Begleiterscheinungen -  Lilly Dippold

Begleiterscheinungen (eBook)

Eine wahre Geschichte über Liebe, Mut und Hingabe
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2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-971-1 (ISBN)
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Diese wahre Geschichte nimmt ihre Leser mit auf eine besondere Reise rund um Geburt und Tod. Leichtfüßig erzählt Lilly Dippold von der Begleitung ihrer Mutter auf ihrem letzten Weg. Zwischen Lachen und Weinen will sie Töchter und Söhne ermutigen, sich dieser letzten großen Herausforderung zu stellen, um aus Liebe, Mut und Hingabe tiefe Kraft zu schöpfen.

Lilly Dippold engagiert sich seit vielen Jahren für die Frauenkraft. Sie ist Gründerin mehrerer Frauennetzwerke und Herausgeberin der Regionalmagazine "Wein4tlerin" und "Wald4tlerin" sowie der ganzheitlichen Zeitschrift "CHI. Magazin für die Neue Zeit". Für ihr Engagement wurde sie mit dem woman-Award und dem NÖ Web-Award ausgezeichnet. Das Schreiben begleitet sie schon seit ihrer frühen Jugend, doch erst mit dieser sehr persönlichen Geschichte hat sie die Zeit und den Mut für ihr erstes Buch gefunden. Mit ihrer Familie und ihren Hunden lebt sie im niederösterreichischen Weinviertel.

5

Tränenreich fiel allerdings der Abschied von ihren Freundinnen auf der Insel aus. Mama hatte sämtliche Pflanzen und Vorräte verschenkt, schließlich wusste sie nicht, wann und ob sie je wiederkehren würde. Mit hundertfachen Segenswünschen bedacht, machten wir uns auf die Heimreise, um tags darauf mit der Behandlung im Krankenhaus zu beginnen.

Der Plan sah eine fünftägige stationäre Behandlung vor, in der die Chemiekeule vom Tropf drei Tage lang in ihren Körper floss. Nach einer zweiwöchigen Pause war dann die nächste Chemotherapie fällig. In der onkologischen Abteilung in Kirchstadt wurde sie liebevoll empfangen und herzlich betreut, sowohl die Klinik als auch das Personal waren überhaupt nicht mit dem alten Kasten und den unfreundlichen Schwestern im Karlspital zu vergleichen. Zusätzlich zu den Zytostatika unterstützte der Onkologe die Therapie mit hochdosierten Kurkumakapseln und einer Ozonbehandlung in seiner Privatpraxis.

Meine Mutter schien die Behandlung gut zu vertragen. Sie litt anfangs kaum an Übelkeit und war insgesamt bester Dinge. Sie war sowas von bereit, dem Arzt zu glauben, dass sie den Krebs gemeinsam besiegen würden. Weitere alternativmedizinische Tipps von mir lehnte sie kategorisch ab. Ihr Vertrauen galt einzig und allein dem Gott in Weiß, der diesem Spitznamen auch wirklich alle Ehre machte. Zähneknirschend und ziemlich enttäuscht nahm ich es zur Kenntnis.

Auch sonst verlief unser neues Zusammenleben nicht immer reibungslos. Für unsere gut eingespielte kleine Familie war es durchaus eine Herausforderung, über Wochen auf einen Hausgast Rücksicht zu nehmen. Viele unserer liebgewonnenen Gewohnheiten mussten verändert werden. Da wir ja tagsüber arbeiteten und es uns abends wie gewohnt zu zweit am Sofa gemütlich machen wollten, um den Tag Revue passieren zu lassen, hatte ich oft mit meinem schlechten Gewissen zu kämpfen, dass ich mich mehr um meine Mutter kümmern sollte, die sich da in ihr Zimmer zurückgezogen hatte.

Aber auch sie begann sich in diesem neuen Leben „wie im Hotel“ zunehmend unwohl zu fühlen. Schließlich war sie gewohnt, ihren Alltag allein und nach ihren eigenen Regeln zu gestalten. Auch für sie war es eine große Umstellung, dass wir ständig um sie herum waren und immer wieder fühlte sie sich durch unsere Fürsorge bevormundet. Ich bemühte mich um gesunde „Krebsernährung“ und verzichtete bei unseren Mahlzeiten auf Zucker und Weißmehlprodukte, kochte noch mehr Gemüse als sonst und sparte an Fleischmahlzeiten. Darüber war meine Mutter nicht sehr amüsiert und besorgte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit Leberkäsesemmeln und Butterstrietzel. Regelmäßig kam es zu Diskussionen bei den wöchentlichen Einkäufen, bei denen meine Mutter stets die Rechnung begleichen wollte. Natürlich ließ ich das auch hin und wieder zu, fand es aber nicht fair, dass wir jedes Mal diese Diskussion führten. Auch, weil es mir das Gefühl gab, dass sie von uns keine Zuwendung annehmen und für alles bezahlen wollte. Für mich war es jedoch selbstverständlich, dass wir unseren Lebensunterhalt auch weiterhin selbst bestritten, zumal die Mini-Portionen, die meine Mutter aß, ohnehin überhaupt nicht ins Gewicht fielen.

Hingegen gingen aber die Therapien in der Privatpraxis ganz schön ins Geld und Nebenjobs gab es nun ja erst mal keine. Nicht selten kam es zwischen uns beinahe zu Handgreiflichkeiten an der Supermarktkasse. Einmal schubste mich meine Mutter sogar so heftig, dass ich fast stürzte. So gingen die Emotionen zwischen uns manchmal ganz schön hoch. Ich war hin- und hergerissen von meinen Gefühlen. Einerseits war ich bereit zu dienen und alles richtig zu machen, andererseits wollte und konnte ich dabei aber nicht mich selbst und mein Leben gänzlich verlieren. Nach jeder dieser Zwistigkeiten plagte mich aber das schlechte Gewissen, wieso ich ihr – der todkranken Patientin – nicht jeden Willen lassen konnte. Immer wieder vermittelte mein Mann wie ein Mediator zwischen uns. Wir versuchten meiner Mutter so diplomatisch wie möglich, unsere Situation zu erklären. Dann war sie zerknirscht, entschuldigte sich und zog sich wie ein angeschossenes Opferlamm in ihr Zimmer zurück. Es war nicht so einfach mit ihr.

Ich war in meinem grenzenlosen Idealismus schon immer eine Verfechterin der Großfamilie gewesen, in der Alt und Jung zusammenlebten und sich gegenseitig unterstützten. Meine Mutter im Alter in ein Pensionistenheim abzuschieben und sie – wie es oft der Fall war, nur an Muttertagen und zu Weihnachten zu besuchen, war für mich undenkbar. Doch meine Vorstellungen von einem solchen Generationenprojekt bekamen jetzt Risse. So einfach, wie ich dachte, war die Sache offensichtlich doch nicht, zumal ihre Krankheit und der begrenzte Lebenshorizont uns immer wieder mit Schuldgefühlen quälte und uns wohl rücksichtsvoller machten, als es vielleicht bei gesunden Angehörigen der Fall wäre.

Meine Mutter wiederum kämpfte um ihre Selbstständigkeit, sie war ein autarkes Leben gewohnt. Sie fand die Eingliederung in unsere Familie oft bevormundend, wenngleich sie aber gleichzeitig unendlich dankbar war, dass wir sie bei uns aufgenommen hatten und uns um sie kümmerten. Auch in ihr kämpften die Gegensätze. Strafverschärfend kam hinzu, dass wir am Land lebten, etwa dreißig Minuten von der nächsten Kleinstadt entfernt. Dass sie hier nicht mobil war, machte zusätzlich Druck. Ich wiederum konnte mich nicht überwinden, ihr meinen sportlichen Wagen zur Verfügung zu stellen, weil ich Angst hatte, dass sie - geschwächt durch Zytostatika und Krankheit damit überfordert war und womöglich einen Unfall verursachte. Völlig unerfahren mit den möglichen Folgen einer so intensiven Chemotherapie, fiel es mir schwer, die Lage einzuschätzen. An manchen Tagen schien meine Mutter körperlich völlig unbeeindruckt, an anderen war sie erschreckend schwach und sehr müde. Es war einfach ein Teufelskreis der Gefühle für uns beide.

Doch ich bemühte mich, ihr mehr Raum zu geben und besser auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Immer wieder bot sie an, sich in der Küche nützlich zu machen. Meine Mutter war als Unternehmerin extrem ehrgeizig, fleißig und erfolgreich gewesen. Als Hausfrau allerdings eher weniger ambitioniert. Ich erinnere mich an zahlreiche Backversuche, verbrannte Biskuitrouladen und Wiener Schnitzel, an denen man sich ganz leicht einen Eckzahn hätte ausbeißen können. Ich hingegen liebe das Kochen, das für mich willkommene kreative Abwechslung nach einem langen Arbeitstag ist. Dabei lege ich großen Wert auf hochwertige Bio-Zutaten und gesunde Gerichte. In meinem Haushalt wird ökologisch geputzt, chemische Reinigungsmittel gibt es schon seit vielen Jahren keine.

Entsprechend schwer fiel es mir, das Kochen abzugeben, zumal die Speisen meiner Mutter nicht immer so recht gelungen waren, um es mal liebevoll auszudrücken. Diskussionen wie „Warum kaufst du denn das teure Olivenöl, das XY ist doch viel billiger“ oder die Tatsache, dass plötzlich eine giftgrüne Flasche Superchlorreiniger in meinem Badezimmer Einzug gehalten hatte, rüttelten schwer an meinen Nerven. Stets gepaart mit dem schlechten Gewissen, meiner todkranken Mutter doch ihren Willen zu lassen. Immer wieder fragte ich mich, ob es sich wirklich lohnte, darüber zu streiten. Wie wichtig waren solche Dinge denn, angesichts ihres bevorstehenden Todes.

Auch wenn ich mich für sie über die positiven Vibes des Onkologen freute und überzeugt war, dass Lachen und ein glückliches Herz ihr Immunsystem stärkten, so war ich doch in meinem Innersten skeptisch gegenüber all den optimistischen Versprechungen des Arztes. In unserer Hausapotheke reihten sich Homöopathika neben ätherischen Ölen, Bachblüten, Schüßlersalzen, kolloidalem Silber und Schwedenbitter. Zu meiner Gesundheitsvorsorge zählen regelmäßige TuiNa- und energetische Heilbehandlungen. Den Körper mit giftigen Substanzen zu belästigen, war mir schon immer ein Gräuel gewesen. Doch als es für meine Mutter um Leben oder Tod ging, und sie sich für oder gegen eine Chemotherapie entscheiden musste, erkannte ich, wie schwierig es werden konnte, sich gegen eine solche Behandlung auszusprechen. Und wenn ich es mir auch noch so sehr wünschte, in meinem Inner-sten hatte ich wenig Hoffnung auf eine Heilung durch diese Therapie. Möglicherweise konnte meine Mutter dadurch eine gewisse Zeitspanne an Lebenszeit gewinnen, vielleicht aber auch verlieren. Jedenfalls stand für mich das nahe Ende ihres Lebens bevor und die verbleibende Zeit wollte ich ihr so angenehm wie möglich machen.

Zu unseren immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen gesellten sich langsam die ersten Beschwerden. Zehen und Fingerspitzen wurden taub und die Mundschleimhaut schmerzte an zahlreichen offenen Stellen. Die Laune meiner Mutter verschlechterte sich dadurch zunehmend und ich fühlte mich von Tag zu Tag hilfloser. Sie ließ sich wenig von...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99139-971-7 / 3991399717
ISBN-13 978-3-99139-971-1 / 9783991399711
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