Tod über Wittmund. Ostfrieslandkrimi -  Thorsten Siemens

Tod über Wittmund. Ostfrieslandkrimi (eBook)

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2023 | 1. Auflage
180 Seiten
Klarant (Verlag)
978-3-96586-741-3 (ISBN)
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Tödliche Ballonfahrt, ein Mörder am Himmel über Ostfriesland? Ein junger Mann, der für seine waghalsigen Fotos bekannt ist, unternimmt mit seinen Freunden einen Ballonflug über Wittmund. Bei einer vermeintlichen Fotoaktion stürzt er aus dem Korb und stirbt. Alles sieht nach einem tragischen Unfall aus, schnell wird der Fall zu den Akten gelegt. Doch auch ein Jahr danach glaubt seine Freundin Rebecca die offizielle Version aus den Ermittlungsakten der Polizei nicht, schließlich hatte Jens ihr aufgrund ihrer Schwangerschaft hoch und heilig versprochen, mit den riskanten Aktionen aufzuhören! Die ostfriesischen Ermittler Hedda und Enno Böttcher werden mit dem alten Fall betraut, um ihn endgültig abzuschließen. Aber zu ihrer eigenen Überraschung stoßen sie bei ihren Nachforschungen auf Lügen und Heimlichkeiten. Und bevor sie ihn befragen können, wird einer der Freunde, die damals bei der Ballonfahrt dabei waren, tot aufgefunden...

2. Kapitel


 

Onkel Jörg

 

12. September

 

Seit dem Telefonat mit Jörg waren schon einige Wochen vergangen. Da der Geheimdienstleiter ihnen dabei den Eindruck vermittelt hatte, dass es mehr um einen Freundschaftsdienst als um einen neuen Fall gehen würde, hatten Hedda und Enno sich die angebotene Zeit genommen, um sich zunächst anderen Aufgaben zu widmen. Auch Rocky zuliebe wollten sie es ruhiger angehen lassen. Der ehemalige Polizeispürhund hatte erst vor Kurzem sein Herrchen verloren und musste bereits kurz nach seinem Einzug in Wilhelmshaven aus ermittlungstechnischen Gründen mit Hedda und Enno vorübergehend nach Weener ziehen.

»Meinst du, Rebecca erkennt uns wieder?«, fragte Hedda ihren Mann.

»Keine Ahnung«, antwortete Enno und zuckte dabei leicht mit den Schultern. Er saß hinter dem Steuer seines Polos und konzentrierte sich auf den Verkehr. »Aber selbst wenn, wir haben uns auf Jörgs Geburtstag doch ohnehin als seine Kollegen vorgestellt. Dementsprechend dürfte sie nicht argwöhnisch werden, wenn sie uns gleich als ermittelnde Beamte kennenlernt.«

Wenige Minuten später parkte er seinen Wagen vor einem Mehrfamilienhaus in Wittmund. Er stieg aus und befreite auch Rocky, der die ganze Fahrt über brav auf der Rückbank gelegen hatte. »Wir brauchen ein größeres Auto«, sagte Hedda, die lächelnd dabei zusah, wie Rocky schwanzwedelnd die unbekannte Umgebung erkundete.

Enno brummte nachdenklich. Sein Polo war wirklich in die Jahre gekommen, erfüllte aber dennoch Tag für Tag treu seinen Dienst. Er tat sich aber nicht nur deshalb schwer, das Fahrzeug gegen ein neueres und vor allem größeres Modell zu ersetzen. Auch der Umwelt zuliebe wollte er eigentlich kein unnötig großes Auto fahren, das dementsprechend auch viel Treibstoff schluckte. Und dann war da ja auch noch Rockys Alter. Der Rüde war bereits zehn Jahre alt, die durchschnittliche Lebenserwartung seiner Rasse lag bei zwölf Jahren. Wenn sie Pech hatten, würde sich die Anschaffung eines Kombis also nur kurzzeitig bezahlt machen.

»Jetzt sag nicht, du denkst schon wieder darüber nach, wie lange Rocky noch bei uns ist«, reagierte Hedda vorwurfsvoll auf das Schweigen ihres Mannes. Die Sinnhaftigkeit eines Fahrzeugwechsels war in den vergangenen Wochen immer mal wieder Thema bei ihnen gewesen und Hedda mochte die nüchterne Art, mit der ihr Mann die Sache betrachtete, überhaupt nicht. Sie wollte einfach hoffen, dass der treue Vierbeiner noch möglichst lange Teil ihrer kleinen Familie sein würde, und sich daher nicht heute schon Gedanken über sein Ableben machen.

»Lass uns nicht jetzt darüber reden«, schlug Enno vor und schaute demonstrativ zum Eingang des Mehrfamilienhauses, in dem Rebecca wohnte.

Hedda signalisierte ihm nickend ihre Zustimmung. Doch ihre restliche Körpersprache zeigte ebenso deutlich, dass es ihr nicht gefiel, dass sie hinsichtlich dieser Entscheidung noch immer keinen Konsens gefunden hatten. Sie rief Rocky zu sich und leinte ihn an.

Enno drückte auf den Klingelknopf, wartete kurz, bis Rebeccas Stimme aus der Gegensprechanlage ertönte, und kündigte Hedda und sich an. Da sie das Treffen im Vorfeld bereits telefonisch abgesprochen hatten, wussten sie auch, dass Rebecca kein Problem damit hatte, dass Rocky bei dem Treffen dabei war. Gemeinsam mit dem Schäferhund erklommen sie die Treppen bis zum zweiten Stock, wo ihre Verabredung bereits auf sie wartete.

»Moin!«, begrüßte Rebecca die beiden vermeintlichen Polizisten. Sie war Anfang dreißig, hatte dunkle, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haare und einen schmalen, fast schon hageren Körperbau. Die rechte Schulter sowie der komplette Oberarm waren mit Tattoos bedeckt. In beiden Ohren trug sie Tunnel, deren Löcher ungefähr einen Durchmesser von zwei Zentimetern hatten. Ihren linken Nasenflügel zierte ein dezentes Piercing, und auch in der Zunge glaubte Hedda, ein vergleichbares Schmuckstück ausgemacht zu haben.

Rebecca ging in die Hocke, um Rocky ausgiebig zu kraulen. Bei dem Anblick ging Hedda das Herz auf. Ritas Nichte schien eine echte Tierfreundin zu sein. Auch Rocky machte den Eindruck, als würde er die junge Frau mögen. Schwanzwedelnd genoss er ihre Streicheleinheit. Die beiden so zusammen zu sehen, verstärkte den auf Hedda lastenden Druck, der unglücklichen jungen Frau irgendwie zu helfen. Einerseits hoffte sie natürlich, dass ihr Lebensgefährte nicht ermordet worden war, andererseits wollte sie ihr aber auch gerne das Gefühl nehmen, dass etwas mit dem Tod ihres Partners nicht stimmte. Und da sie absolut nicht von der Unfalltheorie zu überzeugen war, war die Überführung eines Mörders in dieser Hinsicht wahrscheinlich die einfachere Option.

Rebecca erhob sich wieder und bat die beiden Ermittler herein. Nachdem sie die Wohnungstür geschlossen hatte, ging sie voraus in die Küche. Der Tisch war bereits mit einer Teekanne und dazu passenden Tassen gedeckt. In der Mitte stand ein lecker aussehender Kuchen und auf dem Fußboden befand sich eine Porzellanschüssel mit Wasser, die für den heutigen Tag zum Hundenapf umfunktioniert worden war.

»Für dich habe ich leider nichts zu fressen«, sagte Rebecca und schaute Rocky dabei bedauernd an.

»Das macht nichts«, beruhigte Hedda sie. »Er hat zu Hause erst gefressen und abgesehen davon haben wir immer ein paar Leckerchen dabei.«

Rebecca lächelte, ging abermals in die Hocke und streichelte den vor Aufregung hechelnden Vierbeiner. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen, die sie zu verbergen versuchte, indem sie ihren Kopf an den Hals des Schäferhundes presste. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie schließlich, nachdem ihr Tränenfluss nicht versiegen wollte. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Jeans und tupfte sich die Feuchtigkeit von den Wangen. »Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet. Die aufgestaute Anspannung muss wohl erst einmal raus.« Sie rang sich ein Lächeln ab.

»Dafür haben wir vollstes Verständnis«, sagte Enno. »Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.«

Einige Minuten später saßen sie zu dritt an dem kleinen Küchentisch und tranken gemeinsam Tee, während Rocky sich auf dem laminierten Fußboden lang ausgestreckt hatte. Der Höflichkeit halber hatten sie ein paar Minuten lang Smalltalk über die besten Freunde des Menschen und die Tierwelt im Allgemeinen geführt, doch die ganze Zeit über lag der eigentliche Grund des Zusammenkommens wie ein unsichtbarer Schleier in der Luft.

»Und Sie arbeiten also in Jörgs Abteilung?«, fragte Rebecca, um das Gespräch endlich in die entscheidende Richtung zu lenken.

Hedda und Enno nickten bloß. Sie wollten so wenig wie möglich zu ihrer Tätigkeit sagen, um möglichst gar nicht oder eben nur so viel wie nötig lügen zu müssen. Sollte Ritas Nichte dennoch konkretere Nachfragen stellen, konnten sie ihr ja auf gar keinen Fall erzählen, dass sie Mitglieder einer geheimen Spezialeinheit waren, die direkt dem Bundesinnenministerium unterstellt war und die sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zwar an geltenden Gesetzen orientierte, diese bei Bedarf aber auch ein wenig anders interpretieren durfte.

Aber Rebecca fragte zum Glück nicht weiter nach und kam stattdessen sofort auf ihren verstorbenen Lebensgefährten zu sprechen. »Und mein Onkel …« Sie stockte, als sie bemerkte, dass Jörg diesen Verwandtschaftsgrad noch nicht offiziell erworben hatte. Ihre Tante und er waren zwar schon seit über zwei Jahren ein Paar, geheiratet hatten sie aber noch nicht. »Sorry, ich habe ihn anfänglich aus Spaß so genannt und bin dann einfach dabei geblieben«, erklärte sie den beiden vermeintlichen Polizeibeamten ihre nicht ganz korrekte Wortwahl.

»Kein Problem«, schmunzelte Enno. »Wir wissen ja, wen Sie meinen.«

Auch Rebecca musste kurz lächeln. Ihre Mimik ließ aber schon im nächsten Augenblick erkennen, wie angespannt sie eigentlich war. »Also Jörg hat Sie …« Wieder stockte sie und schaute ihre Gesprächspartner kurz an.

Jetzt war es Hedda, die ein Lächeln aufsetzte. »Wir sind ungefähr im gleichen Alter und kennen beide Onkel Jörg sehr gut«, begann sie zu scherzen. Dann wurde ihr Tonfall wieder ernster. »Unser Gesprächsthema ist schwer genug, ich denke, das lockere ›Du‹ könnte da hilfreich sein. Ich bin Hedda und neben mir sitzt mein Mann Enno.«

»Ach, ihr …«, Rebeccas Zeigefinger sprang wie ein Pingpongball zwischen den beiden Ermittlern hin und her, »… seid verheiratet.«

Enno wusste nicht, ob seine Frau diese Information absichtlich oder unbedacht preisgegeben hatte. Darum ergänzte er: »Wie haben uns bei der Arbeit kennen und lieben gelernt.«

Rebecca zog erneut ihr Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte sich eine Träne weg. »Sorry«, entschuldigte sie sich schon wieder. »Jens und ich wollten auch heiraten.« Sie schluchzte.

Im selben Augenblick ließ ein herzzerreißender Schrei, der aus dem...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-96586-741-5 / 3965867415
ISBN-13 978-3-96586-741-3 / 9783965867413
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