radiopreis für die »beste Sendung« verliehen. Seine Romane »Die 12 Leidensstationen nach Pasing«, »Die 120 Tage von Tulúm« und »Der König von Mexiko« sind inzwischen Klassiker.

Das Jahr, in dem die Männer nach Westen zeigten


Mit Natascha kam ich im Sommer 1985 zusammen – diesem knochentrockenen Sommer, von dem Berger, Meindorff und Roderick bis heute schwärmen (ob Roderick immer noch von diesem Sommer schwärmt, weiß ich natürlich nicht, weil seine Überreste seit fünfzehn Jahren am Pasinger Friedhof schlummern und mir der weitere Verbleib seiner Seele unbekannt ist) –, aber hier soll es ja nicht um meine drei Freunde gehen, sondern um den knallheißen Sommer, in dem ich mit Natascha zusammen kam. Berger, Meindorff, Roderick und ich hatten gerade die 11. Klasse hinter uns gebracht, ich mit dem üblichen Bauernglück, das Melancholikern oft zu eigen ist, Meindorff und Berger dagegen mit Hängen und Würgen – wohingegen Roderick aufgrund seiner ständigen Querelen mit diversen Lehrern vom Gymnasium geflogen war und jetzt durch den Orbit der Wirtschaftsschulen segelte.

Die Hitze in diesem Sommer war ungeheuer, schon ab Juni stieg das Thermometer täglich um ein paar Grad, und wir ächzten in unseren Klassenzimmern und schnappten nach Luft wie erstickende Fische. Die letzten beiden Wochen vor Ferienbeginn fanden einige denkwürdige Grill-Parties statt, die wir mangels weiblicher Bekanntschaft damit beendeten, um zwei Uhr nachts in den Waldschwaigsee zu springen und noch ein Weißbier zu trinken. Als sich Berger, Meindorff und Roderick schließlich mit ihren Eltern zum Urlaub in alle vier Winde zerstreuten, blieb ich in München zurück und vertrieb mir die Sommertage damit, vom Balkon unseres Hochhauses in der Blumenau auf den Parkplatz hinabzustarren, wo die Nachbarn ihre Autos reparierten, und auf das Wunder zu warten, das die letzte Simple-Minds-Platte versprach.

Das Wunder geschah eine Woche nach Ferienbeginn – in Form von Natascha. Natascha war das schönste Mädchen des ganzen Münchner Westens, eine Pasinger Königin, sexy, listig und frühreif. Während meine Klassenkameradinnen immer noch wie bizarre Embryonalwesen wirkten, die vom Hornbrillenstadium in die Glockenrock-Periode hineinwuchsen, war Natascha schon eine richtige junge Frau: Sie hatte ein stupsnasiges Gesicht mit geschwungenen Wimpern und einem blutroten Schmollmund, scharlach lackierte Fingernägel und hochtoupierte Locken, die ihr vom Kopf herunterbaumelten wie die Fangarme eines Tintenfischs. Am liebsten trug sie weiße Robin-Hood-Hemden, Strass-Schmuck und schwarze Stoffhosen, und obwohl sie so ein Vorstadtkind wie wir alle war, sah sie aus wie eine Adelige des Rokoko.

Für uns, das niedere Fußvolk, schien Natascha vollkommen unerreichbar zu sein. Sie war zwei Jahre älter als wir, ging auf ein reines Mädchen-Gymnasium und hatte schon ihr eigenes Auto, während wir nach Schulschluss immer noch wie die Penner am Pasinger Bahnhof herumlungerten und auf die Buslinien 34, 72 und 70 warteten. Wenn Natascha an uns vorbeistolzierte und den Zündschlüssel ihres Mini Coopers schwang, hätten wir am liebsten Vivat-Schreie in den Himmel gerufen, und die wenigen Male, wo Ihro Gnaden beiläufig in unsere Richtung winkte, malten wir uns stundenlang aus, wie flauschig ihr Himmelbett in Langwied sein musste.

An einem dieser Augustabende, als ich mangels irgendwelcher Beschäftigungen in der Bahnhofshalle herumstand und Schutz vor der Sonne suchte, passierte dann die Sensation: Die übliche Belegschaft – all die Prolls, Trinker und Türkengangs – waren schon in den wohlverdienten Sommerurlaub gefahren, nur ich lungerte noch in den uringetränkten Gemäuern herum, in denen die Feuchtigkeit wie eine Air-Condition wirkte. Und während ich noch angestrengt überlegte, wen ich mit meiner Anwesenheit beglücken könnte, trat Natascha in die Bahnhofshalle, um Zigaretten am Kiosk zu kaufen. Ich grüßte voller Ehrfurcht.

»Hey«, sagte sie. »Was stehst’n hier so vereinsamt rum? Ham dich deine Kumpels im Stich gelassen?«

»Ja«, sagte ich, »die sind alle im Ausland. Aber bekanntlich geht der Kapitän ja als letzter von Bord...«

»Der Kapitän kann mich auf ’ne Party begleiten!«, sagte Natascha knapp und legte Geld für eine Schachtel Marlboro 100 auf die Glasscheibe. »Aber bitte keine langen Verzögerungen... Wir fahren gleich los!«

»’Ne Party?«, sagte ich. »Hey, super! Klar! Ich meine: Wenn’s unbedingt sein muss... Wenn sonst nichts Größeres ansteht...«

»So wie du hier rumhängst«, sagte Natascha und steckte die Zigarettenschachtel ein, »steht ganz bestimmt nichts Größeres an.«

Wir gingen zum Ausgang – ich ein paar Schritte hinter ihr her – und traten ins Freie. Über dem Bahnhofsplatz senkte sich die Sonne wie ein schwerer Ball, es roch nach Benzin und Pommes. Natascha sperrte die Tür ihres VWs auf, stieg ein und fummelte am Radio herum. Ihre lackierten Finger stoppten bei Madonnas Angel, die Synthesizer pumpten und stampften, und Natascha trat aufs Gas. Schon auf den ersten zweihundert Metern durchfuhr Natascha drei orangefarbene Ampeln, und es presste mich in den Sitz.

»Hey«, sagte ich, »ich hab gerade das Jahreszeugnis geschafft! Ich möchte hier nicht an einer Ampelstange enden! Fahr mal ein bisschen vorsichtiger...«

Natascha ging etwas vom Gas runter und drückte den Zigaretten-Anzünder ins Armaturenbrett.

»Ist mir echt schleierhaft, wieso ihr immer an diesem ekelhaften Bahnhof rumhängt...«, sagte sie. »Ihr steht so oft vor diesem Ziegelbau rum, dass man meint, ihr seid Teil der Wandbemalung. Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag dort?«

Effektvoll fuhr ich mir durch die Haare und sah fest nach vorne.

»Grooven... Chillen...«, sagte ich. »Und ab und zu richtig einen draufmachen...«

»Aber da hängen doch nur Penner rum!«

»Nein...! Da gibt’s auch total coole Leute!«

»Wen? Den Wirt mit dem Beinstumpf? Oder den grauhaarigen Ted mit der Leopardenfelljacke?« Natascha steckte sich eine Zigarette in den Mund und fuhrwerkte an der Kupplung herum. »Der Pasinger Bahnhof war kürzlich sogar in der Zeitung – unter der Überschrift: Endstation Pasing. Wie ein Bahnhof langsam verslumt...«

»Also gut«, ächzte ich auf, »du hast recht! Der Pasinger Bahnhof ist ein einziger Scheißhaufen! Aber jetzt tu bloß nicht so, als ob du täglich von Langwied direkt ins Studio 69 jettest!«

Natascha lachte und blies süffisant Zigarettenrauch aus.

»Studio 69?«, sagte sie. »Das scheint ja ein ganz besonderes Studio zu sein...«

»Egal, wie’s heißt...«

»Also generell...«, sagte Natascha und stippte Asche ab, »gehe ich schon lieber in Läden, die etwas edler sind... Kennst du z.B. das Frederic’s

»Logo. In- und auswendig...«

Das Frederic’s kannte ich in der Tat recht gut hauptsächlich deswegen, weil ich mit Roderick einmal eine halbe Stunde vorm Eingang gestanden hatte, weil uns der Türsteher Hansi wegen unserer Espandrillos und Armeehosen nicht hineinließ. Die Nacht endete damit, dass wir uns in die Innenstadt trollten und aus einem Sicherheitsabstand von hundert Metern riefen: »Hansi, du dämliche Poppersau!«

»Ins Frederic’s geh ich z.B. ganz gern«, sagte Natascha. »Da spielen sie genau meine Musik.«

»Die da wäre?«

»The Cure«, sagte Natascha, öffnete ihren Mund in stiller Anbetung und sah nun aus wie ein Kind, dem man Lippenstift aufgetragen hatte. »Robert Smith ist Gott.«

»Ja, den mag ich auch ganz gern«, sagte ich. »Wobei ich Roddy Frame noch besser find... Und was ist das für ’ne Party, wo wir jetzt hinfahren?«

»Das ist ’ne Schwulenparty«, sagte Natascha. »Ich hoffe, das stört dich nicht...«

Die Party fand in einer Villa in Geltendorf statt und war in der Tat recht schwul, doch das war mir egal, solange ich die Ehre hatte, mit Natascha dort zu sein. Im Grunde sahen die Menschen dort auch nicht anders aus als auf den bisherigen Festen des Sommers: Die Gäste in meinem Alter ähnelten mit ihren Matrosenhemden und Hauben-Schnitten Marc Almond, andere wiederum – ein wenig lauter und affektierter – trugen weibliche Klamotten wie der Dead Or Alive-Sänger mit der Augenklappe. Und dann gab es noch eine Fraktion von älteren, stark bayerischtümelnden Homosexuellen, die mit ihren Samt-Wämsen und Goldkettchen wie Großmarkthändler oder Gastro-Könige wirkten und sich völlig unbeschwert über Sex unterhielten. Ich goss Natascha und mir an der Hausbar zwei Wodka Lemon ein, dann setzten wir uns aufs Sofa, neben einen der älteren Herren, der eine rote Glatze und ein Wildschwein-Gesicht hatte. Neben mir hörte ich ihn erzählen:

»Oiso, do sogt der Typ zu mir: Und – spürst mein Schwanz? Spürst ihn?, und ich sog: Ja-a-a...! Ja-a-a-a-a-a...! Aber, ähem... Wo denn eigentlich? Weil bei mir is des ja so, wie wenn ma a Salami in an’ Hauseingang neiwirft...«

»Hahahaha!«, lachte ich auf und prostete Natascha zu. »Ganz schön edel, die Party!«

Natascha fasste mich scharf ins Auge.

»Du möchtest dich jetzt aber nicht beschweren, dass ich dich mitgenommen habe, oder?«, sagte sie.

»Auf gar keinen Fall...«, wehrte ich ab. »Ich find’s in den unterschiedlichsten Milieus lustig!«

Natascha lehnte sich maliziös im Sofa zurück und sagte:

»Du kannst einfach nicht die Klappe halten, was?«

»Ja«, sagte ich, »das ist so ein Grundproblem von mir. In meinem Viertel hab ich dafür auch schon öfters eine kassiert...«

»Wieso? Wo wohnst du denn?«

»In der Blumenau.«

Natascha bekam einen Lachanfall.

»In der Blumenau? Ist das nicht diese Hochhaus-Gegend, die von lauter Schäferwiesen umgeben ist? Die mit den geschmackvollen, geduckten Wohnblocks in Rosa, Hellblau und...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Humor • Jugend • Mann und Frau • Mexiko • München • Reise • Roman • Satire • Sex
ISBN-10 3-7579-1623-9 / 3757916239
ISBN-13 978-3-7579-1623-7 / 9783757916237
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