Heute Abend Julia endlich (eBook)
137 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7347-6620-6 (ISBN)
David Erlay begann seine berufliche Laufbahn in einem Würzburger Buchverlag, wechselte aber schon bald in den Tagesjournalismus: eine nie bereute Entscheidung. Parallel zur redaktionellen Tätigkeit entstanden literarische Texte. Die erhalten inzwischen oft im Blauen Land und im Tessin den letzten Schliff.
I.
Julia seufzte glücklich: „Glauben kann ich es ja immer noch nicht.“
„Geht mir genauso.“
„Mein Bruder, der Kardinal.“ Sie seufzte erneut, tief befriedigt: „Ein so junger hat noch nie am Konklave teilgenommen, wenigstens in der jüngeren Geschichte nicht.“
„Mein Los“, seufzte nun auch er. „Immer muss ich der Jüngste sein.“
„Wer weiß, was noch kommt“, lächelte sie.
„Bitte nicht“, sagte er.
„Aber ist es nicht merkwürdig, dass deine Erhebung noch so kurz vor seinem Ableben geschah, sozusagen in letzter Minute?“
Es stimmte: Clemens war umgefallen – und aus und vorbei. Sofort nachdem der Akt vollzogen war – der Akt, ihn, Alexander, zum Kardinal zu machen.
„Die Tinte war noch nicht trocken“, jubelte sie, „da wurde er ins Jenseits versetzt.“
Herrje, war sie glücklich.
„Du solltest einfach noch Kardinal werden“, sagte sie. „Damit du jetzt am Konklave teilnehmen kannst, damit du selbst dort Kandidat …“
„Hüte deine Zunge“, sagte er. Immerhin, theoretisch war es ja möglich. Aber eben nur theoretisch.
Trotzdem zog sich irgendwas in ihm zusammen.
Mit aller Kraft, ja List, versuchte er, sich aus der Hektik der Vorphase herauszuhalten. Jedes Konklave war ein Thriller. Schon jetzt glühten alle nur möglichen Drähte, Namen flatterten wie Vögel am Himmel – welchem würde am Ende der allerhöchste Glanz verliehen? Clemens – theologisch zuletzt unten durch – hatte sich am Ende nach Art des einsamen Wolfs zunehmend in abgelegene Zonen zurückgezogen. Manche aus seinem ihm in gebührendem Abstand folgenden Rudel zerbiss er. Insofern große Erleichterung, dass er plötzlich, wie ein verschlungener Fisch verschwunden war und die See wieder glatt – für den Moment. Am dankbarsten waren die, die schon lange einem neuen Licht entgegenfieberten, auf jemanden, der reinen Tisch machte. Nicht, dass Clemens gänzlich untätig geblieben war, wie in den Nachrufen hervorgehoben und gelobt wurde, doch der große Atem, er fehlte. Wie ein träges Reptil auch die Kurie. Da saßen durchaus fähige und vor allem kluge Leute, denen klar war, dass Türen aufgestoßen werden mussten, wenn nötigt mit Gewalt, mit gewaltiger Kraft allemal. Eben das, das Zeug zum Anpacken, zum Zimmermann sozusagen, wie in der Welt zu lesen war, es habe dem Verstorbenen in der Zeit seines Pontifikats einfach gefehlt. Mit Zimmermann war natürlich kein anderer gemeint als Jesus, der, wie bekannt, in diesem Handwerk zu Hause war. Mithin kein Mann des Sturms, besagter Clemens, höchstens des Lüftchens, meinte Julia. Ihr Bruder wisse schon, weshalb sie seine neue Position in eine gewisse Erregung versetzte. Er, so hoffte sie nämlich, könne und werde das zukünftige Oberhaupt auf Trab bringen, das auf jeden Fall.
Julia, die Frau an seiner Seite. Ob sie sich wirklich den Gedanken erlaubte, es könne bei der Wahl auf ihn, Alexander, zulaufen? War doch geradezu hastig mit nach Rom gereist – tatsächlich deshalb, um sofort zur Stelle zu sein, wenn der Bruder zum Höhenflug abhob? Allein der Gedanke, ihm als Benjamin könne das Los zufallen: absurd oder Frucht spätkindlicher Verwegenheit. Es war so unwahrscheinlich, als würde aus dem Mond plötzlich die Sonne. Formal gehörte er zwar nun zum erlauchten Kreis derer, die gewählt werden konnten, aber ausgeschlossen, dass er an die Spitze der Spitzen rücken würde. Nein, für ihn kam es darauf an, mit dafür zu sorgen, dass der Richtige nach oben gehievt wurde. Geleitschutz sozusagen. Doch auch dafür blieb ihm bloß die hinterste Reihe. Schon das war freilich Würde genug.
Der Lauf der Dinge indes: ebenso gewollt wie verrucht. Mutterseelenallein schlug er sich damit herum, nicht mal Julia war eingeweiht, obwohl ihn das in die fast größte Unruhe versetzte. Er fand, sie müsste es wissen, und doch hatte er sein Coming-out immer wieder hinausgeschoben. Wie oft schon hatte er gedacht und gerätselt: Warum merkt sie nichts, gerade sie müsste es doch merken. Oder ahnte sie, wartete nur darauf, dass er das Wort ergriff? Aber unmöglich könnte sie stillhalten, wenn da tatsächlich ein Verdacht in ihr wucherte. Dafür war ihr Verhältnis einfach zu – ja, zu intim. Immer hatten sie einander alles gesagt. Doch eben nur so gut wie alles, wie sich nun herausstellte. Doch weiterer Aufschub war unmöglich, Julia musste endlich informiert werden, gerade jetzt. Aber was hieß „musste“, wenn jede Sekunde verstrich?
Dabei: Wie schön, wie strahlend hatte es angefangen. Zum Beispiel die Messdiener-Zeit. Natürlich er wieder der Jüngste, der Kleinste auch. Ein Winzling am Altar. Da hatten sie beide geglüht vor Stolz, er und in solidarischer Freude Julia mit. Aber er wollte sie partout aufgenommen sehen, als Messdienerin. Der damalige Pfarrer indes war ein konservativer Knochen gewesen. Mädchen mit dem Weihrauchfass? „Aber es sind doch so etwas wie Engel“, hatte er einmal dagegengehalten, das Arschloch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit bekniet, Julia für die angesehene junge Truppe zuzulassen. Doch mehr als knurrende Anerkennung kam nicht dabei heraus: „Ist ja schön, wie du dich für deine Schwester einsetzt, aber solange ich hier das Sagen habe …“ Mann mit eisernem Herzen. Fürst Eisenherz.
Ein Glück beinahe, dass er selbst zugelassen worden war, bei seinem Alter, seiner Statur. Schließlich und endlich hatte der Himmel ein Einsehen, ließ den schon altersgekrümmten Geistlichen Rat krank und amtsunfähig werden. Für den Nachfolger war es dann gar kein Problem: Sakristei und Altar und bei festlichen Anlässen die Kirche selbst wurden nun auch von Mädchen in Beschlag genommen. Oft versahen Alexander und Julia gemeinsam den Dienst, nicht nur eine ernste, sondern durchaus auch unterhaltsame Angelegenheit.
Überhaupt: beide so etwas wie ein einziger Baum. Dass Julia ein Mädchen und er ein Junge war, sie empfanden es nicht als Unterschied. Ein beinah paradiesischer Zustand. Da wuchs in der Tat zusammen, was zusammengehörte, wobei Alexander immer das Gefühl hatte, dass er es war, der sich hinüber begab, sich an- und einschmiegte. Motto: Wie die Schwester, so der Bruder. Symbiose, eindeutig. Von den Eltern wurde nicht gegengesteuert, sie waren auch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, womit genau, blieb in der Dunkelkammer. Die Mutter hatte ihren lauernden Blick auf das geschwisterliche Duo, das nicht selten in der Gartenhecke zu finden war, in einer von den beiden mit Eifer und Mühe geschaffenen Nische. Ihr Reich. Da immer wieder überwuchert von Heckenrosen, ließ die Mutter von Zeit zu Zeit die grüne Mauer lichten, sodass sie Durchblick gewährte. „Verstecken hinter Hecken kommt bei mir nicht infrage“, war einer ihrer Sprüche, nahm nur murrend in Kauf, dass ihr Mann für die Kinder Partei ergriff, wenn diese sich durch rabiates Schneidewerk ihrer geschwisterlichen Zurückgezogenheit beraubt sahen. Heckenrosen waren für seine Frau lediglich Stiefkinder, von Rosekonnte nicht ernsthaft die Rede sein. Wie erhaben dagegen der edle Duft-Adel. Alexander und Julia hielten von der pflanzlichen Klassengesellschaft nichts, liebten und verehrten ihre Rosen-Wildlinge, in deren Gesellschaft sie sich Märchen erzählten, selbst erfundene. Zwei Königskinder, die einsam, aber stolz wie Seerosen durch die Nachmittagsstunden schwammen. Manchmal kam die Mutter vorbei, lugte in das Nest, minutenlang mitunter, sodass den Kindern zwar nicht gerade angst und bange wurde, doch es fröstelte sie, ließ sie noch enger in ihrem – mit viel Fleiß und Anstrengung eingerichteten – Nest zusammenrücken. Jedes Mal kopfschüttelnd entfernte sich die Mutter, immerhin, sie hatte zu keiner Ausfragerei angesetzt, ließ das Kinder-Paar mit unbeschädigten Seelen zurück.
Gewisse Parallelen gab’s zu den Aufenthalten im Zimmer von Julia, der Oase in den elterlichen Wänden, von der Mutter nur mit zusammengebissenen Zähnen als geheimnisumwittertes Geschwister-Domizil geduldet. Die Zeiten hatten sich geändert, ärgerlicherweise, Kinder galten auf einmal als kleine Götter mit großen Ansprüchen. Das mütterliche Stillhalten, es fand durchaus Lob bei Julia und Alexander. Dem Vater blieb es zu anstrengend, sich auf die gesellschaftlichen Entwicklungen einzulassen, auf ein Pro oder Contra ließ er sich nicht ein, seine Welt war ausschließlich die berufliche, er hatte eine halbwegs führende Position bei der Stadtverwaltung, halbwegs deshalb, weil man ihn beförderungsmäßig übergangen hatte, obwohl die Fäden bei der Wasser-, Gas- und Stromversorgung ausschließlich bei ihm zusammenliefen. Alexander und Julia empfanden ihn – merkwürdig genug – als stabilen Turm, nannten ihn unter sich auch so. Dauernd gaben sie Menschen und Dingen ihre eigenen Namen und Bezeichnungen. Dass der Vater die Heckenrosen mochte wie sie selbst, verlieh ihm für sie noch einen besonderen Wert.
Der Garten sank allerdings etwas in seiner Bedeutung, erlebten sie doch in der Nachbarschaft beinah so etwas wie einen Park. Die Besitzerin hatte sie nach dort eingeladen, und einmal waren sie der Aufforderung gefolgt, um einzutauchen in das ebenso berauschende wie gepflegte Grün. Da gerade Schützenfest – ein Ereignis, welches die Eltern erstaunlicherweise bis auf das Heraushängen der unumgänglichen Fahne – negierten –, standen Julia und Alexander zunächst draußen unter dem alt, aber vornehm wirkenden Torbogen (auch er nur notgedrungen geschmückt), um sich den schmetternden Zug der vorbei marschierenden Schützen anzusehen, warteten sogar, bis sich die aufgeblasene Pseudo-Kohorte verdrückt hatte. Julia hatte sich zwei Heckenrosen ins Haar gesteckt, besagte Nachbarin sprach sie darauf an, teilte mit, Rosen wüchsen bei ihr auch,...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-7347-6620-6 / 3734766206 |
ISBN-13 | 978-3-7347-6620-6 / 9783734766206 |
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