17 Silver Star Western März 2023 (eBook)
1500 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7388-4 (ISBN)
Keine Gefangenen!
Western von Thomas West
Von fern hörten sie das Gejammer der Verwundeten, die verzweifelten Hilferufe der Frauen und das Thriumphgeschrei der Partisanen. Dieses bei allen Yankees gefürchtete Kampfgeschrei, mit dem die Konföderierten sich in die Schlachten zu stürzen pflegten - es klang, als hätten sich Dutzende von Berglöwen mit einem Rudel Kojoten zusammengetan, um über ihre Opfer herzufallen.
Sie lagen auf einem bewaldeten Hügel, und Lieutenant Jesse Harper hatte seine Schwadron absitzen lassen. Die Blauröcke knieten neben ihren Pferden im Unterholz.
Man schrieb den 27. September 1864. Der Bürgerkrieg tobte im vierten Jahr, und für den Süden war es nur noch ein Todeskampf. Die Grauröcke schienen entschlossen, so viele Yankees wie möglich mit in den Abgrund zu reißen.
Lieutenant Harper war auf eine der alten Eichen geklettert, wie sie in dieser Flusslandschaft zu tausenden auf den Hügeln standen. Neben ihm im Geäst zwei weitere Männer - sein Stellvertreter Captain Benjamin LaRoche und ein indianischer Späher vom Stamme der Pawnees.
"Die verfluchten Hunde haben den Zug angehalten", zischte LaRoche. Er reichte Harper das Fernrohr. Der Schwadron-Kommandant spähte hinunter in die liebliche Herbstlandschaft vor der kleinen Stadt Centralia. Weiden, und Obsthaine, mitten drin die Bahnlinie. Und zwischen den Dächern der Stadt stiegen Rauchsäulen in den Abendhimmel - Bloddy Bill Andersons Partisanen hatten den Ort bereits in ihre Gewalt gebracht. "Wir sind zu spät gekommen", flüsterte Jesse Harper.
Auf den Bahngleisen, kurz vor der Stadt, stand eine Lokomotive mit drei Waggons. Etwa vierhundert Meter entfernt, jagten Reiter um den Zug herum. Einige schossen noch immer in die Luft. Andere waren abgestiegen und drangen in die Waggons ein. Harper erkannte vereinzelt Uniformjacken und Mäntel der Südstaatenarmee. Die meisten der Reiter aber trugen Zivilkleidung. Der Lieutenant zählte über neunzig Partisanen.
Der Schusslärm verstummte. "Sie holen die Leute aus dem Zug." Mit brutaler Gewalt stießen die Partisanen die Passagiere aus den Waggons. Harper sah Frauen und Kinder. Und er sah Männer in den blauen Uniformen der Unions-Armee. "Es sind ein paar Soldaten von uns dabei..."
"Wie viele?", wollte LaRoche wissen.
"Vielleicht zwanzig." Die Stimme des Lieutenant klang brüchig. "Höchstens dreißig. Sie sind unbewaffnet."
"Sollen wir angreifen?" Harper kannte LaRoche gut genug um seinen fordernden Unterton richtig einordnen zu können. Der zwei Jahre Jüngere war ein Heißsporn von der wildesten Sorte. Er brannte auf den Kampf. Sein Fehler nach Harper Einschätzung - er brannte immer auf den Kampf.
Beide Offiziere gehörten zum Westpoint-Jahrgang des ersten Kriegsjahres. LaRoche hatte als Zweitbester abgeschnitten, Harper als Bester. Die Militärakademie hatte noch nie so junge Absolventen zur Armee geschickt, wie in diesem Jahr 1861. Harper war damals zweiundzwanzig gewesen, LaRoche sogar erst zwanzig.
"Was ist, Jesse?", drängte LaRoche. Er war ein mittelgroßer, strohblonder Mann von stämmiger Statur und mit einem gepflegten Kinnbart. "Schlagen wir los! Wozu hat der Major uns sonst vorausgeschickt?"
"Major Anderson hat uns vorausgeschickt, um die Stadt gegen die Partisanen zu halten, Ben", sagte Jesse Harper. "Centralia ist gefallen. Ich will meine Schwadron nicht für meinen Ruf als tapferer Soldat opfern."
>Meine Schwadron< - er betonte das >Meine<. Beide galten sie in der Armeeführung als Ausnahmesoldaten - tollkühn, treffsicher und von mitreißender Begeisterungsfähigkeit für die Sache der Union. Aber General Ewing hatte Harper das Kommando über die achtzig Reiter gegeben. Offiziell, weil er der Ältere war. In Wahrheit aber, weil er den kühleren Kopf hatte.
Durch das Fernrohr beobachtete der Lieutenant, wie die unbewaffneten Unionssoldaten von den anderen Fahrgästen des Zuges getrennt wurden. Mit Gewehren bewaffnete Partisanen führten sie hinter die Waggons. Sie verschwanden aus Harpers Blickfeld. Er reichte LaRoche das Fernrohr und überlegte.
Seine achtzig Reiter waren gut ausgebildet. Die meisten hatten sich auf vielen Schlachtfeldern des Bürgerkriegs bewährt. Trotzdem würde ein Angriff der Hälfte von ihnen das Leben kosten. Harper sah in den Himmel. Die Sonne hing schon tief im Westen über dem Horizont. Am Abend wollte Major Johnson mit knapp hundertsechzig Infanteristen in Centralia eintreffen.
"Diese Mistkerle!", knurrte LaRoche neben ihm. "Sie verprügeln die Fahrgäste..."
Ein Spion hatte die Nachricht von dem bevorstehenden Partisanenangriff nach Fort Davidson gebracht. General Thomas Ewing Jr. lag dort mit etwas mehr als tausend Mann dem Südstaaten-General Price mit über siebentausend Mann gegenüber.
Obwohl er jeden Soldaten zur Verteidigung des Forts brauchte, hatte der General drei seiner besten Offiziere den Befehl gegeben, Centralia und seine Einwohner zu retten - Major Johnson, und die beiden jungen Lieutenants. Johnson, hieß es, hätte sich freiwillig gemeldet. Aus persönlich Gründen, die nur er und der General kannten. Und Johnson hatte Harper und LaRoche mit der Kavallerie-Schwadron vorausgeschickt. Weil sie auf ihren Pferden schneller vorankamen, als seine beiden Infanterie-Kompanien.
"Koffer und Taschen fliegen aus den Waggons." Mit gepresster Stimme kommentierte LaRoche das Geschehen unten vor dem Hügel. "Sogar die Jacken reißen sie ihnen vom Leib. Schweine... jetzt machen sie sich an die Frauen ran..."
Eigentlich sollten sie auf Johnson und seine Infanteristen warten, falls die Stadt schon gefallen war. Und das war sie. Aber nun hatten Bloody Bills Partisanen den Zug angehalten. Die Zeitungen an der Ostküste waren voll von den Gräueltaten, die man Bloody Bills Rotten zuschrieb. Nach allem, was Harper wusste, würden sie es auch da unten an der Bahnlinie nicht dabei belassen, die Fahrgäste nur auszurauben.
Ein Schuss hallte über den Wald. Und noch einer. Und dann im zwanzig Sekundentakt ein Schuss nach dem anderen. "Verflucht! Was machen die mit unseren Leuten?", zischte LaRoche.
Harper riss ihm das Fernrohr aus der Hand. Pulverdampf stieg hinter den Waggons auf. Und im gnadenlosen Rhythmus Schuss um Schuss. "Sie schlachten unsere Jungs ab." Lieutenant Jesse Harper sprach mit tonloser Stimme. "Wir greifen an..."
*
Der Mann trug einen langen, ehemals weißen Fellmantel. Ein Federbusch schmückte seinen schwarzen Lederhut. Lilian umklammerte ihre Stofftasche mit beiden Armen und drückte sie an ihren Körper. Der Mann schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht, wieder und wieder. Solange bis sie die Tasche losließ.
Die heulenden Kinder um sie herum, die kreischenden Frauen, die um Gnade bettelnden Männer, die verwegen aussehenden Bewaffneten an den Zugfenstern und die Schüsse hinter den Waggons - all das konnte doch weiter nichts als ein böser Traum sein.
Es ist Wirklichkeit, beharrte Lilians Verstand. Und sie musste es glauben, denn sie roch den Pulverdampf, als neben ihr einer der knienden Männer in den Nacken geschossen wurde, und ihr Gesicht brannte von den Schlägen des Grobians, der ihr die Tasche entrissen hatte.
Er öffnete sie und schüttelte ihren Inhalt ins Gras. Lilian starrte auf das zusammengerollte Geldbündel, die Perlenketten, Ringe und Armbänder. "Na, wer sagt's denn", feixte der Mann mit dem Federbusch im Hut. Er raffte Geld und Schmuck zusammen und stopfte alles in seine Manteltasche.
Tränen schossen aus Lilians Augen. Ihre ganzen Ersparnisse, der Schmuck, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte - alles weg. Ihr ganzer Besitz, mit dem sie im Westen ein neues Leben anfangen wollte.
Kinder wimmerten. "Bitte nicht", stieß eine Frau atemlos hervor. "Bitte nicht, bitte nicht...", immer wieder, während ihr die grausamen Kerle die Kleider vom Leib zerrten.
Die Schüsse hinter den Waggons wollten nicht abreißen. Lilian hörte keinen einzigen Schrei. Die armen Männer, dachte sie, die armen Männer... Sie klemmte ihre kleine Handtasche zwischen Arm und Körper fest. Bitte, lieber Gott, bitte mach, dass er sie nicht findet... Ein kindisches Gebet - natürlich würde der Kerl auch das Täschchen finden. Und in ihm das Tagebuch mit Lilians Namen...
Der Mann mit dem Federbusch im Hut grinste schmierig und gemein. Er richtete sich auf und kickte Lilians Reisetasche mit einem Fußtritt zur Seite. Lilian wich zurück. "Ganz schön gefährlich für eine junge Lady so allein auf Reisen zu gehen." Er streckte den Arm nach ihr aus und packte sie am Kragen ihres Kleides. "Wo die Zeiten doch so unruhig sind..." Er packte sie und riss sie zu sich heran. Die oberen Knöpfe ihres Kleides sprangen ab.
"Hat dein Dad dich nicht gewarnt?" Seine Augen waren kalt und wässrig. Er stank nach altem Schweiß und nach Urin. "Wie alt bist du denn, Kleines? Achtzehn, neunzehn oder vielleicht schon zwanzig?" Seine Stimme wurde immer leiser und bedrohlicher. Schüsse, Schreie, Gelächter und Gewimmer um Lilian herum traten in den Hintergrund.
"Zweiundzwanzig", flüsterte Lilian wahrheitsgemäß. Die Angst hatte ihr die Lippen geöffnet, es rutschte ihr einfach so heraus.
"Na, dann bist du ja alt genug..." Er riss ihr Kleid bis zum Bauchnabel auf. Als wäre sie erstarrt, stand Lilian da und starrte ihn aus flehenden Augen...
Erscheint lt. Verlag | 26.3.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
ISBN-10 | 3-7389-7388-5 / 3738973885 |
ISBN-13 | 978-3-7389-7388-4 / 9783738973884 |
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